100 Jahre Chateau Margaux

Einen Ruf wie Donnerhall genießt Chateau Margaux. Es gilt als Inbegriff der Eisenfaust im Samthandschuh, als elegantester Wein unter den Premier Crus aus Bordeaux. Kein Wunder, dass die große Chateau Margaux Probe von René Gabriel sofort ausverkauft war und die Warteliste einmal quer über die Alpen reichte. Über 100 Jahre ging die Zeitspanne, aus der wir an diesem Herbstwochenende im Engadin 52 verschiedene Chateau Margaux aus 49 Jahrgängen, 5 Pavillon Rouge und 8 Pavillon Blanc degustieren durften.

Ich selbst habe zu Chateau Margaux ein ganz persönliches Verhältnis. 1980 Chateau Margaux war mein allererster 1er Cru aus Bordeaux, Mitte der Achtziger preiswert als komplette Kiste beim Kaufhof erstanden. 1961 Chateau Margaux war mein erster, richtig großer Wein, 1986 im Kampener Waltershof auf Einladung eines großen Weinsammlers getrunken, ein Erlebnis, das mich ungemein beeindruckt hat. Und dann war da noch der außerweltliche 1900 Chateau Margaux, zweifelsohne einer der drei größten Weine, die je meinen Gaumen streichelten.

Gute Vorbereitung ist alles

Gute Vorbereitung ist alles

Mit einem 1993 Pavillon Blanc als Apero starteten wir in den ersten Abend. Die erste Flasche zeigte wenig Frucht, dafür um so mehr leimige und faulige Töne, nicht mein Ding. Deutlich besser ein Glas aus der zweiten Flasche, frisch, fruchtig, vanillig, nicht sehr komplex, aber hier könnte ich mich zu 86/100 hinreißen lassen. Korkig dann das nächste Glas aus einer weiteren Flasche. Den Jahrgang muss man sich wohl nicht merken.

Nach kurzem Fußmarsch landeten wir dann im Hotel Waldhaus am See in St. Moritz, wo der erste Teil der Probe stattfand. Für die gute Bündner Küche muss man nicht unbedingt den Weg dorthin machen. Spektakulär aber ist die gut 1300 Positionen umfassende Weinkarte. Klar haben da viele Preise ein Moritzer Niveau, doch wer sich näher mit dieser über 40seitigen Karte befasst, findet noch ganz außergewöhnliche Schnäppchen. Ich werde im kommenden Winterurlaub sicher mal im Waldhaus auf Weinpirsch gehen.

Mit 5 Jahrgängen Pavillon Rouge, dem Zweitwein von Chateau Margaux, startete dann unsere eigentliche Probe. Deutlich über den Höhepunkt hinaus war 1985 Pavillon Rouge, obwohl er aus einer Magnum kam. Startete mit deutlichem Kellermuff, wurde mit der Zeit im Glas etwas besser, blieb aber weitgehend fruchtlos und langweilig 82/100. Erstaunlich dünn, metallisch und sauer dann 1986 Pavillon Rouge. Viel zu teuer ist dieser Wein mit der Aromatik einer Blechdose voller Sauerkraut, der völlig daneben wirkte und aus dem wohl auch nichts mehr wird 81/100. Mit viel Ecken und Kanten präsentierte sich der überraschend schöne 1988 Pavillon Rouge. Ein kerniger, rustikaler Wein mit viel Kraft und stabilem Rückrat. Gut zu trinken und sicher noch mit Potential für 5-10 Jahre 88/100. Eine süßliche, überreife Nase hatte 1990 Pavillon Rouge. Auch am Gaumen war er sehr süß und wirkte dabei etwas diffus und marmeladig, da fehlte einfach die Struktur. Trotzdem kein Wein, vor dem man sich ekeln muss. Nur austrinken sollten man ihn bald 87/100. Der dichteste und kräftigste Wein dieses ersten Flights war 1996 Pavillon Rouge. Viel Tannin, zu wenig Frucht, große Freude kam auch bei diesem Wein nicht auf 86/100.
Ich habe einige meiner ersten Gehversuche in Sachen Rotwein mit Pavillon Rouge gemacht. Das war, als dieser Wein unter € 15 kostete, auch nicht ganz verkehrt. Heute ist Pavillon Rouge erheblich zu teuer und kann von der Qualität her mit Weinen wie z.B. dem Les Forts de Latour auch nicht ansatzweise mit. Wer trotzdem für sich mit Pavillon Rouge die Illusion erzeugen möchte, einen Chateau Margaux auf dem Tisch zu haben, der sollte dies in den ersten 10 Jahren nach Freigabe diesen Weines tun, solange dieser Wein noch von jugendlicher Frucht geprägt ist.

Weiter ging es bei uns mit dem Grand Vin. Sieben Weine standen aufgereiht vor uns. Sehr enttäuschend 1937 Margaux. Die Nase war noch ganz ok, wobei die Aromatik gegrillten Fleisches gut zur rustikalen Küche des Waldhauses passte. Der Gaumen dieses sicher nicht gerade billigen Weines wurde jedoch von einer massiven, unangenehmen Säure dominiert. Da war an echten Genuss eigentlich nicht mehr zu denken 75/100. Leider habe ich diese Erfahrung in den letzten Jahren mit vielen 37er Bordeaux machen müssen. So groß und legendär der Jahrgang 1937 in Burgund war, die Bordeaux sind da von deutlich bescheidenerer Qualität und haben nicht allzu viel Standvermögen. Sehr viel versprechend auch die feinduftige, elegante Nase des 1945 Margaux mit schöner Süße. Am Gaumen war dieser Wein kräuterig und medizinal, immer noch kraftvoll mit spürbaren Tanninresten, aber doch auch ziemlich unausgewogen und etwas säuerlich 89/100. Korkig dann leider 1947 Margaux Vandermeulen, der sonst sicher einer der Weine der Probe gewesen wäre. Ich habe ihn trotzdem ausgetrunken, denn der Kork war zunächst in der Nase deutlich stärker als am Gaumen. Dazu gibt es einen einfachen Trick: kräftig ins Glas hinein- und damit den Kork für kurze Zeit hinaus blasen und dann zügig trinken. So wird der verbleibende Genuss wenigstens nicht durch das gestörte Nasenbild beeinträchtigt. Kaputt war 1947 Margaux in der Chateau-Abfüllung für einige unter uns. Ich sehr das etwas anders. Klar war das nicht unbedingt das, was man sich unter einem perfekt gereiften Weinriesen vorstellt. Fast schwarze Mörderfarbe, verbrannte, überreife Nase, am Gaumen balsamisch, etwas flüchtige Säure. Eine höchst interessante Mischung aus uraltem Balsamico und einem hochwertigen Malaga 90/100. Sehr positiv überrascht hat mich 1950 Margaux. Dieser feine, elegante Schmeichler kommt zwar langsam in die Jahre, ist aber immer noch sehr delikat und fruchtig. Auch ohne den verklärten Blick auf mein eigenes Geburtsjahr waren da noch locker 89/100 im Glas. Erstaunlich gut trinkbar war auch 1951 Margaux aus diesem sonst so grausamen Jahr. Er wirkte zwar etwas medizinal und kräuterig, war aber immer noch mit gewissem Genuss zu trinken 86/100. Zumindest war er deutlich schöner als 1952 Margaux, der etwas flach, leicht säuerlich und ziemlich langweilig und nichts sagend wirkte 83/100.

Deutlich mehr hätte ich mir im nächsten Flight von 1955 Margaux versprochen. Aber das war leider eine Weinleiche in leicht verwestem Zustand, überreif, oxidativ und mit deutlichen Madeira-Noten 80/100. Erheblich schöner aus einem viel kleineren Jahrgang 1957 Margaux. Der wirkte zwar nicht gerade füllig, war aber erstaunlich gut zu trinken und zeigte eine burgundische Eleganz 87/100. Mit Recht zählt 1959 Margaux nicht zu den großen Weinen dieses außergewöhnlichen Jahrgangs. Als richtig groß habe ich diesen Wein noch nie empfunden, auch an diesem Abend nicht. Recht gefällig die Nase mit feiner Süße und Kakaobohnen in Bitterschokolade, aber am Gaumen fehlte für einen 1er Cru aus einem solchen Jahr einfach die entsprechende Konzentration und Struktur 91/100. Dafür überraschte schon wieder ein Margaux aus kleinerem Jahr. 1960 Margaux war ein zwar eher kleiner, aber dafür sehr feiner, eleganter und schön zu trinkender Wein ohne richtige Schwächen 86/100. Sensationell dann 1961 Margaux. Wie eine Eins stand dieser hocharomatische, feinduftige, elegante Riese im Glas. Nach vielen enttäuschenden Flaschen in den letzten Jahren hatte ich diesen Wein, bei dem es wohl große Flaschenvariationen gibt, schon völlig abgeschrieben. Doch der hier war in Bestform und ich fühlte mich zurückversetzt in den Sommer 1986 zu meiner ersten Begegnung mit dieser Weinlegende 97/100. Dieser Wein war nicht nur ein Höhepunkt, er war auch der Schlusspunkt guter Margaux für längere Zeit. Was in den Jahren ab 1962 unter der Bezeichnung Chateau Margaux auf den Markt kam, reichte von der Qualität her eigentlich nicht mal für einen Pavillon Rouge. Gleich zwei dieser Exemplare, über die man besser den Mantel des Schweigens breiten würde, standen in den Gläsern 6 und 7. Nach staubigem, verdrecktem Pferdestall roch 1962 Margaux. Auch am Gaumen eine säuerliche Plörre, die man getrost vergessen kann- 78/100. Übertroffen in Gaumenbeleidigung wurde er noch von 1963 Margaux. Dieses dünne Jodsäftlein, dass kaum 70/100 ins Glas brachte, musste man weder austrinken, noch sich merken.

Es war nun mal eine Vertikalprobe, also mussten wir uns weiter durch die düstere Zeit dieses Chateaus hindurchkämpfen. Mit grasig-grüner Nase 1966 Margaux, eckig und sperrig ohne Genuss am Gaumen 73/100. Die seltsame Mischung von Pilzen und altem Pappkarton zeigte 1967 Margaux in der Nase. Am Gaumen war er eine einzige, untrinkbare Beleidigung, für die ich mir jede Bewertung erspare. Ranzig und überlagert wirkte die Nase des 1968 Margaux, der am Gaumen ebenfalls weitestgehend ungenießbar war. Der wesentliche Vorteil von 1969 Margaux gegenüber den drei Vorgängern bestand darin, dass er absolut nichtssagend war. Wenn das schon zum Vorteil gereicht, weiß man, wie grausam die Margaux dieser Periode waren. Masochistensuppe dann der 1970 Margaux, der richtig weh am Gaumen tat. Eigentlich mal eine perfekte Gelegenheit, meine Bewertungsskala nach unten zu eichen. Trinkbar zumindest danach 1975 Margaux. Auch der hatte zwar diese grasig-grünen Töne unreif gelesenen Traubengutes, schmerzte aber wenigstens nicht am Gaumen 81/100. Und dann kam als Lichtblick, aber noch längst nicht als Offenbarung 1978 Margaux, der erste Wein der Mentzelopoulos-Aera. Ein kerniger, rustikaler, sehr kräftiger und monolithisch wirkender Wein mit zuviel Tannin und deutlich zuwenig Frucht, der am Gaumen ziemlich ungenerös wirkte 87/100. Bis Mitte der Neunziger war das ein wunderschöner Wein auf deutlich höherem Niveau, der inzwischen seine Zukunft weit hinter sich zu haben scheint. Aus dem einstigen Charmeur ist ein Grobian geworden.
Eine perfekte Serie für die Weihnachtsfeier eines Domina-Studios wäre das gewesen. Ich war heilfroh, als ich diese Weine hinter mir hatte.

Mit einem Desaster begann der letzte Flight des Abends. Konnte das vor mir wirklich 1982 Margaux sein? Grasig-grüne, anstrengende Nase mit viel nasser Pappe, auch am Gaumen machte dieser Wein nicht viel her. Da hatte ich mal gerade 87/100 im Glas. Von Flaschenvariationen bei Margaux 82 hatte ich auch schon gehört. René straft ihn mit 17/20 ab, bei Parker hat er 98+/100, ich habe ihn bisher gut 15mal getrunken und mit Ausnahme eines Ausreißers stets mit 97+/100 bewertet. Auch alle Vergleiche mit 83 hatte bisher stets der 82er gewonnen. Und jetzt so etwas. Da muss ich unbedingt demnächst noch mal eine Flasche aus dem eigenen Keller holen. Bei dieser miesen Performance konnte der 82er Margaux auf dieser Probe eigentlich nur fehlerhaft sein..
Gut gefiel mir wieder der sehr elegante, feinduftige, rotbeerige 1979 Margaux. Eher ein schlanker, filigraner, aber sehr betörender Wein mit seidiger Struktur, der sich noch länger auf 93/100 Niveau halten wird. Anstrengend und gezehrt am Gaumen 1984 Margaux aus diesem miesen Ausreißerjahr. Diesen Wein sollte man nicht trinken, sondern nur riechen, denn die Nase dieses dichten, kräftigen Weines, der keine Frucht mehr hat, aber noch viel unreifes Tannin, war eigentlich ganz viel versprechend 84/100. Überhaupt nicht klar kam ich in dieser Probe mit
1986 Margaux. Der war extrem verhalten, auch in der Nase, und ließ überhaupt nichts raus. Vom reinen Genuss her kamen da höchstens 86/100 ins Glas. Für mich hing da eindeutig dieses Schild am Glas, das man in der Nebensaison von den Bergbahnen kennt, "Derzeit wegen Revisionsarbeiten geschlossen". Ich kenne den 86er Margaux noch aus den Arrivage-Proben und aus der Fruchtphase Anfang der 90er Jahre. Das war hammerharter Stoff, nicht gerade die Margaux-typische Eleganz, eher maskuliner, aber doch stets sehr überzeugend. Ich meine, dieser Wein braucht einfach noch mal 10 Jahre. 1986 war in Medoc so eine Art modernere Variante von 1928. Da ist einfach reichlich Geduld angesagt, zumal Mitte der 80er die Weine trotz aller önologischer Fortschritte noch nicht so weichgespült waren, wie heute. Ähnlich wie den 86er sehe ich den sicher vom Potential längst nicht so großen 1988 Margaux. Auch das nicht gerade ein dekadenter Genusstropfen. Eher eckig, rustikal, etwas anstrengend, die durchaus vorhandene Frucht überdeckt von den etwas harschen, staubigen Tanninen. Wer hier Geduld hat, bekommt in 10 Jahren bis zu 94/100 statt der heutigen 89/100 ins Glas. Sehr überzeugend und der beste Wein dieses Flights 1989 Margaux. Der schält sich jetzt so langsam aus seinem massiven Tanningerüst heraus und zeigt verschwenderische Frucht, Fülle und eine schöne Süße, alles mit der Margaux-typischen Eleganz. Ein großer Wein, den ich lange unterschätzt habe, und der erst am Anfang einer sehr langen Entwicklung steht 95+/100.

Blieben noch die beiden Tischweine nachzutragen. Aus der Magnum gab es 1987 Margaux. Da half leider auch das größere Format nicht mehr. Die Farbe wirkte zwar noch erstaunlich dicht und jung, aber die Frucht hatte sich weitgehend verabschiedet. Am Leben erhalten wurde dieser Wein, der in der Nase einen deutlichen Stinker hatte, von einer kräftigen Säure- und Tanninmischung. Mehr als ein einfacher Tischwein war das wirklich nicht mehr 84/100. Als solcher gefiel er mir aber noch deutlich besser als der aus der Imperiale ausgeschenkte 1981 Cantenac Brown. Diesen absolut belanglosen Saft hätte man gut als Pirat mitten zwischen die fürchterlichen Margaux aus den 60ern stellen können.

Die Ausbeute des ersten Abends

Die Ausbeute des ersten Abends

Was trinkt ein russischer Milliardär in St. Moritz zum Lunch? Sicherlich irgendeinen Petrus. Da hielten wir es doch deutlich bescheidener. In einem Berggasthof gab es zwei Margaux aus der griffigen Doppelmagnum. Dabei wusste 1993 Margaux deutlich zu überzeugen. Ein sehr feiner, eleganter Wein mit delikater, rotbeeriger Frucht und schöner Länge am Gaumen. Erinnerte im Stil an 1979 und dürfte mit seiner guten, jungen Farbe sicherlich einder der langlebigeren 93er aus Bordeaux sein 92/100. Kein Aushängeschild für einen 1er Cru war hingegen 1994 Margaux. Der zeigte trotz des großen Flaschenformates bereits deutliche Reifetöne in der nicht sonderlich dichten Farbe und diesen leichten Rostton meinte man dann auch am Gaumen zu schmecken. Sperrig, ungenerös, tanninlastig, der 94er Margaux bestätigte in bravouröser Form alle meine Vorurteile gegenüber dem Jahrgang 1994. Und im Gegensatz zu 1988 glaube ich auch nicht, dass aus diesem Wein noch mal etwas Großes wird 88/100. Ich habe diesen Wein wie auch große Teile des Jahrgangs aus Bordeaux für mich abgehakt. Da habe ich mich dann lieber am mittäglichen Tischwein gelabt, einem 2003 Lascombes. Der war einfach nur lecker und unkompliziert, sehr süß, füllig, Bitterschokolade gefüllt mit reichlich Waldbeeren. Nur mit dem Rückrat und dem Tiefgang haperte es hier wie bei fast allen der dramatisch überschätzten 2003er 90/100. Aber es war ja auch nur der Tischwein.

Pavillon Blanc Palette

Pavillon Blanc Palette

Zum Apero des zweiten Abends war wieder ein Pavillon Blanc angesagt, diesmal 1987. Der war noch erstaunlich frisch und gefällig und trank sich sehr schön 88/100.
Mit einer ganzen Palette dieses Weißweins von Chateau Margaux starteten wir dann in den zweiten Teil der Verkostung. Spektakulär gleich der erste Wein, ein 1928 Pavillon Blanc. Klar war das ein Zeitdokument und die Tatsache, dass dieser fast 80jährige Wein überhaupt noch trinkbar war. Eigentlich schon Überraschung genug. Sehr schön die Nase mit deutlichen Sherrytönen, aber auch mit viel Honig, brauner Butter und Heu, am Gaumen erstaunliche Frische, dieser Cognacfarbene Wein blühte noch mal richtig auf und zeigte dabei eine gewisse Affinität zu großen, alten, weißen YGAYs 93/100. In einer ganz anderen Abteilung landeten wir mit 1953 Pavillon Blanc. Dieser auch schon sehr reife Wein mit seiner, ins Güldene gehende Farbe roch verdammt nach Haushaltsreinigern und ging auch am Gaumen in diese Richtung, sehr gewöhnungsbedürftig 81/100. Erstaunlich schön 1984 Pavillon Blanc, der fast farblos wie ein stilles Mineralwasser war. Ausdrucksstarke Sauvignon-Nase, aber auch mit einer gehörigen Portion Gummi. Viel Frucht auch am Gaumen und eine etwas spitze Säure, die ihn am Leben erhielt und ihm viel Frische verlieh 89/100. Viel Gummi auch in der Nase des 1989 Pavillon Blanc. Ein nicht unattraktiver Wein, der am Gaumen aber etwas plump und füllig wirkte mit deutlich hervortretendem Alkohol 87/100. Erstaunlich zurückhaltend für das sonst so offene Jahr der 1990 Pavillon Blanc. Entwickelte sich sehr schön im Glas, blieb aber sehr fein und elegant wie eine Ballerina mit schöner Frucht und prägnanter Minznase 88/100. Ziemlich schlimm der 1994 Pavillon Blanc, abgestanden, leicht faulig, vegetal, Gemüse statt Frucht, ein weißer, uralt wirkender Rioja 79/100. Relativ füllig und fast fett der von deutlicher Boytritis geprägte 1998 Pavillon Blanc, der aber auch eine pfeffrig-rassige Nase zeigte, sicher ein Pavillon Blanc mit noch reichlich Potential 90/100. Recht teuer ist Pavillon Blanc inzwischen und eigentlich für das Gebotene erheblich überteuert. Wer nicht unbedingt passend zu einer Margaux-Probe einen weißen Wein vom gleichen Gut sucht, ist sicher mit anderen Weinen, z.B. aus Pessac, deutlich besser bedient.

Der faszinierende 28er Pavillon Blanc

Der faszinierende 28er Pavillon Blanc

Richtig in die Vollen ging es dann mit dem ersten Rotweinflight. Eigentlich war 1898 kein guter Jahrgang in Bordeaux. Die außergewöhnliche Qualität des 1898 Margaux zeigte aber, auf welch hohem Standard dieses Chateau damals in seinen Goldenen Jahren war. Eine erstaunlich intakte Farbe besaß dieser Weingreis aus einer low shoulder Flasche immer noch. Das Bouquet mit Waldboden, Pilzen, Unterholz und Jod verströmte eine morbide Faszination, der man sich nur schwerlich entziehen konnte. Am Gaumen waren immer noch Fruchtreste, aber wenig Alterstöne, einfach ein sehr feiner, eleganter, perfekt gereifter Bordeaux, der immer noch mit sehr viel Genuss zu trinken war 96/100. Eher ein Riech- als ein Trinkwein war hingegen 1909 Margaux aus einer perfekten Flasche. Helle, reife Farbe, von Biskuit und Backwaren geprägte, rauchige Nase, am Gaumen leider sehr fragil und bitter mit massiver Säure. Schwierig, für so einen Wein eine gerechte Gesamtnote zu finden. Die Nase alleine hätte sicher weit in den Neunzigern gelegen. Versuchen wir es mal mit 81/100.
Dann kam der Star der gesamten Verkostung, 1928 Margaux, ebenfalls aus einer perfekten Flasche. Spontan musste ich hier an den verschlossenen 86er denken. Wie hätte der 28er wohl 1949 in einer Verkostung abgeschlossen? Wahrscheinlich ähnlich oder viel schlimmer. Das ist heute noch so ein junger, unkaputtbarer Wein mit unglaublich druckvoller Aromatik, ein einfach kompletter Wein, ein Riese aus einem Guss, wo von der sensationellen Nase, in der immer noch Röstaromen sind, aber auch viel Kaffee und Leder, über den Gaumen bis zum unendlich langen Abgang alles stimmt, ein perfekter Wein mit schier unglaublicher Strahlkraft 100/100. Bevor Sie jetzt Haus und Hof auf die nächst erreichbare Flasche 28er Margaux verwetten, darf ich vielleicht noch darauf hinweisen, dass ich diesen Wein bisher dreimal getrunken habe. Einmal, 1998 hatte er in einer eigenen 28er Verkostung annähernd eine ähnliche Klasse. Zweimal irritierten massive Säure und Tannine, die diesen Wein noch fast unfertig erschienen ließen.
Eher etwas over the hill war 1929 Margaux in einer Vandermeulen-Abfüllung.. Sehr dichte Farbe zwar mit wenig Alterstönen, aber Malaga und Madeira neben reichlich Liebstöckel in der Nase, wirkte überreif mit flüchtiger Säure, war aber auch wuchtig und sehr lang am Gaumen 89/100.
Gleich dreimal tranken wir aus unterschiedlichen Abfüllungen den 34er. Der 1934 Margaux in einer belgischen Händlerabfüllung von W. Toumeur hatte zwar die dichteste Farbe der drei Weine, wirkte aber insgesamt recht seltsam. Ungewöhnliche Nordseenase mit Fisch und Algen, am Gaumen medizinal, wobei es sich um verdammt bittere Medizin handelte 86/100. Der 1934 Margaux mit der seltsamen Aufschrift Dirck s Côtes de Bordeaux als Händlerabfüllung von Merian & Studer in Bern hatte eine eher helle Farbe, eine sehr feine, fruchtige und süße Nase und war sehr süß am Gaumen und wirkte bei aller Klasse eher wie ein modernerer Burgunder als ein klassischer Margaux 92/100. Der mit Abstand beste der drei Weine war eine perfekte 1934 Margaux Chateau-Abfüllung. Sehr dicht, kräftig mit perfekter Struktur wirkte dieser Wein wie eine Junior-Version des 28ers, deutete gewaltiges, noch längst nicht erschlossenes Potential an und gehört wohl noch 20 Jahre weggelegt 93+/100.

Die Superstars 1898 und 1928 Margaux

Die Superstars 1898 und 1928 Margaux

Reichlich Wein ins Glas gab es beim nächsten Flight. Ausschließlich Magnums waren angesagt. Doch bei 1953 Margaux half das nicht weiter. Hier mussten wir wieder auf bittere Art erfahren, dass es keine großen Weine, sondern nur große Flaschen gibt. 53 Margaux ist eigentlich ein Riese, aber diese Magnum war, aus welchen Gründen auch immer, völlig daneben. Farbausfällung hatte dazu geführt, dass dieser Wein praktisch nur noch als dünner Rosé ins Glas kam und völlig ungenießbar war. Überhaupt nichts versprochen hatte ich mir von 1958 Margaux, doch der war erstaunlicherweise sogar noch trinkbar. Staubige Nase zwar, Mottenkugeln und altes Faß, aber man starb nicht dran, und in 58 Geborene hätten sich diesen kleinen Wein sicher noch richtig schön geredet 82/100. Eine immer noch sehr dichte Farbe hatte 1964 Margaux. Da war auch noch etwas pflaumig-süße Frucht, aber auch viel Madeira-Affinität und reichlich flüchtige Säure 84/100. Schon beschämend, was da in einem eigentlich recht guten Jahr unter dem Label eines 1er Grand Cru abgefüllt wurde. Leider galt dies auch in noch stärkerem Maße für 1971 Margaux, der ins aus der 2,5l Flasche kredenzt wurde. Selbst kleine Cru Bourgeois wären in diesem Flaschenformat aus 71 sicher noch ein Genuß, aber nicht dieser Wein hier aus der Abteilung Pfui Teufel. Jod ohne Ende, als Medizin noch so gerade schluckbar, als Wein mit dieser Säure völlig daneben.
Es konnte nur besser werden, was es ja auf Margaux mit dem Kauf durch die Familie Mentzelopoulos auch wurde. 1981 Margaux brauchte aus der Magnum viel Luft. Ein im besten Sinne kerniger Wein mit feinduftiger Nase, am Gaumen erst etwas grün und anstrengend wirkend, aber das gab sich mit der Zeit, ein insgesamt recht schöner Charakterwein, der sich auf diesem Niveau noch eine Weile halten dürfte 91/100. Die Kraft und die Herrlichkeit dann 1983 Margaux. Einfach ein kompletter, großer Wein, die klassische, Margaux-typische Eisenfaust im Samthandschuh, Kraft und Finesse hervorragend gepaart mit toller Frucht und irrer Länge am Gaumen, ein Wein gemacht für sicher noch 2-3 Jahrzehnte - 99/100. Weitgehender Ausfall danach leider der korkige 1985 Margaux. Schade, dieser Wein, den ich erst im Sommer aus einer perfekten Magnum mit meinen Schweizer Freunden in der Braui trinken durfte, wäre sicher wieder groß gewesen.

Patrick Bopp mit raren Schätzen

Patrick Bopp mit raren Schätzen

Der letzte Rotwein-Flight brachte uns dann in die Neunziger Jahre. Eine erstaunlich helle Farbe hatte 1990 Margaux. Ein unglaublich offener, hedonistischer Wein mit geiler Nase, viel Süße, fast exotisch und kalifornisch anmutend, aber auch mit zuwenig Rückrat. Ein klassischer 90er eben, der wohl in dieser Form in den nächsten Jahren getrunken gehört. Für einen Margaux mag er etwas banal wirken, Riesenspaß macht er trotzdem 97/100. Der Gerechtigkeit halber sollte ich vielleicht anfügen, dass ich diesen Wein, den ich in den Neuzigern schon mehrfach mit 100/100 im Glas hatte, zuletzt 2006 und in diesem Sommer deutlich verschlossener, kräftiger und mit erheblich mehr Potential erlebt habe. Ob diese Flasche etwa nicht aus einem kühlen Keller stammte, sondern zusamme mit dem Ersparten in einer Matratze eingenäht gewesen war?
Für das kleine Jahr dann erstaunlich schön 1991 Margaux. Elegant, mit feiner beeriger Frucht und insgesamt recht ausgewogen ohne Alter. Ein kleiner, feiner Margaux, der noch ein paar Jahre Freude machen könnte. Da habe ich meine eigenen wohl zu früh ausgetrunken 90/100. Fürchterlich hingegen 1992 Margaux. Nein, auf so grünes, sperriges Zeugs hatte ich zu so inzwischen später Stunde keine Lust mehr. Bei dieser überteuerten Gaumenbeleidigung half auch der Blick auf das Etikett nicht 75/100. Extrem offen und zugänglich wirkte 1995 Margaux. praller Frucht, Rumtopf, eher Australien als Bordeaux. Jede Menge Spaß macht er trotzdem, und warten muß man hier auch nicht mehr Das war eine völlig andere Stilistik, als ich sie von Margaux kenne. Sehr süß, üppig, exotisch mit 95/100. Völlig anders der unglaublich konzentrierte, dichte, tanninige 1996 Margaux. Wie eine hypothetische Mischung aus 83 und 86. Fleischig und dicht am Gaumen mit immer noch bissigen Tannine. Wie viele 96er schwierig einzuschätzen, denn in diesem Jahrgang haben sich viele der namhaften Chateaus in Bordeaux (ohne es jemals zuzugeben) heftig des Konzentrators bedient 94++/100. 1997 Margaux ist ein leichter, leckerer Schmeichler, der sich immer noch gut trinkt. Warum man für einen 89/100 Wein den Preis eines Pemiers zahlen muss, ist eine andere Geschichte. Kaufen darf man diesen Wein ohnehin nicht mehr, egal zu welchem Preis. Wer ihn noch hat, sollte ihn bald austrinken, bevor er so schmeckt wie heute der 87er. Kaufen kann man aber durchaus noch 1998 Margaux. Ein gewaltiger, dichter, fleischiger, fülliger Margaux mit mehr Struktur als 1995 und viel Potential. Jetzt noch in der Fruchtphase, wird er sich sicher bald für ein paar Jahre verschließen und danach gute 2 Jahrzehnte Trinkspaß auf sehr hohem Niveau bieten 95+/100.

Perfekt gereift: 1980 Margaux aus der Impi

Perfekt gereift: 1980 Margaux aus der Impi

Blieben noch die Trinkweine diesen Abends nachzureichen. Ein sehr freudiges Wiedersehen gab es für mich mit 1980 Margaux. Eigentlich müsste dieser Wein schon lange in den ewigen Wein-Jagdgründen sein, doch die Imperiale bewirkte, wie so oft, wahre Wunder. Immer noch dichte Farbe ohne Alterstöne, kein großer Wein, leicht grüne, jahrgangstypische Noten, aber feine, rotbeerige Frucht, Eleganz und Finesse. Eine Ecke über dem 97er und einfach ein sehr feiner Wein, bei dem ich mich nicht mit einem Glas zufrieden gegeben habe 90/100.
Und dann war da noch ein 2003 Ferrière aus der Imperiale. Klar, da kam aus vollen Gläsern richtig Freude auf, Superdichte Farbe, Frucht ohne Ende, da quollen massig Brombeeren, Maulbeeren und Cassis aus dem Glas. Aber wie fast alle 2003er war nicht viel dahinter, dem Wein fehlt einfach die Struktur und das Tanningerüst für ein längeres Leben. Er wirkte reif, fast überreif und überextrahiert. Er erinnerte mich etwas an 1929 Margaux, nur hatte der ja fast 80 Jahre durchgehalten. Beim Ferrière sind jetzt aus der Impi schon allererste Anzeichen balsamischer Noten und von flüchtiger Säure da. Der könnte durchaus in ein paar Jahren zerfallen, also mit viel Genuss auf 90/100 Niveau jetzt trinken.

Und dann war da noch zweimal Chateau d Arche als Dessertwein. Beim legendären 1906er hatte leider der Korkteufel wieder zugeschlagen. Ich habe dieses tiefdunkle Konzentrat trotzdem getrunken, denn das ist und bleibt einer der größten Sauternes, die ich je trinken durfte. Suchen sollten Sie nicht danach, denn sonst kommen Sie mir in die Quere. Der 2003 Chateau d Arche kann da nicht mit. Eine wunderbarer, offner, süßer und von reifer Boytritis geprägter Sauternes. Fett, üppig, zugänglich und auch etwas dick 92/100.

Ein strahlendes Gastgeber-Paar

Ein strahlendes Gastgeber-Paar

Vertikalproben sind, gerade wenn sie über eine sehr lange Zeitspanne gehen, nie einfach. Es gibt nun mal kaum Weine mit 100jährigem Trinkfenster. So stößt man natürlich bei so einer Gesamtschau eines Chateaus nicht nur auf zahllose kleine Jahre, sondern auch auf Weine, die längst hin sind und andere, die erst noch groß werden wollen. Das aber macht den Reiz einer solchen Probe aus. Die Proben von René Gabriel kann ich aber noch aus einem anderen Grund sehr empfehlen. Sie finden in sehr freundschaftlicher, legerer, nicht aufgesetzter Atmosphäre statt. Hinter den Kulissen werkelt der perfekte Patrick Bopp, der als eigentlicher Hobby Sommelier locker jeden Profi in den Schatten stellt. René Gabriel kommentiert sehr profund die einzelnen Weine und seine charmante Karin sogt als Gastgeberin dafür, dass sich jederzeitiges Wohlbefinden einstellt. Leider sind die beiden nächsten Vertikalproben in 2008, Lynch Bages und Cheval Blanc schon ausgebucht. Da kann ich trotzdem die Warteliste empfehlen. Ich werde bei beiden Proben dabei sein. Und darüber hinaus empfehle ich den regelmäßigen Blick auf www.weingabriel.ch . Da gibt es immer wieder reichlich spannende Events, bei denen man nicht zu lange zögern sollte. Auch ich habe dieses Jahr zweimal in die Röhre geguckt, weil ich zulange gewartet habe.