American Beauty III

Zum dritten Mal fand sie in diesem Jahr statt, die American Beauty, und sie ist bereits so etwas wie ein Klassiker. Organisiert von Baschi Schwander treffen wir uns traditionell an einem Sonntag Mittag im Adler in Nebikon. Hochkarätige Weine, eine traumhafte Küche und zwölf begeisterte Weinnasen ergeben stets eine hochkarätige Mischung. Damit nicht nur jugendliche Marmelade ins Glas kommt, war in diesem Jahr die Vorgabe eine etwas andere. Jeder sollte eine Flasche aus der Zeit vor 1990 und eine aus der Zeit danach mitbringen. 1990 ist so etwas wie eine Zäsur bei kalifornischen Weinen. Bis 1990 wurden in Kalifornien Weine in bester Bordeaux-Stilistik produziert, elegant, lagerfähig, niedrig im Alkohol und den Vorbildern aus Bordeaux nicht nur ebenbürtig, sondern oft auch überlegen. Nach 1990 entstand in Kalifornien ein anderer Stil, hoher Alkohol, (über)reife Frucht, eben das, was man heute unter Neue Welt versteht. Weine, die schon in der Jugend enormen Spaß machen, opulent, dekadent, süß und leider oft auch überladen. Das war dann auch Robert Parkers Welt, der über diese dicken Dinger das Punkte-Füllhorn regelmäßig ausschüttet. Welche Stilrichtung Mann/Frau da bevorzugt ist reine Geschmackssache. Ich mag beide Welten, jede zu ihrer Zeit. Allerdings sind die "dicken" Weine in Proben meist bevorteilt. So ein geiler Schluck, das hat schon was. Aber davon dann eine ganze Flasche?

Zum Avinieren der Gläser offerierte uns Baschi, dem als perfektem Organisator und Sommelier in einer Person unser aller Dank galt, einen 1985 Charles Krug Cabernet Sauvignon. Der war für diesen Zweck eigentlich viel zu schade. Sehr fein, rotbeerig, fragil, mit etwas Schoko, Leder, Zedernholz, Tabak und Minze, elegant am Gaumen mit dezenter Bitternote im Abgang. Geht ohne weiteres als reifer Talbot aus den 80ern durch 88/100.

Mondavi Cabernet aus drei Jahrzehnten war im ersten Flight angesagt. Serviert wurden alle Weine blind und erst nach der Bewertung aufgedeckt. Eine reife Farbe hatte 1975 Mondavi Reserve. Die erst etwas verhaltene Nase baute rasch aus mit viel Eukalytus und Minze, auch am Gaumen sehr minzig, enorm druckvoll, komplex und lang, entwickelte eine feine Süße. Absoluter Traumstoff und auf Augenhöhe mit dem großen 74er des Gutes 97/100. Mit seiner malzig-pflaumigen Magginase wirkte der 1987 Mondavi Reserve deutlich reifer, kaum noch Frucht, Leder, Mokkanoten, Leder, auch am Gaumen pflaumig und etwas derb wirkend 91/100. Austrinken? Die Kalifornier aus en 80ern wurden vor 10 Jahren abgeschrieben. Da wäre ich eher vorsichtig oder anders ausgedrückt ich suche und kaufe weiter. Großartig der 1991 Mondavi Reserve, mit seiner animalischen Nase, der alten Ledertasche, der Minze und den vielen Kräutern wirkte er in seiner kernigen, leicht rustikalen Art wie ein US-Lafleur, am Gaumen kräftig, etwas Bitterschokolade, ein Wein zum Kauen 95/100. Sehr schwierig der 1992 Mondavi Reserve, reife Magginase, grüne Töne, am Gaumen staubig-rustikale Tannine, Frucht fehlte völlig. Aus dieser Flasche wirkte der Wein ziemlich platt 84/100. Und dann war da noch 1995 Opus One. Der wirkte reif mit feiner Frucht, aber auch mit etwas Stall und Pappkarton in der Nase, am Gaumen feinfruchtig, elegant, zugänglich, aber auch etwas strukturlos, modern gemacht, nicht mehr die Klasse älterer Opus, sein Geld sicher nicht wert 90.

In die 70er Jahre tauchten wir mit dem nächsten Flight ein. Eigentlich bei Kaliforniern eine Goldene Ära und mit guten Weinen eine Bank, aber bei uns wurde die Best hier eher zur Worst Bottle. Reif, weich und schmelzig startete der 1975 Freemark Abbey Cabernet Sauvignon, um dann immer mehr Maggi zu entwickeln und rasch abzutauchen. Als ich ihn gerade wegschütten wollte, kam er plötzlich wieder, blieb aber ein eher kleiner, schlanker, pikanter, gut trinkbarer Wein 85/100. Ich liebe alte Heitz, auch den 1976 Heitz Martha s Vineyard, den ich schon mehrfach mit 95-97/100 im Glas hatte. Aber mit dieser Flasche hier hatten wir wohl ins Klo gegriffen. Wirkte nur wie bittere Medizin und war eindeutig fehlerhaft, die 82/100 sind nur für die Statistik der Probe. Gut trank sich 1974 Simi Reserve, den ich aber auch schon besser erlebt habe. In der Nase Minze, Eukalyptus, Schwarztee, aber auch alte Zeitung, am Gaumen schlank, elegant und wiederum mit viel Minze 91/100. Voll auf Martha-Niveau dann der Star dieses Flights, 1975 Heitz Fay Vineyard. Klar war da reichlich Minze und Eukalyptus, altes Sattelleder, aber auch viel Schokolade, Süße und ein herrlicher Schmelz, so eine Art großer Pomerol aus Kalifornien 95/100. Aus dem Jenseits grüßte der 1974 Almaden Petite Sirah, bräunliche Farbe, senile, malzig-minzige Nase, am Gaumen ziemlich gruftig, schien im Glas zu sterben, stabilisierte sich dann aber noch auf niedrigem Niveau und zeigte sogar etwas Minze im sonst dünnen Abgang 78/100.

Der überwiegende Teil der Runde war wohl sichtlich froh, als wir uns mit dem nächsten Flight den Namen des verdienten Kellermeisters bekam. Ein verrückter Wein mit zwar heller, reif wirkender Farbe, aber schon die Nase mit ätherischen Noten, feiner, himbeeriger Frucht, wenigstens in die 80er bewegten. Nur war das eben keine Frage des Alters, sondern ausschließlich der Flaschenqualität. Sehr interessant der 1985 Ridge Cabernet Sauvignon Jimsomare aus einer schon im vorletzten Jahrhundert bepflanzten Einzellage, in der heute nur noch Zinfandel steht. Ein perfekter La Mission Clone war dieser tiefgründige, spannende Wein mit Minze, Jod, Teer und Cigarbox 93/100. Hat der 1985 Caymus Special Selection seine Zukunft erst noch vor sich? Der wirkte aus dieser Flasche noch so extrem jung mit immer noch bissigen Tanninen, zeigte aber auch prächtige Frucht und eine wunderbare Fülle 94/100. Ganz großes Kino dann der 1984 Chateau Montelena Zinfandel John Rolleri Reserve. Das war reifer Zin vom Allerfeinsten, Montelenas bester und das einzige Mal, dass hier ein Reserve gekeltert wurde, der dann überzeugte. Die Farbe war recht reif, schon eher rostbraun und hell, aber das bedeutet bei Zinfandel nicht viel. Betörend die Nase mit ätherischen Noten, Lakritz, mit Gewürznoten, Tabak und frisch gemahlenem, schwarzem Pfeffer. Am Gaumen spielte dann ein ganz großes Orchester. Das war, als ob jemand aus Pomerol-Trauben in Kalifornien einen La Mouline gemacht hätte, so facettenreich und tiefgründig, sich ständig wandelnd, sehr nachhaltig und mit burgundischer Fülle, mit gut eingebundener Säure und cremig-weicher Textur, baut enorm im Glas aus und hat sicher noch etliche Jahre vor sich 98/100. Ältere, reife Zins sind eines der letzten, weitgehend unentdeckten Geheimnisse Kaliforniens. Eigentlich sollte man nicht darüber schreiben, sondern nur still genießen. Der arme 1988 Beaulieu Rutherford Cabernet Sauvignon wurde in diesem Flight fast erdrückt. Der roch nach Maggi und Tütensuppe mit einem Schuss Minze, ein kleiner, gefälliger Wein 85/100. Da hatte wohl jemand bei Best Bottle das Best überhört.

Und dann ging es, für manche unter uns endlich, in die Abteilung Wuchtbrumme. Sehr interessant der Vergleich der beiden Shafers. 1996 Shafer Hillside Select war marmeladig-fruchtig, dicht, dick, konzentriert und alkoholreich. Er hatte einfach von allem zuviel und wirkte dadurch unharmonisch 92/100. 1999 Shafer Hillside Select aus dem vermeintlich deutlich schwächeren Jahrgang war deutlich eleganter, finessiger, stimmiger. Ein sehr würziger Wein mit viel Minze und Schokolade, der eindeutig erheblich besser zu trinken war 95/100. Auch 1998 Araujo Eisele Vineyard aus einem wiederum schwächeren Jahr konnte mehr als nur überzeugen. Durchgängig sehr hohe Bewertungen am Tisch für einen kompletten, faszinierenden Wein, der eher Bordeaux-Stilistik zeigte und recht zugänglich wirkte. Animalisch die Nase, ein komplettes Pferd samt Ledersattel, süße, aber nicht marmeladige Frucht, Brombeere, Blaubeere, viel Minze, am Gaumen hoch elegant, geschmeidig und finessig 98/100. Hat übrigens nur 92/100 bei Parker und sollte deshalb noch leicht zu bekommen sein. Leider gilt das nicht für den sehr gesuchten, teuren 2002 Bryant Family Vineyard. Nur war der heute sein Geld nicht annähernd wert. Der hatte, analog zum 96 Shafer einfach von allem zuviel und wirkte schlicht overdone, ein erstaunlich reifes, dichtes, kraftvolles Fruchtmonster, zu dick, zu süß, geradezu klebrig und auch etwas eindimensional, nicht zu vergleichen mit den großen Bryants aus der ersten Hälfte der 90er 91/100. Noch sehr jung 2003 Harlan, der trotz der satten, aber wohldefinierten Frucht eine erstaunliche Frische zeigte, kraftvoll am Gaumen mit sehr guter Struktur, für das eher schwierige Kalifornien-Jahr 2003 ein sehr gelungener Wein 95/100.

Und dann kam ein Traumflight in unsere Gläser. Immer noch blutjung 1990 Togni. Puristisch schöne Frucht, viel Holunder, Brombeere und Blaubeere mit schöner Fruchtsüße, am Gaumen druckvoll, konzentriert mit präzisen Konturen, ein Top-Wein, der noch auf der American Beauty 25 im Jahre 2032 für Furore sorgen wird 96/100. Auf dem Punkt dagegen 1994 Peter Michael Les Pavots. Sehr würzig, Mokka, Espresso, Zedernholz, salzige Mineralität, samtig am Gaumen, aber enorm druckvoll und mit gewaltigem Abgang 97/100. Noch sehr jung 1994 Dominus, der mehrfach die Maximalnote erhielt und Gesamtsieger dieser Probe wurde. Einfach verrückt diese Nase mit Cassis, Holunder, Blaubeere, Minze, Leder, Kräuter und Zedernholz, nicht plump und aufdringlich, sondern unglaublich vielschichtig, am Gaumen immer noch mächtige, aber reife Tannine, beeindruckender Tiefgang, perfekter Spagat zwischen kalifornischem Hedonismus und der Struktur eines großen Pauillac, kann sicher noch etwas zulegen und hat Potential für gut 2 Jahrzehnte 97+/100. Klar gab es in dieser American Beauty auch ein paar grenzwertige Flaschen, aber dafür wurden wir auch mit alleine drei Harlans verwöhnt. 1995 Harlan war ein gewaltiger Wein, der mit seiner Aromenfülle fast erschlug, konzentrierte, süße Frucht, aber auch Minze, Kaffee, Espresso. Der in der Jugend so ungestüme 95er zeigt erste Reife, was nicht mit Müdigkeit zu verwechseln ist. Auch da ist noch enormes Langfristpotential. Was mich an den Harlans immer so fasziniert, ist diese Quadratur des Kreises, der junge und doch reife Latour, einfach ein Elixier 97/100. 1992 Harlan kam da nicht ganz mit. Wirkt insgesamt feiner, eleganter, subtiler ohne den gewaltigen Druck der 94,95& Co und zumindest aus dieser Flasche schon recht reif 94/100.

Noch sehr jung die beiden letzten Weine. Ein Klassiker 2005 Phelps Insignia, der schon jetzt mit süßem Schmelz überzeugt und die lange Reihe großer Insignias perfekt fortsetzt, kann sicher noch zulegen und gehört für ein paar Jahre in den Keller 95+/100. Ähnliches erhoffe ich mir auch vom 2005 Schrader Beckstoffer To-Kalon Vineyard. Der war aber einfach zu erschlagend in seiner üppigen Fülle, dem explosiven Bouquet und der süßen, konzentrierten Frucht, hat im jetzigen Stadium einfach von allem zuviel, muss vielleicht noch etwas zu sich finden 92+/100. Ob sich diese ganz dicken Dinger inzwischen etwas überlebt haben? Auch in Kalifornien hat inzwischen ein Umdenken angefangen. Man spricht nicht gerne darüber, schließlich müssen die heutigen Weine ja noch verkauft werden. Aber auch Kalifornien möchte weg von der Überreife, dem hohen Alkohol. Klar gibt es noch immer Fans, die sich solche dicken Dinger hemmungslos in die Birne gießen. Aber die werden weniger. So war es kein Wunder, dass der "kalifornische Pauillac" 1994 Dominus in unserer Probe den Spitzenplatz belegte, gefolgt von den punktgleichen 94 Les Pavots und 98 Araujo Eisele. Chancenlos waren beim Run auf die Top-Platzierungen die älteren Weine. Einige wenige aus der Runde konnten halt mit reiferen Gewächsen nichts anfangen. Wenn dann so ein großartiger 75 Heitz Fay als Ausreißerwertung 78/100 bekommt, stört mich das nicht. Gibt eh nicht mehr viel davon, und das gehört bitte alles in mein Glas!

Ein Wort noch zur großartigen Adler-Küche. Ich habe selten ein besseres Menü zu einer großen Weinprobe genossen. Mit subtilen Aromen und perfekten Garpunkten wurde hier perfekt zu den Weinen gekocht. Chapeau! Und was den Service angeht, so wurden wir natürlich wieder wunderbar verwöhnt.

Der unvergleichliche Adler-Charme

Der unvergleichliche Adler-Charme