Dreimal Braui

Es war schon halb drei und der Magen hing mir auf den Schuhen. Da kam das erlösende "laß uns schnell beim Werner vorbeifahren, der macht uns noch einen Teller Pasta". Mit Werner war Werner Tobler gemeint, der Wirt der Braui in Hochdorf. Braui steht eigentlich für Brauereigasthof, doch diese Braui ist eher einer dieser Weinnabel, um die man die Schweiz nur beneiden kann. Und Werner ist nicht nur ein begnadeter Koch, sondern auch ein sehr sympathischer Gesinnungstäter, der alles tut, um reichlich Lebensfreude auf die Teller und in die Gläser zu zaubern.
So landeten wir also am Küchentisch der Braui und bekamen unsere göttliche Pasta, etwas schönes davor, etwas schönes danach und vor allem auch etwas schönes dazu. Das Schöne dazu war ein 2002 Grüner Veltliner Eichenstaude von Kurt Angerer aus der Magnum. Da machte mich der erste Schluck gar nicht an, mein Gott, was für ein dickes Teil. Aber das war ein Weinriese, der brauchte Platz, um sich zu entfalten, der brauchte massig Luft. Und dann ging die Post ab. Der wurde immer besser, immer druckvoller, immer komplexer. So eine Art österreichischer Montrachet, beeindruckend 94/100. Wenn man mehr Zeit hat als wir, gehört ein solcher Stoff unbedingt eine Stunde vorher dekantiert und dann ab in große Gläser. Auch zwei Rote mussten/durften wir auf die Schnelle noch probieren. Mit intensiver Erdbeer- und Himbeernase kam der 2005 Pinot von Thomas Mattmann aus der Bündner Herrschaft ins Glas. Sehr fein, elegant und vielschichtig. Ein finessiger, eigenständiger Pinot, der deutlich von den Gantenbeins mit ihrem perfekten Exportgeschmack abweicht 92/100. Nicht anfreunden konnte ich mich mit einem der Lieblingsweine des Chefs, dem 2001 Knipser XR. Der wirkte schon etwas über den Höhepunkt hinaus, zu dicht und konzentriert. Da hatte wohl jemand mit der Brechstange versucht, einen großen Wein zu machen 86/100. Doch wir mussten ohnehin weiter, wir hatten noch viel zu tun.

Werner Tobler in seinem Reich

Werner Tobler in seinem Reich

Die Braui sah ich aber schon am Abend wieder. Fröhliche Weinnasen aus der Region hatten sich zu einer Best Bottle versammelt. Alte und neue Gesichter am Tisch, alte und neue Bekannte in den Gläsern. Der erste Begrüßungsschluck ein 1994 Scharzhofberger Kabinett von Egon Müller. Ein kleiner, netter, weitgehend alkoholfreier Saarwein ohne die Müller sche Klasse 85/100. Um Längen von der mittäglichen Eichenstaude entfernt ein sehr kraftvoller 2002 Grüner Veltliner Reserve Leopold von Buchegger aus dem Kremstal 88/100. Vielleicht habe ich diesem Wein aber einfach auch nicht genug Möglichkeit zur Entfaltung gegeben. Auch der kam undekantiert aus einer Magnum in ein viel zu kleines Glas und hatte damit eigentlich keine Chance.
Sehr jung dann der erste Rotweinflight. Eine moderne Stilistik zeigte ein 2004 Podere Sapaio, eine Cuvée aus 70% Cabernet Sauvignon und je 10% Cabernet Franc, Merlot und Petit Verdot aus Bolgheri. Jugendliches Purpur, süße, konzentrierte Kirschfrucht, animierende Säure, aber für einen großen Wein fehlte der Tiefgang 92/100. Im anderen Glas ein gewaltiges Geschoss, ein 2004 Montepeloso Gabbro. Völlig anders als die Gabbros der Vorjahre. Wirkte der Gabbro sonst immer etwas kalifornisch mit seiner opulenten Fruchtfülle, so war das hier jetzt eher ein Wein mit Bordeaux-Stilistik, der auch als großer Solaia durchgegangen wäre. Hat der gute Fabio seinen Stil geändert? Sehr dichte Farbe, warm-würzig, fruchtige Fülle, balsamische Noten, gute Länge am Gaumen, aber auch erstaunlich zugänglich, fein, samtig und seidig, wird sich über lange Jahre weiterentwickeln 94+/100.
Der nächste Flight war für Liebhaber einer Stilrichtung, mit der ich mich nur sehr schwer anfreunden kann. Geschmäcker sind eben verschieden, das ist auch gut so. Eine sehr helle Farbe mit deutlichen Reifetönen hatte der ultrarare 2000 Barolo La Serra von Voerzio. Dazu hatte er den rustikal-eckigen, leicht rostigen Barolo-Charme. Ein sehr terroirbetonter Wein, intensiv und kräftig am Gaumen mit langem Abgang, der sich im Glas gut entwickelte und sicher deutlich mehr Alterungspotential hat, als die Farbe andeutet 93/100 für Fans dieser Stilrichtung auch deutlich mehr. Sehr speziell im anderen Glas der 2001 Merlot Mioni aus dem Friaul. Soll das geniale an diesem Merlot sein, dass er wie ein Barolo schmeckt? Mich erinnert das an amerikanische Autohersteller, die inzwischen Leder so perfekt verarbeiten können, dass es wie Kunststoff aussieht. Ein sehr eigenständiger, eigenwilliger Wein, intensiv am Gaumen. Ich sehe mich aber außerstande, diesem ungewöhnlichen Wein eine einigermaßen faire Bewertung zu verpassen.

Feine Runde

In der Farbe nicht viel anders als der 2000er Barolo war ein 1949 Moulin-à-Vent von Faiveley. Diese Paradelage des Beaujolais(!) präsentierte sich als großer, reifer Burgunder mit feiner, karamelliger Süße und war immer noch mit viel Genuss zu trinken 90/100. Gelächter, als der zweite Wein dieses Flights eingeschüttet wurde. Sehr helle, dünne, bräunliche Farbe, die eher an eine ausgepresste Wasserleiche erinnerte als an Wein. Das sollte noch trinkbar sein? Es war nicht nur trinkbar, was der 1949 Chateauneuf-du-Pape aus dem Cave Saint Benoit da im Glas brachte, es war sogar hochspannend. Zunächst war da Herbstlaub, Unterholz, ein großer Waldspaziergang im Oktober, der mich spontan an einen vor Jahren getrunkenen 1893er Margaux erinnerte. Nur war der damals fragil und verabschiedete sich schnell. Hier passierte aber im Glas ein Weinwunder. Der Chateauneuf stand wie eine Eins im Glas mit druckvoller Aromatik, feiner Süße und immer noch Kraft und Länge am Gaumen. Baute sehr schön im Glas aus und entwickelte Noten von Lakritz, Anis und Süßholz. Den Wein hätten wir alle wirklich blind, d.h. mit Augenklappe, trinken sollen. Auf die Farbe wäre bei dieser spannenden Aromatik niemand gekommen 93/100.
Prächtig ging es weiter mit einem Ausnahme-Burgunder. Der 1934 Chambolle Musigny von Bouchard Ainé aus einer perfekten Flasche war so ein feiner, schmelziger Wein mit unendlicher Süße und Länge, mit viel Kaffee, aber auch Leder und etwas Moschus. Eleganz, Finesse, sehr viel Spiel in perfekter Harmonie und Schönheit, ein top-gereifter Ausnahmewein 97/100. Eine etwas rustikalere, sehr viel kräftigere Struktur und eine deutlich jüngere Farbe hatte der 1949 Vosne Romanée von Louis Latour. Bei diesem Wein hatte man im direkten Vergleich das Gefühl, dass er noch nicht richtig reif war und noch über ein großes Alterungspotential verfügte. Er brauchte viel Zeit und Luft, entwickelte sich dann im Glas mit wunderbarer Süße 93/100.
Seine bisher für mich beste Vorstellung lieferte an diesem Abend 1975 Gazin ab. Ein sehr kraftvoller, immer noch fast jugendlich wirkender Pomerol mit eher an Medoc erinnernder Struktur und Aromatik 92/100. Ein klassischer 75er eben, dem man wegen der etwas harschen Tannine viel Zeit geben muß. Bei Parker heißt es dazu nur "In den 1980er Jahren bot Gazin erbärmliche Leistungen....Die 1970er waren noch schlechter...". Wie gut, dass es als Alternative noch den René Gabriel gibt. Der gab in der letzten Ausgabe von Bordeaux Total dem 75er Gazin 18/20 und schätzt diesen bis dato völlig unterschätzen Langstreckenläufer damit völlig richtig ein. Gazin ist in 75 nicht der einzige, interessante Wein. Da gibt es in Pomerol noch viel zu entdecken und da der Jahrgang mit Ausnahme von Petrus eine Chinesen- und Amerikanerfreie Zone ist, stimmen auch noch die Preise.
Erstaunlich offen und weit mit burgundischer Pracht und Fülle war an diesem Abend 1990 Beaucastel. Ein großer Wein mit viel Kraft und Struktur, sehr lang am Gaumen, der zumindest in dieser Flasche die volle Trinkreife erreicht zu haben schien 94/100. Aus der letzten Verkostun vor einem Jahr habe ich allerdings noch sehr verschlossen in Erinnerung.
Sehr jung und kraftvoll zeigte sich auch 1966 Ducru Beaucaillou, ein Wein mit feiner Frucht und sehr guter Struktur, der sicher noch ein gewaltiges Alterungspotential hat. Ohne die etwas störenden, metallischen Noten wären bei diesem überzeugenden Ducru auch noch mehr als 93/100 drin gewesen. Gleiches Jahr und noch mal eine ganze Ecke drüber im Nachbarglas 1966 Cheval Blanc. Nur eine leichte Pepperoni-Note deutete auf die schwierige Periode im Bordelais und das nicht ganz optimale Jahr hin. Ansonsten war das ein obergeiler Trinkspaß, Cheval Blanc vom Feinsten, mit druckvoller, üppig-schmelziger Aromatik, feiner Würze und seidiger, ewig langer Struktur 95/100.
Sehr schwierig einzuschätzen der nächste Wein. Eine Superfarbe, die ihn eher in die 70er schob. Faszinierend die hochklassige, aber ungewöhnliche Nase. In Honig gebratene Banane vom Chinesen mit etwas Schokosoße. Am Gaumen dagegen erst so etwas wie ein vinologisches Dominastudio, absolut eleganz-frei, ruppig, ungenerös. Wurde mit zunehmender Luft besser, glättete sich und ließ sich zumindest ohne Schmerzen trinken. Für diesen 1928 St. Julien in einer Bremer Bachmann Abfüllung eine gerechte Gesamtnote zu finden, ist schwierig. Ich versuche es trotzdem 88/100. Nicht so leicht einzuschätzen auch der 1945 Leoville-Poyferré aus einer perfekten Chateau-Abfllung. Kompakt, konzentriet, immer noch kräftige Tannine, sehr mineralisch, Bleistift, aber auch metallische Noten. Dieses Kraftpaket schien noch nicht richtig reif zu sein und noch Potential für eine längere Lagerung zu haben 93/100.
Zweimal Kalifornien war im nächsten Flight angesagt. Zwei Weine, die angesichts der heutigen Extrakt- und Fruchtmonster aus dem amerikanischen Sonnenstaat wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit wirkten. Sowohl der 1995 Diamond Creek Volcanic Hill als auch der 1995 Diamond Creek Red Rock Terrace waren perfekt strukturierte, sehr feine, ungemein mineralische Kalifornier mit guter Säure, beide mit großem Alterungspotential. Der Volcanic Hill der erdigere, schlankere von beiden 93/100. Der Red Rock Terrace bei sonst ähnlicher Stilistik etwas süßer und fülliger 94/100. Beide Weine können sich im Verlaufe der nächsten 10-15 Jahre durchaus noch deutlich steigern, und wer das Glück hat, sie dann im Moment der optimalen Trinkreife ins Glas zu kriegen, wird mit 2-3 Punkten mehr belohnt.

Zum Abschluss dieser gelungenen Probe wurden dann wie bei einem großen Feuerwerk noch mal richtig dicke Raketen gezündet. Los ging es mit dem verrückten 2004 Flor de Pingus, über den ich auf dieser Website schon genug geschrieben habe. Auch an diesem Abend waren da wieder unglaubliche 98/100 im Glas. Wenn Rotwein der Sex des Alters ist, muss man bei diesem hedonistischen Superteil aufpassen, dass die Oberweite nicht aus dem Glas fällt. Ein absoluter Wahnsinnswein auch 1994 Dominus. Nicht so offensichtlich wie der Pingus, eher Richtung Bordeaux gehend, aber mit doppeltem Turbolader, so dicht, so konzentriert, so perfekt strukturiert mit superdichter Farbe, ein Hammerteil mit fantastischer Zukunft 99/100.
Konnte man auf diesen Doppelschlag noch draufsatteln? Man konnte. Wer immer da unsere Flaschen in eine Reihenfolge gebracht hatte, das war perfekt inszeniert. Bond war zum Schluß des Abends angesagt, nicht James Bond, sondern "Bill Bond", die Bond Weine von Bill Harlan. Riesengroß der 2002 St. Eden, fleischig zwar und sehr konzentriert, aber auch etwas verhalten, da ist noch reichlich Geduld angesagt. Trotzdem waren da jetzt schon unglaubliche 97/100 im Glas. Der absolute Overkill dann aber 2002 Melbury. Es fällt schwer, dieses irrsinnige Weinerlebnis mit den richtigen Worten zu beschreiben. Da war einmal die klassische Harlan sche Quadratur des Kreises, der junge, reife Latour. Beim Melbury kommt dann noch ein Schuß Pingus dazu. Reife, traumhafte Frucht, am Gaumen sehr nachhaltiger Schmelz ohne Ende, dabei weder dick noch überladen wirkend, einfach ein süchtig machendes, geiles Elixier, das am Gaumen nicht mehr aufhört. Mehr geht einfach nicht bei einem jungen Wein. Jeder Punkt weniger als 100/100 wäre eine Beleidigung für diesen vinologischen Geniestreich. Ach ja, Portwein gab es danach noch zweierlei, aber den wollte ich an meinen Gaumen nicht mehr heranlassen, weder den, noch die Zahnbürste. Absolut bettreif war ich ohnehin, und mit diesem Melbury am Gaumen wollte ich auch einschlafen.

Voll (und) glücklich

Voll (und) glücklich

Reichlich Arbeit war am nächsten Tag wieder angesagt, wir haben frevelhaft den heiligen Sonntag entweiht. Trotzdem war ein kurzer, mittäglicher Abstecher zur Alpwirtschaft Horben drin. Die Natur, wie überall in der Schweiz in vollster Blüte, schien hier oben mit dem Melbury des Vorabends mithalten zu wollen. Das war Bergfrühling in Perfektion. Dazu bei wolkenlosem Himmel ein sprachlos machendes Alpenpanorama, das von der Rigi über den schneebedeckten Titlis bis zum Pilatus reichte. Ein klassisches, seltenes und für einen Flachlandtiroler wie mich um so wertvolleres 100 Punkte Naturerlebnis, das ich in vollen Zügen in mich aufsaugte. Die Alpwirtschaft wie ähnliche Plätze in den Alpen bei diesem Wetter am Wochenende berstend und lärmend voll. Und da sie eine Schweizer Alpwirtschaft war, hatte sie auch etwas, was typisch schweizerisch ist und für die hohe Esskultur dieses Landes spricht, nämlich eine klug zusammengestellte Weinkarte. Und auf der prangte mittendrin ein 2001 Merlot Castello Luigi aus dem Ticino. An dem konnten wir einfach nicht vorbei. Voll auf dem Punkt war dieser Tessiner Ausnahme-Merlot, für den sich keines der großen Pomerol Chateaus schämen müsste. Weich, druckvoll aromatisch, schokoladig mit seidiger Fülle und langem Abgang 94/100. Und er passte damit perfekt zu diesem einmaligen Naturschauspiel um uns herum. Ich hätte mich danach einfach so auf eine der Blumenwiese legen und friedlich vor mich hindösen können, aber erstens gab es noch reichlich zu tun, und zweitens war später am Tag noch ein Geburtstagskind zu feiern.

Schweizer Weltklasse Merlot

Schweizer Weltklasse Merlot

Nur für René Gabriel, der mit uns natürlich in der Braui in seinen 50er hineinfeierte, hatte die Natur wohl ihr schönstes Kleid angelegt. Der René ist nun mal ein Sonnen- und Sonntagskind. Er genieß das Leben in vollen Zügen und gibt diese Freude ungeteilt weiter. So auch sein Fest, nichts aufgesetztes, nicht gestelztes, keine Honoratioren, Würdenträger und andere Wichtigtuer, nur Freunde, die zum Teil von weit her gekommen waren. Große Reden und Ehrungen, die ja oft eher etwas von Nachruf und Friedhof haben, waren nicht angesagt. Stattdessen wurde gelacht, gesungen, getanzt und natürlich getrunken. Ein rundherum gelungenes Fest, zu dem sich Werner Toblers Küchenmannschaft mächtig ins Zeug legte. Reichlich feine, reife Trinkweine gab es, aber auch solche Schätze wie 1994 Cheval Blanc und 1996 Valandraud aus der Imperiale. Der Cheval Blanc hat mich nicht sonderlich angemacht. Da ist in der Großflasche nun mal eben auch 8mal soviel harsches Tannin drin wie in der 1tel. Da war z.B. ein 1994 Léoville Barton deutlich schöner zu trinken. Viel Zedernholz, feine Frucht mit dezentem Schmelz, ausgewogen, balanciert und nach einer etwas frustrierenden, längeren Wartezeit jetzt voll da 90/100. Spannend fand ich auch einen 2003 Balin der Cantina Kopp von der Crone. Eine wunderbare, ausdrucksstarke, fast parfümiert wirkende Schokonase. Auch am Gaumen sehr schokoladig und herrlich zu trinken 91/100. Der kam schon fast an den Valandraud heran. Letzterer war aus der zu großen Schlucken animierenden Impi füllig, schokoladig mit reichlich Espresso, aber auf hohem Niveau auch etwas schlabberig 92/100. Überraschend schön präsentierte sich auch ein 2002 Clos du Clocher aus dem Pomerol. Nachdem die zu Anfang doch recht störende, metallische Note verflogen war(ich habe extra nachgeschaut, der Wein kam tatsächlich aus der Flasche und nicht aus der Blechdose), zeigte sich da ein feiner, sehr leckerer Wein mit üppig-schokoladigem Gaumen auf dem ersten Trinkhöhepunkt 89/100. Ein 1995 Michele Chiarlo Barbaresco Rabaja hingegen hatte eine helle, bräunliche Farbe und erinnerte an einen rostigen, alten Fiat. Am Gaumen war er hohl und enttäuschend, Säure und sonst nichts, eine perfekte Gaumenbeleidigung - 75/100.

Hier steht der legendäre Küchentisch

Hier steht der legendäre Küchentisch

Eigentlich nicht nur ein sehr gelungenes, sondern auch ungefährliches Fest. Wenn da der Wirt nicht gewesen wäre und sein legendärer Küchentisch. Komm, wir trinken jetzt mal etwas vernünftiges, lautete plötzlich seine Ansage. Und schon saß ich an diesem wohl in der Region schon legendären Tisch und hatte einen 1945 Chambertin von Morin vor mir. Man gönnt sich ja sonst nichts! Das war sicher nicht die beste Flasche, und ein Gutteil der ursprünglichen Farbe dieses jetzt recht hellen Gewächses befand sich als Depot auf dem Flaschenboden. Ich mag gar nicht daran denken, wie von so einem Wein eine perfekte Flasche schmeckt. Diese hier war immer noch ein druckvoller, hocharomatischer Wein mit feiner Süße, hoher Komplexität und unglaublicher Länge am Gaumen 96/100. Ein dazugestellter 1945 Clos de la Roche eines Winzers namens Gilles ging im Vergleich mit bräunlicher Farbe und karamelliger Süße eher als großer, älterer Rioja durch 94/100. Der dritte im Bunde war ein 1945 Nuits-Cailles von Morin. Der schoss unter den drei Burgundern aus dem Wahnsinnsjahr 1945 den Vogel ab. Dichte Farbe mit deutlichen Brauntönen, komplex und dicht mit einer unwahrscheinlichen Aromatik und wunderbarer Süße, ein facettenreicher Wein, der im Glas immer neue Geschichten erzählte und den jüngeren Weingiganten, die zwischendurch aufgetischt wurden, zeigte, wo beim Wein der Hammer hängt 99/100.
Wie wir immer neue Weine auf den Tisch bekamen? Ganz einfach. Große Weine ziehen durstige Mittrinker an, wie helles Licht die Motten. Da sieht man dann, wie sie sich kaum merklich anschleichen, fast unbemerkt mit am Tisch sitzen um sich dann ebenso unbemerkt das Glas zu füllen. Was tut man dagegen? Sicher kein Mottenpulver, das riecht und gegen Mittrinker ist ja an sich nichts einzuwenden. Es gibt eine bessere, elegantere und vor allem spannendere Lösung. "Schön, dass zu uns kommst und mittrinken willst" lautet der richtige Willkommensspruch, "aber bevor Du dich setzt, geh doch bitte runter in den Keller und hol was großes rauf". Es funktionierte tatsächlich und wir hatten so etwas wie das Perpetuum Vinobile geschaffen, immer neue Gesichter und neue Weine.
So kam es dann zu Anfang zu einem sehr irritierenden Zusammentreffen. Da standen neben dem 45er Nuits ein 1997 Abreu und ein 1989 Haut Brion. Klar kann man diese unterschiedlichen Weine, die plötzlich rein zufällig zusammen da standen nicht miteinander vergleichen. Und gerade das machte die Angelegenheit so spannend. Der Abreu war ein riesengroßer Wein mit konzentrierter Frucht und intensiver, schmelziger Fruchtsüße. So richtig was für den vinophilen Obsttag auf höchstem Niveau. Aber gegen Haut Brion und vor allem gegen den Burgunder fehlte da einfach eine Dimension. Ob es daran liegt, dass der ja immerhin schon 10 Jahre alte Abreu schon einen Teil seines Babyfetts verloren hat, das die Kalifornier siehe den 2002 Melbury vom Vorabend ja in ihrer Jugend zu so hedonistischen Meisterwerken macht. Immerhin würde jetzt ein 10 Jahre alter Bordeaux auch keinen Spass machen. Ich denke da allerdings nicht an die schlappen 97er, sondern eher an den verschlossenen Jahrgang 1996, von dem wir im Verlauf des Abends noch ein Musterexemplar bekamen. Also "nur" 97/100 für einen trotzdem sehr überzeugenden Abreu. Nicht in Frage stellen möchte ich die 100/100 für den außerweltlich schönen Haut Brion, der sich an diesem Abend erstaunlich offen zeigte und in perfekter Form die Kraft und die Herrlichkeit eines Jahrhundert-Haut Brions demonstrierte. Für nur ein Glas würde ich möglicherweise trotzdem dem Burgunder den Vorzug geben, für eine Flasche sicher dem Haut Brion, von dem man gar nicht genug ins Glas bekommen kann.
Sehr erstaunt hat mich auch 1989 Le Pin. Der hatte nicht nur die berühmt-berüchtigte, perfekte 100-Punkte-Pomerol-Nase, auch am Gaumen konnte er überzeugen und wies einen erstaunlichen Körper mit immer noch kräftigen Tanninen und guter Säurestruktur auf. Sollte das der erste Le Pin sein, der altern kann? 96/100.
Direkt aus dem Petersdom in Rom schien der 1989 Palmer zu kommen, soviel Weihrauch war da in der Nase. Ein unglaublich dichter, muskulöser Powerwein, der noch wenig rauslässt und in gut gelagerten Flaschen sicher noch mindestens 5, eher 10 Jahre braucht, bis da wieder 95+/100 Trinkgenuss ins Glas kommen.
Etwas offener der superkonzentrierte 1990 Montrose, der aber ebenfalls zu vollen Blüte noch lange Jahre brauchen wird 96++/100. Bei 1990 Cos d Estournel war ich mir nicht sicher, ob er in dieser Flasche noch immer, oder schon wieder trinkbar war 93/100.
Grosse Freude machte 1998 Tertre Roteboeuf. Dichte, junge Farbe, beerige, üppige Frucht sowohl in der betörenden Nase als auch am Gaumen, das pralle Leben, ein perfekter Hedonistenwein mit guter Zukunft 96/100. Viel Fantasie war hingegen beim 1996 Grand Puy Lacoste gefragt. Der war in dieser Magnum wie so viele seiner Jahrgangskollegen absolut zugenagelt. Da sind wohl gut 10 Jahre warten angesagt, bis dieses konzentrierte Kraftpaket wieder die 95/100 aus der betörenden Fruchtphase zeigt. Wer ihn wie wir aus dem Schlaf reist, wird mit 88/100 bestraft.
Sicher habe ich den ein oder anderen Wein dieser unglaublichen Küchenrunde verpasst, da ich natürlich auch häufig im Restaurant und auf der Tanzfläche unterwegs war. Da stand dann z. B. auch noch ein 2000 Turley Paso Robles Zinfandel Presenti Vinyard auf dem Tisch. Ein aggressives, süßes, dickes Teil, dem ich nicht so viel abgewinnen konnte, wie die darum versammelten Fans 90/100. Richtig spannend wurde es noch mal nach Ende des Festes. Da waren in kleiner Hardcore-Küchenrunde als Abschluss zwei der besten Weine der ganzen Weinsause angesagt, 1971 und 1975 Petrus. Beide Weine zeigten nicht nur die große Klasse dieses Weingutes, dessen Erzeugnisse inzwischen den Neureichs dieser Welt als Prestige- und Kultobjekt dienen und immer seltener in den Gläsern und Kellern echter Weinfans landen. Umso glücklicher konnte man sich da an diesem Abend für jeden Tropfen schätzen. Beide Weine zeigten auch, wie es sich für einen großen Wein gehört, eine deutliche Jahrgangstypizität. 1971 Petrus war für mich wieder der Inbegriff von Eleganz, Pomerol wie es nicht besser geht, voll trinkbar, aber noch lange nicht am Ende, ein Wein, bei dem von der Nase über den Gaumen bis zum Abgang einfach alles stimmte -100/100. 1975 Petrus war der wildere und auch noch unfertigere von beiden, wieder diese hypothetische Mischung aus den besten Jahren Lafleur und Heitz Martha s Vineyard, würzig, kräuterig, bissige Tannine, kräftige, tragende Säure, dazu Minztöne, aber auch Schokolade und eine intensive Mineralik 99+/100. Das Leben kann so schön sein.

Danke Werner, ich komme wieder

Danke Werner, ich komme wieder