Auf Weinwolke 7

Was gibt es schöneres im Leben eines Weinfans, als bei einem der großen Weinsammler eingeladen zu sein, der die Schätze seines unendlichen erscheinenden Kellers gerne und generös mit anderen teilt.

In meinen Zehen hatte ich dieses nervöse Prickeln. Spürte ich doch, was sich hier ein paar Meter unter meinen Füßen in den Tiefen eines großen Weinkellers alles verbergen konnte. Was würde uns unser generöser Gastgeber heute kredenzen? Zunächst bekamen wir ein Glas Champagner in die Hand gedrückt. Sehr reif war der 1978 Dom Perignon zwar, aber ohne Alterstöne mit immer noch gutem, grobperligen Mousseux, weich, geschmeidig, sehr nachhaltig und lang am Gaumen, trank sich jetzt einfach wunderschön 92/100. Sehr viel kräftiger war der nachfolgende 1978 Taittinger Vasarely aus der Taittinger Collection. Der konnte im ersten Moment nicht mit und wirkte kompakter, rustikaler. Doch das gab sich rasch im Glas. Unglaublich, wie sich dieses starke Teil im Glas entwickelte, immer komplexer und dichter wurde, druckvoll und sehr lang am Gaumen 94/100. Während der Dom Perignon jetzt auf dem Punkt ist, hat der Taittinger noch ein längeres Leben vor sich. Könnte durchaus dekantiert werden. Beide erstaunlich schön für das eher schwache Champagnerjahr.

Ein gewaltiger Name ist Le Montrachet. Leider verbergen sich dahinter ein paar wenige, sündhaft teure, riesengroße Weine und eine große Anzahl hoffnungslos überteuerter Weine, die dem Namen und der Lage nicht gerecht werden. Klassisches Beispiel für den Schindluder, der damit betrieben wird, war ein 1988 Le Montrachet von Bouchard. Etwas eindimensionale, dropsige Nase, Zitrusaromen, hohe Säure, wirkte insgesamt etwas alkoholisch und plump, wurde auch im Glas nicht besser. Der hätte in dieser Qualität auch aus einer unbedeutenderen Dorflage kommen können 89/100. Völlig anders der Ehrfurcht erbietende 1978 Le Montrachet von Comte Lafon. Das war ein gewaltiges, finessenreiches Kraftpaket mit einer traumhaften Nase, die immer generöser, mandeliger und mineralischer wurde. Ein großer, aromatischer Wein, der mit Luft und steigender Temperatur im Glas förmlich explodierte und ständig neue Facetten zeigte. Hat in dieser bestechenden Form sicher noch 10+ Jahre Potential 97/100.

Eigentlich hatte der 1950 Gilette Crème de Tête nur einen Fehler, das Nachbarglas. Ein sehr feiner, eleganter, harmonischer Sauternes, immer noch recht jung und frisch wirkend, trotz Bernsteinfarbe, mit schöner, schmelziger Süße und relativ wenig Säure, schreit eigentlich nach begleitendem Essen 94/100. Im anderen Glas ein 1945 Rieussec in einer namenlosen Händlerabfüllung. Sehr reife, ins Güldene gehende Farbe, ein unglaubliches Pfauenrad an Aromen, korinthige Süße, Karamell, Nougat, Kaffee, Orangen-Bittermarmelade, Crême Brulée, kandierte Früchte, der brauchte kein begleitendes Essen, das war ein komplettes Festmahl für sich. Ein fettes, ausladendes Teil, das aber durch eine immer noch gute Säure perfekt balanciert wirkte, hörte am Gaumen praktisch nicht mehr auf 99/100. Wer einen alten Yquem gleicher Qualität trinken möchte, muss nicht nur das große Glück haben, keinen Wanderpokal zu erwischen, er muss sich auch mit einer persönlichen Teilenteignung abfinden.

Nach einem solchen Elixier hat es eigentlich jeder Wein verdammt schwer. Der Hausherr stellte zum Mundspülen deshalb eine Magnum 1962 Talbot auf den Tisch. Der hatte eine herrliche, reichhaltige, üppige Nase, die mich spontan an den Duft erinnerte, mit dem sich vor zwei Jahren mein Keller füllte, als mir eine perfekte Doppelmagnum dieses Weines zerbrach, St. Julien Parfüm vom Allerfeinsten. Da kam der Gaumen nicht mit, nicht nur wegen der vorher getrunkenen Sauternes. Aber für 89/100 war der Talbot mindestens noch gut.

Und schon standen die ersten zwei Rotwein-Legenden vor uns. Sehr fein und elegant der 1978 Chateauneuf du Pape von Chateau Rayas, würzig-pfeffrige Aromatik mit viel weißem Pfeffer, hocharomatisch, finessig, einfach ein sinnlicher Wein, kein Hammer im Stile der heutigen, überkonzentrierten Chateauneufs, hier tänzelt eine Ballerina auf der Zunge 95/100. Und neben der Ballerina war der Hammer im Glas. Während der Rayas schon recht reif wirkte, schien der 1978 Hermitage von Chave immer noch ein Stück vom Höhepunkt entfernt. Ich habe diesen Wein in den Neunzigern schon mehrfach verkosten dürfen und ihn schlicht und einfach nie gemocht. Doch aus diesem Glas war alles anders. Absolut perfekte Wahnsinnsnase, im positiven Sinne animalisch, blutiges Steak, Trüffel, Leder, einfach nördliche Rhone pur. Reitet am Gaumen eine irre Attacke, sehr kraftvoll, immer noch gute Tanninstruktur. Klar, diesen klassischen, alten Stil muss man mögen, aber dieser sehr eigenständige Wein entwickelt auf seine Art einen unwiderstehlichen Charme, dem man sich schwer entziehen kann. Das ist keine modisch weichgespülte Fruchtbombe, sondern Rhone Hardcore 98/100.

Und dann kam ein außerweltlicher Solist. Ich habe spontan auf einen Vor-Reblauswein getippt, da er diese unendliche feine, seidige, unsterbliche Stilistik großer Weine aus dieser Zeit zeigte mit einer betörenden Erdbeernote. Doch der Wein war "erheblich" jünger, aus dem ersten, großen Jahr nach der Reblaus-Katastrophe. Immer noch eine zwar helle, aber intakte Farbe hatte dieser 1893 Haut Brion und eine sehr feine, schmelzige, generöse Nase mit dezenter Süße. Die 97/100, die man diesem unsterblichen Weindenkmal auch von der Genussseite her locker geben konnte, werden diesem einmaligen Erlebnis aber kaum gerecht. Noch längst nicht jeder alte Wein ist automatisch gut, eher das Gegenteil ist der Fall. Aber wenn eine Flasche in so gutem Zustand ist, wie diese hier, dann ist das schon der Weinhimmel auf Erden.

Nach diesem Zwischenspiel kamen noch einmal zwei 78er Kracher von der Rhone ins Glas. Wie ein großer, reifer Wein aus Pessac wirkte der 1978 La Landonne von Guigal zu Anfang mit seiner feinen, mineralischen und tabakigen Nase, erst mit der Zeit kam dann stärker in der Nase die Rhone durch mit einem dicken Steak vom Holzkohlengrill und Trüffeln, an denen noch viel Erde hing. Für einen La Landonne wirkte dieser Wein erstaunlich zahm. Er ist zwar reif, aber noch längst nicht am Ende und baute schön im Glas aus 95/100. Eine Ecke drüber das deutlich dramatischere, konzentrierte Depot, das noch einmal eindrucksvoll zeigte, wie dieser Wein wohl vor 10-20 Jahren geschmeckt hat. Ich weiß, das Trinken des Depots ist nicht jedermanns Sache, wobei wohl vor allem ästhetische Gründe eine Rolle spielen. Giftig und auch eklig ist das Depot keinesfalls. Und das Depot war es dann auch, das mich mit dem nächsten Wein versöhnte. Den schienen wir wieder unsanft geweckt zu haben. Wie schon vor 2 Jahren war der 1978 Hermitage la Chapelle von Jaboulet Ainé zwar ein feiner, eleganter, klassischer Wein von der nördlichen Rhone, zeigte aber nicht ansatzweise, was er wirklich drauf hat und wirkte reichlich zugenagelt. Mehr als maximal 94/100 kamen da nicht ins Glas. Hier gab das Depot keinen Rück-, sondern einen Ausblick und deutete mit seiner unglaublichen Konzentration an, das der La Chapelle vielleicht doch noch in gut 10 Jahren zu dem 100 Punkte Wein werden könnte, den ich seit 16 Jahren vergeblich im Glas gesucht habe.

Insgesamt bewegten wir uns natürlich auf einem verdammt hohen Niveau. Da kamen dann Weine, die anderen Orts jede Probe sprengen würden, als eher gewöhnlich, eben diesem Niveau entsprechend, daher. So auch 1968 Vega Sicilia Unico, der sich als Solitär perfekt in die Probe einpasste, aber nicht zu staunend offenen Mündern führte. Durch seine hohe Säure wirkte er deutlich jünger. Ein sehr präziser, geradliniger, perfekt strukturierter Win mit toller Aomatik, aber diesmal nicht so komplett und reichhaltig, wie ich ihn aus zahlreichen, anderen Flaschen kenne 96/100.

Und dann kam endlich das, was so ein russischer Oligarch zum leichten Lunch zu sich nimmt, Chateau Petrus in zwei verschiedenen Jahrgängen. Total überrascht war ich von 1978 Petrus, den ich bisher aus drei Verkostungen nur als kleinen Wein, kenne, der seinen Höhepunkt bereits deutlich hinter sich hat. Ob es da unterschiedliche Abfüllungen gibt? Aus dieser Flasche hier war der Petrus zwar reif und auf dem Punkt, aber keinesfalls auch nur ansatzweise müde. Schokoladig-trüffelig mit etwas Leder und Lakritz, süß, schmelzig und weich mit burgundischer Pracht und Fülle, ich konnte es einfach nicht glauben - 96/100. Hedonismus pur dann 1975 Petrus, den ich noch nie so offen getrunken habe. Klar ist da noch ein gewaltiges Tannin- und Säuregerüst, das diesem Monument noch locker 30 weitere Jahre garantiert. Einfach ein riesengroßer, kompletter Wein, der mit verschwenderischer Aromatik verwöhnt, Schokolade, Kaffee, leichte Exotik, reife Frucht, Süße, Mineralik, Minze. Zum ersten Mal hatte ich jetzt bei diesem Wein ohne Wenn und Aber 100/100 im Glas. Dekadenz hin, Dekadenz her ich würde in Zukunft gerne einmal die Woche mit einem der russischen Milliardäre zu Mittag essen, vorausgesetzt natürlich, er bringt diese beiden Weine mit.

Unser spendabler Gastgeber war in seinem Element. Dieser Kindergeburtstag für große Jungs war ein voller Erfolg. Überall leuchtende Augen und wohlige Begeisterung. Und damit das so blieb, brachte er weiter eine Granate nach der anderen. Ein Solitär war jetzt angesagt, 1921 Richebourg in einer Vandermeulen-Abfüllung. Tiefdunkle Farbe, intensive Kaffee- und Mokkatöne, dezent oxidativ, malzige Süße, alter Balsamico, brachte immer noch reichlich Kraft und Fülle ins Glas 96/100.

Und dann krachten, auch jeweils in der Vandermeulen-Abfülung, zwei Giganten gegeneinander. Zu Anfang hatte 1926 Cheval Blanc leicht die Nase vorn. So ein dekadent prachtvoller, fülliger Wein mit herrlicher Süße, üppig zwar, aber dabei auch elegant, nahm den gesamten Gaumen in Beschlag, reif und auch nicht mit dem Standvermögen des Lafite. Würde er nicht mit der Zeit ganz dezent schwächeln, hätte ich auch diesem Riesen die volle Punktzahl geben müssen. So waren es immerhin noch 98/100. Viele der Probenteilnehmer sahen das anders. Ich war einer der wenigen, die den 1926 Lafite Rothschild bevorzugten. Der Stand wie eine Eins im Glas, immer noch mit gutem Tannin- und Säuregerüst und dichter Farbe, Finesse und Eleganz pur, so delikat und pikant, ein großer, klassischer Lafite, wie er besser nicht geht. Ich habe noch nie einen besseren Lafite getrunken 100/100.

Wie fantastisch das oft übersehene Jahr 1926 insbesondere in Bordeaux war zeigte dann danach im Vergleich ein 1923 La Romanée von Liger-Belair. Der wirkte mit seiner hellen, bräunlichen Farbe im direkten Vergleich mit diesen fast zeitlosen Vandermeulens um Jahrzehnte älter. Das war eben ein reifer, kompletter Weingreis, der aber immer noch tolle Geschichten erzählte, ein wunderbar zu trinkender Wein mit feiner Süße und guter Länge am Gaumen 96/100.
Deutlich jünger wirkend danach, nicht nur in der voll intakten Farbe ein 1937 Vosne Romanée von Grivelet, auch das ein großer, kompletter Burgunder aus einem großen Jahrgang, der allerdings noch genügend Kraft für ein paar weitere Jahrzehnte hat 96/100.

Der Zahn der Zeit nagte im nächsten Zweierflight doch deutlich an einem 1947 Chateauneuf du Pape von Audibert Delas. Der kam eigentlich recht spannend ins Glas und war würzig und lecker, baute dann aber rasch ab, und es stellte sich eine Mischung aus Möbelpolitur und Scuhcreme ein. Wer denn undekantiert schnell trinkt, kann durchaus noch einen 92/100 Genuss geboten bekommen, der sich dann aber zügig um 10 Punkte reduziert. Ganz anders 1947 Gruaud Larose in einer französichen Händlerabfüllung von Lestapis. Der zeigte im Gegensatz zu vielen anderen Weinen des Linken Ufers aus 1947 noch keinerlei Runzeln. Ein sehr feiner, eleganter, aber auch sehr nachhaltiger Wein, der immer noch eine würzige, pfeffrige Frucht besaß 94/100.

Im letzten Flight des Abends trotz sehr intakter Farbe schon sehr gezehrt mit deutlich störenden Nebentönen ein 1955 La Fleur Petrus in einer Händlerabfüllung von L. Moncourrier aus Bordeaux 82/100. Diese Erfahrung mache ich nicht zum ersten Mal. Die Chateauabfüllung dieses Weines ist deutlich besser.Erstaunlich weit und reif wirkend auch ein 1955 La Tour Haut Brion in einer R&U Abfüllung, die Nase ätherisch, aber auch mit etwas Teer und Cigarbox, am Gaumen immer noch viel Kraft und Länge 94/100.

Zum Schluß dieser unglaublichen Probe dann noch ein letzter Knaller, ein 1945 Graham Vintage Port Finest Reserve. Der wirkte noch so jung, dabei weich und schmelzig mit herrlicher Süße, so reichhaltig, aber ohne jeden Alterston oder spritige Töne, einfach ein perfekter Gaumenschmeichler 97/100.