Alte Meister

Nicht jeder Jahrgang ist ein Jahrhundertjahrgang und nicht jeder Wein ein Jahrhundertwein, aber wenn aus einem ganzen Jahrhundert einige der besten Weine zusammenkommen, Alte Meister eben, und der Wineterminator dabei sein darf, dann geht richtig die Post ab.

Angefangen haben wir eigentlich mit einem jungen Hüpfer. Zur Einstimmung und zur Belebung des Gaumens gab es aus der Magnum eine 1993 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese #10 von Fritz Haag. Bei aller Finesse, Leichtigkeit und Frische war dieser Wein für einen Haag erstaunlich fett und füllig mit deutlicher Boytritis 90/100.

Was ist der Unterschied zwischen "Französischem Sekt" und "Französischem Schaumwein"? Diese Bezeichnungen fanden sich auf den Flaschen der alten Champagner, mit denen wir in das eigentliche Tasting einstiegen. Sehr weich, reif mit nur noch ganz verhaltenem Mousseux ein 1959 Ruinart Brut Reserve Baron Philippe de Rothschild, der sich immer noch sehr gut trank, aber schon deutliche Firne zeigte 90/100. Erheblich frischer im Vergleich ein 1959 Dom Perignon, der noch erstaunlich lebhaft wirkte mit deutlichem Mousseux, am Gaumen sehr fein, elegant und seidig 93/100. Auf den setzte ein 1949 Ayala noch richtig eins drauf. Der war zwar schon etwas reifer in der Farbe, zeigte aber eine gewaltige Komplexität und Fülle, eine schöne Süße und war deutlich weiniger als die beiden anderen. Ein fleischiger Champagner mit grobperligem Mousseux, der einfach noch unglaublichen Spaß machte 94/100.

Eine sehr reife, tiefgüldene Farbe hatte der 1949 Vina Yago von den Bodegas Rioja Santiago, in der nicht uninteressanten Nase leicht gärender Apfel, am Gaumen schon etwas schwieriger und leicht austrocknend, ging etwas in die Richtung eines gut trinkbaren Madeiras. Mit mehr Luft kam dann eine zunehmende Süße, die ihn eher Richtung Sherry Amontillado schob 87/100. Überrascht hat mich ein 1949 Chablis 1er Cru von Corcol. Der hatte zwar eine schon recht dunkle, aber immer noch brilliante Farbe und dazu eine sehr mineralische Nase. Am Gaumen zeigte er eine erstaunliche Präzision 90/100. Überflieger in diesem Flight war aber ein 1949 Corton Charlemagne von Jadot. Der zeigte eine absolute Faszinationsnase mit Kaffeelikör, Toffee und Karamell und wirkte zunächst wie ein großer, trocken ausgebauter Süßwein. Am Gaumen hoch elegant, sehr mineralisch mit feiner Süße und faszinierender Länge, baute schier unglaublich im Glas aus und entwickelte immer mehr nussigen Schmelz, einfach ein großer, gut gereifter Weißer Burgunder ohne Runzeln 96/100.

Weiter ging es in die süße Abteilung, zu der Jörg Müller aus Sylt wieder seinen legendären Gänseleber Gugelhupf zelebrierte. Als klassischer, gut gereifter Sauternes ging der 1929 de Ricaud durch, mit verschwenderischer Süße und viel karamellisierten Kräutern, dabei eher etwas filigran mit immer noch vorhandener Säure 93/100. Der große Finessenmeister aber war ein sehr feiner, eleganter 1949 Climens, der den gesamten Gaumen mit wunderbarer Süße überzog, immer noch fruchtig und sehr aromatisch mit geradezu spielerischer Leichtigkeit 96/100. Hätte sicherlich noch etwas bessr abgeschnitten, wenn ihn dieser außerweltliche 1929 Caillou Crème de Tête nicht so in den Schatten gestellt hätte. Das war einfach ein kompletter, riesengroßer Süßwein, bei dem von der faszinierende Honignase über den verschwenderischen Gaumen bis zum ultralangen Abgang alles stimmte, tiefgüldene, aber immer noch brilliante Farbe, gute Säure, ging in dieser stimmigen Harmonie der einzelnen Komponenten locker auch als ganz große TBA durch 99/100.

Harte Kost war dann im ersten Rotweinflight ein namenloser 1909 Dürkheimer eines unbekannten Erzeugers. Sehr reife Farbe, Schuhcreme, frisch gewienerte Stiefel, auch etwas Altöl, ging dann immer mehr Richtung Heizöl und nach einer halben Stunde roch und schmeckte er so, als hätten wir da Heizöl im Glas. Diese seltsame Aromatik, man kann ruhig auch von Gestank sprechen, war so intensiv, dass sie auch mit viel Wasser nicht aus den Gläsern zu bekommen war. Die mussten komplett ab in die Spülmaschine. Durchaus noch trinkbar war im Nachbarglas ein 1929 Cos de Gamot aus Cahors von Jouffreau. Das war sicher nie ein aufregender Wein, aber immerhin hatte er sich 80 Jahre gehalten. Rustikal, etwas säurelastig, eher gewöhnlich 83/100. Die große Überraschung in diesem Flight der Kuriositäten war ein einfacher mallorquinischer Wein, ein 1919 Vi de Taula negre von der Bodega Cooperativa Felantix, also einer Winzergenossenschaft. Intakte klare Farbe, auch etwas rustikal, aber auch mit feiner Süße und burgundisch anmutender Fülle, noch mit viel Genuss trinkbar 88/100. Vi de Taula heißt auf Deutsch nichts anderes wie Tischwein. Dass sich so etwas so lange hält und dann noch nach 90 Jahren so gut verkostet, ist schlichtweg sensationell.

Wie wenig das Alter über einen Wein aussagt, wenn er gut gelagert wurde und über die entsprechende Substanz verfügte, zeigte dann ein Solitär, 1899 Giscours. Helle, klare Farbe mit rotem Kern, sehr pikante Frucht, Himbeere und Erdbeere, filigran, fast etwas zerbrechlich, auch am Gaumen sehr fein und elegant mit präsenter Säure, die diesem Wein eine erstaunliche Frische verlieh, und mit einer generösen, feinen Süße. Punkte können so einem zeitlos eleganten, 110 Jahre alten Monument eigentlich nicht gerecht werden. Vom reinen Genusswert, ohne zu wissen, was im Glas ist, würden da aber ohne weiteres 95/100 hin gehören, wobei der Erlebniswert deutlich höher liegt. Meine zweite und letzte Flasche dieses Weine war das, die sich gegenüber der ersten, vor 10 Jahren verkosteten unverändert zeigte.

Weiter ging es mit zwei Burgundern aus dem Traumjahr 1919. Eine erstaunlich dichte Farbe hatte der 1919 Corton von Chevillot immer noch. Leicht käsig zu Anfang die Nase, die sich nicht positiv entwickelte und immer mehr Zeichen von Überreife zeigte, am Gaumen war der Wein noch recht kraftvoll mit schöner Süße. Wer den nur trinkt und nicht riecht, gibt sicher mehr als meine anfänglichen 90/100. Und wer wartet, wird feststellen, wie enorm dieser Senior mit Zeit und Luft im Glas ausbaut und dabei einfach deutlich schöner und generöser wird, auch in der Nase. Da war auch ich dann bei 93/100. Eine glatte 100-Punkte-Nase hatte dagegen der 1919 Pommard Cuvée des Dames da la Charité Hospice de Beaune, abgefüllt von Bichot. Die war so traumhaft süß und schmelzig, einfach sexy, und das bei einem 90jährigen Teil, sollte man in kleinen Riechfläschchen abfüllen. Auch am Gaumen, der mit dieser irren Nase nicht ganz mitkam eine generöse Süße, die aber mit der doch prägnanten Säure um die Vorherrschaft rang 97/100.
Vielleicht hier noch ein paar Worte zum Dekantieren älterer Weine. Grundsätzlich dekantiere ich ältere Weine, die ich nicht kenne, à point, d.h. aufmachen, dekantieren und ab ins Glas. Mir ist das Risiko einfach zu groß, dass so ein älterer Wein bei längerem Dekantieren in der Karaffe abnippelt. So handhabt es auch Oliver Speh, der uns an diesem Abend wieder mit perfektem Weinservice verwöhnte. Lieber lässt man dann einen Wein, bei dem man dann das entsprechende Potential spürt, noch eine Weile im Glas stehen und verfolgt seine Entwicklung.

Gut, dass ich im nächsten Flight dem 1929 Chambertin von Nicolas nicht die Chance zur weiteren Entfaltung gegeben habe. Das war einfach ein so herrlich zu trinkender Prachtburgunder, absolut rund und reif mit reichlich Süße, Schmelz und Länge. Dem konnte ich als Schönstem dieser Rund einfach nicht widerstehen und habe ihn zügig geleert. So blieb mir dann aber der zu Anfang nicht spürbare, leichte Korkton erspart, der in den anderen Gläsern immer stärker wurde 96/100. Gemüsig wie ein alter Rioja und etwas dumpf war der 1929 Musigny von Faiveley in der Nase, eine Klasse besser am Gaumen, dort fein und gefällig mit toller Dichte 94/100. Mit einer Superfarbe kam der zu Anfang enorm dichte, kräftige 1929 Morgon von Colomb-Maréchal ins Glas. Mit Luft verlor er etwas und baute ein stückweit ab, blieb aber für einen 80jährigen Beaujolais sensationell 91/100.

Eine Wahnsinnsfarbe und gewaltige Dichte dann auch beim 1929 Chateauneuf-du-Pape von Albert Jambon. Ohne den leider recht deutlichen Korkton wäre das ein weiteres, unsterbliches Chateauneuf-Denkmal gewesen und ein würdiger Sparringspartner für den Wein im zweiten Glas. Doch als wir ihn schon abschreiben wollte, kämpfte sich dieses Monument durch den Kork durch, und das in so beeindruckender Form, dass hier trotz Fehlton gut und gerne 95/100 fällig waren. Die 100/100 waren aber fällig im Nachbarglas, einem atemberaubenden 1949 Clos des Papes, der mich an den außerweltlichen, vor 10 Jahren getrunkenen 29er des Gutes erinnerte. Aus dieser perfekten Flasche ein Ausnahme-Chateauneuf, der einfach alles hatte, generöse Süße, burgundische Pracht und Fülle, viel Schmelz, aber auch eine enorme Kraft und Dichte 100/100.

Der schiere Wahnsinn dann der nächste Solitär, ein 1959 Hermitage la Chapelle von Jaboulet Ainé. Den legendären 61er hatte ich schon mehrfach im Glas, den 59er zum ersten Mal. Perfekt der Füllstand und wohl auch die Lagerung dieser, aus einem französischen Keller erworbenen Flasche, lausig das Etikett. Das, was hier in der Nase und am Gaumen abging ist kaum in Worte zu fassen und machte schlichtweg sprachlos, so eine gewaltige, aromatische Dichte, soviel Kraft, soviel süße, dunkle Frucht und so eine unglaubliche Länge, da schreibe ich ganz vorsichtig mal 99/100 dran. Würde ich gerne mal gegen 61 trinken. Wer den in gutem Zustand und aus seriöser Quelle hat, bitte melden. Es gäbe da vom 59er noch eine Zwillingsflasche....

Langsam gingen mir die Superlative bei der Beschreibung der Weine aus. Wir hatten verdammtes Flaschenglück, und mit dem nächsten Flight standen schon wieder drei Legenden vor uns. Ob einer der modernen Angelus jemals die Klasse dieses 1929 Angelus erreicht? Der war noch so präsent, so voll da mit gewaltiger Struktur, mit süßer, beeriger Frucht und sehr feiner Süße am Gaumen, Kraft und Eleganz in einer Form gepaart, wie es sonst nur Cheval Blanc schafft 98/100. Auch der perfekt gereifte, aber absolut runzelfreie 1929 Leoville las Cases zeigte deutlich, was das Terroir dieses Gutes hervorbringen kann, stand wie eine Eins im Glas, gewaltige Länge am Gaumen mit der dekadenten Süße eines gereiften Weines 97/100. Und dann war da noch dieser 1929 Mouton Rothschild. Geht Mouton größer? Anders vielleicht, aber nicht größer, auch als 45er nicht. Absoluter Traumstoff mit sensationeller Struktur und Dichte, so irrsinnig vielschichtig und komplex, sehr minzig, verschwenderische Fülle, Süße und Länge am Gaumen. Dabei sehr fein, elegant und nobel, ein echter Aristokrat. Ehrfürchtiges Schweigen am Tisch, das war wirklich eine Weinlegende 100/100.

Kann man 1949 Petrus in einer perfekten Vandermeulen-Abfüllung in den Senkel stellen? Natürlich, wenn man einen 1949 Cheval Blanc in einer ebenfalls perfekten Chateau-Abfüllung dazu stellt. Deutlich besser als alle Flaschen, die ich davon in den letzten Jahren hatte und an die unglaubliche, halbe(!) Flasche erinnernd, die ich vor neun Jahren einmal mit Willi Krähling trinken durfte. Cheval Blanc in Perfektion mit dieser unnachahmlichen, süchtig machenden Nase, mit dieser unglaublichen seidigen Eleganz bei gleichzeitig extrem druckvoller Aromatik, wunderbarer Süße und ewiger Länge, feinstes Cashmere in Weinform 100/100. Der ebenfalls grandiose Petrus kam mit diesem außerweltlichen Erlebnis auf extrem hohem, eigentlich nicht normalem Niveau nicht ganz mit. Er zeigte eine schöne, kräuterige Würze, feine, burgundische Fülle und Süße, viel Schokolade, mehr Eleganz und Finesse als Kraft, nicht so üppig wie 47, für sich alleine ein einmaliges Erlebnis 98/100. Beide Weine zeigten auf diesem aberwitzigen Niveau deutlich die Charakteristik des großen Bordeaux-Jahrgangs 49, der sich hinter 47 nicht verstecken muß. Wo die 47er mit portiger Süße und Fülle auftrumpfen, ist es hier die unglaubliche Eleganz, die den Jahrgang auszeichnet.

Kommen wir zum nächsten, großen Bordeaux-Jahrgang, 1959. Mit drei Pomerols aus diesem heißen Jahr machten wir weiter. Wie schon auf unserer Lafleur Best Bottle im März diesen Jahres erschien der 1959 Lafleur noch zu jung. Ein gewaltiges Monstrum mit dichter Farbe, massiver Astringenz und voll intaktem Tanningerüst, sehr fruchtig und kräuterig, dabei fordernd am Gaumen. 50 Jahr alt und eher wie ein 20jähriger Jüngling wirkend, ein Wein, der noch als 100jähriger eine gute Figur machen wird 97+/100. Vor Kraft kaum Laufen konnte auch der etwas rustikale, sehr lakritzige 1959 Trotanoy, ein gewaltiger, konzentrierter Wein, der in gut gelagerten Flaschen seine besten Zeiten wohl noch vor sich hat 95+/100. Der Star dieses Flights und einer der Höhepunkte des gesamten Abends aber war ein perfekter 1959 l Eglise Clinet in einer Barrière-Abfüllung. L Eglise Clinet hat seinerzeit die besten Fässer in der Regel an Händler verkauft, weshalb diese Händlerabfüllungen meist auch besser sind, als die des Chateaus. Ein gewaltiges Fruchtkonzentrat war dieser Wein, deutlich jünger wirkend mit perfekter Struktur und immer noch reichlich Tanninen, sehr lakritzig mit unglaublicher Dichte und Länge, steht in dieser Form in Pomerol ganz oben 100/100.

Mit drei weiteren Roten aus 59 ging es weiter. 1959 Clinet zeigte wieder deutlich die Charakteristik des Jahrgangs, süßer, dichter, deutlich jünger wirkend als der 61er des Gutes und mit der kräftigen, tragenden Astringenz vieler 59er, die diese Weine besser altern lässt als ihre 61er Gegenstücke 97/100. Sehr variabel ist je nach Abfüllung und Lagerung 1959 l Evangile. Da hatte ich von 90-100/100 schon alles im Glas. In dieser französischen Händlerabfüllung von René Vedrennes war der l Evangile noch voll da mit kräuteriger Würze und schokoladiger Fülle 96/100. Voll mithalten mit den Pomerol-Granden konnte 1959 Figeac in der Schaffermahlzeit-Variante von R&U. Ein Bilderbuch-Figeac mit immer noch dichter, kräftiger Farbe ohne Alter, Klasse-Nase trüffeliger, teeriger, aber auch fruchtiger Nase, frisch geröstetem Kaffee, erdige Terroirnoten, am Gaumen Kraft und Fülle, sicher noch langes Leben - 97/100.

Als Abschluss einer dekadenten Probe tranken wir dann noch einen 1929 Oporto Duero von Vandermeulen. Der hatte zwar eine recht helle, reife Farbe, zeigte aber keinerlei Schwäche. Ein perfekt gereifter Port ohne spritige oder brandige Noten. Einfach nur eine verschwenderische Süße,die an feinstes Marzipan erinnerte 96/100. (wt09/09)