Chateau Latour

Einer der berühmtesten und zweifelsohne einer der besten Weine der Welt ist Chateau Latour. Kein hochgezüchteter Newcomer, sondern einfach ein hochklassiges, geschichtsträchtiges Terroir, auf dem seit Jahrhunderten Spitzenweine erzeugt werden. Zu den Premier Grand Crus gehört Latour nicht erst seit der Klassifikation von 1855. Ich habe vor kurzem ein Weinbuch aus dem Jahre 1822 gekauft mit dem Titel: Topographie de tous les Vignobles Connues, von A. Jullien. Darin werden im Bordelais vier Premier Crus beschrieben, Le clos Lafitte, le clos Latour, le clos du Chateau-Margaux und le Haut Brion. Zu Latour heißt es dort im französischen Originaltext : Le clos Latour produit des vins qui ont plus de corps et d étoffe que les précédents ; ils ont de même beaucoup de séve et un bouquet très prononcé : mais ils sont moins fins et moins soyeux. Körperreiche, stoffige Weine also mit ausgeprägtem Bouquet und viel Schwung, die dafür weniger fein und seidig als die übrigen Premiers sind. Eine treffende, fast 200 Jahre alte Beschreibung, die auch heute noch Gültigkeit hat. Übrigens sprach man seinerzeit bei den meisten Gütern auch noch nicht von Chateau, was sich erst später als Gattungsbezeichnung einbürgerte und mit den Gebäuden als solches überhaupt nichts zu tun hat. Ein richtiges Chateau, also etwas Schloß-ähnliches, wird man auf Latour ohnehin vergeblich suchen. Latour besteht gebäudemäßig aus einem kleinen Herrenhaus, einem hochmodernen Keltergebäude und dem eigentlichen Wahrzeichen des Gutes, dem freistehenden Taubenturm. Der eigentliche Star des Gutes sind die rund 600.000 Reben, die den edlen Saft für gut 350.000 Flaschen Wein ergeben. Billig war Latour sicher nicht, als der bertonische Milliardär Francois Pinault es 1993 über seine private Holding Artemis kaufte. Aber sogar fast ein Schnäppchen, wenn man die heutige Preisentwicklung betrachtet.

Alle zwei Jahre lädt der sehr engagierte Leiter des Gutes, Fédéric Engerer, zu einer Verkostung älterer Latour-Jahrgänge in kleinerem Kreise ein. Wineterminator hatte in diesem Jahre die große Ehre, dabei sein zu dürfen. Wir trafen uns zunächst im Verkostungsraum des Keltergebäudes, wo jüngere Jahrgänge zur Verkostung bereitstanden. So kam ich dann auch in den Genuss meiner einzigen 2006er Fassprobe. 2006 Latour war ein sehr fleischiger, saftiger, voller Wein mit guter Frucht, viel Substanz und stabilem Gerüst recht reifer Tannine, sicher in der 94-96/100 Klasse, der sich erstaunlich zugänglich zeigte. Sicherlich ein gut gemachter Wein, den ich früher spontan gekauft hätte. Aber für € 450 pro Flasche? Das ist ziemlich genau das Dreifache dessen, was ich für 2004 Latour bezahlt habe. Der präsentierte sich auf dieser Verkostung als sehr gelungener, klassischer Latour auf 95/100 Niveau mit großartiger Zukunft. Für mich auf einem Niveau mit 2006 und deutlich besser als 2001, 2002 und 2003. Wer Latour liebt und diesen Wein nicht hat, sollte alles daran setzten, ihn noch zu kaufen. Sicher mag der Preis inzwischen angezogen haben, doch sollte er immer noch deutlich unter 2006 liegen. Also, liebe Freunde, lasst den 2006er den Spekulanten. Deckt Euch lieber mit 2004 ein.
Enttäuscht war ich, wenn auch auf hohem Niveau, von 2003 Latour. Sicher ist das ein wunderbar zu trinkender Wein mit spontan anmachender, offener, von Röstaromen geprägter, rauchiger Nase. Gut, der 2003er ist jetzt in seiner Fruchtphase. Da wirken fast alle Bordeaux recht zugänglich und trinken sich wunderbar, bevor sie sich dann für etliche Jahre verschließen. Trotzdem fehlte mir bei diesem Wein einfach die Struktur. Klar, analytisch hat dieser Wein wohl entsprechendes Tannin und Säure, die sich irgendwo unter der opulenten Frucht verbergen. Robert Parker, der diesen Wein mit 100/100 adelt, spricht davon, dass er sich ähnlich trinkt wie der 82er im gleichen Stadium. Meine Notizen sprechen da eine andere Sprache. Vom 82er war ich 1987 hellauf begeistert. Der 2003er ist derzeit Easy Drinking auf hohem Niveau, ein einfach zu verstehender Premier Cru, mit dem man auch bei sonst Bier-trinkenden Gästen punkten kann 94/100.
Sehr verschlossen und geradezu mager wirkend 2002 Latour. Mir kam er vor wie ein großes T-Bone Steak ohne Fleisch. Läuft derzeit sicher durch eine schwierige Phase. Mehr als mit gutem Willen 91/100 hatte ich da nicht im Glas. Besser die nächsten 5-10 Jahre in Ruhe lassen. Da kommt dann wieder was. Auf der 2002er Arrivage-Probe war das 2005 für mich mit 97/100 noch der Wein des Jahrgangs. Sehr schön trank sich 2001 Latour. Der schält sich so langsam wieder aus dem vinologischen Winterschlaf und dürfte in den nächsten Jahren sicher noch mehr als die heutigen 92/100 bringen. Sicher immer noch ein guter Kauf und ein Latour, auf den man kein Jahrzehnt mehr warten muss, und der gut 20 Jahre lang Trinkspaß bringen wird. Ganz großer Stoff dann 2000 Latour. Dieser Grand Vin hat alles im Überfluss. Da sind massig Substanz, Kraft, Frucht und Fülle. Dazu ein perfektes Tanningerüst. Ein Riese mit unglaublicher Komplexität und endlosem Abgang. Dabei nicht fett, sondern sehr klar und pur wirkend. Ein Monument, das heute schon sehr viel zeigt und für mich deutlich eher als der überschätzte 2003er das Zeug zum 100 Punkte Wein hat 98+/100.
Ein klares Fazit hatte für mich hatte diese kleine Verkostung jüngerer Jahrgänge. Latour erzeugt derzeit auch in kleineren Jahrgängen Riesenweine. In Zukunft wird sich ein Normalsterblicher wohl das, was dann bei Herrn und Frau Milliardär von livrierten Dienern zum Lunch serviert wird, nicht mehr leisten können. Deshalb sollten Latour-Fans bei den Jahrgängen 2001, 2002 und 2004 auf Auktionen und bei Händlern nach günstigen Angeboten Ausschau halten und dann unbedingt noch mal zuschlagen.

Für den zweiten Teil der Verkostung hatte sich Frédéric Engerer etwas Spannendes ausgedacht. Auf der Terrasse des Herrenhauses wurde ein dekantierter Champagner serviert. Dessen letzte Jahreszahl sollte uns dann durch die komplett blind durchgeführte Verkostung begleiten. Dass wir Krug im Glas hatten, war unschwer zu erkennen. Aber was für ein Jahrgang. Ich fand ihn sehr reif und war damit nicht alleine. Aber was konnte das sein? 1971 oder 1976, vielleicht sogar 1969. Mit letzterem hätten wir dann wenigstens die richtige Endziffer gehabt, denn auf 1989 Krug wäre ich nicht im Traum gekommen. Lagern die in Bordeaux ihre Champagner auf dem Speicher? So marschierte ich also etwas ratlos und tatsächlich "blind" in die anschließende Verkostung.

Insgesamt 8 Weine waren jetzt angesetzt, alle mit der Endziffer des Champagners. Getrunken wurden die Weine paarweise, wobei in zwei Paarungen jeweils identische Jahrgänge aus unterschiedlicher Lagerung stehen sollten, und in zwei Paarungen unterschiedliche Jahrgänge. Eine knifflige Aufgabe auch für die Experten unter den 30 Teilnehmern, zu denen unter anderen auch Chisties Chef David Elswood, Frankreichs Wein-Ikone Michel Bettane und James Suckling vom Wine Spectator gehörten. Recht vorsichtig und verhalten denn auch die Kommentare der Experten zu den einzelnen Flights. Auch hier hatte Engerer nichts dem Zufall überlassen. Über vorher verteilte Nummern war festgelegt, wann wer zu welchem Flight etwas zu sagen hatte. Perfekt organisiert, wie ein Kindergeburtstag für große Jungs. Klar, auch für Experten ist eine solche Aufgabe nur schwer lösbar. Das ist nun mal das Wesen einer Blindprobe. Da blamiert sich eigentlich nicht, wer etwas Falsches sagt, sondern nur, wer aus lauter Angst gar nichts sagt.

Ein paar Tage nach der Probe rief mich übrigens aufgeregt ein deutscher Freund an, der mit mir bei dieser Probe gewesen war. "Hast Du den Blog von James Suckling gelesen. Das ist ja unglaublich, was der da behauptet." Auch James Suckling hatte, als er an die Reihe kam, einen ziemlich nichtssagenden Kommentar abgegeben, wofür er sich nicht zu schämen brauchte. Kaum einer der Anwesenden, mich natürlich eingeschlossen, war viel weiter. Doch in seinem Blog stand jetzt wörtlich: So I stood up and I explained my thoughts about the No. 6. I basically said what I had thought about to myself, and I added that I thought that it might be the 1928 as well, but the wine had darker color and better balance. The 1928 is a bit more garnet and dry, and the volatile acidity is higher."No. 6, in my opinion, is the 1929, I said to the group. "And No. 5 is not the 1949 as NK says, but the 1899. I looked at people"s faces. And some looked impressed. Hat der das nötig? Was soll oder muss man von einem Weinjournalisten halten, der Dinge dermaßen verdreht und sich selbst beweihräuchert? Hier ist der Link zum Blog von James Suckling.

Zurück zu den Weinen. Frédéric Engerer hatte vor kurzem von der Familie Ségur eine größere Menge älter Jahrgänge Latour kaufen können. Diese Weine hatten in einem sehr feuchten, eiskalten Keller in einem Schloß im Loiretal gelegen und waren alle noch originalverkorkt/was ich bei alten Weinen ohnehin bevorzuge). So erlebten wir an diesem Abend deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Flaschen. Insgesamt wirkten die Weine aus dem Schloss der Ségurs etwas frischer.

Schon die erste Paarung zeigte, was Latour gerade in kleineren Jahren schafft und wie gut Latour altert. Die erst etwas verhaltene Nase des 1909 Latour öffnete sich zunehmend und zeigte einen schönen Trüffelton, aber auch etwas nasse Pappe, reife Farbe mit deutlichem Alter, am Gaumen bei aller Fragilität erstaunlich generös, süß und füllig, trotz deutlicher Säure sehr balanciert wirkend mit schöner Länge am Gaumen. Ein fast 100 Jahre alter Wein aus einem kleinen Jahr, der sich so wunderschön trank, da sind die 92/100 für den reinen Genuss sicher angebracht, dem Erlebnis werden sie nicht gerecht. Eine etwas dichtere Farbe hatte im zweiten Glas 1919 Latour. Dazu für einen alten Wein geradezu eine Supernase mit fast explosiver Aromatik. Trüffel, Waldboden, Pilze wunderschön. Am Gaumen störte erst die doch sehr kräftige Säure, die sich aber mit der Zeit glättete. Auch dieser Wein zeigte eine gute Fülle und Länge, einfach ein perfekt gereifter, klassischer Latour 93/100.

Zwei völlig unterschiedliche Weine hatte ich im nächsten Flight vor mir, die aber von der dichten Farbe her optisch fast identisch schienen. 1949 Latour im besseren der beiden Gläser war bei aller Kraft so seidig mit irrer Länge, mit seiner subtilen Eleganz eine Art Cheval Blanc von Latour, ganz großer Stoff 97/100. Im anderen Glas der gleiche Wein, aber grün wirkend mit unreifen Tanninen, machte wenig Freude 88/100. Womit mal wieder bestätigt war, dass es keine großen Weine gibt, sondern nur große Flaschen. Wer eine solche Ikone für sehr viel Geld auf einer Auktion erwirbt, kann auch beim Glas #2 landen und dann ist die Enttäuschung groß.



Deutlich wurde das auch im nächsten Flight. Jeweils drei Flaschen standen für insgesamt 30 Gäste zur Verfügung. So kam ausreichend Wein ins Glas. Die Gläser selbst waren farblich markiert, um die unterschiedlichen Flaschen anzuzeigen. Jeder konnte so beliebig mit seinen Nachbarn tauschen, und es gab ein riesiges Glasgeschiebe am Tisch. Nötig war das vor allem bei 1899 Latour. Eine Flasche war völlig untrinkbar, eine hatte wenigstens eine schöne Nase, die dritte schließlich war ein Traum. Ein zeitloses Monument mit intakter, bräunlicher Farbe, feiner Süße, leichtem Erdbeerton und der unendlichen Eleganz eines perfekt gereiften, großen Weines 98/100. Bei 1929 Latour gab es im wesentlichen 2 Varianten. Die erste Flasche reduktive, eingekochte Nase, auch am Gaumen nur ein Schatten der besseren Flasche. Die Zweite mit sehr schöner, lakritziger Nase, auch am Gaumen wunderschön, immer noch mit viel Kraft, sicher auf 96/100 Niveau.

Höhepunkt der Verkostung dann 1959 Latour in zwei Varianten. Grandios die ex-Chateau Flasche. Superfarbe ohne jedes Alter, vielschichtige Traumnase, auch am Gaumen so dicht, so jung, so kraftvoll, unglaublich komplex, Latour in Vollendung, ein Weinmonument, gemacht für die Ewigkeit 99/100. Die Flaschen aus dem kalten Loire-Keller wirkten erstaunlicherweise etwas reifer mit einer Extra-Portion Süße, aber auch kräuterigen, floralen Aromen 98/100.

Wehmütig blickte ich während der Verkostung häufiger durch die große Panoramascheibe in den Barriquekeller von Latour. Werden solche Verkostungen angesichts der Preisentwicklung in Bordeaux in 10 Jahren noch möglich sein und werden dann hier noch Europäer mit am Tisch sitzen dürfen?