Vorsicht bei und mit Bordeaux 2006

Eigentlich wollte ich mich zu Bordeaux 2006 gar nicht äußern. Zu sehr ärgere auch ich mich über den zweitteuersten Subskriptions-Jahrgang der Bordeaux-Geschichte. Zuwenig interessiert mich das eher durchschnittliche Ergebnis. Klar, ich habe gut reden. Mein Keller ist randvoll, nicht nur mit Bordeaux. Trotzdem ist es wohl an der Zeit, mal ein paar Dinge gerade zu rücken.

Der Jahrgang

Was zeichnet einen wirklich großen Wein aus? Die perfekte Harmonie der einzelnen Komponenten. Und genauso ist es bei einem großen Weinjahrgang. Der braucht ein gutes Frühjahr mit rechtzeitigem Austrieb, einen schönen, aber nicht zu extremen und auch nicht zu trockenen Sommer und anschließend einen sonnigen, nicht zu nassen Herbst, in dem die Trauben möglichst ohne Fäulnis perfekt ausreifen können.
Und 2006? Das war das Jahr der Wetterkapriolen. Im Frühjahr später Austrieb durch den langen, für Bordeaux ungewöhnlich kalten Winter. Hitze dann bereits im Juni und im Juli sogar ein Monat mit Rekordtemperaturen. Da schien bereits der nächste 2003er in Sicht. Doch dann kam ein unerwartet kühler, ziemlich feuchter August. Spätsommer und Herbst waren schließlich trotz hoher Temperaturen von zahllosen Regenperioden geprägt, die ausgerechnet in die kritische Ernteperiode fielen. Und in einem solchen Jahrgang sollen Weine entstanden sein, die die zweithöchsten Preise der Bordeaux-Geschichte rechtfertigen? Lächerlich.

Richtig schlechten Wein gibt es heute in Bordeaux nicht mehr. Zu groß die Fortschritte in der Kellertechnik, zu umfangreich der zur Verfügung stehende Maschinenpark. Einige Weine scheinen in 2006 tatsächlich recht gut geraten zu sein. Insbesondere gilt dies wohl für Merlots aus Pomerol und für die ebenfalls vor den Regenfällen geernteten Weißweine. Vorausgesetzt natürlich, die Fassmuster entsprachen in der Zusammensetzung dem, was später in die Flasche kommt. Und vorausgesetzt, der Wein entwickelt sich im Faß entsprechend.
Erstaunlich gut letzte Woche auf dem Chateau der 2006 Latour, ein sehr fleischiger, voller Wein mit guter Frucht, viel Substanz und stabilem Gerüst recht reifer Tannine, sicher in der 94-96/100 Klasse. Aber für um die € 400 pro Flasche en primeur?

Nicht gerade euphorisch insgesamt die Bewertungen der Verkoster. Einen guten Überblick über die durch die Bank verhaltenen Bewertungen gibt die Seite www.bordoverview.com. Einen Ausreißer stellen Parkers Bewertungen dar, aber darüber später mehr. Für den deutschen Gaumen sicher zutreffender sind die Bewertungen von René Gabriel. Auf seiner Seite www.weingabriel.ch kann man unter Weingabriel mobil die Bewertungen der einzelnen Chateaus abrufen. Wer aber das Kleingedruckte lesen möchte, das in einem schwierigen Jahrgang mindestens so wichtig ist, wie die reine Note, sollte versuchen, rückwirkend mit den letzten Ausgaben den Weinwisser zu abonnieren, bei einem so teuren Jahrgang sicher eine lohnende Investition.

Die Spekulation

Wesentliche Ursache der dramatisch gestiegen Preise für höherwertige Weine ist die Spekulation. Rufen wir uns noch mal in Erinnerung, was Spekulation eigentlich ist. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet Spekulation: Jemand kauft etwas, was er eigentlich nicht braucht oder haben will nur deshalb, weil er glaubt, dass in der nahen oder ferneren Zukunft ein Anderer dafür einen deutlich höheren Preis bezahlen wird.

Und genau so läuft es derzeit bei den besseren Bordeauxweinen. Betuchte Asiaten, die immer mehr in Mode kommenden Weinfonds und zahllose, weitere Spekulanten kaufen seit Jahren in großen Mengen Spitzengewächse mit dem ausschließlichen Ziel der Gewinnerzielung. Ein Großteil der von diesen Herrschaften gekauften Weine verlässt erst gar nicht den Platz Bordeaux. Wozu auch, sie sollen ja ohnehin nicht getrunken, sondern nur irgendwann weiterverkauft werden.

So paradox es klingt, Bordeauxweine sind knapp und irrsinnig teuer. Und gleichzeitig gibt es ein potentielles Überangebot an Weinen, die eines Tages getrunken werden müssen. Denn in Einem unterscheidet sich Wein gravierend von Kunst, Juwelen oder Antiquitäten. Wein hat ein klares, relativ kurzfristiges Verfallsdatum. Der letzte Käufer muss zwangsläufig jemand sein, der den Wein auch trinken möchte.

Und hierin liegt nicht nur die Crux der Weinspekulation, sondern auch ihr mögliches, fatales Ende. Wein ist ein Getränk und hat als solches einen möglichen, maximalen Preis, den ein potentieller Trinker dafür zu bezahlen bereit ist. Für Petrus aus hervorragenden Jahren, für Le Pin, für die letzten, noch verbliebenen echten 45er Moutons oder für Premiers aus 1961 mögen sich ja ein paar Hundert vielleicht auch Tausende Bekloppte ohne Schmerzgrenze finden lassen. Aber für Millionen von Flaschen.? Wie oft wird weltweit in Restaurants ein Wein über 1000 € bestellt? Wie viele Leute entkorken so einen Wein zuhause, außer zu ganz besonderen Anlässen? Der tatsächliche, heutige Preis der jüngeren Spitzengewächse hat sich bereits dramatisch weit von einem möglichen Trinkpreis entfernt.

Wenn die Massen an Spekulationsweinen trinkreif werden und getrunken werden müssen, wird dem einfach nicht genügend Nachfrage gegenüber stehen. Zum Spekulieren war der Preis egal, zum Trinken ist er einfach viel zu hoch. Die Spekulationsblase muss eines Tages platzen und wird dann unter den letzten Käufern der Spekulationskette ein riesiges Blutbad anrichten. Der Preis der Weine muss, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, vom völlig überzogenen Spekulationspreis auf den möglichen Trinkpreis zurückfallen und damit dramatisch sinken. Nicht vorhersagen lässt sich der Zeitpunkt. Bei der Spekulation wird wie an der Börse weder zum Einsteigen noch zum Aussteigen geklingelt. Größte Vorsicht ist deshalb geboten, gerade bei einem Jahrgang, bei dem Preis und Qualität so weit auseinanderfallen.

Hat Parker einen Geheimplan?

Auf völliges Unverständnis fielen Parkers hohe Bewertungen nicht nur bei seinen Kollegen. Parker ist bei Bordeaux nach wie vor das Maß aller Dinge. Mehrere tausend Verkoster bereisen Bordeaux im Frühjahr und publizieren anschließend ihre Erkenntnisse. Und alle zusammen genommen haben nicht halb soviel Einfluss wie der Guru aus dem amerikanischen Maryland. Was aber hat Parker geritten bei seinen teils euphorischen Bewertungen? Hat der Mann einen Geheimplan? Nichts könnte die derzeitige Blase schneller zum Platzen bringen, als eine komplett verpatzte Primeurkampagne. Blauäugig vertrauen Chateaus auf die Magie der Parkerpunkte und setzen unrealistische Preise fest, Preise, die sich an der Spekulation orientieren, aber nicht an den Trinkpreisen für diese Gewächse. Wenn Parker genau das bezweckt hat, dann könnte sein Plan aufgehen. Nicht zum ersten Mal wäre Bordeaux an der eigenen Gier gescheitert. 1972 zum Beispiel gab es zwar noch keine Asiaten als neue Käufer, aber völlig überzogene Preise für einen zu schwachen Jahrgang und anschließend einen Zusammenbruch des Marktes mit drastischer, anschließender Kurskorrektur. Lesen die Bordelaiser keine Geschichtsbücher?

Was tun?

Egal, ob Parker einen Geheimplan hat, und ob dieser aufgeht. Ich halte Vorsicht und Zurückhaltung für das Gebot der Stunde. Nur wenige der 2006er sind das dafür geforderte Geld wert. Kaufen muss nur, wer ultra rare Teile wie Petrus oder Lafleur sucht. Auch Käufern von Sonderformaten bestimmter Chateaus, wie z.B. Imperiales, haben wohl keine andere Wahl. Alle Anderen können wohl in Ruhe abwarten, bis die 2006er in 2 Jahren auf den Markt kommen. Natürlich kann ich die Händler verstehen, die jetzt 2006er Bordeaux in der Subskription anpreisen. Die haben gar keine andere Wahl. Allokation heißt hier das Schlüsselwort. Wer keine oder nur wenig 2006er nimmt, schaut als Händler bei 2007 und Folgejahrgängen in die Röhre. Trotzdem sollten Sie diesen Sirenengesängen nicht unbedingt verfallen. Ich empfehle stattdessen den Blick auf ältere Gewächse, z.B. aus 1998, 1999, 2001, 2002 und 2004. Und gerüchteweise habe ich gehört, dass es auch außerhalb von Bordeaux, z.B. in Spanien, ganz außergewöhnliche Weine geben soll. Wettbewerb belebt das Geschäft, und dafür, dass Wettbewerb herrscht, sorgen nicht die Produzenten, sondern wir als Kunden.