American Beauty IV

Ich kam von einer großen Probe reifer Weine, und eigentlich schlägt mein Herz eher für reife Weine aus Bordeaux und Burgund, doch was ich auf der American Beauty an einem Sonntag Mittag in überragender Qualität ins Glas bekam, war "allererste Sahne".

Einen festen Termin hat die American Beauty inzwischen in meinem Probenkalender. Zum vierten Mal trafen wir uns in diesem Jahr zu dieser, von Baschi Schwander erfundenen und stets vorbildlich organisierten Veranstaltung. Zwei gute, besser noch sehr gute Kalifornier braucht es, um an dieser extrem begehrten Best Bottle teilnehmen zu können, dazu viel Glück und besser noch eine gigantische Grippewelle. Denn freiwillig gibt so schnell niemand seinen Platz in dieser sehr harmonischen Zwölferrunde auf. Und wenn mir beim Gedanken an die American Beauty das Wasser im Munde zusammenläuft, dann liegt das am inzwischen schon traditionellen Veranstaltungsort, dem Adler in Nebikon. Grandios ist stets das, was der gute Raphael da auf die Teller zaubert. Mit ihm und seiner charmanten Gattin Marie-Louise, die den hervorragenden Service führt, genoss der Wineterminator lange vor der Probe erst mal draußen vor dem Hause auf der Bank in gleißender Frühlingssonne einen prächtigen Apero, eine 1999 Lieser Niederberg Helden Spätlese als Versteigerungswein von Schloss Lieser. Sehr mineralisch, stoffig, extraktreich mit kaum noch spürbarer, gut eingebundener Süße, sehr elegant, harmonisch und balanciert, großer Trinkspaß mit nur 8,5% Alkohol 92/100.

Als eigentlicher Apero zur Probe diente dann ein 2007 Chloe Russian River Valley Chardonnay von Du Mol. Konnte mich diesmal noch weniger als bei der Screaming Eagle Probe überzeugen, wuchtig, viel Holz, Vanille, Kraft, wenig Finesse 88/100. Zweiter im Bunde war ein 2009 Araujo Sauvignon Blanc, nicht schlecht, sehr frisch mit pikanter, etwas parfümiert wirkender, typischer Frucht, aber leider auch mit den bei vielen Sauvignon Blancs aus der Neuen Welt typischen 14% Alkohol 88/100. Gibt es "von nicht so weit weg" für deutlich weniger Geld und weniger Alkohol mit mindestens dieser Qualität.

Gleich im ersten Glas des ersten Flights eines der Highlights der Probe, ein 1991 Moraga aus der Doppelmagnum, gestiftet von Werni Tobler, der in der Braui die sicher umfassenste Moraga-Sammlung außerhalb der USA sein eigen nennt. Schon recht reif die Farbe, sehr fein die Aromen, Kräuter, altes Leder, Minze, Zedernholz, am Gaumen seidige Eleganz mit reifen, weichen Tanninen. Der Moraga übrigens erst der dritte Jahrgang dieses Gutes aus dem Nobelvorort Bel-Air von Los Angeles baute enorm im Glas aus. In der Nase machte sich immer mehr die reife Johannisbeere bemerkbar. In so einem Wein könnte ich baden, ein großer, reifer St. Julien aus Kalifornien 94/100. Ein paar Stunden später haben wir den Moraga noch mal zusammen mit dem Chef nachverkostet, wiederum blind wohlgemerkt. Und siehe da, die Bewertungen unseres kleinen Kreises, auch meine, stiegen auf 96/100. Da spielte natürlich ganz eindeutig der Großflaschenbonus eine Rolle.
Sehr spannend auch im anderen Glas der Abacus VII von ZD. Abacus ist der Versuch von ZD die Komplexität und reife älterer Weine mit jugendlicher Frucht zu kombinieren. Dazu wurden in der ersten Abfüllung, die 1999 auf den Markt kam, die Jahrgänge 1992 bis 1998 des ZD Reserve kombiniert. Jedes Jahr kommt ein neuer Jahrgang hinzu, der die entnommene Menge auffüllt, also ein klassisches Solera-Verfahren. So waren in der 7. Abfüllung, die wir ins Glas bekamen, die Jahrgänge bis 2004 enthalten. Ultrarar ist der Abacus und auch sehr teuer. Der aktuelle Jahrgang Abacus XIII, der im Oktober diesen Jahres auf den Markt kommt, wird die Jahrgänge 1992-2010 enthalten und $ 475 pro Flasche kosten. Was mir an diesem Wein gefiel, ist die herrliche, üppige Cassisfrucht, die eindeutig von den jüngeren Jahrgängen stammte. Recht kurz war dagegen der Abgang, der Abacus brach mitten am Gaumen ab. Die Idee eines Solera mag sich ja gut anhören, aber ich halte sie hier für nicht recht gelungen 92/100.

Es hätte der Wein der Probe sein müssen, dieser 1974 Mayacamas, den ich schon mehrfach, zuletzt 2009, mit 99/100 im Glas hatte. Aber hier hatte der schlechte Korken, wohl in Verbindung mit suboptimaler Lagerung, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dunkle, reife, leicht trübe Farbe, medizinal und pilzig die Nase, der Gaumen gezehrt, sehr trocken im kurzen Abgang. Das war nicht einmal ein Schatten dieser Weinlegende, jammerschade 86/100. Sehr reif auch die Farbe des 1977 Ridge Monte Bello, auch das sicher nicht die beste Flasche, in der Nase noch Fruchtreste, Kirsche, Minze, Leder und Tabak, dazu eine feine Süße, am Gaumen, genauer gesagt im ersten Teil, viel Säure, und dann bricht der Ridge mitten am Gaumen unvermutet ab 88/100. Was für ein Vorteil ist doch solch eine Blindprobe. Wer hätte sich sonst getraut, den 1985 Grgich Hills Cabernet Sauvignon so hoch zu bepunkten. Dabei ist das doch ein echter, sehr langlebiger Kalifornien-Klassiker, der keine Spur von Alter zeigte. Sehr feine, elegante Frucht, Kräuter, Minze, Eukalyptus, aber auch Schokolade, sehr generös am Gaumen, aber auch mit präziser Struktur und langem Abgang, die 97/100 hatte er sich aus dieser großartigen Flasche voll verdient. Mehr Punkte hätte auch der 1990 Heitz Trailside abräumen können, wenn er nicht so penetrant nach einem Stapel alter Zeitungen gerochen hätte. Ansonsten war diese modernere Heitz-Variante fruchtig, füllig mit sehr leckerer, süßer Frucht, leicht metallisch im Abgang 92/100.

Riesengroß im nächsten Flight 1990 Heitz Martha s Vineyard, den ich noch nie so gut im Glas hatte. Von grottig bis groß kenne ich bei diesem Wein eigentlich alle Varianten. Nur mit so unendlicher Eleganz, so absolut stimmig und harmonisch hatte ich ihn noch nie. Klar war da auch Minze und Eukalyptus, dazu präsente Frucht und auch etwas Bitterschokolade, aber alles war so fein, so elegant, so perfekt aufeinander abgestimmt, immer noch mit enormen Reserven und sich im Glas immer mehr entwickelnd. Als er aufgedeckt wurde, war ich platt, auf Heitz wäre ich nie gekommen. Aber meine 97/100 hatte ich vorher schon gegeben. Da hatte es der 1991 Opus One im direkten Vergleich verdammt schwer gegen, auch das ein sehr feiner, stimmiger, eleganter Wein, mehr Bordeaux als Kalifornien 94/100.
Mit Maya hatten wir heute einfach kein Glück, weder mit noch ohne "camas . 1991 Maya war für mich in seiner Jugend mal der perfekte Zwilling des 86 Mouton, damals dreimal hintereinander 100/100 ohne Wenn und Aber. Und ausgerechnet dieser Wein war hin, oxidativ, verbrannt, übler Essigstich. Da sind meine Eigenen hoffentlich besser. Ich werde demnächst berichten. Blutjung immer noch der faszinierende 1991 Philip Togni, frisch und floral die Nase, reife Blaubeeren, ungeheurer aromatischer Druck am Gaumen, der gibt dermaßen Gas, dabei aber mit sehr präzisen Konturen, wird über die nächsten 5-10 Jahre weiter zulegen 95+/100. Seltsam erst der 1992 La Jota 11th Anniversary Release. Eigentlich sind diese Anniversary Releases Hammerteile, aber dieser Wein hier wirkte zu Anfang merkwürdig zurückhaltend, geradezu schüchtern. Das gab sich erst nach längerer Zeit im Glas. Der La Jota, der immer noch über ein mächtiges Tanningerüst verfügt, wurde offener, fruchtiger, druckvoller und aus den anfänglichen 93/100 wurden überzeugende 96/100.

Großartige Weine hat Pahlmeyer Mitte der 90er erzeugt. Gleich zwei davon bekamen wir im nächsten Flight ins Glas. Der 1995 Pahlmeyer Merlot startete erstaunlich fein und elegant in der Nase mit reifer Brombeere und Schokolade, am Gaumen Kraft, Länge, wurde mit der Zeit immer weicher und süßer 96/100. Animalisch, kräftig und zupackend der 1997 Pahlmeyer Proprietary Red, wie ein Heitz Martha s von der Rhone, Eukalyptus, intensive Minzfrische, aber auch die Blutnote vieler Weine von der nördlichen Rhone, entwickelte im Glas ebenfalls intensive Süße 96/100. Immer noch so jung, so dicht und konzentriert, aber mit perfekter Struktur der 1994 Abreu Cabernet Sauvignon, süße, sehr präzise Cassis-Frucht, Potential für lange Jahre 96/100. Mit Brett ohne Ende startete der 1994 Dominus, doch das legte sich mit der Zeit. Der Dominus zeigte sich als großer Bordeaux mit Cassis, Minze, Leder und Zedernholz, am Gaumen immer noch mit mächtigen, fordernden Tanninen, baute enorm im Glas aus und blieb ewig am Gaumen, aber da kommt noch deutlich mehr 97+/100. Der auf hohem Niveau schwächste des Flights war 1995 Colgin Herb Lamb. Superb die explosive Nase mit reichlich Minze, Eukalyptus und Coca Cola, der Gaumen kam da nicht mit, hier wirkte der Colgin etwas offensichtlich und dünn 95/100.

Eigentlich hätte es von der Papierform her genau andersherum sein müssen. Aber der 2003 Phelps Insignia war der elegantere, feinere finessigere Wein in der Nase und am Gaumen mit dekadent leckerer, aber nicht aufgesetzter oder marmeladiger Frucht 97/100. Bei 2002 Phelps Insignia hingegen hatte ich das Gefühl, dass da ein Hummer über meinen Gaumen brettert, jede Menge Kraft, Fülle und Süße, braucht sicher noch ein paar Jahre, in denen er sich etwas glättet 96/100. 2001 Foley Claret war eine rabenschwarze, süße, opulente, extreme dichte und konzentrierte Kalifornien-Sau, aber auch ein Wein , der enorm viel Spannung rüberbrachte, wird sich über die nächsten 5-10 Jahre weiterentwickeln und dabei harmonischer und tiefgründiger werden 98/100. Das zeigte deutlich der bei aller Nachhaltigkeit und Kraft inzwischen sehr elegante, finessige 1999 Foley Claret, ein großartiger Wein in totaler Harmonie, der zu Recht den ersten Platz unserer Verkostung belegte, Trinkspaß auf allerhöchstem Niveau 99/100. Gleichzeitig zeigte dieser Wein sehr deutlich, wie sehr der Jahrgang 1999 unterschätzt wurde.

Deutlich zu jung noch der 2004 Shafer Hillside Select, dicht, kräftig, fett, lakritzig, da müssen die einzelnen Komponenten noch zueinander finden, sicher in ein paar Jahren besser 94+/100. Großes Kino der 2002 Peter Michael Les Pavots, blind vermutete ich den legendären Bond Melbury im Glas, heftig und kräftig mit dekadent leckerer, süßer Frucht, aber auch viel Schmelz am Gaumen, dabei trotz aller Konzentration erstaunlich frisch, finessig und komplex, der bisher beste Les Pavots und jede Suche wert 98/100.
Ultrarar ist der 2004 Levy and McClellan Proprietary Blend. Gerade mal 350 Kisten gibt es von diesem Erstlingswerk. Hinter diesem neuen Projekt stehen Harlan-Winemaker Bob Ley und seine Frau Martha McClellan-Levy, die für Sloan und Blankiet arbeitet. Aber das hier war mehr Sloan als Harlan, zu dick, zu konzentrieert, zu sehr gewollt, nicht mein Fall 93/100.

Grosse Wein und strahlende Gesichter

Grosse Wein und strahlende Gesichter

Außer Konkurrenz wurde dann noch ein 1977 Cuvaison geöffnet. Erstaunlich dicht die Farbe, reif in der Nase und am Gaumen, aber nicht alt, kein großer Wein, aber immer noch gut zu trinken 85/100.

Extrem hoch lag das Niveau der diesjährigen American Beauty. Bis auf die beiden Totalausfälle (Maya und Mayacamas) hatten wir enormes Flaschenglück und keine einzige korkige Flasche. Eng beieinander die doch recht große Spitzengruppe, hauchdünn der Vorsprung des 1999 Foley Claret, großer Trinkspaß fast in jedem Glas. Dazu die perfekte Organisation (danke Baschi!), eine hervorragende Stimmung und die süchtig machende Adler-Küche. Ich müsse etwas sehr Schönes erlebt haben, meine die Stewardess auf meinem spätabendlichen Rückflug, ich sähe so glücklich aus. Recht hatte sie. (wt 03/2011)