Der Rotwein vom Hurenpfad

Wahrscheinlich gibt es diese Lage heute nicht mehr, den Winkeler Hurenpfad. Wir hatten ihn als Rotwein aus dem Kriegsjahrgang 1940 im Glas. Aber das war nicht der einzige, ungewöhnliche, spannende Wein an diesem Abend.

Er war und ist nicht nur ein großer Koch, dieser Franz Josef Schorn, sondern auch eine begnadete Weinnase. Sicher eine dreistellige Zahl kleinerer und größerer Verkostungen haben wir in den letzten Jahren zusammen gemacht. Jetzt, wo die nachfolgende Generation mit Anne Schorn und Marcel Schiefer "sein" Restaurant übernommen hat, widmet sich Franz Josef Schorn noch intensiver dem Thema Wein. Für uns tat er es an diesem Abend als Sommelier.
Liebe Weinfreunde aus der Schweiz hatten sich angesagt, mit denen ich bei Schorn ein paar schöne Weine trinken wollte. Da entstand dann spontan die Idee, daraus doch eine Best Bottle zu machen. Das war überhaupt nicht so einfach. Wer solche Proben schon organisiert hat, weiß wovon ich rede. Manchmal komme ich mir dabei vor wie jemand, der an der Haustüre Abos verkaufen möchte. Als ob ich Geld dafür bekäme! Aber schließlich bekamen wir doch eine schöne Runde zusammen und vor allem phänomenale Weine.

Zwei Neuerwerbungen präsentierte uns Franz Josef Schorn als Einstieg. Der 2007 Caspari 100 ist ein spontan vergorener Riesling von 100 Jahre alten Reben aus der Lage Traisener Gaispfad mit 20g Restzucker. Glockenklare, präzise Frucht, knackige Säure, phänomenale, an Dönnhoff erinnernde Mineralität, die Restsüße gut eingebunden und in der Nase als Fruchtsüße eher spürbar als am harmonischen Gaumen, gewaltiges Potential 90+/100. Nur die Flasche als solche gefiel mir überhaupt nicht. Müssen jetzt Mosel-Winzer auch noch zu Designerflaschen greifen, in diesem Falle etwas Burgund-ähnliches? Hier wird doch kein Parfüm verkauft, sondern ehrliche Weinbergsarbeit. Teuer genug sind gute Weine inzwischen, da müssen doch diese Preise nicht noch durch solchen völlig überflüssigen Schnickschnack weiter aufgebläht werden. Ganz abgesehen davon, dass solche nicht standardisierten Flaschen sich im Keller schwer lagern lassen. Nein, so gut dieser Wein auch sein mag, in meinen Keller kommt er erst, wenn es ihn in einer normalen Flasche gibt. Sünde war eigentlich, was danach mit einem 2008 Volz von Van Volxem passierte, aus der frisch geöffneten Flasche rein ins Glas. So konnte dieser gewaltige Wein nicht mal ansatzweise zeigen, was er drauf hat. Nur ahnen konnte man die gewaltige Statur, die hohe Mineralität, denn alles wurde überlagert von frühreifer, cremiger Opulenz. Massig Babyspeck hatten wir im Glas, sehr süß und etwas diffus in der Nase. Ich kann dieses Experiment nicht weiterempfehlen. In meinem Keller wird dieser Wein 5 Jahre weggelegt. Wer ihn jetzt trinken, sollte ihn mindestens ein paar Stunden vorher dekantieren.

Und schon wurde es deutlich älter. Wir hatten es unserem Mundschenk überlassen, unsere mitgebrachten Weine in eine passable Reihenfolge zu bringen. Den Anfang machte eine 1971 Wolfer Goldgrube Auslese eines Weingutes Marchlewski-Emmerich. In der Nase dieses fast güldenen Weines eine Apfeltart, frisch aus dem Ofen. Am Gaumen erst etwas gezehrt mit ersten Lacktönen und nassem Hund, die aber rasch verschwanden. Immer noch gute Säure und einfach wunderschön zu trinken 87/100. Drastisch jünger wirkend danach eine 1975 Wehlener Sonnenuhr Auslese von S.A. Prüm. Wir hatten ein paar Mosel-Experten am Tisch und von denen tönte es sofort: 83 Wehlener Sonnenuhr Auslese von JJ? Nein? Dann 88. Was, die auch nicht, dann kann es ja nur 90 sein. So jung wirkte dieser große Stoff aus längst vergangenen Zeiten, in denen S.A. noch mit JJ mithalten konnte. Reife, apfelige Frucht, immer noch knackige Säure und perfekte, jugendliche Statur, dazu Eleganz pur, eine großartige Auslese mit noch langer Lebenserwartung 94/100.

Ja und dann kam er schon, der 1940 Winkeler Hurenpfad Spätburgunder Rotwein eines Weingutes Josef Schwarz aus Winkel. Ein Coca Cola-farbenes Sherry-Madeira-Mix war dieser Wein aus dem seltenen Kriegsjahrgang, aber immer noch mit viel Charme, wobei der Gaumen mit einer feinen, teerigen Bitternote spannender war, als die Nase 84/100. Eine sehr fruchtige, fast etwas konfitürige, junge Nase mit viel weißem Pfeffer hatte der 1969 Chateau St. André aus Gigondas. Am Gaumen war er fruchtig, schlank, mit deutlicher Säure und ebenfalls pfeffrig-würzig 86/100.

Großes Kino dann der 1949 Clos de l Oratoire. Das war ein noch so jung wirkender, kerniger, rustikaler Terroir- und Charakterstoff, leicht animalisch, Blut, Eisen, pfeffrige Würze, perfekte Statur, baute unglaublich im Glas aus und hat sicher noch Potential für Jahrzehnte 97/100. Gut gelagerte, alte Chateauneufs aus den großen Jahrgängen sind eigentlich immer eine Bank. Auf einen alten Rioja tippte ich trotz der sehr dichten Farbe im anderen Glas, denn da war die typische, große Gemüseplatte in der Nase. Dazu kam kalter Kaffee, etwas Bitterschokolade und Lakritz, sowie reichlich Paprika und viel Säure. Leider baute der 1969 Don Frederico Gran Reserva aus Argentinien mit der Zeit im Glas ab 86/100.

Leder ohne Ende zeigte der 1919 Nuits St. Georges von Lalignant Chameroi, da war ein ganzer Schuhmacherladen drin. Dazu etwas Unterholz und Trüffel, feine Süße, Eleganz, einfach die totale Harmonie eines perfekt gereiften, großen, alten Weines, der aber noch keinesfalls in irgendeiner Form senil oder gebrechlich wirkte 96/100. Spektakulär im Nachbarglas beim 1926 Clos Vougeot, der ebenfalls von Lalignant Chameroi stammte und noch eine sehr dichte Farbe hatte, die Nase. Das waren neben etwas Trüffel vor allem Steinpilze ohne Ende, hatte ich in dieser Form noch nie im Glas. Auch am Gaumen wiederum reichlich Steinpilze, wobei hierzu eine etwas dominierende Säure kam - 94/100. Eigentlich müsste es für diese unglaubliche Nase alleine noch 5 Punkte mehr geben. Der gesamte Tisch träumte von einem Risotto, in das ein Liter dieses Elixiers eingeköchelt würden. Sehenswert auch die alten, mundgeblasenen, krummen Flaschen. Ich hatte diese beiden Flaschen dankenswerterweise von einem guten Weinfreund bekommen, der diese Weine ebenfalls auf einer ausländischen Auktion ersteigert hatte. Nur waren meine auf dem Transport zu Bruch gegangen. Da hilft dann auch keine Transportversicherung, denn die ersetzt nur den Preis, aber nicht diesen großartigen Genuss.

Krumm und schief - die alten Burgunderflaschen

Krumm und schief - die alten Burgunderflaschen

Wie gerne würde ich meine Flaschen des immer problematischer werdenden 89 Troplong Mondots gegen 1929 Troplong Mondot eintauschen. Was wir da aus einer Flasche mit grottigem Füllstand (lms) ins Glas bekamen, war einfach großartig. Traumhaft und mit kaum Alter immer noch die dichte Farbe mit einem brillianten, dunklen Rot, süß die generöse, zimtige, karamellige Nase, am Gaumen zupackend, kraftvoll mit deutlicher Säure, aber auch sehr minzig, etwas Eukalyptus und wiederum die verschwenderische 29er Süße. Ging übrigens am Tisch als gut gereifter, großer 80er Bordeaux durch 96/100.

Sehr, sehr jung wurde es dann mit den nächsten beiden Gläsern. 1988 Cos d Estournel wirkte immer noch sehr verschlossen und erinnerte mit seiner laktischen Note an ein Emmi-Joghurt. Die Farbe war noch so jung und dicht mit sogar noch Purpurreflexen, der Gaumen wirkte etwas holzlastig und wurde dominiert von einem gewaltigen Tanningerüst. Von den 95+/100, die dieser großartige Wein in 10 Jahren mal locker bringen wird, waren wir aus dieser perfekten Flasche meilenweit entfernt. Deutlich mehr ließ der ebenfalls noch sehr junge, konzentrierte 1990 PhilipTogni Cabernet Sauvignon raus. Wunderbar die perfekte, sehr klare Frucht, massig Hollunder und dazu Brombeere, reife Blaubeere und eine schöne Fruchtsüße, am Gaumen sehr druckvoll, vielschichtig und lang, aber mit sehr präzisen Konturen. Ein echter Kalifornien-Klassiker, der die reife kalifornische Frucht mit der Struktur eines großen Pauillac verbindet 95/100.

Und dann kamen die beiden Weine des Abends. Ein süßer, generöser Burgundetraum war der 1929 Vosne Romanée aus der Barolet-Collection, Mokka ohne Ende, etwas Schokolade und Kakao, so seidig, so harmonisch und durch die perfekt integrierte, kräftige Säure am Gaumen noch so frisch und animierend wirkend 98/100. Ob die hoch gelobten 2005er Burgunder im Reifestadium mal diese Klasse erreichen? Diese Frage stellte ich mir auch bei 1949 Angelus in einer belgischen Händlerabfüllung von Pol Mairesse, zusammen mit dem vor einigen Wochen getrunkenen 29er das Beste, was ich von diesem Chateau je im Glas hatte. Auch das einfach ein kompletter, großer, perfekt gereifter, hoch eleganter Wein, bei dem sich Süße, Kraft, Länge und die immer noch vorhandene Frucht in totaler Hamonie vereinigten, sicher in einer Liga mit Cheval Blanc 99/100.

Noch drei gereiftere Bordeaux standen auf dem Programm. Ein klassischer 59er der noch recht jung wirkende 1959 Petit Village, kernig, rustikal, immer noch viel Resttannin und eine kräftige Säure. Die Schokolade ist hier noch im Karton 92/100. Eine eher etwas welke Eleganz zeigte der 1953 Leoville Poyferré in einer französischen Mähler Besse Abfüllung, erinnerte mit seiner leicht malzigen Süße an einen älteren Rioja und befindet sich auf dem unaufhaltsamen Abstieg 87/100. Ebenfalls reif, aber sehr viel präsenter und aromatischer der süße 1952 Chasse Spleen in einer Barrière-Abfüllung, der sich mit seinen feinen Kaffeearomen noch einige Jahre auf diesem Niveau halten könnte 91/100.

Blieb als Abschieds- und Schlaftrunk noch eine 1953 Rauenthaler Baiken Spätlese von den Staatsweingütern, die nicht nur absolut chancenlos gegen Marcel Schiefers großartiges Dessert war. Bei dieser ergrauten Spätlese stimmte nur noch die feine, süße, karamellige Nase, am Gaumen war der Wein ziemlich gezehrt und platt 82/100. (wt10/09)