Angelus & Figeac in Bad Neuenahr

Ein gutes Händchen hat Raritätenhändlerin Elke Drescher für alte Weine. Und mit fast schlafwandlerischer Sicherheit bastelt sie daraus große Raritätenproben. Das Thema der diesjährigen Weihnachtsprobe bei den Steinheuers in Bad Neuenahr war Angelus & Figeac.

Einen Edel-Sommelier hatte sich die gute Elke für diese Probe an Land gezogen. Schon fast traditionell kommentiert René Gabriel nicht nur die Weine, er öffnet sie auch und dekantiert sie gekonnt. Als ich ihn vor der Probe traf, hatte er sich gerade mit der Magnum 1961 Angelus befasst, die Depot ohne Ende hatte. Kein körniges Hardcore-Depot, aber undurchsichtige, trübe, dickflüssige Masse, die der René in drei unterschiedliche Gefäße abfüllte. Aber dieses Depot, von dem ich mir einen großen Schluck gönnte, hatte es in sich und erinnerte an den legendären 61er Hermitage La Chapelle. Das machte neugierig und weckte Vorfreude ohne Ende.

61 Angelus Magnum mit Depot ohne Ende

61 Angelus Magnum mit Depot ohne Ende

Mit den ältesten Weinen starteten wir in den Abend. 1926 Figeac aus einer R&U Abfüllung für die Bremer Schaffermahlzeit hatte eine voll intakte Farbe mit leichten Brauntönen. Ein erstaunlich kräftiger Wein, nussig und kräuterig in der faszinierenden Nase, intensiv und komplex am Gaumen, portig und mit schöner Süße und langem Abgang 95/100. Bei diesem Wein von einem großen Altweinerlebnis zu sprechen, widerstrebt mir irgendwo, denn dieser Figeac ist nicht nur ein großartiges Beispiel für den sehr langlebigen Jahrgang 1926(aus dem ich nach wie vor alle Bordeaux kaufe, die ich kriegen kann), er ist auch erheblich vitaler als so manch jüngerer Wein. Sehr dunkel, dicht, fast schwarz war die Farbe des 1947 Figeac aus einer französischen Händlerabfüllung. Ein potentiell riesengroßer, aber auch vor allem in der Vinifikation extrem schwieriger Jahrgang, bei dem der Grad zwischen Genie und Wahnsinn recht schmal war. Mit heutiger Kellertechnik hätte es wohl mehr Chevals gegeben, aber damals bekamen viele Chateaus einfach die Gärtemperaturen nicht in den Griff. Der Figeac hatte Teer in der Nase, Holzkohle, viel alten Malaga und Korithen, am Gaumen süßer Kräuterlikör, balsamische Noten, aber eben auch viel flüchtige Säure 90/100. 1934 Angelus aus der identischen Abfüllung wie bei der Best Bottle im Schloss Loersfeld mit dänischer Banderole war vielleicht nicht ganz so kräftig wie am Vorabend (wer bitte hatte schon mal das einmalige Vergnügen, an zwei Abenden hintereinander 34 Angelus zu trinken?), dafür aber etwas reifer, offener und fülliger, am Gaumen weicher und länger, ebenfalls mit großartigem Rückrat 94/100. Der Wein des Flights und auch des Abends war aber 1947 Angelus. Hier hatte man mehr Glück bei der Vinifikation gehabt und einen Wein erzeugt, der in guten Flaschen und Abfüllungen auf Augenhöhe mit Cheval ist und wahrscheinlich sogar langlebiger. Dekadente, großartige, süße, portige Nase mit wunderbarer, pflaumiger Frucht, ohne Alter auch der Gaumen mit diesem faszinierenden Spagat zwischen Kraft und Eleganz, saftig, kräftig, elegant, süß und sehr facettenreich mit ewiger Länge. Ein Weinriese, der in dieser Form jede Suche lohnt 99/100.

Figeac und Angelus Legenden

Figeac und Angelus Legenden

Sehr gefreut hatte ich mich auf den nächsten Flight, war doch mein Geburtsjahr zweimal vertreten. 1950 Figeac entpuppte sich wieder als ein großer, klassischer Bordeaux alter Schule, rustikal, kräftig und mit sehr dichter Farbe. In der Nase ein Pferd samt Ledersattel, am Gaumen enormer Druck und gewaltige Länge, wird noch lange leben und hatte ähnliche Klasse wie vor drei Wochen in Linz 97/100. Leider ähnelte auch der 1955 Figeac der Linzer Flasche, nur das in der Nase statt Brett ein deutlicher Kork war, der Gaumen war ähnlich grenzwertig, fürchterliches Zeugs. Kork leider auch in der Nase des 1950 Angelus aus einer Händlerabfüllung. Da half nur eines, unter dem Kork durchtrinken. Wie man das macht? Kräftig ins Glas blasen und dann ohne zu riechen trinken. Klappte auch hier und offenbarte einen reifen, generösen Wein mit malziger Süße und Potential für etliche Jahre, ohne Kork sicher ein 95/100 Wein, der auf meiner Suchliste steht. Als sehr leckeres Trinkessig mit dichter Farbe zeigte sich 1955 Angelus aus einer Barrière-Abfüllung, baute enorm im Glas aus und gewann an Komplexität und Länge 91/100.

Recht jung und immer noch mit deutlichem Tanningerüst präsentierte sich 1959 Figeac, wirkte immer noch so, als ob er erst am Anfang einer langen Entwicklung steht. Brauchte Luft und Temperatur, um dann deutlich auszubauen, viel Kräuter und Kaffee in der süßer werdenden Nase, dazu herrliche Frucht, kraftvoll der Auftritt am Gaumen 94/100. Noch eine Ecke drüber der großartige 1961 Figeac. Dicht und jung die Farbe, einfach sensationell die Cappuccino Nase mit viel rotbeeriger, dekadent leckerer und süßer Frucht, die sich auch am Gaumen wiederfand und an die besten Silver Oak erinnerte, offen, süß und einfach hedonistisch schön 96/100. Noch eine Ecke drüber der 1961 Angelus aus der Magnum. Ein kräftiger Wein mit zu Anfang etwas staubiger Eleganz, der enorm ausbaute und wunderbare Frucht entwickelte, reife Pflaumen, sehr mineralisch, lakritzig, sogar Veilchen, gewaltige Länge am Gaumen mit schöner Süße, explodierte förmlich 97/100. Das Depot, von dem ich mir dann noch mal einen Schluck genehmigte, locker 100/100 wert. Wie schön, dass ich die Pool-Position direkt neben der Gastgeberin hatte. Da konnte ich mir ganz schnell die heiß begehrte Zwillingsflasche sichern. 1959 Angelus wirkte zu Anfang etwas wie ein Wein der Sorte "will, aber kann nicht". Recht verschlossen und mit Ladehemmung, was sich mit Zeit und Luft nur teilweise gab. In der Nase ein großer, alter Ledersattel, dicht und kräftig der Gaumen. Und als ich ihn gerade abschreiben wollte, legte er noch mal enorm los und aus 88/100 wurden mit dem letzten Schluck 93/100. Kein Wunder, in den besten Flaschen habe ich diesen Wein schon nahe an der Form des 61ers im Glas gehabt.

Klar, nach diesem Mörderflight musste ein gewisser Abstieg kommen. Schließlich war das, was dem großen Jahrgang 1961 folgte, nicht gerade die Glanzzeit von Bordeaux. 1962 Figeac in einer deutschen R&U Abfüllung hatte eine helle, schon recht reife Farbe, sehr erdig mit Minze und Leder in der nicht sonderlich generösen Nase und etwas staubigem, hartem Testtannin am Gaumen. Wirkte wie ein älterer Kalifornier aus kleinem Jahrgang 86/100. Wer die 60er liebt, wird seinen Gefallen am 1966 Figeac finden. Aus einer nicht gerade perfekten Magnum(mid shoulder) zeigte er noch eine sehr dichte Farbe, bittere Tannine und reichlich Paprika. Entwickelte sich im Glas, wurde besser und zeigte sogar noch eine generöse Malaga-Süße 88/100. Kühle Eleganz beim durchaus feinen, eleganten 1970 Figeac, grüne Noten ebenso wie eine Portion Lakritz, sogar schöne Süße stellte sich ein, sehr ausgeglichen und harmonisch am Gaumen 90/100. Und dann war da noch als Highlight dieses Flights der 1953 Angelus. Einfach sexy war dieser fleischige, dichte, würzige Wein, lakritzig, malzig, süß, gefällig, enorm lang am Gaumen mit Kaffeenoten und viel Bitterschokolade 95/100. Wird es auf diesem Niveau noch länger machen.

Natürlich musste sich dann Figeac aus den 80ern noch von seiner grenzwertigen Seite zeigen. Die alten, vier Wochen lang getragenen Wandersocken, dieser ekelhafte Fehlton, lassen grüßen. Doch wir hatten Glück im Unglück. Beide Weine verbesserten sich im Glas enorm. Rechtzeitiges Dekantieren scheint da doch in Maßen zu helfen. Zu Anfang waren bei 1982 Figeac, der in guten Flaschen so ein genialer Wein sein kann, keine 85/100 im Glas. Doch er legte mit der Zeit zu, wurde besser, immer mehr Kräuter statt alter Socken und brachte es zum Schluss noch auf versöhnliche 91/100. Noch ganz am Anfang einer Jahrzehnte umschließenden Entwicklung steht 1986 Figeac, bei dem der Fehlton nicht so ausgeprägt war, und wo er schneller verschwand. Immer noch mächtige Tannine prägen diesen Langstreckenläufer, der immerhin eine schöne Frucht zeigte und gewaltiges Potential spüren ließ 92+/100. Traumhaft schön zu trinken war 1982 Angelus. Gut, der hatte mit den heutigen Angelus wenig gemeinsam, ein leichterer, feiner Wein mit betörender, sehr delikater, süßer Frucht und viel Schokolade, weich, samtig und sehr elegant am Gaumen 93/100. Hier zeigt sich die Grenzwertigkeit der Benotung von Weinen. 1990 Angelus ist der größere, dichtere, komplexere Wein, eine richtige Wuchtbrumme, sehr konzentriert mit gewaltiger Länge, schwarzbeerig, rauchig, immer neue Facetten zeigend und mit Potential für Jahrzehnte. Klar kamen bei diesem Angelus 96/100 ins Glas, aber wenn ich mir einen Wein als Begleitung eines ganzen Abends aussuchen müsste, wäre es der 82er. Mehr ist nicht wirklich mehr. Ein großer Probenschluck heißt noch lange nicht, dass ich davon unbedingt eine ganze Flasche haben muss. Die modernen Überflieger sind oft ungemein sättigend und erschlagen alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Gerade bei Angelus, wo man endlich in die erste Liga der St. Emilions aufsteigen will, wird gewaltig am Rad gedreht. Immer dichter, immer konzentrierter, da bleibt dann irgendwann nur noch das Holzfällersteak als Begleitung. Zu Stefan Steinheuers außerweltlich guter Küche, die auch an diesem Abend einen Höhepunkt nach dem anderen produzierte, sind elegante Weine angebrachter.

Tischwein satt - die "Chefin" bei der Arbeit

Tischwein satt - die "Chefin" bei der Arbeit

Wir bekamen zwar alle reichlich Wein ins Glas, aber wem auch das nicht reichte, der konnte sich bei den Großflaschen Tischwein bedienen. Da war zunächst ein solider, gut trinkbarer 2000 Maugey mit dunkler Frucht und reifen Tanninen 88/100. Da reichte mir ein kleiner Schluck zum Probieren. Mehr hätte ich gerne vom 1998 Figeac genommen, denn das ist derzeit eigentlich eine offene, zugängliche Orgie aus Lakritz, Kräutern, Tabak und Kaffee mit süßer, dunkler Frucht. Doch ausgerechnet bei diesem wein schlug der Korkteufel wieder zu. Schade, wo doch so deutlich erkennbar war, was wir da samt Großflaschenbonus verpassten.

Die großartige Stimmung und die gute Laune dieser Probe verlängerten sich später noch an die Bar, wo in vielen Gläsern frisches Bier landete, in meinem aber 2004 Wehlener Sonnenuhr von JJ Prüm als fein fruchtiger Kabinett und als Spätlese, traumhafte Weine, die eigentlich zu jeder Tages- und Nachtzeit gehen.