Endlich mal ein richtiger 1961 Latour?

Dreimal habe ich in den letzten Monaten auf gut Deutsch in die Kacke gehauen, dreimal große Vorfreude auf diese unsterbliche Weinikone, dreimal tiefe Enttäuschung, als in der Flasche alles war, nur kein 1961 Latour. Sollte das diesmal anders sein bei Elke Dreschers feiner Latourprobe?

Da war sie wieder, diese Vorfreude auf den 1961 Latour. Elke Drescher hatte ihn als Höhepunkt ihrer Latourprobe angekündigt. Also machte ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg nach Wachtberg. Der Gedanke an den Latour wirkte wie Rückenwind. Die 110 km vergingen fast wie im Fluge. Kurz im Hotel eingecheckt, frisch gemacht und dann weiter zum Stammsitz von Rare Bordeaux Weine.

Elke Drescher empfing uns mit einem köstlichen Billecart Rosé aus der Magnum. Uns, das waren Weinnasen aus der ganzen Republik, aus Österreich und der Schweiz, die sich diesen seinerzeit rasend schnell ausgebuchten Event nicht entgehen lassen wollten. Die charmante Elke gehört zu den profiliertesten Raritätenhändlern der Republik und ist eigentlich Garant dafür, dass die Flaschen nicht nur ihrer Proben echt und von makelloser Herkunft sind. Aber würde das auch für den 61er Latour gelten?

Gespannt nahmen wir an der langen Tafel Platz, wo wir zwischen den Flights durch das Team des Kölner Kap am Südkai mit einem formidablen Menü verwöhnt wurden. Von Alt nach Jung verlief die Probe, und gleich der erste Flight war die Reise wert. Keine Spur von Müdigkeit bei 1918 Latour, ein großer, reifer Latour mit sensationeller Nase, sehr kräuterig, Lakritz, ein wunderbarer Hustensaft, der ihn zum perfekten Apothekenwein machte. Schade dass man sich so etwas nicht verschreiben lassen kann. Immer noch erstaunlich dichte, intakte Farbe, am Gaumen kraftvoll auftretend mit deutlicher Säure, aber auch mit generöser Süße 92/100. Deutlich älter wirkte da im direkten Vergleich der 1947 Latour, helle, bräunliche, verwaschen wirkende Farbe, gezehrt und leicht säuerlich die Nase, auch der Gaumen leicht säuerlich. Zwischendurch blitzte immer mal wider die einstige Klasse dieses Weines auf, aber das war sicher nicht die beste Flasche, 47 Latour geht deutlich besser 83/100. Dafür bekamen wir 1950 Latour in Bestform, intaktes, brilliantes Granatrot mit dezentem Braunrand, sehr feine, pikante Frucht, zu der sich in der betörenden Nase Trüffel, Leder und die klassische, leicht bittere Walnuss gesellten, am Gaumen mineralisch, kräftig, sehr elegant mit guter Länge, ein absolut stimmiger Wein, der deutlich jünger wirkte 95/100.

Und dann kam 1961 Latour, tief und undurchdringlich die Farbe, in der Nase und am Gaumen noch so jung, so dicht, so kraftvoll und lang, entwickelte sich im Schneckentempo und brauchte reichlich Zeit und Luft, die Essenz von Cabernet, gehörte tröpfchenweise mit der Pipette auf den Gaumen, wo dann jeder einzelne Tropfen explodierte. Wer diesen Wein zu schnell trank, bekam nur die Hälfte mit. Die 100/100 dieses unsterblichen Monumentes wurden nur in den Gläsern sichtbar, die die klügeren unter uns längere Zeit aufhoben. Im anderen Glas ein echter Charmeur, was bei Latour eher selten ist. Sehr elegant, charmant und schmeichlerisch war dieser 1964 Latour, das immer noch intakte Tanningerüst am eher etwas schlanken Gaumen durch den süßen Schmelz gut überdeckt, baute enorm im Glas aus, wurde immer schöner und zeigte viel Länge, jede Suche wert 95/100.

Spannend dann die beiden nächsten Paarungen. Der eigentliche Geheimtipp bei Latour ist nicht der Grand Vin, der sich ja immer mehr in unerreichbare Preisregionen verabschiedet, es ist der Les Forts de Latour. In der ersten dieser beiden Paarungen war 1971 Latour in Bestform, eine meiner bisher besten Flaschen, Latour pur, immer noch kraftvoll, aber auch so verführerisch schön mit dichter, junger Farbe, mit reichlich schwarzer Johannisbeere, mit toller Statur und Struktur, gehört eigentlich zu zweit in großen Schlucken aus der Magnum getrunken, wunderschöne Süße am sehr langen Gaumen 95/100. Etwas heller in der Farbe der 1971 Les Forts de Latour, nicht ganz so dicht und konzentriert, etwas metallisch, aber nicht unangenehm die pikante Johannisbeere, die hier rot war, gute Säure und stabiles Rückrat, bleibt sehr schön am Gaumen haften und erinnert an jüngere Grand Puy Lacoste. In guten Flaschen wie dieser ein echter Geheimtipp und jede Suche wert 92/100.

Ein Gigant dann 1970 Latour, der ebenfalls nach Zeit und Luft schrie. Das ist immer das Dilemma bei Proben mit solchen weinen. Welches Risiko geht man da ein. Wie lange dekantiert man vorher. Riskiert man, dass der wein in der Karaffe stirbt, bevor die Gäste da sind? Ich bin kein Freund des ewig langen tot dekantierens. 1-2 Stunden müssen reichen. Lieber den Wein später noch eine Weile im Glas halten, als später den Gästen erzählen müssen, wie schön der wein doch vorhin war, als diese noch im Hotel in der Badewanne lagen. So begann dieser Latour erst sehr verhalten, zeigte sogar leicht störende, grasige Noten in der Nase. Aber die verschwanden mit Luft im Glas rasch. Der Latour ging auf die Überholspur und schaltete in den obersten Gang. Was für ein gewaltiges Monument mit immer noch junger, schwarzer Johannisbeere in der immer komplexer werdende Nase, so eine intensive, druckvolle Aromatik am Gaumen, die typische Latour-Walnuss-Bitternote im ewigen Abgang, ein immer noch extrem jung und kräftig wirkender Latour für locker 30 weitere Jahre 99/100. Den mal im Dreierflight mit 82 und 61, und das bitte im kleinen Kreis. Dafür würde ich auch 1000 km mit dem Rad fahren. Natürlich konnte der ebenfalls sehr dichte, kräftige 1970 Les Forts de Latour mit der Dramatik des Grand Vin nicht mit. Aber einzeln getrunken ist das eine perfekte, kleinere Kopie des Latour, ebenfalls noch sehr jung und mit viel Potential, die als Solitär sicher noch besser abschneidet 91+/100.

Dann zwei kleinere Les Forts als Zwischenspiel. Der 1985 Les Forts de Latour hatte viel Brett in der Nase, aber auch eine schöne Frucht. Er war voll da, ein gut trinkbarer, kleiner Charmeur, dem aber der Tiefgang besserer Jahrgänge fehlte 85/100. Eigentlich bin ich ja ein Fan der 88er Bordeaux, aber was sollte ich jetzt von diesem 1988 Les Forts de Latour halten? Der kam, leider undekantiert, uncharmant, sperrig, ziemlich fruchtlos mit astringierenden, bitteren Tanninen ins Glas. Dort entwickelte er sich mit der Zeit etwas, ließ mich aber ratlos. Kann der noch verschlossener sein als der Grand Vin des gleichen Jahrgangs, der sich bereits stückweit öffnet? Ich werde es wohl kaum ausprobieren können. In meinem Keller liegt er nicht und für die geradezu lachhaften Preise, die dafür derzeit verlangst werden(teilweise >200 Euro), lege ich mir dafür auch keine Flasche mehr zu. Schade, wüsste zu gerne, ob er zu den 86/100 ein "+" verdient. Wer ihn hat, ruft mich bitte in 10 Jahren mal an.

Und dann kam der großartige 1983 Latour ins Glas, so eine Art 1971er mit Turbolader, immer noch so jung, so dicht, so druckvoll, aber gleichzeitig voll da, einer der derzeit schönsten, trinkbaren Latours überhaupt 96/100. Von 2002 Latour kann man das derzeit nicht behaupten. Das ist ein mächtiger Brocken mit straff gewirkter, dunkler Frucht, der Zugänglichkeit derzeit nur oberflächlich vortäuscht. Aber es ist ein Wein mit gewaltigem Potential. 2005 bei der Mövenpick-Arrivageprobe habe ich ihn spontan mit 97/100 bewertet und Mövenpick um die restlichen Bestände erleichtert. Nur sind jetzt etliche Jahre Geduld gefragt. Derzeit kommen da 92+/100 ins Glas, mehr wohl erst in 5, deutlich mehr in 10 Jahren.

So ist eben Latour. Entweder kauft man den in der Subskription für Kinder und Kindeskinder. Oder man erwirbt für den eigenen Genuss aus zuverlässigen Quellen reifere Jahrgänge. Reife misst sich bei Latour allerdings nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten. Das zeigten auch deutlich zwei weitere, potentielle Superstars, mit denen unsere feine Latourprobe endete. Blutjung mit bissigen Tanninen, aber auch mit herrlicher, präziser Frucht kam der 1995 Latour ins Glas, ein gewaltiges Konzentrat mit bescheidenen 12,5% Alkohol und sehr hohem Extrakt, ein 97/100 Kandidat, den wir hier mit 92+/100 im Glas hatten. Vor ein paar Monaten durfte ich diesen Wein mal über Stunden aus der Magnum verfolgen. Da wird richtig was draus. Das gilt auch für 1996 Latour. Der zeigte sich in einem erstaunlichen Zwischenhoch, superreife, konzentrierte Frucht, mächtige, aber aus dieser Flasche erstaunlich reif und fast zahm wirkende Tannine, jede Menge Struktur, Kraft, Rasse und Klasse, ein 99/100 Kandidat in 10 Jahren, der dann perfekt in die Linie 61-70-82 passt 96+/100.