Chateau Talbot

Als kleinerer Bruder von Gruaud Larose galt Chateau Talbot lange Zeit. Liegen doch beide Güter nicht nur nebeneinander, bis zum Verkauf von Gruaud Larose 1983 gehörten sie auch beide zum Haus Cordier und waren dessen Flagschiffe. Talbot stand zwar immer etwas im Schatten von Gruaud, dem kräftigeren, körperreicheren Wein. Beides sind jedoch klassische St. Juliens, die ihre Höhepunkte in den 80er Jahren mit den grandiosen Jahrgängen 1982 und 1986 hatten.

Eine Vertikalprobe von Chateau Talbot gab kürzlich Gelegenheit, etliche Jahrgänge dieses Chateaus im Vergleich zu probieren. Zusammen mit einer Runde von 8 sehr sympathischen, im positiven Sinne weinverrückten Wissenschaftlern probierte ich mich durch Höhen und Tiefen dieses Gutes.

Zweimal Licht und zweimal Schatten gleich im ersten Flight des Abends. Recht gut gelungen 2003 Talbot mit guter, beeriger Frucht und sehr viel Charme. Sicherlich nicht für die Ewigkeit gemacht, dazu hat er einfach wie viele andere 2003er auch zu wenig Struktur 90/100. Schlichtweg grauenhaft an diesem Abend 2002 Talbot. Einfach nur bitter und ungenerös. Wenn dieses ziemlich untrinkbare Zeugs wenigstens noch eine schöne Nase gehabt hätte, aber selbst da war Fehlanzeige 75/100. Auch 2001 Talbot nicht gerade ein Ruhmesblatt. Als "klassisch" preisen Händler gerne Bordeaux an, die zu viel sperrige Tannine und zu wenig Frucht haben. Einen solchen "Klassiker" hatten wir jetzt im Glas. Der wird wie 2002 auch nicht besser werden, sondern langsam austrocknen 84/100. Sehr gut gefiel mir 2000 Talbot mit runder, schmelziger Frucht und weichen, aber durchaus präsenten Tanninen. Der verband die Zugänglichkeit des 2003er mit mehr Struktur und deutlich besserer Lagerfähigkeit 92/100.

Das Licht-/Schattenmuster behielten wir auch im nächsten Flight bei. 1998 Talbot wirkte schon von der Nase her recht weich, aromatisch und zugänglich. Am Gaumen ein fruchtbetonter, feiner Wein mit aromatischer Fülle und viel Schmelz, trinkt sich derzeit einfach sehr gut 91/100. Nicht behaupten konnte man Letzteres von 1997 Talbot. Der wirkte in der Nase kräuterig, medizinal mit viel Jod, aber wenig Frucht. Am Gaumen war er kurz und schwächelte bereits deutlich. Ein Wein, der sich bereits massiv auf dem Abstieg befand 84/100. Trotzdem ist der 97er Talbot ein unbedingter Kauftipp. Allerdings nur für Leute, die derzeit überlegen, sich den Keller voll 2007er zu knallen. Die sollten erstmal eine Flasche 1997er Talbot kaufen und dann bei deren Genuss noch mal in Ruhe nachdenken. Nicht nachdenken musste ich bei 1996 Talbot. Den habe ich gleich am Tag nach der Probe per Internet gesucht und nachgekauft. Ein fantastischer Wein wie aus einem Guss, bei dem einfach alles stimmte. Wirkt einfach puristisch schön mit toller Länge am Gaumen und ist ein Musterbeispiel für das, was die besseren Weine vom linken Ufer in ihrer Reife erwarten lassen. Beim recht zugänglichen Talbot ist es bereits soweit. Sicher ein spannender Wein für jetzt und die nächsten 10-12 Jahre 93/100. Erstaunlich dünn fand ich dagegen 1995 Talbot. In der Nase der klassische Cordier-Stinker, am Gaumen einfach zu wenig Fleisch, kurz und bitter 86/100. Der schien, zumindest in dieser Flasche, seine besten Zeiten schon hinter sich zu haben. Sehr reif auch 1990 Talbot. Rioja-Nase mit großer Gemüseplatte und einem Spaziergang durch ein Gewächshaus, wird mit der Zeit rosiniger mit immer deutlicheren, überreifen Noten. Die setzen sich auch am Gaumen fort, wo der Talbot mit der Zeit immer amaroniger wird. Ein Wein, der bereits verdammt gefährlich lebt und keine allzu lange Zukunft mehr haben dürfte 88/100.

Glorreiche Zeiten erlebte Bordeaux in den 80er Jahren. Auch auf Talbot wurden hier schöne Weine erzeugt. Sehr fein, fast filigran 1989 Talbot. Wunderbare Nase mit rotbeeriger Frucht, Feige und Leder, sehr elegant am Gaumen mit dezenter Süße, ein herrlicher Schmeichler 91/100. Sehr verhalten in der Nase 1986 Talbot, leicht medizinal, rustikal, erstaunlich schlank und immer noch sehr tanninbetont, kaum Frucht, kenne ich deutlich besser. Ich habe diesen normalerweise großartigen Wein schon häufig auf 95/100 Niveau getrunken. Hier kamen jetzt 90/100 ins Glas, was aber eher auf einen Flaschenfehler hindeutet, vielleicht einen schleichenden Kork. Sehr reif, auch in der relativ hellen Farbe 1983 Talbot. In der floralen Nase öffnet sich ein großes Blumengeschäft, ein sehr feiner, eleganter Wein, der in der 1tel langsam getrunken gehört 89/100. Immer noch eine junge, sehr dichte Farbe hatte 1982 Talbot. Diesmal in der reichhaltigen Nase ohne den typischen Cordierstinker, dafür mit viel Zedernholzwürze, mit Leder, Brombeeren und Mineralität, generös am Gaumen, den er voll auskleidet, und sehr lang 93/100.

Aus den inzwischen eher schwierigen 70ern hatten wir zwei Weine in unserer Vertikale, was mehr als ausreichte. Aus dieser Dekade würde ich heute freiwillig keinen Talbot mehr kaufen, außer in best gelagerten Impis. Einen großen Herbstspaziergang machten wir mit 1978 Talbot, Laub, Unterholz, etwas Tabak, dann vermehrt Kartoffeln, aber auch etwas Minze, am Gaumen recht gefällig und leicht süßlich 85/100. Das war immer noch ein recht gut trinkbarer Wein, aber Längen von der Klasse entfernt, die er Anfang der Neunziger noch besaß. Auch 1970 Talbot hatte sicherlich schon mal bessere Zeiten gesehen. Jetzt war das nur noch ein säuerlicher Mickerling, der allenfalls noch historisches Interesse erweckte 76/100.

Aus den Sechzigern dürfte in Normalflaschen eigentlich nur noch 61 interessant sein, den ich erst im letzten Herbst im Genfer Chat Botté in bestechender Form erleben durfte(96/100). Wir hatten in unserer Probe 1964 Talbot aus der Magnum. Der erzählte nur noch in leisen Tönen von vergangenen Zeiten, da half auch die Magnum nicht. Sehr zart, mit deutlichem Liebstöckel in der Nase, noch feine Fruchtreste, am Gaumen eher etwas dünn und leichtgewichtig 82/100. Erstaunlicherweise berichtete der Gastgeber, dass sich dieser Wein am nächsten Tag immer noch trinkbar zeigte. Er sprach sogar von großem Genuss, was ich nicht nachvollziehen kann, es sei denn, da ist über Nacht ein Wunder geschehen.

Deutlich mehr Kraft hatte 1945 Talbot aus einer noch gut gefüllten 1tel. Wirkte zu Anfang etwas pilzig und zurückhaltend, baute dann aber mit zunehmender Luft sehr gut aus. Wurde immer schöner und gefälliger und entwickelte eine gewaltige, druckvolle Aromatik mit guter Länge am Gaumen. In guten Flaschen sicher noch mit reichlich Leben ausgestattet 93/100.

Bleibt zu hoffen, dass Talbot irgendwann wieder die Kurve kriegt. Gut 600.000 Flaschen werden jedes Jahr auf diesem 4me Grand Cru gefüllt. Etwa die Hälfte davon entfällt auf den Zweitwein, den Connetable de Talbot. Große Weine wie 1945, 1947, 1953, 1955, 1959 und 1961, aber auch 1982, 1986 und 1996 zeigen deutlich, was hier auf Dauer machbar wäre.