BBB - Braui Best Bottle

Mächtig ins Zeug gelegt hatte sich nicht nur wieder Braui-Chef Werner Tobler mit einem vorzüglichen Menü. Ebenso mächtig ins Zeug gelegt hatten sich meine Schweizer Weinfreunde, die tief ihre Keller gegriffen hatten und so diese Best Bottle zu einem einmaligen Erlebnis werden ließen.
Eingestimmt in diesen feinen Abend wurden wir mit zwei verschiedenen Weißweinen. Aber waren die wirklich verschieden? Dazu waren sie sich, bei allen Unterschieden, zu ähnlich. Glas # 1 zeigte einfach mehr. Sehr fruchtige Nase mit deutlicher Honigsüße, die wohl vom Alkohol stammt. Am Gaumen kräftig, sehr komplex und lang. Glas # 2 wirkte deutlich frischer, kompakter, animierender, zeigte aber nicht so viel. Als erfrischender Apero war Glas # 2 schöner, zum Essen würde ich # 1 deutlich den Vorzug geben. Des Rätsels Lösung war ein 2004 Grüner Veltliner Eichenstaude von Angerer, aus der Magnum. Glas # 1 9(!) Stunden vorher dekantiert, Glas # 2 direkt aus der Magnum eingeschenkt.
Völlig auf dem Schlauch stand ich beim ersten Wein. Sehr fruchtige, jugendliche Nase mit reichlich blauen Früchten, am Gaumen zunächst sehr kompakt und schlank mit relativ kurzem Abgang, kräftige Säure, baute mit der Zeit etwas aus, ein feiner, delikater Wein, wirkte aber insgesamt noch recht verschlossen 91+/100. Überhaupt keine Pessac-typischen Aromen zeigte dieser 1999 Haut Brion, der wahrscheinlich noch viel zu jung war und deutlich verschlossener wirkte, als im Frühjahr 2006 auf René Gabriels großer Haut Brion Probe.. Immerhin sicher ein Wein mit Potential, der durchaus mal ein zweiter 79er werden könnte. Dafür braucht er aber wohl noch mindestens 5 Jahre.
Voll ins Eingemachte ging es dann mit vier Flaschen, denen man sicher nicht übermäßige Jugend nachsagen konnte. Eine reife Farbe mit deutlichem Alterston hatte 1955 Palmer. Das war reifer Margaux par Excellence, feinduftige, elegante Nase, feine, leicht karamellig wirkende Süße, da war aber immer noch Fülle am Gaumen und trotz deutlicher Altersnote eine faszinierende, seidige Eleganz. Ein Traumstoff, der sich sicher in guten Flaschen noch einige Jahre auf diesem hohen Niveau hält 95/100. Wohl nicht die beste Flasche war 1955 Gaffelière-Naudes, den ich nahe der Perfektion kenne. Hier hatte er jetzt eine leicht animalische Nase mit massig Dörrfrüchten, baute am Gaumen leider sehr rasch ab und entwickelte eine immer stärkere Säure, nur die Nase blieb stabil. Was tun? Schnell noch einen großen Schluck vom Depot. Da ging dann auch am Gaumen die Post ab, komplex, fast explosive Aromatik, irre lecker, macht zusammen 87-96/100. Also nur eine schlecht gelagerte Flasche. Nach 55 Gaffelière-Naudes in gutem Zustand kann getrost weiter gesucht werden. Mehr als entschädigt wurden wir durch eine Ausnahmeflasche des 1955 Beychevelle. Allgemein gilt der als kleiner, nicht gerade berühmter Wein. David Peppercorn hatte dafür vor 16 Jahren in seinem Standardwerk "Bordeaux" nur einen Kommentar übrig: a disappointment. Wie gut, dass Weine nicht lesen können. So entwickeln sie sich völlig unabhängig von der Lehrbuchmeinung. Enttäuschungen und Überraschungen sind gleichmäßig gesät und finden sich immer dort, wo man es nicht erwartet. Eine sehr feine, immer noch fruchtige, süße Nase hatte der Beychevelle, mit viel Schokolade und Mokkatönen. Auch am Gaumen feine Süße und wie in der Nase eine unglaubliche Eleganz, dabei insgesamt deutlich jünger wirkend. Ein riesengroßer Wein, mit dem legendären 29er zusammen mein bisher bester Beychevelle 97/100. Kein Genuss dagegen 1955 Batailley. Mostige, apfelige Nase, relativ trübe, dunkle, bräunliche Farbe, wirkte säuerlich, wie alter Tresterhut. Nicht mehr, oder nur mit Schmerzen trinkbar war er, dieser mehrfach nachvergorene Äbbelwoi.

Verschließt sich der großartige 1998 Tertre Roteboeuf wieder? Mehrfach, zuletzt im April diesen Jahres in der Braui habe ich dieses hedonistische Fruchtpaket sehr offen erlebt. Die geile, üppige Nase mit Blaubeeren und Brombeeren ist immer noch da, doch am Gaumen finden sich reichlich mundbeschlagende Tannine 95+/100. Einen deutlichen Fehler schien der parallel getrunkene 1998 Magdelaine zu haben. Intensive Nase nicht nur mit Salmiak vom Apotheker, sondern auch mit stechender Salmiaksäure, am Gaumen ganz ok, aber etwas hohl mit bitteren Tanninen. Das kann es nicht sein.
Grandios im nächsten Flight 1983 La Mission mit einem klaren Punktsieg gegen Haut Brion, der schon fast Richtung KO ging. Immer noch sehr jung wirkend, dieser La Mission mit der perfekten, klassischen Nase mit Cigarbox, Tabak, Teer, aber auch etwas Kräutern, Minze und sogar einem Schuss Eukalyptus, so vielschichtig und komplex, am Gaumen sehr kräftig und lang. Sicher noch mit 15+ Jahren Potential Kraft - 95/100. Da war 1983 Haut Brion im direkten Vergleich ein ganz armer Wicht gegen. Für sich alleine kein schlechter Wein, Nase mit viel Tabak, am Gaumen kräftig, aber rustikal, Pessac-Stilistik ohne Schmelz und Spaß, einfach nur schiere Kraft, monolithisch wirkend und eher anstrengend 91/100. Habe ich schon besser getrunken. Sehr angetan war ich von 1983 Lafite Rothschild. Das war noch ein klassischer Lafite im perfekten, alten, dem Terroir entsprechenden Stil. Ein feiner, eleganter Wein mit rotbeeriger Frucht, am Gaumen Finesse pur mit wunderbarem Schmelz 94/100.
Es schien wohl wirklich der Abend zu sein, an dem wir alle Lernen sollten, dass man Wein nicht mit Jahrgangstabellen und Parker-Punkten trinkt. Mit 1985 Margaux in einer perfekten Magnum hatten wir die nächste Überraschung vor uns. Den habe ich schon oft getrunken, aber noch nie auch nur annähernd so gut. Irre Farbe, so jung, fantastische Nase mit herrlicher Frucht, am Gaumen viel rotbeerige Frucht, Zedernholz, perfekte Kombination aus Kraft und Finesse. Immer wieder riechen, am Gaumen kreisen lassen, schlucken und dabei träumen. Margaux als Appelation und als Chateau wie aus dem Lehrbuch, feinduftig, elegant, aber gleichzeitig druckvoll, wie schön, dass es von dieser perfekten Ausnahme-Magnum reichlich ins Glas gab 97/100.
Beim nächsten Wein war ich bei 90 Latour, denn diese geile Mischung aus Pauillac-Struktur und 90er Exotik gehörte eigentlich auf die andere Straßenseite. Doch es war 1990 Lafite Rothschild. Ob das eine "vorgereifte" Flasche aus zu warmer Lagerung war? Ich habe den 90er Lafite zuletzt im Frühjahr getrunken, als er noch tanninbeladen und aristokratisch vornehm zurückhaltend wirkte. Hier waren jetzt überzeugende 98/100 im Glas. Bis meine eigenen Flaschen dieses unwiderstehliche Stadium erreichen, muss ich sicher noch 10 Jahre warten. Großer Stoff auch 1990 Haut Brion, der allerdings mit Lafite auch nicht ansatzweise mitkam. In dieser Flasche noch recht jung wirkend, aber auch mit viel Säure 95/100.
Und dann kam der große 90er Hammer, mit dem ich nicht mehr gerechnet hatte. Der 1990 Montrose war ganz großes Rotwein-Kino. Ein riesengroßes Teil mit dekadent schöner, süßer Frucht, mit riesengroßem Kräutergarten, reichlich frischem Basilikum, dabei am Gaumen so pur, so klassisch geradlinig, so frisch. Ein Weinmonument, gemeißelt aus feinstem Marmor 100/100. Jeder andere Wein wäre dagegen wohl untergegangen. Der 1990 Leoville Poyferré hielt sich jedoch wacker. Auch das ein echter 90er. Frucht ohne Ende mit wunderbarer Fruchtsüße, allerdings auch mit perfekter Struktur. Mit seinem gewaltigen Tanningerüst dürfte er einer der langlebigsten 90er werden 96/100.
Beim nächsten Wein bekam ich wieder eine Lehrstunde in Sachen richtiger Trinkzeitpunkt. Noch im Juni diesen Jahres notierte ich bei 1989 Leoville las Cases aus eigenen, sehr kühl gelagerten Beständen: war es das schon, oder kommt da noch was? Trank sich irgendwie mit angezogener Handbremse mit etwas stahliger, kühler Frucht - 90/100. Auch eine kurz davor bei Jörg Müller ebenfalls einen perfekten Keller verkostete Flasche hatte sich ähnlich präsentiert. Und jetzt stand vor mir dieser unglaubliche Saft, der all das bot, was ich mir von 90 Leoville las Cases immer erhofft hatte, und was dieser Wein in seiner Fruchtphase bis Mitte der 90er auch schon mal ansatzweise gezeigt hat. Kein Hammerwein, wie die heutigen Leos, eher deutlich feiner, fast puristisch und klar, Eleganz in Reinkultur mit sehr reintöniger Frucht, schöner Süße und das alles mit unglaublich präzisen Konturen. Bei dieser Flasche hier war nicht nur die Handbremse gelöst, da befand sich der Wein auch schon im fünften Gang auf der Überholspur, ein echtes Erlebnis auf sehr hohem Niveau 95/100. Mit meinen Flaschen werde ich darauf wohl noch gut 5 Jahre warten müssen. Dafür werde ich länger etwas davon haben. Jahrgangstabellen und Trinkfenster sind also mit großer Vorsicht zu genießen. Wer kalte, perfekte Lagerbedingungen hat, sollte immer einige Jahre raufrechnen, wenn es dann bei Parker, Gabriel & Co heißt "trinkbar ab...". Nichts ist wohl frustrierender, als wenn man einen Wein regelmäßig probiert hat, die Kiste inzwischen leer ist, und der optimale Trinkzeitpunkt immer noch nicht erreicht.
Noch ein Lehrstück der nächste Wein. Leider zu Tode dekantiert hatte man den 1991 Dominus. Zehn Stunden vorher war er in die Karaffe umgefüllt wurden. Das Ergebnis war ein Monstrum, das zwar noch eine pralle Maulbeerfrucht aufwies, aber auch eine unglaubliche Strenge. Ich bin ein großer Fan des Dekantierens, nicht nur von Roten, sondern auch von kräftigeren Weißen Weinen. Aber alles bitte in Maßen! Über eine Stunde vorher dekantiere ich Weine eigentlich nie. Da ist mir die Gefahr zu groß, dass die Frucht verloren geht und der Wein statt Finesse nur noch tanninbetonte Strenge aufweist. Zwei Stunden sind auch noch ok, aber bitte nicht viel länger. Wer einen Wein, den er abends trinken möchte, morgens dekantiert, legt wahrscheinlich auch seine bleiche Freundin morgens früh ohne Sonnencreme in die pralle Sonne, damit sie abends schön braun ist. Die wird dann abends mit schwerem Sonnenbrand ein ähnlicher Genuss sein wie ein überdekantierter Wein.
Weiter ging es mit einem ein für Fans der großen, australischen Hardcore Marmeladen Oper. So ekelhaft süß und schlichtweg overdone war der 1997 Astralis. Ich kann damit nichts anfangen und habe mein Glas nicht geleert. Eigentlich gehört der 2002 Switchback Ridge Petit Syrah in eine ähnliche Fraktion. Nur macht dieser Alkoholprotz wenigstens noch beim ersten Glas Spaß. Der hat eine dermaßen explosive Aromatik, dass er einem fast aus dem Glas entgegen springt. Frucht ohne Ende, Mineralität, ein guter Schuß Espresso, so süß, so üppig, so voll, so lang. Ein Glas dieses Spaßweins ist auf 95/100 Niveau ganz interessant. Mehr davon brauche ich nicht.

Weit nach Mitternacht war es inzwischen, und einige von uns hatte es schon zu Bier und Zigarre gezogen. Doch da standen noch zwei hochinteressante Weine aus dem unendlichen Braui-Keller auf dem Programm. Schier unglaublich ein 1959 Mounlin-à-Vent von Morin. Gut, Morin als Erzeuger ist in älteren Jahrgängen eine absolute Bank, und Moulin-à-Vent ist die Paradelage des Beaujolais. Aber ein fast 40 Jahre alter Beaujolais, so dicht, kräftig und komplex ohne störende Alterstöne, das ist schon ein Hammer. Das ist einfach ein großer Burgunder 93/100. Derartige "Beaujolais-Erlebnisse" habe ich aus älteren Jahrgängen mit renommierten Erzeugern schon häufiger gehabt. Mit der Schnelltrinksoße, die da heute erzeugt wird, haben diese Ausnahmeweine aus der Zeit vor 1960 absolut nichts gemeinsam.
Als Paukenschlag zum Schluss dann noch ein 1986 Penfolds Grange. Da wurden auch müde Gaumen schlagartig wieder wach. Das war ganz böser Stoff. Irre dichte, fast schwarze Farbe ohne Alter, reife Frucht, Cassis ohne Ende, am Gaumen sehr dicht, kräftig mit unglaublicher Länge. Aber nicht überladen, sondern einfach perfekt strukturiert, Grange vom Allerfeinsten 98/100. Die Aussies haben es aöso früher mal gekonnt, warum heute nicht mehr?
Zwei Süßweine standen anschließend auch noch auf dem Tisch. Da musste ich dann allerdings passen. Ich war im siebten Rotweinhimmel, und wollte da nicht mehr weg.

Danke an Gregor, Thomas, Marino, Toni, Andy, Paul, Daniel, Matthias, Bruno, Patrick und natürlich den lieben Werner für einen unvergesslichen Abend.