Einfach nur Träumen....

Einen fantastischen Lauf hatte Vieux Chateau Certan in den Jahren 1947 bis 1955, in denen das Chateau auf Augenhöhe mit dem ebenfalls in dieser Phase legendären Cheval Blanc war. Und wenn man dann diese Weine wie kürzlich bei Elke Drescher aus perfekten Flaschen degustieren darf, dann kann man einfach nur träumen .

Mit einem Viererflight Nenin starteten wir in diese sehr gelungene Probe. Ich mache zwar einen Bogen um jüngere Nenins, aber wenn ich reifere Jahrgänge finde, schlage ich sofort zu. Wunderschön der erste Wein, ein 1943 Nenin aus dem besten der Kriegsjahrgänge. Die süchtig machende Nase erinnerte an eine große Confiserie-Auslage, Schokolade und Nougat ohne Ende, dazu ein Hauch Kaffee, der Gaumen kam da nicht ganz mit, zeigte aber durch die hohe Säure eine bemerkenswerte Frische 92/100. Nicht in bester Form war aus unserer Flasche 1947 Nenin, den ich vor langen Jahren 1996 im Le Canard in Hamburg schon mal aus einer perfekten Magnum getrunken habe. Aus dieser Flasche hier hatte er zwar auch eine fantastische Farbe, aber die Nase war ähnlich wie der Gaumen stark säurebetont, da half auch der leichte Anflug von Schokolade nicht 88/100. Geht bis zu 10 Punkte besser. Ein Gedicht war 1959 Nenin, bei dem ich im Gesicht wohl das fröhliche Grinsen eines 3jährigen nach dem Genuss des ersten Kinder Schokobon hatte. Sehr schöne, fruchtig-schokoladige Nase, süßer Schmelz, der sich in einem ewig langen Schokoladenabgang fortsetzte, einfach dekadent lecker 95/100. Etwas rustikal-staubig die Eleganz der Nase von 1970 Nenin, ein klassischer 70er halt. Am Gaumen Tannin-Schokolade, wie immer so etwas schmeckt, also noch mal 10 Jahre weglegen. Ich bin mir sicher, dass dann bei diesem wein noch mal mehr kommt 90+/100.

Und dann waren wir schon bei Vieux Certan und beim Flight des Abends. Drei riesengroße, perfekte Weine, ein Fest für alle Sinne, alleine für diesen Flight, liebe Elke, wäre ich statt 100 auch 300 km zu Dir geradelt. Worte können einem solchen Erlebnis kaum gerecht werden, aber das hilft jetzt hier nicht weiter. Deshalb jetzt mein kümmerlicher Versuch, diese grandiosen Eindrücke in Buchstaben zu übersetzen. Gewaltig dieser 1947 Vieux Certan mit der leicht portigen, süßen 47er Fülle, aber auch mit bemerkenswerter Säure und erstaunlicher Frische, druckvoll am Gaumen, sehr komplex und lang. Der Weinbuchhalter in mir hat "nur" 99/100 gegeben, weil der 50er ja noch einen Tick größer war, aber das ist eigentlich Haarspalterei, denn dieser 47er Vieux ist einfach ein kompletter, riesengroßer Wein. Daneben stand ein mit seiner extrem dichten Farbe fast schwarz wirkendes Monstrum, das noch dichter, noch kräftiger und mit seinem immer noch intakten Tanningerüst so wirkte, als habe es seienen Trinkhöhepunkt noch nicht erreicht. Eine gewaltige Struktur und eine zupackende Aromatik hat dieser 1948 Vieux Certan, der in diesem Jahrgang mit Cheval Blanc die eindeutige Jahrgangsspitze darstellt und noch ein längeres Leben haben dürfte. Da ist sicher wie bei Cheval ein guter Schuss 47er mit drin, der diesem extrem gesuchten Wein die nötige Geschmeidigkeit verleiht 98/100. Klarer Primus inter pares in diesem Hammerflight war 1950 Vieux Certan. Ein Wein, bei dem einfach alles stimmte und der von allem etwas mehr hatte. Altersfreie, dichte Farbe, eine Traumnase zum stundenlang dran rum riechen, ein einfach hedonistisch, dekadenter Gaumen und dazu eine perfekte Struktur. Ein kompletter, perfekter, immer noch so junger wein mit Schmelz ohne Ende, der es in guten Flaschen wie dieser sicher noch 20 Jahre macht. Selten waren 100/100 so eindeutig.

Etwas seltsam startete 1953 Vieux Certan, nicht so offen und schokoladig wie im November letzten Jahres auf Uwe Bendes Vieux Certan Probe (Weinmomente November 2011). Da waren zu Anfang viel dunkle Aromen, sogar etwas Bratensoße, aber auch eine intensive Minze, unter der sich eine sehr gute Frucht versteckte. Viel Luft brauchte dieser Wein, der dann deutlich frischer, fruchtiger und fröhlicher wirkte und sein gewaltiges Potential zeigte. Zumindest eine weile tat er das, bis er Jammern auf sehr hohem Niveau wieder etwas schwermütiger wurde 95/100. Geht besser, wobei ich natürlich als Wein auch nicht nach diesem genialen 50er ins Glas kommen möchte. Um die Position als größter Wein dieses Gutes aller Zeiten bewarb sich an diesem Abend auch mal wieder sehr eindrucksvoll 1955 Vieux Certan. Auch das ein immer noch enorm jugendliches, frisches, druckvolles, gewaltiges Konzentrat, sehr dicht, extrem lang am Gaumen mit superber Frucht, Schokolade mit 90% Kakao, so unglaublich vielschichtig und komplex, ein Monument 100/100. Und dann war da noch meine bisher beste Flasche des 1959 Vieux Certan. Sehr frisch, jung, fruchtig mit Süße und Schmelz ohne Ende, aber auch mit der hohen Säure des Jahrgangs, der erste große Wein dieses Gutes nach den heftigen 56er Frösten 97/100.

Elke als perfekte Gastgeberin und damit natürlich auch wir hatten an diesem Abend einfach unverschämtes Flaschenglück. So zeigte sich auch 1961 Vieux Certan von seiner besten Seite. Darf man eigentlich das Wort "lecker" für Wein verwenden? Warum eigentlich nicht, vor allem dann, wenn ein Wein so verdammt lecker ist wie dieser. Reif, weich, schmelzig, aber sicher noch lange nicht am Ende, Kräuternoten, Minze, ein Hauch Eukalyptus, baut enorm im Glas aus 96/100. Reif und weich war 1964 Vieux Certan, aber auch mit leicht grünen, unreifen Aromen, dazu am Gaumen das berühmte Loch in der Mitte. Als hätte er gemerkt, dass ich ihn abhaken wollte, drehte dieser Wein enorm auf, wurde weicher, schmelziger, aromatischer, schokoladiger und entwickelte eine gewaltige Länge. Dreimal habe ich meine Bewertung hoch gesetzt, bei 94/100 war das Glas leer. Noch nie hatte ich 1966 Vieux Certan auch nur annähernd so gut im Glas. Gut, im Vergleich zu den vorhergehenden Boliden wirkte die Nase etwas anstrengend, und auch am Gaumen hatte man das Gefühl einer angezogenen Handbremse. Aber dieser Vieux war auch erstaunlich dicht und kräftig, mehr Medoc als Pomerol, wurde dann mit der Zeit im Glas generöser. Süßer und schokoladiger 93/100.

Vorgewarnt hatte uns Elke. Der 68er kam nur ins Glas, weil es ihr Geburtsjahrgang war. Tolle Frauen hat es in 1968 gegeben, auch tolle Männer. Bei Wein sah es zumindest in Frankreich eher mickrig aus. Erstaunlich gefällig die Nase des 1968 Vieux Certan, habe noch nie so schöne Mottenkugeln gerochen. Der Gaumen fiel eher säuerlich aus und machte wenig Spaß. Aber da war ja noch die sehr gute Farbe. Immerhin trinkbar und für das Jahr beachtlich 81/100.

Ich war im siebten Rotweinhimmel. Da konnte auch der letzte Flight mit drei kleineren Weinen nichts mehr dran ändern. 1971 Vieux Certan war ein sehr feiner Wein mit viel Säure am Gaumen, der nicht (mehr) die Klasse hatte, mit der ich ihn kenne 91/100. Sehr vielsprechend die Nase des 1978 Vieux Certan, doch der ruppige, ungeneröse, von grünen Noten und astringierenden Resttanninen dominierte Gaumen holte uns auf den Boden zurück 85/100. Noch sehr jung aus der Magnum der zwar nicht große, aber stimmige und ausgewogene 1985 Vieux Certan 90/100.

Ja, ich habe danach im Bett nicht sofort geschlafen. Erst musste ich noch ins Internet und nach 1950 Vieux Certan suchen. Hat leider nicht geklappt. Also habe ich es doch dabei belassen, von diesem Wein zu Träumen. Es war ein schöner Traum.