Braui meets Schorn

Spontan wurde die Idee im letzten Jahr geboren. Unter dem Motto "Braui meets Schorn" sollte für und mit einigen meiner Schweizer Weinfreunde in Düsseldorf in meinem Stammlokal Schorn eine Probe stattfinden. Im Januar 2008 war es dann soweit. Acht Schweizer Kampftrinker rückten, angeführt von Braui Wirt Werner Tobler, an. Verstärkt wurden sie von einem süddeutschen Braui-Fan und von Jörg Müller aus Sylt. Franz Josef Schorn legte sich mächtig ins Zeug und verwöhnte uns mit einem schönen Menü. Oliver Speh führte souverän wie immer den Kampf gegen widerspenstige Korken und brachte alle Weine perfekt temperiert auf den Tisch.

Als Begrüßungsschluck begannen wir mit einer 1983 Maximin Grünhäuser Herrenberg Auslese aus der Magnum. Die nun ja auch schon gut 24 Jahre merkte man diesem faszinierenden Wein nicht an. Immer noch sehr frisch wirkend mit delikater, traubiger Frucht und knackiger Säure, nicht zu süß, gut balanciert und einfach animierend am Gaumen 92/100.
Schwierig dann zum Amuse Bouche ein 1982 Clos de la Coulée de Serrant aus der Magnum. Auch der zeigte noch keinerlei Alter. Kräftiges Goldgelb, in der Nase Menthol und Petrol, aber auch etwas nussige Süße, Amaretti und eine Portion Schafstall. Am Gaumen furztrocken mit massiver Säure. Eine etwas gewöhnungsbedürftige Mischung aus Sherry und trockenem Kräuterlikör, die erst zum Essen etwas aufblühte 85/100. Kann sicher noch gut 30 Jahre altern, aber ich bezweifle doch sehr, dass dieser Wein irgendwann mal richtig Spaß macht.
Und dann ging die Post gleich richtig ab. Vor uns Jörg Müllers legendärer Gänseleber-Gugelhupf und dazu in den Gläsern drei sehr hochkarätige Süßweine. Honig ohne Ende, feinen Schmelz und gute Säurestruktur besaß die vibrierende 1967 Erbacher Marcobrunn Edelbeerenauslese von Langwerth-Simmern 95/100. Grandios aus dem besten Jahr, das Armin Diels Vater je in den Keller gebracht hat, eine 1967 Schloß Leyer Cabinet Goldloch Edelbeerenauslese vom Schlossgut Diel. Brilliantes Goldbraun, perfekt balanciert mit schmelziger Frucht und wunderbarem Süße-/Säurespiel, erst ganz am Anfang einer sicher noch etliche Jahrzehnte währenden Entwicklung 97/100. Schier erschlagen wurden diese beiden, sehr hochkarätigen, eher etwas feineren Weine von der unglaublichen Wucht der 1967 Deidesheimer Kalkofen TBA von Bürklin-Wolf. Brilliantes Dunkelbraun, das schon fast ins Schwarze ging und an uralte, große Yquems erinnerte. Ein unglaubliches Konzentrat mit irrer Süße und massiver, balancierender Säure, eine Crême Brulée, die nur aus Kruste besteht, dickflüssig wie Motoröl, wirkt fast etwas reduktiv und eingeköchelt, tapeziert den Gaumen nicht nur, sondern legt auch noch barocke Fresken mit an und bleibt ewig lang im Abgang, ein Monument 100/100.

Edelsüße Granaten aus 1967

Edelsüße Granaten aus 1967

Nach einem solchen Süßwein-Feuerwerk hat es eigentlich jeder anschließende Rotwein schwer. Da muss der Gaumen schon mehr als nur mit einem anständigen Schluck gespült werden. Das erledigte bravourös eine 1952 Pichon Comtesse de Lalande aus der Marie-Jeanne. Nicht nur die dichte Farbe zeigte wenig Alter. Die Comtesse war aus diesem, heutige nicht mehr gebräuchlichen Flaschenformat mit 2.5 l immer noch voll da mit toller Struktur, intaktem Tanningerüst und baute im Glas immer mehr aus. Speckige Nase, eine ganze Metzgertheke, überreife Banane, Pferdestall, Eukalyptus, Schwarztee, Süße, sehr würzig, die Comtesse änderte sich fortlaufend. Auch am Gaumen, wo sie erst etwas austrocknend wirkte, wurde die Comtesse immer generöser und runder 93/100. In gut gelagerten Großformaten ab Magnum sind bei diesem Wein sicher noch etliche Jahre Trinkvergnügen angesagt.

Großes Format - große Freude

Großes Format - große Freude

Mit drei Jahrgängen Angelus ging es weiter, die blind niemand von uns in die Fünfziger schieben wollte. Alle drei waren noch unglaublich dicht und minzig mit ebenfalls sehr dichter Farbe und gingen locker als 20 Jahre jünger durch. Der schwächste der drei war auf hohem Niveau der eher etwas rustikale 1959 Angelus in einer französischen Händlerabfüllung 89/100. Hier merkte man deutlich die jungen Reben. Nach den verheerenden Frösten Anfang 1956 waren auch in St. Emilion umfangreiche Neuanpflanzungen notwendig gewesen. Sehr sexy wirkte 1955 Angelus mit Latte Macchiato ohne Ende in der einfach geilen Nase, etwas karamellig, Tirami Su, einfach eine schöne Praline, dieser Wein 93/100. Der strukturierteste der Drei war 1953 Angelus, ein fleischiger, dichter, würziger Wein mit viel Koriander 94/100. Alle drei würde ich aus gutem Keller bedenkenlos nachkaufen (und bin bereits auf der Suche!).

Seit langen Jahren suche ich schon eine Ausrede, endlich mal den nächsten Wein zu öffnen. Jetzt war es soweit. 1900 Mouton Rothschild war weit mehr als nur ein Denkmal aus längst vergangenen Zeiten, vor dem man ehrfürchtig erstarren musste. Erstaunlich, wie vital dieser Wein noch war. Helle, aber klare Farbe, immer noch viel feine, rotbeerige Frucht, Erdbeernoten, frische Bisquitrolle, Früchtebrot, immer noch gute Säure und wunderbare Süße, wurde immer kräuteriger, minziger und baute sogar noch im Glas aus. Einer solchen, lebendigen Weinlegende mit Punkten gerecht zu werden, ist verdammt schwer. Vom reinen Genuss her waren da sicher immer noch deutlich über 90/100 im Glas, vom Erlebnis her reichen 100/100 kaum aus. Großes Erstaunen übrigens beim Dekantieren. Eigentlich hätte deutlich mehr in der Flasche sein müssen. Des Rätsels Lösung war ein bombenfest sitzendes Depot im Flaschenboden, das gut ein Viertel der Flasche einnahm.

Weiter ging es mit drei 53er Bordeaux. Ein sehr feiner, schmelziger, schokoladiger Wein war 1953 Gazin in einer deutschen Abfüllung des Hauses von Kapf - 93/100. Gehört sicher in den nächsten Jahren weg genossen. Eine perfekte Kopie des 82ers war der überraschend jugendliche, fast zeitlose 1953 Grand Puy Lacoste. Oder ist der 82er nicht eher die Kopie des 53ers? Dieser hier wirkte weder älter noch schwächer aus einer tollen Flasche mit wunderbarer Frucht 95/100. Sehr überzeugend auch 1953 Canon-la-Gaffelière in einer deutschen Bachmann-Abfüllung. Feiner, runder, eleganter und auch gereifter wirkend als der Grand Puy Lacoste, aber mit weniger Kraft und Struktur 94/100. Wieder mal ein Beweis für die überragende Qualität alter Canon-la-Gaffelières und die hohe Qualität dieses Terroirs.

Alle 3 Weine des nächsten Flights hätten in der Form, in der sie sich an diesem Abend präsentierten, auch aus den 80ern stammen können. Alle drei 55er Pomerols waren perfekte, große, komplette Weine mit superdichter Farbe. Sehr schön wieder der kraftvolle 1955 Trotanoy in einer belgischen Händlerabfüllung. Hier stört auf sehr hohem Niveau lediglich etwas die bei einigen 55ern anzutreffende, deutliche Säure 95/100. Unglaublich gut der dichte, komplexe 1955 Conseillante, ein irrer Stoff, der als jüngerer Zwilling der 47er Vandermeulen-Version durchgeht 98/100. Superdicht und konzentriert auch 1955 Lafleur, sehr jung wirkend mit der typischen, kräuterigen Würze, heute 97/100, in 10 Jahren durchaus noch mal 2+ mehr. Ein Wein gemacht für die Ewigkeit.
Dieser Flight hätte der Höhepunkt einer jeden Probe sein können, doch bei uns kam es noch besser. Es war, als hätten sich die Weine meines Kellers verschworen, wirklich alles zu geben. Langsam bekam ich mit meiner Bewertungsskala Probleme. Die Legende 1955 La Mission Haut Brion war in dieser Vandermeulen-Flasche mit ihrer geilen Süße voll auf dem Punkt und einfach perfekt, meine bisher mit Abstand beste Flasche dieses Weines. Schöner und größer geht La Mission in dieser Form einfach nicht, und perfekt heißt nun mal eigentlich 100/100. Doch der mächtige, unglaublich gut strukturierte 1955 La Tour Haut Brion in einer R&U Abfüllung setzte da sogar noch mal leicht eins drauf. Und um das Maß vollzumachen, bügelte der außerweltliche 1920 Smith Haut Lafite in einer Eschenauer-Abfüllung gleich beide Weine platt. Keinerlei Zeichen von Schwäche zeigte dieser fast 90 Jahre alte, schier unglaubliche Weinriese. Wie hat so etwas in der Jugend geschmeckt? Wie lange war der bei diesem Tanningerüst untrinkbar? Und warum enstehen bei dem ja unzweifelhaften Potential dieses Terroirs auf Smith Haut Lafite heute keine vergleichbaren Weine? Das musste ich eigentlich erst mal alles verdauen, doch vor mir stand schon die nächste Weinlegende. Oliver Speh drängelte nicht zu Unrecht mit dem aus gutem Grund als Solitär vorgesehenen 1928 Pavie, weil wir mit den Bordeaux durch waren. Zweimal hatten wir an diesem Abend dieses unglaublich konzentrierte, jung wirkende Mörderteil schon zurückgezogen, weil es einfach nach mehr Luft schrie. Jetzt stand er also vor uns, der zusammen mit 1929 wohl beste Pavie aller Zeichen. Ein Wein von der Sorte, die einfach sprachlos machen, so komplex, so hocharomatisch, so dicht und zupackend mit einem Tanningerüst für 50 weitere Jahre. Da blieb keine andere Wahl, ich musste wieder die 100/100 zücken.

Werner Tobler mit 47 Chambertin Vandermeulen

Werner Tobler mit 47 Chambertin Vandermeulen

So konnte das eigentlich nicht weitergehen, doch im nächsten Flight wartete bereits einer der besten, auf diesem Planeten je gemachten Weine. Vier Stunden vorher(!!!) hatten wir den 1947 Chambertin Vandermeulen in weiser Voraussicht dekantiert. Das war diesem Ausnahmewein ausgesprochen gut bekommen. Der sprang förmlich aus dem Glas und spielte in der Nase und am Gaumen ein unglaubliches Feuerwerk ab. Gut möglich, dass es jetzt das 50. Mal war, dass ich die 100/100 erleben durfte, die dieser Wein so eindrucksvoll rüberbringt. Da hätte der 1947 Gevrey Chambertin von R&U ohnehin kaum mithalten können. Ein Kork ersparte ihm die mögliche Blamage. Ohne wäre das wohl in jedem Fall ein recht schöner, fülliger Burgunder auf 92/100 Niveau gewesen. Doch der eigentliche Star dieses Flights war für mich ein völlig überraschender 1947 Campo Grande von Sogrape aus Portugal. Auch der wieder mit einer unglaublich dichten, jungen Farbe, immer noch mit herrlicher Frucht, auch am Gaumen kraftvoll, sehr lang und komplex, insgesamt deutlich jünger wirkend, ein verrückter Wein mit einer für Portugal geradezu atemberaubenden Qualität 97/100.

Hans im Glück - so fühlte sich Bruno

Hans im Glück - so fühlte sich Bruno

Doch die Überraschungen hörten nicht auf. Unweigerlich fiel mir beim nächsten Flight folgender Spruch ein: Die besten Bordeaux kommen aus Burgund und die besten Burgunder von der Rhone. Drei Chateauneufs hatten wir vor uns stehen. Sehr gut gelungen der 1952 Chateauneuf-du-Pape von R&U, noch lange nicht am Ende, mit viel Mokka und feiner Süße 94/100. Riesengroß 1947 Chateauneuf-du-Pape von Drapier, eine Orgie für Gaumen und Nase mit massig Mokka und Schokolade, mit malziger Süße und reichlich getrockneten Kräutern, entwickelte sich wunderbar im Glas und wurde immer süßer und kräuteriger 98/100. Wer mich jetzt angesichts dieser Punkte-Inflation für verrückt hält, dem kann ich nur sagen: alte Chateauneufs sind eines der bestgehüteten Geheimnisse der Weinwelt. Kein Wunder, haben diese Weine doch in der Regel keine klangvollen Namen und keine bekannten Erzeuger. So bringen diese Weine eben auch keinerlei Sozialprestige und kein superreicher Russe, kein Chinese und kein amerikanischer Internet-Milliardär würde sich jemals an einen solchen Wein herantrauen. Damit bleibt für den "Rest von uns" zwar auf dieser Erde kein Petrus mehr übrig, dafür aber bei sorgfältiger Suche und Kauf aus einwandfreier Lagerung für einen im Vergleich lächerlichen Betrag eine ähnliche, wenn nicht sogar bessere Qualität. In extrem überzeugendem Maße galt das auch von mir völlig unerwartet für den 1942 Chateauneuf-du-Pape Reserve des Papes von Salavert aus diesem nicht einfachen Kriegsjahr. Der war voll auf dem Punkt, ebenfalls sehr süß und setzte mit seiner unglaublichen Komplexität auf den 47er noch mal deutlich eins drauf. Ein Ausnahmewein, der es in dieser Form in die Neuauflage meiner Top 100 schaffen wird und für den es nur eine, mögliche Bewertung gibt: 100/100.

Burgunder aus 1937

Burgunder aus 1937

Weiter ging es mit dem legendären Burgunderjahr 1937. Ein Traumjahr für Burgunderfans mit einer kleinen Ernte sehr hochwertiger Weine, die mit guter Tanninstruktur über die Jahrzehnte perfekt reiften und zum Teil noch sehr lange Spaß machen werden. Auf sehr hohem Niveau der kleinste und kompakteste der drei 37er Riesen, die da vor uns standen, war ein 1937 Hospice de Beaune von Abel Porte, gut gereift, aber durch die kräftige Säure noch lange nicht am Ende 95/100. Auf dem Punkt ein perfekt gereifter 1937 Echezeaux von Labouré-Roi mit toller Süße 97/100. Primus inter pares war ein 1937 Musigny Reserve de la Grande Restauration von Antonin Rodet, ein Prachtburgunder, unglaublich dicht, kraftvoll, komplex mit feiner Süße und deutlicher, kräuteriger Note, Burgund vom Allerfeinsten und in dieser Form sicher noch mit Reserven für einige Jahrzehnte 98/100.
Burgund blieb auch im letzten Flight dieser Probe unser Thema. Weit nach Mitternacht war es inzwischen und eigentlich Zeit für süße Träume. Dazu schafften Burgunder aus dem Jahrgang 1919 den perfekten Übergang. 1919 zählt mit 1915 und 1911 zu den glorreichen Drei des Burgund, Jahre, in denen Weine wie von einem anderen Stern erzeugt wurden. Selbst der leider korkige 1919 Nuits von Misserey war trotz dieses Fehlers immer noch genießbar und deutete seine gewaltige Klasse an. Trotz gut 8 cm Schwund war auch ein 1919 Nuits St. Georges von Guichard Potheret ein herrlich gereifter Burgundertraum, der trotz seiner nunmehr fast 90 Jahre immer noch ein beachtliches Standvermögen zeigte 95/100. Star des Flights ein gewaltiger 1919 Richebourg von C. Marey&Cie, der mit seiner perfekten Struktur, seiner Komplexität und mit toller Süße selbst zu nachtschlafender Zeit noch mal alle Sinne forderte 98/100.

Gut 8 Stunden haben wir in sehr harmonischer, freundschaftlicher Runde zusammen gesessen, bestens verwöhnt von der Mannschaft des Restaurant Schorn. Der Flaschengott war uns extrem hold gewesen, kaum Ausfälle und viele Flaschen in absoluter Bestform. Das "Braui-Team" war eine echte Bereicherung, und die Probe schreit nach Wiederholung.