125 Jahre Cos d´Estournel

Das Appenzeller Land hatte René Gabriel als Kulisse für seine große Cos d Estournel ausgewählt und das sicher mit Bedacht. Die lockere, traditionsreiche Alpenkulisse und die urigen Lokalitäten passten hervorragend zu der Rustikalität von Cos. Der Startschuss fiel im Hotel Säntis in Appenzell, einem sehr gepflegten, engagiert geführten Romantik-Hotel mit guter Küche und sensationeller Weinkarte.
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Gute Vorbereitung ist alles

Gute Vorbereitung ist alles

Es gab aber auch einen leckeren 1989 Saarburger Rausch Riesling Kabinett von Zilliken. Viel Boytritis, deutliche Firne und wenig Säure. Immer noch gut zu trinken, doch es wird langsam Zeit 85/100.

Ein Kulturschock für die erwartungsvollen Gaumen dann gleich der erste Flight. 5 Methusalems aus nicht den allerbesten Flaschen standen da vor uns. Es roch etwas muffig, staubig nach altem Keller, auch ranzig, altes Schuhwerk. Nicht viel von der Faszination, die alte Weine manchmal verströmen. Sicher mal groß war der 1893 Cos d Estournel aus einer ms"-Flasche. Immer noch erstaunlich intakte Farbe mit deutlichem Wasserrand. In der leicht muffigen Kellernase entwickelten sich mit der Zeit Himbeertöne und Pflaume. Am Gaumen war der Wein weich, aber immer noch delikat 85/100. Den würde ich gerne mal aus einer perfekt gelagerten Magnum oder besser noch aus einer Jeroboam trinken. Eine echte Risikoflasche war 1914 Cos d Estournel, nicht nur wegen des Füllstandes von ms-ls", sondern auch, weil beim Einräumen ins Hotel der Korken in die Flasche gefallen war. Mir ist das auch schon mehrmals passiert, doch solange die Kapsel dicht ist, kann man damit für ein Weilchen bei stehender Flasche leben. Braune Farbe, muffige Nase mit Dörrfrüchten und Datteln, am Gaumen eindimensional und kurz 80/100. Eine etwas blecherne Nase, aber auch ungewohnte Curry-Töne zeigte der 1934 Cos d Estournel in einer Händlerabfüllund von Schröder & de Constans( ms"). Gute Farbe, weich am Gaumen, feine Süße, sehr ausgewogen und schön zu trinken, der beste Wein des Flights 86/100. In guten Flaschen sicher immer noch eine Suche wert. Ein untrinkbares Säuremonster war in seine Jugend sicher 1935 Cos d Estournel aus diesem grausamen Bordeauxjahr. Genau diese Säure, die am Gaumen immer noch massiv spürbar war, hatte diesen Wein aber am Leben gehalten. Sehr dichte, deutlich jünger wirkende Farbe, etwas balsamisch, wirkt verbrannt, aber für den Jahrgang absolut sensationell und durchaus trinkbar 83/100. Deutlich größer hätte 1937 Cos d Estournel sein müssen, aber aus einer ls"-Flasche gab er nicht allzu viel her. Dichte Farbe zwar, aber geprägt von viel zu viel Säure, die am Gaumen immer mehr Überhand gewinnt. Macht so keinen Spaß 75/100.

Im nächsten Flight standen die 60er Jahre auf dem Programm. Für den grandiosen Jahrgang trotz einer äußerlich perfekten Flasche von eher etwas mäßiger Qualität 1961 Cos d Estournel. Schöne Nase, elegant mit pflaumiger Frucht und Zedernholz. Da kam der Gaumen nicht mit. Gefällig zwar, weich mit feiner Süße, aber für 1961 doch eher enttäuschend. Da müsste mehr Schmelz und mehr Kraft sein und deutlich weniger Säure. Doch schieden sich in diesem Jahrhundertjahrgang die Geister. Wer hart von den 56er Frösten getroffen zuviel neu anpflanzen musste, der konnte von zu jungen Reben zwar einen sehr guten, aber keinen großen Wein ernten. Genau das war wohl bei Cos der Fall 91/100. Eine enttäuschende Nase hatte 1962 Cos d Estournel. Am Gaumen war er trotz heftiger Säure deutlich besser und blühte mit feiner Süße und viel Pilzen noch mal auf 87/100. 1964 Cos d Estournel hatte aus der Magnum noch eine dichte Farbe, war aber schon von der Nase her medizinal. Dazu kamen immer mehr gemüsige Noten. Ich bin ein großer Fan von Grünkohl, in meinem Glas brauche ich ihn aber nicht 81/100. Da gefiel mir 1966 Cos d Estournel schon deutlich besser. Ein sehr schön zu trinkender, aromatischer, gefälliger Wein, etwas rustikal und schlank am Gaumen. Störend die Noten von altem Fass 87/100. Nur ganz kurz blühte im Glas der 1967 Cos d Estournel auf, der allerdings mit ms" nicht gerade aus der besten Flasche kam, und zeigte feine Kaffeenoten. Ein reifer, am Gaumen doch recht kurzer Wein, der jedoch recht schnell zerfiel und immer mehr das Aroma von Mottenkugeln annahm 80/100. Insgesamt sicher kein Ruhmesblatt für Cos, die 60er Jahre. Da wüsste ich in jedem Jahrgang aus Bordeaux für weniger Geld bessere Alternativen.

Im letzten Rotweinflight des ersten Abends waren 5 Jahrgänge auf dem Tisch, die außer dem Chateau nur die Endzahl 8" gemeinsam hatten. Nach drei doch eher unterirdischen Durchgängen ein echtes Versöhnungsangebot, bei dem endlich mal die Klasse von Cos aufblitzte. Unkaputtbar war 1928 Cos d Estournel, ein großer alter Cos mit Fülle, Kraft und Länge. Rauchige Noten, gute, tragende Säure, immer noch spürbare Tannine, feine Süße, ein Wein, der noch lange nicht am Ende ist. Baute im Glas enorm aus und wurde immer besser. Da sind in guten Flaschen sicher noch 20+ Jahre Lagerfähigkeit drin 96/100. Eine ganz große Überraschung war auch 1948 Cos d Estournel, der sich für diesen häufig übersehenen Jahrgang ganz erstaunlich schön präsentierte. Lediglich die Nase war etwas verhalten. Am Gaumen präsentierte er sich so fein und schmelzig mit so toller Süße 94/100. Wer im nächsten Jahr 60 wird sollte mit diesem Wein(und natürlich mit 48 Cheval Blanc) feiern und natürlich nicht vergessen, mich einzuladen. Von der Nase her war auch 1978 Cos d Estournel ein toller Wein mit Kaffee und Mokka ohne Ende. Da kam der etwas magere Gaumen nicht mit, zuviel Säure, grüne Töne, Peperoni, Paprika. Also besser nur riechen, nicht trinken 86/100. Ein schlechtes Gewissen bekam ich bei 1988 Cos d Estournel, den wir dank René Gabriels großzügig dimensionierter Spendierhosen aus der Jeroboam mit vollen Gläsern genießen durften. Schlechtes Gewissen nicht nur, weil ich seit ein paar Wochen am 88er Jahrgang schreibe und einfach nicht fertig werde. Schlechtes Gewissen auch, weil ich vor etlichen Jahren meine 88er Cos verkauft habe und jetzt mühsam zukaufen muß. 1988 Cos ist ein typischer 88er Medoc. In seiner Jugend und zum Teil auch noch heute total verkannt, dabei aber ein Langstreckenläufer mit gewaltigem Potential. Was habe ich mich früher über diesen Wein, aber auch andere Medocs wie z.B. den ebenfalls unterbewerteten Mouton Rothschild geärgert. Und dann steht jetzt dieses prall gefüllte Glas vor mir. Jugendlich dichte Farbe, Terroirnase, schwarze Früchte, Würze, am Gaumen kräftige, zupackende Tannine und Säure, aber auch Finesse. Die Ballerina hat gerade hier in der Großflasche noch ihren Wintermantel und die dicken Schuhe an, doch man kann bereits spüren, was da in ein paar Jahren abgeht. Ein Wein mit gewaltigem Potential, der sich erst dann völlig offenbaren wird, wenn die letzten Flaschen des 2003ers als Salatsoße enden 95+/100. Irgendwo ist 1988 auch das Ende einer Ära. Das zeigte dann deutlich 1998 Cos d Estournel. Was für ein langweiliges Allerwelts-Weingeschwabbel. Ein gemachter, offener Wein mit buttriger Süße, weich, fruchtig, moderne Stilistik, der aus jedem Erdteil kommen könnte 89/100. Crowd-Pleaser nennt man so etwas in den USA. Damit können Sie bei Nicht-Weintrinkern Eindruck schinden, denen große Weine zu bitter sind.

Als Abschluß des ersten Abends standen dann vier alte Madeiras vor uns. Die charmante Edith Weiss klärte uns in einem klugen Vortrag darüber auf, woher Madeira kommt, wie er gemacht wird und welche unterschiedlichen Arten es gibt.
Der 1915 Madeira Sercial H.M. Borges war der zugänglichste, am einfachsten zu trinkende der Vier. Sehr weich und aromatisch, irre lang, ohne die giftige Madeira-Säure, die mich sonst von diesem aufgespriteten Zeugs fernhält, nussig, Orangenschale, sehr helle Farbe, sogar etwas Schoko und dunkle Karamellen. Einfach sehr gefällig und lecker. Eine Art Madeira für Einsteiger. Deutlich härtere Kost dann schon der 1827 Madeira Boal Quinta do Serrado. Cognacfarben, Nougat-Nase, die typische, sehr kräftige Säure. Liebhaber werden bei so etwas sicher die Augen verdrehen. Da möchte ich nicht im Wege stehen. Völlig anders dann der 1830 Malmsey Quinta do Serrado. Sehr süßlich, kandierte Früchte, passt sehr gut zu Schokolade. Ein guter Dessertwein, der auch als Likörwein in das gehobene Kaffeekränzchen einer älteren Damenrunde passt. Eher medizinal wurde es dann mit einem 1907 Madeira Malvazia d Oliveros. Der hatte eine sehr dichte Farbe, wie Coca Cola, und erinnerte mich in der Aromatik an einen Optipect Hustensaft mit Codein.

Was bei René Gabriels Proben übrigens nie passiert, ist, dass hinter jemand aufsteht und sagt, es gab nicht genug zu trinken. Dafür sorgt dann der Tischwein, an dem Mann/Frau sich in beliebigen Mengen laben kann. An diesem ersten Abend war das ein 1996 Merlot Gran Riserva vom Weingut Klausener aus dem Tessin. Ich war noch nie ein großer Fan Tessiner Merlots, werde das aber wohl revidieren müssen. Wahrscheinlich habe ich bisher einfach die falschen Weine getrunken. Dieser hier war ein erstaunlich kräftiger Merlot mit tiefer, dichter Farbe. Sehr maskulin und fleischig mit guter Würze, rauchigen Tönen, Bitterschokolade mit Lakritz und guter Säure, durchaus gemacht für ein längeres Leben 90/100.

In einer mittäglichen Runde mit großem Spaghetti Büffet gab es am nächsten Tag die jüngeren Cos. Immer noch frisch wirkte der 1991 Cos d Estournel. Der hatte soviel Zedernholz in der Nase und am Gaumen, da könnte man einen ganzen Schrank draus bauen. R wirkte aber auch schlank und es fehlte am Abgang, er sollte also bald getrunken werden 90/100. 1992 hatte dann auf Cos endlich die Umkehrosmose eingezogen, mit der man für Wein ja leider immer noch Trauben braucht, aber keine Sonne oder sonstiges gutes Wetter mehr. So zumindest die Theorie. Doch leider verstärken sich bei der Konzentration des Weines eben auch die Fehltöne. So wurde der 1992 Cos d Estournel ein weicher, reifer, wenig ausdrucksstarker Wein, der sich bereits auf dem Abstieg befindet. Un in diesem Wein fanden sich jede Menge mitkonzentrierte Töne, die ich in meinem Weinglas gut missen kann 84/100. Gestern habe ich übrigens im Decanter gelesen, dass man in Australien eine neuentwickelte Maschine vorgestellt hat, mit der man angeblich folgenlos nicht nur zu hohen Alkohol, sondern auch Fehltöne wie Brettamycose aus Wein entfernen kann. Wetten, das die bald überall in Bordeaux steht? Vielleicht kann man ja dann demnächst auch ganz auf das lästige Übel der Weintrauben verzichten. Auch 1993 Cos d Estournel riß mich nicht vom Hocker, zuviel Tannin, zuwenig Frucht 87/100. Sehr schön dagegen 1995 Cos d Estournel. Dichte Farbe, einfach sexy wirkend, leicht üppige Exotik, Mokka, mehr Kraft als Finesse, ein 90er mit mehr Rückrat 93/100. Und dann kam schon wieder so ein unsäglicher Maschinenwein, 1997 Cos d Estournel. Grüne Töne, Gemüse, ein unappetitlicher Wein, bei dem das Grüne des Jahrgangs konzentriert wurde 83/100. Da musste ich spontan an 1987 zurückdenken. Damals gab es die maschinellen Methoden der Mostkonzentration noch nicht. Also wurden leichte, gefällige Weine produziert, die für wenig Geld ein paar Jahre lang sehr viel Spaß machten. 1997 war das anders. Da wurde der Jahrgang maschinell verschlimmbessert und viel zu teuer verkauft. So wurden viele leichtgläubigen Bordeauxfreunden kistenweise überteuerte Problemfälle untergeschoben. Die mit Abstand hellste Farbe des Flights hatte 1999 Cos d Estournel. Ein gefälliger, rotbeeriger Wein, leicht, etwas kurz am Gaumen, jetzt auf einem kurzen Genußhöhepunkt 88/100. Sollte sicher in den nächsten Jahren getrunken werden. 2000 Cos d Estournel hatte zusammen mit 2003 die dichteste, jüngste Farbe. Zeigte sich sehr verschlossen und unzugänglich. Da sind jetzt wohl mindestens 5 Jahre Warten angesagt. Ich habe diesen sehr schönen Wein, der aber nicht zu den Jahrgangsbesten zählt, in den letzten Jahren mehrfach, zuletzt im Herbst 2005, auf 93/100 Niveau getrunken. Etwas dürr wirkte 2001 Cos d Estournel, eine Art vinologischer Spargeltarzan, durchaus seriös mit viel Kraft und Länge, aber etwas zuviel Tannin für die wenige Frucht 89/100. Noch nie so gut wie an diesem Tag habe ich 2002 Cos d Estournel getrunken. Das ist Mörderstoff, der sich jetzt in einer geilen Fruchtphase befindet, Kaffee, Mokka, gewaltige Röstaromen-Oper, riesiges Potential 95/100. Wenn Sie den im Keller haben, unbedingt mal ein oder zwei Flaschen aufreißen. Wird sich sicher in 1-2 Jahren für eine ganze Weile wieder verschließen. Viel Spass macht derzeit auch der völlig anders strukturierte 2003 Cos d Estournel. Ein üppig-beeriges Konzentrat, voll trinkbar mit reifen Tanninen, dabei erstaunlich frisch wirkend. Verbindet kalifornische Fruchtfülle mit der Struktur eines Medoc, ein echter "Bordornia". Ein hedonistischer, kalifornischer Bordeaux zum frühen Genuss, aber sicher kein Jahrhundertwein - 95/100. Vergleicht man jetzt 2002 und 2003, so sind das zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Sehe ich mir dann aber den dreimal höheren Preis des 2003ers an, dann weiß ich, was ich nachkaufen werde.
Was mich aber bei diesem mittäglichen Spaghettiplausch mehr faszinierte, war der Tischwein. Der 2002 Castello Luigi Merlot aus dem Tessin, der praktisch aus kaum endenden Magnums gereicht wurde, stellte für mich alle Cos in den Senkel. Superfarbe, sensationell tiefgründige Frucht mit massivem Gerüst reifer Tannine, am Gaumen unglaublich druckvolle Aromatik, konzentrierter, süßer Fruchtextrakt, langer Nachhall, erst ganz am Angang. Das ist schon hohe Weinschule und ich musste wirklich an mich halten, nicht jedes Mal, wenn Patrik Bopp mit einer Magnum kam, wieder "Hier" zu rufen 96/100. Ich weiß inzwischen, dass dieses Zeugs sauteuer und ultrarar ist, es ist aber auch saugut.

Prächtig am zweiten Abend nicht nur die Weine. Prächtig auch der Gasthof Sonne in Urnäsch, wo wir im wirklich sehenswerten Saal saßen. Weniger prächtig die Gläser, die mich eher an den Zahnputzbecher in meinem Hotel erinnerten.
Im ersten Flight gleich der älteste Wein der Probe, ein 1878 Cos d Estournel aus einer rekonditionierten Flasche. Recht helle Farbe, aber immer noch mit gewisser Brillianz, Erdbeere ohne Ende mit kräftiger, darunter liegender Säure und feiner Süße. Zeigt etwas von der zeitlos-schwerelosen Eleganz der Vor-Reblaus-Weine. Ein faszinierendes Zeitdokument, das sich eigentlich jeder Bewertung entzieht. Von der rein persönlichen Genusswertung her würde ich da 90/100 geben. Eine tolle Farbe, wie eine nachkolorierte, ältere Postkarte, hatte der 1947 Cos d Estournel aus einer unbekannten Händlerabfüllung. Schöne Nase mit dekadenter Süße, am Gaumen zunächst eher störende Töne wie Nagellackentferner und Uhu. Letztere verschwinden mit der Zeit, der Wein wird etwas generöser, süßer und malziger 90/100. Trotz etwas trüber, hellroter Farbe startete der 1950 Cos d Estournel recht überzeugend mit immer noch jeder Menge Frucht, feiner Süße und deutlicher Säure, wirkte am Gaumen zunächst recht ausdrucksstark und ausgewogen, baute aber leider schnell ab 89/100. Eine schöne Nase hatte auch 1952 Cos d Estournel in einer belgischen Händlerabfüllung von Léon Moncourrier. Am Gaumen wirkte er rustikal und säuerlich, zerfiel langsam 70/100. Mit Rotwein hatte 1958 Cos d Estournel nicht mehr viel zu tun, aber als alter Sherry war er durchaus noch gut trinkbar. Intakte Farbe, massive Sherrytöne, oxidiert, weich und mild am Gaumen 80/100. Nicht erwärmen konnte ich mich für 1970 Cos d Estournel. Was für ein saures, ungeneröses Gesöff. Es gibt Weine, die kann man nur riechen. Bei dem konnte man nicht mal das 76/100. Das war sicher nicht die beste Flasche. Wir verkosteten ihn am nächsten Tag aus einer anderen Flasche noch mal nach. Da war er deutlich besser, aber immer noch keine Offenbarung 84/100.

Der beste Wein der ganzen Probe war für mich 1929 Cos d Estournel. Noch einen deutlichen Tick über 1928, mit grandioser Nase, immer noch Röstaromen und intaktes Tanningerüst, nur ersetzt er die schiere Kraft des 28ers durch eine wunderbare Eleganz, gepaart mit toller Länge am Gaumen. Auch dies ein Wein, der in guten Flaschen noch viel Zukunft hat 97/100. Bei 1945 Cos d Estournel hatte ich das Gefühl, dass der noch gar nicht richtig fertig ist und noch eine Weile bis zum Trinkhöhepunkt braucht. Großer Stoff mit Ecken und Kanten, geprägt von harten Tanninen. Schon gut zu trinken, aber man spürt das gewaltige Potential dieses Weinriesen 95/100. Sehr gut auch der schon weiter entwickelte 1949 Cos d Estournel. Zedernholz, Kaffee, auch noch gute Frucht, feine Süße, nicht unangenehm medizinaler Touch, sehr nachhaltig am Gaumen 93/100. Eine tolle Flasche und 53 in Perfektion war 1953 Cos d Estournel. Der war dicht und kräftig, zeigte aber auch die tänzerische Eleganz des Jahrgangs und wirkte dadurch kraftvoll und filigran zugleich. Schöne Süße und sehr nachhaltig am Gaumen 95/100. Noch nie so gut getrunken habe ich 1955 Cos d Estournel, den es an diesem Abend aus einer perfekt gelagerten Magnum gab. Das war in dieser Form ein richtiger Powerstoff mit noch junger Farbe, ein kerniger Wein aus der Mukkibude, der erst im großen Glas mit der Zeit richtig aufblühte 96/100. Schwer hatte es in diesem tollen Flight natürlich 1971 Cos d Estournel. Dabei war das ein feiner, eleganter Tropfen, der mit deutlich mehr Genuß zu trinken war als 1970 87/100.

Gleich zweimal tranken wir im nächsten Flight 1959 Cos d Estournel. Leider waren beide Flaschen eher enttäuschend. Die Chateau-Abfüllung besaß zwar eine feine Zedernholznote, wirkte am Gaumen durch die recht hohe Säure aber unharmonisch 85/100. Bei der Ginestet-Abfüllung war die Farbe daneben, die Nase daneben und der Gaumen daneben. Den Jahrgang kann man bei Cos wohl getrost vergessen. Nicht sonderlich prickelnd auch 1975 Cos d Estournel. Das war ein klassischer 75er vom linken Ufer, gute Farbe, auch noch gute Frucht, aber astringierenge Tannine am Gaumen, die wenig Freude aufkommen ließen 81/100. Beim ebenfalls sehr enttäuschenden 1981 Cos d Estournel notierte ich nur: Dürres Zeugs, der kommt direkt aus der Sperrholzfabrik 80/100. Der beste Wein dieses doch eher recht mäßigen Flights war 1979 Cos d Estournel aus der Magnum. Der besaß immer noch eine irre Farbe ohne Alter, viel Frucht, Feigen, Schokosüße und am Gaumen einen wunderbaren Schmelz 92/100. Da kam selbst 1989 Cos d Estournel nicht mit, den wir wieder beidhändig aus der Jeroboam trinken durften. Aus dem großen Format wirkte er immer noch verdammt jung, aber die ganz große Freude kam trotzdem nicht auf. Irgendwie trank sich dieser Wein wie mit angezogener Handbremse. Er wirkte etwas unbalanciert und gewöhnungsbedürftig. Klar war da etwas exotisch anmutende, würzige Frucht, fast etwas parfümiert wirkend, aber auch leicht korinthige Töne, die trockenen Tannine raubten zusätzlichen Spaß. Schwierig einzuschätzen, ob dieser Wein aus einem ja immerhin sehr großen Jahr irgendwann zu sich selber findet 90/100.

Blieben noch die restlichen 80er, die wir im letzten Flight des Abends verkosteten. Nicht klar kam ich mit 1982 Cos d Estournel. Der war so offen und üppig mit pflaumiger Frucht, wirkte auch verdammt weit und reif, dabei fehlte ihm die Komplexität und Struktur, die ich sonst bei diesem Wein kenne 92/100. Dürr hingegen der 1983 Cos d Estournel. Fehler hatte dieser Wein keinen außer den, dass er auch keine Höhepunkte hatte 86/100. 1984 Cos d Estournel war beileibe nicht groß, für das miserable Jahr immer noch erstaunlich gut trinkbar 84/100. Ein feiner, eleganter, aber nicht sehr konzentrierter Wein war 1985 Cos d Estournel. Ein aromatischer, einfach sehr leckerer Schmeichler mit schöner, rotbeeriger Frucht, der mich an Grand Puy Lacoste erinnerte 93/100. Korkig war leider 1986 Cos d Estournel. Schade, denn das ist ein großer Cos auf 95/100 Niveau, erst ganz am Anfang einer langen Genussreife. Der 1987 Cos d Estournel war leider nicht korkig. So musste man ihn nehmen wie er war. Eine ganz üble Plörre, lange über den Trinkzeitpunkt hinaus, gemüsig ohne Ende, eher Strafe als Genuss. Anfang der 90ziger habe ich diesen Wein, von dem ich eine Kiste für angemessene € 13 pro Flasche subskribiert hatte, konstant mit mäßige 80-82/100 bewertet. Selbst davon ist er heute um Lichtjahre entfernt.
Sehr gut gefallen hat mir auch der Tischwein des Abends, ein 2003 Pinot Noir Bovel von Daniel Marugg aus Fläsch in der Bündner Herrschaft. Den hätte Rubens nicht besser malen können, denn dieser saftige Pinot aus dem Sonnenjahr 2003 hatte im Glas alle Rundungen, die sich ein Weinfreund nur wünschen kann. Satte Frucht, Brombeere und Kirsche, am Gaumen Schmelz ohne Ende mit feiner Süße, nur dezent spürbares Holz, tolle Länge. Ein echter Faszinations-Pinot, wohl aber wie viele 2003er Weine eher für den zeitigen Genuß als für lange Lagerung 93/100.

Bei dichtem Nebel wanderten wir am nächsten Tag zum Gasthof Hoher Hirschberg, einem rustikalen Berg- und Ausflugsrestaurant. Hier gab es zu Chäsknöpfli 1994 Cos d Estournel. Der rustikale Rahmen, das rustikale Essen, all das passte perfekt zu diesem Wein. Ich war noch nie ein großer 94er Fan, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Den Weinen fehlt es einfach an Frucht und Charme. Aber auf so eine Berghütte, da passt ein solcher Wein mit seiner etwas burschikosen Art, mit seiner kräuterigen, lakritzigen Aromatik und den etwas ruppigen Tanninen perfekt. Dort kann man ihn sich dann beim Essen, beim Kartenspielen oder bei endlosen Gesprächen in Ruhe schön trinken 87/100.

Fehlten eigentlich noch zwei interessante Cos, 1990 und 1996. Die gab es dann am Abend im Hotel Säntis zu Appenzellerbuffet und "lüpfiger Dibi-däbi-Musik" auf einer Großflaschen-Gala.
Spannend gleich zu Anfang als Blindprobe der Vergleich zwischen 90 Cos aus der Doppelmagnum und Montrose sowie Phélan Ségur jeweils aus der 1tel. 1990 Montrose wirkte etwas müde. Gut, da waren Mokkatöne, Trüffel, Zedernholz, am Gaumen auch Lakritz und viel trockenes Tannin. Aber irgendwie trank sich der Wein, der in seiner jugendlichen Fruchtphase so ein geiler, üppiger Stoff war, wie mit angezogener Handbremse. Hoffen wir, dass das der Winterschlaf ist und nicht das Ende. Das Fettpolster für den Winterschlaf hätte er 92/100. Stirnrunzel verursachte der 1990 Cos d Estournel. Der zeigte in der Farbe trotz Doppelmagnum bereits erste Reifetöne, schwächelte etwas in der Nase, wirkte kräuterig mit etwas Minze und war am Gaumen eher etwas säuerlich und nicht sehr generös. Was ist bloß aus diesem einstmals so geilen Saft geworden, aus dieser jugendlichen Röstaromen-Oper, die ich dutzende Male mit Begeisterung getrunken und stets mit euphorischen 95-96/100 bewertet habe? Das kann und darf es doch nicht gewesen sein. Schließlich habe ich davon noch reichlich im Keller. Da wird mir bei den mal gerade 89/100, die an diesem Abend rüberkamen, richtig Angst und Bange. Phänomenal gut in diesem Blindvergleich hingegen 1990 Phélan Ségur. In der Nase leichter, nicht unangenehmer Stinker, buttrig wirkend, Malztöne, Nüsse, überreife Trauben. Ein sehr kräftiger Wein mit leichter Bitternote, aber irrer Kraft am Gaumen und minutenlangem Abgang. Das ist kein Vin de Plaisir, sondern ein hammerhartes Teil mit gewaltiger Zukunft 95/100. Und ich sag s ganz offen, ich hatte keinen der Weine richtig. Für mich war Montrose der Cos, Cos der Phélan Ségur und Phélan der Montrose. Ungläubig habe ich mehrfach nachgefragt, ob da nicht die Gläser vertauscht waren. Nach Phélan Ségur werde ich mich jetzt auf die Suche machen, aber erst mal nach nur einer Flasche. Ich werde berichten, ob die genauso gut ist.

Erstaunlich gut gemacht hat sich 1970 Calon Ségur. Ein feiner Wein mit Zedernholz pur. Klar ist da das sperrige der 70er, aber auch eine gewisse Finesse und natürlich der Impi-Bonus. In einer solchen 6 Liter Flasche reift ein Wein ganz anders aus. So hatte ich zum Schluss erstaunliche 91/100 im Glas. Aus der Jeroboam kam danach 1994 Montrose auf den Tisch. Ein rabenschwarzer, dichter, rustikaler Powerstoff mit wenig Charme, massiven Tanninen, unter denen etwas feine, rotbeerige Frucht hervorlugt, viel Teer und Hustensaft. Potential hat der Wein schon, aber ob die Frucht ausreicht, um da in 20 Jahren zu einem Wunder zu führen? René Gabriel, der den Montrose sehr hoch bewertet und einschätzt, hat den Keller davon voll. Mir fehlt dazu der Mut. Aktuell an diesem Abend hatte ich 88+/100 im Glas. Einen halben Tag zu spät kam dann 1994 Meyney, wieder aus der Imperiale. Der hätte besser auf die Berghütte gepasst. Viel Säure, knochig, wenig Fleisch, ein guter, sehr einfach gestrickter, rustikaler Wein, der auf einer Almhütte zur Speckjause ausgeschenkt gehört 84/100. Nicht viel von der überragenden Klasse des 90ers erahnen ließ die Imperiale 1996 Phélan Ségur. Das war ein feiner Tafelwein mit guter, pflaumiger Frucht, immer noch präsentes, reifes Tannin, aber wenig Tiefgang, baut im Glas gut aus, ein Wein zum Kauen 88/100. Ein echter Hammer dann und perfekter Rotwein-Schlusspunkt 1996 Cos d Estournel aus der Imperiale. Hier zeigte sich wieder eine spezielle Besonderheit der Großflaschen. Der Wein reift länger aus und ist länger halt- und trinkbar, zeigt aber auch eher Genussreife. Klingt paradox, ist aber so. Auch der in der 1tel noch verdammt zugenagelte Cos zeigte aus dem Grand Format schon eine ganze Menge. Was für ein tolles Teil, Superfarbe, Superfrucht, schwarze Johannisbeere, schwarze Oliven, irre Länge und Textur, samtig und kräftig zugleich, gewaltiges Potential. Wer das große Glück hatte, beim hoffnungslos überteuerten 2005 Cos leer auszugehen, findet hier für deutlich weniger Geld einen mindestens ebenbürtigen Wein 96/100.
Den süßen Schlusspunkt dieses gelungenen Wochenendes setzte ein 1999 d Yquem. Natürlich war der viel zu jung, aber so eine irrsinnige Fülle, ein Pfauenrad an Aromen, feiner Akazienhonig, die Süße gut abgepuffert mit einer guten Säure, ein unglaublich dichter und komplexer Nektar, der aber nicht dick und überladen wirkte. Würde ich gerne mal bei bester Gesundheit in 50 Jahren trinken 95+/100.

Patrick Bopp hatte wieder alles im Griff

Patrick Bopp hatte wieder alles im Griff

Vertikalproben sind kein sehr dankbares Thema, schon gar nicht, wenn sie sehr umfassend sind und weit zurückreichen. Eigentlich kenne ich nur vier Chateaus, mit denen man eine solche Probe machen kann, ohne durch allzu viel vinologische Täler kriechen zu müssen: Petrus, Cheval Blanc, Haut Brion und La Mission. Das sind vier aber auch nicht ganz billige Weine, wo sich schon fast beliebig Knaller an Knaller reihen lässt. Selbst bei Lafite und Margaux ist das schon etwas schwieriger, weil beide im letzten Jahrhundert durch längere Phasen gegangen sind, in denen sie dem Status eines 1er Grand Cru nicht gerecht wurden.
Ach ja, Chateau Margaux. 50 Jahrgänge davon präsentiert René Gabriel davon im nächsten September auf einer Probe der Superlative. Da werde ich sicher nicht fehlen. Und da die Probe sofort ausgebucht war, hilft nur noch ein Eintrag in die rasch wachsende Warteliste und die Hoffnung auf einen sehr frühen Ausbruch einer Grippe-Epidemie oder eine Spiegel-Titelstory zum ungünstigen Einfluß von Bordeaux auf das Sexualleben. Sonst bleibt eben nur eine der zahlreichen, anderen Gabriel-Proben. René ist nicht nur ein begnadeter Degustator, sondern auch ein Gastgeber und Entertainer par Excellence. Da wird selbst eine Beaujolais-Vertikale noch zum Vergnügen. Einfach mal auf seine Webite www.weingabriel.ch schauen. Vielleicht sehen wir uns ja auf der ein oder anderen Probe.

Probe gelungen - René Gabriel strahlt

Probe gelungen - René Gabriel strahlt