Das fängt ja gut an

Spannend war die zweite, größere Weinprobe des neuen Jahres. Und die geschickt zusammengestellten Weinpärchen ließen auch gleich wieder eine Frage aufkommen. Wann ist ein 100 Punkte Wein wirklich ein 100 Punkte Wein, und wann ist der richtige Zeitpunkt, ihn zu öffnen?

Ein kleiner, feiner Kreis waren wir im Restaurant Schorn. Dass einer der geplanten Achterrunde trotz Zusage einfach nicht erschien, noch dazu ein Mitarbeiter von Herrn Steinbrück, soll hier nicht weiter kommentiert werde. Schließlich war ich ja Gast, nicht Gastgeber. Und der stets mit gesegnetem Durst ausgestattete Chef des Hauses half nach Kräften gerne aus.
Begrüßt wurden wir mit einem 2005 Hubacker Riesling GG von Klaus Keller. Mal eben so, einen Hubacker als Apero, ganz nach dem Motto: möchten Sie auch ein Glas Prosecco? Wie gerne hätte ich dieses riesige Geschoß nicht im Stehen aus zu kleinem Glas inmitten von zu schüttelnden Händen und den klassischen Fragen nach Wohlbefinden & Co getrunken, sondern konzentriert aus einem etwas größeren Behältnis. So ging dieser rassige, komplexe Riese mit seiner gewaltigen Mineralität, der satten Frucht und der kräuterigen Würze doch etwas unter und die 95/100, für die dieser gewaltige Stoff gut ist, kamen kaum rüber.
Als wir dann saßen und die eigentliche Probe ihren Lauf nahm, wurde es erstmal süß. Zwei restsüße Spätlesen standen sich gegenüber, die 2004 Hermannshöhle Spätlese und die 2004 Norheimer Dellchen Spätlese, beide von Dönnhoff. Natürlich kam das arme Dellchen dabei wieder fürchterlich unter die Räder. Nicht etwa, weil das ein schlechter Wein wäre, aber die Hermannshöhle ist einfach zu gut. Auch in der trockenen Variante ist mir das schön häufiger passiert. Stellt man die beiden gegeneinander, geht das Dellchen sang- und klanglos unter, trinkt man es alleine, merkt man erst, was das für ein toller Wein ist. Die Hermannshöhle ein frischer, sehr mineralischer, dichter Wein mit guter Säure, reifer Frucht und schönem Süße-/Säurespiel. Hoher Extrakt und sehr wenig Alkohol, da kommt einfach Freude auf 93/100. Für mich ist ein solcher Wein der ideale Start eines Abends, benebelt nicht, sondern regt alle Sinne an. Gilt auch für das Dellchen, das feiner, filigraner war. Entwickelte sich sehr schön im Glas, wurde aber von der Hermannshöhle schier erdrückt 90/100.
Eigentlich war damit Schluss mit Weiß, doch der Wirt kam noch außer der Reihe mit einem 1988 Mantlerhof Chardonnay aus Österreich. Das war bestimmt irgendwann mal ein schöner Wein, aber es musste lange her sein. Güldene Farbe, oxidative Nase und am Gaumen eine fürchterliche Mischung aus Todessäure und Waschpulver. Gut, einem geschenkten Gaul schaut man ja angeblich nicht ins Maul, aber wir waren hier leider auf der Rückseite des Gaules, Pfui Deibel!
Alle Glocken läuteten dann, als der 2002 Shafer Hillside Select ins Glas kam. Das war ganz großes Rotweinkino. Tiefdunkles Schwarzpurpur, sehr offene, süße, verführerische Cassis- und Brombeernase, auch am Gaumen intensive Fruchtsüße, einfach dekadent lecker, geradezu cremige Textur, aber auch mit toller Struktur und mächtigen, aber reifen Tanninen. Ein Wein wie aus einem Guss, bei dem von der Nase bis zum Gaumen einfach alles stimmte 99/100. In diesem Duo hier spielte jetzt der 2002 Catena Zapata das Dellchen. Gewiss ein großer, nobler Wein mit sehr guter Struktur, doch brauchte er sehr lange und kam mit der fruchtigen Fülle des Hillside einfach nicht mit. Ja, er schien mit der Zeit im Glas sogar wieder zuzugehen. Derzeit nicht die Klasse, die er noch vor 2 Jahren in der Sansibar hatte, also warten und hoffen 92+/100.
Damit hätte er besser zu 2000 Pavie gepasst, bei dem derzeit auch eher Sendepause ist. Ein mächtiger Brocken und ein massives, derzeit ziemlich verschlossenes Konzentrat, bei dem momentan eher bitter wirkende Tannine den Spaß etwas verderben. Nur zögerlich arbeitet sich da die Frucht etwas durch und der Pavie entwickelt etwas Süße, doch von den so überzeugenden 100/100 aus der Mega-Fruchtphase dieses Weines fehlen derzeit gut 8 92++/100. Nur muss man halt bei diesem Wein, der alle Anlagen zum Jahrhundertwein besitzt, nicht hoffen, sondern einfach nur ein paar Jahre warten. Ganz anders beim sehr schön gelungenen 2000 Ridge Monte Bello. Auch in diesem eher mittelmäßigen Kalifornien Wein ist das wieder ein sehr gut gelungener Bordeaux mit kalifornischer Frucht. Hat Struktur, Rasse, herrliche Kirschfrucht und schöne Süße, dazu ein gutes Tanningerüst für längeres Leben 94/100. Ridge Monte Bello ist einer der zuverlässigsten, beständigsten und interessantesten Weine aus Kalifornien. Und dazu noch diese tolle Kombination aus im Vergleich zu den anderen Kali-Boliden niedrigem Alkohol und niedrigem Preis.
Zwei große Namen aus Bordeaux standen sich im nächsten Flight gegenüber. Absolut gewaltig wieder 1988 Haut Brion. Fleischig, dicht, sehr muskulös mit massivem Tanningerüst, rauchig-mineralisch mit pflaumiger Frucht, viel Tabak, Teer und einem Hauch Exotik. Gewaltiges Potential, aus den heutigen 94+/100 können da locker mal 97/100 werden. Viel tun wird sich in den nächsten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, auch bei 1989 Lafite Rothschild. Trotzdem war der an diesem Abend endlich mal wieder erstaunlich schön und sehr elegant mit feiner Frucht, mit Zedernholz und etwas Minze. Klar lauerten da immer noch die massiven Tannine, aber die Frucht hat sich zumindest in dieser Flasche ein stückweit freigekämpft 94/100 mit mehr in Sicht.
Viel Phantasie gefragt war dann auch bei 1989 Montrose. Das war verdammt harte Kost mit massiven Tanninen. Natürlich ein großer Wein mit perfekter Struktur und allen Anlagen für viel Freude im Glas irgendwann in ferner Zukunft. Aber dafür konnten wir uns an diesem Abend leider nichts kaufen. Eine Woche später bekam ich diesen Montrose dann wieder üppig, exotisch mit prächtiger Frucht ins Glas. Reines Lotteriespiel, dieser Wein, als ob er uns Weintrinker verarschen wollte. Gilt übrigens auch für den 90er. Aber wir hatten ja noch das andere Glas, und da war ein absolut geiler 1990 Pichon Baron drin. Ein echtes Prachtstück von Wein mit exotisch üppiger, kalifornisch anmutender Frucht und der Struktur eines großen Bordeaux. So ein richtiger Zwilling von Ridge Monte Bello 96/100.
Zwischendurch bekamen wir vom Nachbartisch ein Glas eines wunderbaren Nasenbären gereicht. 2001 Rayas hatte eine traumhafte Nase, so süß, so offen, so lakritzig und mit soviel feiner Himbeere und Kirsche, da war einfach herrliche, burgundische Pracht und Fülle. Am Gaumen war der Rayas etwas einfacher gestrickt. Um das Versprechen der Nase zu erfüllen, fehlte da einfach die Konzentration 92/100.
Wir machten uns dann über den letzten Flight des Abends her, der wohl auch als Höhepunkt gedacht war. Zumindest von der Papierform her hätte das auch so sein müssen. Doch der 2004 Aalto PS machte uns einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Der reihte sich in die Montrose-Fraktion ein und zeigte seinen deutlichen Unwillen darüber, dass wir ihn heute verkosten wollten. Im nachhinein glaube ich nicht, dass er verschlossen war. Eher war da ein schleichender Kork im Spiel. So ernst und bei aller Konzentration so freud- und fruchtlos, das geht bei Aalto eigentlich nicht. Schade, denn das ist eigentlich einer dieser genialen Weine der Sorte "macht sprachlos". Dieser hier machte nur nachdenklich. Dafür trumpfte 2001 Aalto PS voll auf. Der knüpfte voll an die Performance des Hillside an. Satte, dekadent süße Frucht, auch am Gaumen intensive Fruchtsüße, aber dazu viel Mineralität und eine unglaubliche Leichtfüßigkeit. Soviel Kraft, soviel lustvolle Dekadenz so elegant rüberzubringen, das ist einfach Weltklasse 98/100.

Zum Schluss wurde es dann reifer in unseren Gläsern. Keine Frage mehr, ob die Weine schon trinkbar waren. Und auch die Frage, ob sie noch trinkbar waren, stellte sich nicht. Überhaupt nicht alt wirkend, schon gar nicht in der voll intakten Farbe, 1968 YGAY von Marques de Murrietta. Immer noch voller Leben ist dieser Rioja, dem das gemüsige vieler seiner Artgenossen völlig abgeht. Stattdessen ist da noch feine, rotbeerige Frucht, auch etwas Rosine und Karamell, wunderbare, generöse Süße und feiner Schmelz, ein echter Gaumenschmeichler mit guter Länge. Die kräftige Säure ist tragend und gut eingebunden. Sicher ein Wein, der noch ein oder zwei Jahrzehnte gelagert werden kann 94/100. Etwas reifer war im anderen Glas der 1962 Imperial Gran Reserva von CVNE, ebenfalls aus einem guten Rioja-Jahrgang. Der war vollem in der Nase sehr portig und süß, am Gaumen etwas schlanker, aber ohne Alterstöne 92/100.

Eine rundum gelungene Probe, prächtige Küche, prächtige Stimmung und prächtige Weine. So kann das Jahre gerne weitergehen. Und wann ist ein 100 Punkte Wein nun ein 100 Punkte Wein? Sicher nicht, wenn 100 Punkte in irgendeinem Führer stehen, sondern nur, wenn auch wirklich 100 Punkte ins Glas kommen. Deutlich bekamen wir an diesem Abend vorgeführt, dass auch jüngere Weine ihre Mucken haben und vor allem Phasen, wo sie um Längen von der Papierform weg sind. Da ist halt eine gesunde Mischung aus Glück und Geduld gefragt.