Best Bottles überall

Von zwei spannenden Proben kann ich berichten, von einer, die durch einen Anfängerfehler fast in die Hose ging, und von einer, bei der die Teilnehmer von sehr weit her anreisten.

Eine richtig prächtige Best Bottle hätte das werden können, doch leider ging zumindest das Ende in die Hose. Dabei hatten sich meine Schweizer Freunde soviel Mühe gegeben, aber ein Anfängerfehler raubte der Probe ihren Höhepunkt.
Zu Gast waren wir im Seehotel in Meisterschwanden, einem sehr schönen Designhotel. Da stimmte fast alles, die traumhafte Lage am See, die Zimmer, der bestens gefüllte, begehbare Weinkeller, nur die Küche hatte nichts von "Meister", das war eher "Lehrlingsschwanden". Doch alles der Reihe nach.
Festlich gedeckt die lange Tafel direkt neben dem begehbaren Weinkeller. Unglaublich, was da noch an einigermaßen bezahlbaren Latours, Lafites, Margaux, Haut Brions und Solaias drin lag. Best Bottle heißt bei meinen Schweizer Freunden nicht nur sehr gute Weine. Best Bottle heißt auch Bewertung und Auswertung. Nach jedem Flight wird abgefragt, und der "Leisi" hält alles akribisch mit dem Laptop fest. So weiß jeder später, wie seine Flaschen abgeschnitten haben und ob er sich beim nächsten Mal mehr anstrengen, oder gleich zuhause bleiben soll.

Zweimal Weiß zum Einstieg. Ein erstaunlich fettes, geiles, buttriges und fülliges Teil der 2004 Ridge Monte Bello Chardonnay, exotische Früchte, süßer Schmelz, geröstete Haselnüsse, viel Holz und Vanille, aber auch eine gute Säure, die diesem Wein dann die nötige Balance verschaffte 94/100. Ganz im Gegensatz dazu der deutlich jünger wirkende 2004 Corton Charlemagne von Roumier. Der musste sich erstmal behaupten. Das war, wie wenn jemand mit der Geige gegen ein Blasorchster anspielt. Sehr fein die kräuterige Pernod-Nase mit Anis, Fenchel und Lakritz, gerösteter Brotkruste, Zitrusfrüchten und mit der Zeit immer mehr Hollunder, am Gaumen präzise gewirkt mit hoher Mineralität und frischer Säure. Gehört länger dekantiert oder noch ein paar Jahre weggelegt 92+/100. Der Monte Bello belegte übrigens in der Gesamtwertung später mit einem Schnitt von 95,44 einen sensationellen, dritten Platz.
Gefolgt wurde er von 1979 Haut Brion, der mit 95,00 auf dem vierten Rang landete. Erstaunlich, wie sich dieser Wein aus guten Kellern hält.Wunderbare Nase mit Leder, Minze, Teer, Tabak und Jod, am Gaumen sehr fein, elegant, mit leichter Süße und enormer Länge 95/100. Leicht schweißig die Nase des 1970 La Lagune mit oxidativen Noten, aber auch mit etwas Schoko und Karamell, am Gaumen sehr kräftig, aber auch etwas ungelenk 90/100. Der 70er gilt eigentlich als großer Erfolg für La Lagune, und ich kenne diesen wein deutlich besser. 1985 Gruaud Larose hatte in der Nase einen großen, dampfenden Misthaufen, den berühmten Cordier-Stinker, am Gaumen mit rustikalem Charme, immer noch tanninbetont und kräftig wirkend, da scheint noch Musik für etliche Jahre zu sein 91/100.
Nicht wiederzuerkennen war im nächsten Flight 1990 Cos d Estournel, der sich noch irgendwo im Nirwana befand, hatte zwar eine schöne Nase, wirkte aber recht dünn am Gaumen 88/100. Sicher nicht die beste Flasche. Auch der 1985 Cos d Estournel konnte nicht voll überzeugen, wirkte auf zwar höherem Niveau als der 90er etwas sperrig und verschlossen, von der süßen Frucht, die diesen wein sonst auszeichnet, nicht viel zu spüren 91/100. Ganz anders 1985 Palmer, der aus dieser Flasche noch erstaunlich kraftvoll und jung wirkte mit sehr dichter Farbe, die große Zedernholz-Orgie mit feiner, rotbeeriger Frucht, sehr druckvoll, aber auch elegant und samtig am Gaumen mit langem Abgang, einfach traumhaft zu trinken, ein kleiner 61er Palmer für Schlaue 95/100.
Beim nächsten Flight waren beide Weine noch blutjung in der Farbe mit superdichtem Schwarzpurpur. Der 2005 Maybach Materium entschied nicht nur dieses Duell für sich, er war mit einem Schnitt von 96,22 auch Gesamtsieger der Probe, knapp vor dem 2006er des Gutes mit 95,78. Ein bei aller Dichte und Kraft betörender Wein mit süßer, dekadent leckerer Frucht, Cassis pur, viel jugendlicher Babyspeck mit Holz und Vanille, aber auch herrlicher Schmelz, springt förmlich aus dem Glas 96/100. Nicht weit davon entfernt, aber mit deutlich anderer Stilistik im anderen Glas der 2006 Taffe Ta von Poggiopiano, Erstlingsjahrgang eines ambitionierten Projektes aus der Colorino-Traube. Ein gewaltiges, dichtes Konzentrat reifer, dunkler Früchte mit schon fast unglaublicher, brachialer Gewalt, aber auch toller Struktur und mächtigem Tanningerüst 95/100. Sicher ein Wein, den man im Auge behalten sollte.
Mit der Farbkonstellation ging es im nächsten Flight weiter. Der 2006 Maybach Materium etwas dichter, jünger als der 2005er wirkend bei sonst ähnlicher Stilistik, sehr mineralisch und an einen großen, jungen Mouton erinnernd 96/100. der 2006 Colgin IX Estate im anderen Glas polarisierte. Gregor gab die euphorischen 100/100, die dieser Wein auch bei Parker hat, bei mir lag der Colgin bei 91/100. Für mich war das ein tiefdunkles, sehr dichtes, künstlich wirkendes, überzogenes Konzentrat, das von Überall und Nirgendwo stammen konnte. Ich notierte weiter: braucht die Welt nicht und ich schon gar nicht, schade um die schönen Trauben. Die Zeit mag es stückweit richten, aber an diesem Abend fand die große Euphorie im Glas nur beim Gregor statt.

Und dann nahm das Unheil seinen Lauf. Irgendeiner der Veranstalter hatte die wahnwitzige Idee gehabt, die Reihenfolge Dessert und Käse umzudrehen. Quasi als Pause für den Gaumen bekamen wir jetzt erst das Dessert und dazu zwei restsüße Weine. Die 1971 Forster Ungeheuer Auslese von Bürklin-Wolf war ein Totalausfall. Die 1971 Forster Kirchenstück Auslese des gleichen erzeugers war eine schon eher halbtrocken wirkende, sehr harmonische, elegante Auslese mit feiner Restsüße 90/100. Die eigentliche Katastrophe aber war das Dessert, eine sogenannte Torta della Nonna. Die erinnerte aber eher an billige Industrieprodukte und enthielt irgendwelche Stoffe, die den Gaumen total lahmlegten. Ich vermute, dass neben reichlich Orangeat vor allem viel Ingwer drin war, was alle nachfolgenden Weine sehr bitter erscheinen ließ. Schade um 1995 Pichon Comtesse, um 1998 und 1999 Ornellaia, um 1999 Valandraud, die beiden Weltklasse-Dominus aus 1991 und 1994 und auch um einen später als Ersatz für den korkigen 1996 Dominus eingefügten 2001 Solaia. Meine ausführlichen Notizen, in denen immer wieder das Wort bitter vorkommt, lasse ich hier weg. Das war wie ein großartiges Feuerwerk bei Wolkenbruch und Nebel. Man hört es krachen, ahnt, was da abgeht, bekommt aber nichts mit. Jammerschade um diese großartigen Weine, von denen es natürlich keiner unter die erste sieben des Abends schaffte.



Wesentlich weinfreundlicher wurde bei einer anderen Best Bottle im Oktober im Restaurant Schorn gekocht. Standing Ovations bekam Marcel Schiefer für seine großartige Küche, mit der er längst aus Franz Josef Schorns Schatten herausgetreten ist. Franz Josef Schorn, der jetzt bei seiner Lebensgefährtin im Marlie den Ober-Grillmaxen macht und "The best Steak in Town" anbietet, hatte sich für diesen Abend extra frei genommen und betreute uns als perfekter Sommelier. Von weit her angereist kamen einige der Teilnehmer. Michael war aus Perth in Westaustralien angereist, der Bernd erst am Morgen aus Boston gelandet, der Gerd hatte in Paris die letzte Tankstelle mit Treibstoff gefunden und noch rechtzeitig zu uns gestoßen, der Helmut kam aus München und der Uwe hatte die Weltreise aus Bochum angetreten.
Als Begrüßung gab es erstmal aus der Magnum ein Glas 2005 Ruppertsberger Hoheburg Fass 57 von Bürklin Wolf. Die paar Jahre Flaschenlagerung haben diesem spontan vergorenen Riesen aus einer kleinen, biologisch bewirtschafteten Parzelle enorm gut getan. Sehr kräuterig in der Nase, Minze, reifes Steinobst, ein saftiges Maul voll Wein, sehr mineralisch mit Kraft und Fülle, aber auch mit einer perfekten Statur, wie aus einem Stück Marmor gemeißelt, sehr lang am Gaumen und immer noch ganz am Anfang einer langen Entwicklung 95/100. Etwas simpel wirkte dagegen natürlich eine restsüße 2009 Meddersheimer Rheingrafenberg Spätlese von Hexamer. Ein frischer, fruchtiger, saftiger, süßer und leckerer wein mit traubig-junger Frucht 88/100. Blind tippten wir danach bei einem 2007 Pettenthal Riesling GG von Kühling-Gillot auf einen großen Wachauer Riesling, cremig, dicht, mineralisch, reifes Steinobst, unnachahmliche Kraft, deutliche Extraktsüße, blieb ewig am Gaumen, - 93+/100 mit Potential für 1-2 mehr.
Alt, uralt wurde es danach mit einem Dreierflight eines heute nicht mehr existierenden Chateaus aus dem Medoc. Der 1892 Chateau du Mont hatte eine dichte, bräunliche Farbe, in der Nase Liebstöckel, immer mehr Mottenpulver, auch am extrem gezehrten Gaumen, eigentlich nicht mehr trinkbar. Der 1898 Chateau du Mont war eigentlich nur in der Nase noch spannend. Die war laktisch, kräuterig, portig, dunkles Schoko-Toffee, eingelegte Pflaumen. Am Gaumen hatte leider eine recht gruselige Säure die Oberhand gewonnen. Von großem Genuss konnte auch hier keine Rede sein. Anders der 1899 Chateau du Mont, der noch sehr gut trinkbar war. Hier war die durchaus präsente Säure reifer, weicher, dienender und verlieh dem Wein, der auch och eine recht pikante Frucht zeigte, sogar noch eine gewisse Frische 86/100. Soweit zu den echten Altertümern. Mit dem reinen Trinkgenuss ist es da oft nicht so weit her, aber immerhin sind es lebendige Zeitzeugen längst vergangener Epochen.

Als noch erstaunlich jung erwies sich ein 1950 Domaine de l Eglise in einer Hanapier-Abfüllung, sehr kompakt, sehr eisenhaltig, darunter deutlich Bitterschokolade, immer noch kraftvoll, spürbare Tannine, baute im Schritttempo aus und wurde immer besser 94/100. 1950 Cantemerle war da schon deutlich weiter und sicher über den Höhepunkt weg. Trüb die Farbe, leicht fischig, aber auch nussig die Nase, am Gaumen filigran, elegant und mit feiner Süße 88/100.
Die deutliche Klasse des Terroirs zeigte der 1950 Pontet Canet in einer Cruse-Abfüllung. Immerhin war ja 1950 eigentlich nur am rechten Ufer ein Erfog, weniger im Medoc. Aber dieser erstaunliche wein hatte nicht nur eine junge, dichte Farbe und eine zwar verhaltene, aber elegante Nase. Er war am Gaumen "straight", unerhört ktraftvoll, dabei etwas bitter und mit leichter Herbe 92/100. Erheblich besser kenne ich 1950 Troplong Mondot, der hier zumindest in der leicht oxidativen, von flüchtiger Säure dominierten Nase einen deutlichen Fehler hatte. Am Gaumen war er süß, zugänglich mit Schokolade und Toffee 84/100. Ohne die grenzwertige Nase sicher deutlich mehr.
Fr viel Gesprächsstoff sorgte danach die 1982 Pichon Comtesse. Jung die Farbe, pikant die Frucht, elegant, weich und schmeichlerisch mit langem Abgang der Gaumen. Aber wo war der geile schmelz der früheren Jahre? So blieb es bei "nur" 95/100. Völlig daneben aus der halben Flasche ein 1952 Vina Real, sonst eigentlich eine Bank. Aber diese Flasche, die keinen Kork oder sonstigen, erkennbaren Fehler hatte, war schlichtweg platt. Wahrscheinlich hatte sie in grauer Vorzeit mal etliche 40 Grad Sommer in einer spanischen Bodega im regal verbracht.
Ungläubiges Staunen dann, als eine 1979 Chasse Spleen Magnum aufgedeckt wurde. Sehr dichte Farbe, so jung, soviel Kraft, reichlich Tabak, etwas Minze, lang am Gaumen, diese Ausnahme-Magnum ging blind als jüngerer. "besserer" Wein durch 92/100.
Das Staunen ging weiter im nächsten Flight, denn wir hatten vermeintlich drei unterschiedliche, große Weine im Glas, aber es waren nur zwei. Da war also erstmal ein reifer, sublimer 1982 Penfolds Cabernet Sauvignon Bin 707, war zu Anfang der schönste Wein des Flights, weich, zugänglich, sehr aromatisch mit dezenter Exotik 96/100. Wird sicher nicht mehr besser und gehört in den nächsten Jahren getrunken. Der 1982 Penfolds Grange war ihm nur zu Anfang unterlegen, legte aber mit etwas Luft enorm im Glas zu und ging auf die Überholspur. Ein großer, reifer Grange, allerdings mit Potential für noch Lange Jahre. Süße Cassis-Frucht, Minze, Eukalyptus, dabei sehr fein und elegant, ein anderer Stil als die heutigen Boliden 98/100. Ja, dann war da noch das dritte Glas. Im Stil dem Grange nicht unähnlich, nur noch etwas jünger, dichter, süßer, unentwickelter. Des Rätsels Lösung war ein weiterer 82 Grange, aus wohl noch besserer, kühlerer Lagerung mit noch deutlich größerem Alterungspotential 96+/100.
Viermal Chateauneuf war danach angesagt. Ziemlich kaputt leider, oxidiert und anstrengend ein 1924 Chateauneuf-du-Pape von Calvet. Voll da hingegen mit intakter Farbe und sicher noch Potential für 15 weitere Jahre ein 1953 Chateauneuf-du-Pape von Barrière, malzig, süß, würzig mit burgundischer Fülle 93/100. Mehr hätte ich mir im Vergleich vom 1953 Chateauneuf-du-Pape Clos des Papes versprochen. Der war reif, schon sehr weit entwickelt, weich, aber auch ziemlich harmlos 89/100. Es gibt halt nicht nur gute Jahrgänge. Es gehört auch eine gute Flasche dazu. Die kann dann sogar in deutlich schwächeren Jahrgängen punkten, so wie der 1965 Chateauneuf-du-Pape Clos des Papes. Der war schlichtweg outstanding, so süß, so füllig, so aromatisch, eine Sensation für den Jahrgang 94/100.
Spannend dann auch eine Heitz-Paarung. Eine gewaltige Statur hatte der 1978 Heitz Martha s Vineyard. Reintönige, pure Frucht, viel Minze, Sattelleder, etwas Eukalyptus, packte den Gaumen durch das immer noch gute Tanningerüst und die kräftige Säure mit eisernem Griff, zeigte aber im Gegensatz dazu auch eine feine Süße. Ein großer Martha s mit noch viel Potential, der unbedingt länger vorher dekantiert gehört 96/100. Deutlich weicher, zugänglicher, offener der sehr minzige, längst nicht so konzentrierte 1982 Heitz Martha s Vineyard 94/100.
Sehr verschlossen danach ein 1986 Chateau Montelena mit massiven Tanninen und derzeit etwas stahlig wirkender Frucht. Der will wohl den Alterungswettbewerb mit den 86er Pauillacs gewinnen 92+/100. Ein schönes Glas voller Lebenslust dagegen der 2007 Chateauneuf-du-Pape Cuvée Chaupin der Domaine de La Janasse mit überbordender, würziger, süßer Frucht und explosiver Aromatik, Babyspeck pur, dabei von erstaunlicher Frische. Wird sicher mit den Jahren noch deutlich zulegen 96+/100.

Soweit der offizielle Teil der Probe. Anne Schorn berichtete mir am nächsten Morgen, dass Hardcore-Uwe und Co erst um vier Uhr mit sanfter Gewalt zum Verlassen der Gaststube bewegt wurden konnten. Von da unterscheiden sich Deutschland und die Schweiz nicht. Bei der oben beschriebenen Schweizer Probe wurde der gute Gregor in tiefer Nacht auch noch mit einem Pape Clement an der Bar gesehen. In beiden Fällen hatte ich mich rechtzeitig verdrückt. Ich bin inzwischen der Meinung, dass alle nach Mitternacht getrunkenen Weine Verschwendung sind. Proben bis zum Morgengrauen sind eigentlich 2-Tages-Proben, denn der nächste Tag ist definitiv hin. (wt 10/2010)