Einzelstücke

Mit einem 1943 Moet&Chandon Cuvée Bicentenaire stießen wir auf den Abend an. Klar, das war kein Jüngling mehr, aber er besaß noch immer Mousseux. Reife Farbe, in der Nase Champignongs, dazu kamen immer mehr Brottöne. Was erst spontan wie ein vielleicht zu alter Champagner wirkte, entwickelte sich unglaublich im Glas. Etwas Luft tat dieser, damals zum 200jährigen Bestehen der Mutterfirma von Dom Perignon abgefüllten Cuvée sehr gut. Da kam richtig Freude auf, ein sehr komplexer, kräftiger Champagner, der lang am Gaumen blieb nur nicht im Glas, dazu war er einfach zu gut 96/100.
Wie alt darf ein trockener Riesling werden? Wie gut altern österreichische Weine? Bei den heutigen, alkoholreichen und auf frühe Trinkbarkeit getrimmten Gewächsen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ganz anders der über 50 Jahre alte 1954 Rheinriesling von Schloß Gobelsburg. Klar hatte der eine goldgelbe Farbe und eine deutliche, aber nicht unangenehme Petrolnase. Aber am Gaumen war dieser faszinierende Wein noch so frisch, so kraftvoll und aromatisch mit ganz dezenter Bitternote. Kein Greis, sondern ein extrem vitaler Senior. Ein einfacher Messwein soll das mal gewesen sein. Wo ist die Kirche, die so etwas ausschenkt? Die nähme ich gerne als persönlichen Wallfahrtsort 93/100.

In der Farbe sah er aus wie ein Spezi, der 1953 Chateau Olivier Blanc aus Pessac. Aber am Gaumen hatte dieser sehr elegante, druckvolle Wein nichts mit einem Cola-Limo Gemisch gemeinsam. Erstaunlich, wie sich dieser ebenfalls über 50 Jahre alte Weißweines gehalten hat. Und das, wo Chateau Olivier eigentlich berühmt oder eher berüchtigt dafür ist, auf gutem Terroir schlechte Weine zu erzeugen. Aber da muss es deutlich bessere Zeiten gegeben haben, von denen uns dieser Wein eine lange Geschichte erzählte. Das war ein großer, balancierter Stoff, der in seiner leicht bitteren, nussigen Aromatik auch als ein hypothetischer, weißer Latour durchgehen könnte 94/100.
Gespannt war ich auf 1950 Chateauneuf-du-Pape Blanc von Antione Verda aus meinem Geburtsjahr. Weiße Chateauneufs können sehr gut altern, aber nur, wenn sie nicht korkig sind. Dieser hier empfing uns mit einer ungewöhnlichen Nase, in der sich frischer Apfelsaft mit Cigarbox paarte. Am Gaumen dann leider übler Kork, der immer stärker wurde. Schade, das hätte ein spannender Wein sein können, zu alt war er in keinem Fall.

Langsam kroch die abendliche Feuchtigkeit hoch. Zeit für einen letzten Schluck auf der Terrasse und einen anschließenden Ortswechsel. Mit brillianter Mahagonifarbe floss ein großer, edelsüßer Wein in unsere Gläser. Mein Freund Philippe aus Frankreich war da ganz schnell sicher: das ist ein großer, alter Yquem. Er lag goldrichtig. 1918 d Yquem stand da vor uns in einer Vandermeulen-Abfüllung. Wunderbare Nase mit Bienenwachs und Honigtönen, am Gaumen die klassische Orangen-Bitternote, Crême Brulée, dabei unglaublich balanciert, überhaupt nicht alt oder gar überaltert wirkend, sondern immer noch sehr lebendig, harmonisch und schlank im positiven Sinne, ein zeitloses Monument 97/100.

Von der heimischen Terrasse verlagerten wir unseren Standort ins nahe gelegene Dado, wo Yves Deval-Block schon mit seinen Tasting-Flights auf uns wartete. Ich war froh, dass ich nur noch mein Weinglas betätigen musste, aber nicht mehr den Korkenzieher. Das übernahm sehr professionell und gekonnt die charmante Restaurantchefin des Dado, Janine Linaldeddu.
Eine große Überraschung gleich der erste Wein, ein 1978 Almaden Cabernet Sauvignon aus Monterey in Kalifornien. Dichte, immer noch junge Farbe, sensationelle Nase mit großem Blumenmeer, rauchig, Teer und Leder, auch am Gaumen sehr aromatisch, schlank und kraftvoll zugleich, so balanciert und harmonisch, ein gelungener Haut Brion aus Kalifornien 95/100. Ganze 12,5% Alkohol hatte dieser Wein aus einer Zeit, als in Kalifornien noch große Bordeaux erzeugt wurden. Würde sicher viele der heutigen Frucht- und Alkoholbomben noch deutlich überleben.
Schier unglaublich dann ein einfacher 1936 Bourgogne von Charles Vienot. Klares Rubinrot ohne Alterstöne, sehr fruchtige, minzige Nase, am Gaumen sehr elegant, aber auch mit Fülle, gestützt durch eine prägnante Säure, die ihn frisch hielt- 94/100. In Burgund war 1936 ein eher unbedeutender Jahrgang mit einer sehr kleinen Ernte, der durch die großartigen 37er schnell in Vergessenheit geriet. "None tasted" heißt es bei Michael Broadbent. Ich bin jetzt neugierig geworden und werde dieser Flasche und den beiden vorher schon verkosteten 36er Burgundern sicher im Laufe der Zeit noch weitere hinzufügen.
Riesengroß ist 1937 in Burgund, deutlich weniger schön in Bordeaux. Wir verkosteten einen 1937 Smith Haut Lafitte. Der hatte eine einfach traumhafte Nase mit viel Schmelz, die auf einen Weinriesen in der 98/100 Kategorie hindeutete. Doch am Gaumen brachte der Smith Haut Lafitte nicht viel. Er wirkte etwas eckig, rustikal und schon deutlich gezehrt. Da kamen als Trinkgenuss noch höchstens 83/100 rüber.

Wir blieben bei 1937 und gingen mit zwei Burgundern in die Vollen. Noellat gegen Leroy, zwei Riesen aus einem Traumjahrgang. Doch mit einer der Flaschen wurden wir eiskalt erwischt und daran erinnert, dass es keine großen Jahrgänge und auch keine großen Weine gibt, sondern nur große Flaschen. Und zu letzteren gehörte der 1937 Vosne Romanée von Leroy nun leider überhaupt nicht. Trotz guter Farbe war diese, mäßig gefüllte Flasche(9cm) deutlich over the hill, trotz wenigstens noch feiner Nase. Aber am sehr säurebetonten, ungenerösen Gaumen machte dieser Leroy keinerlei Freude 78/100. Völlig anders der 1937 Richebourg von Noellat. Ähnlich schlechter Füllstand, noch dichtere Farbe. Das war reifer Pinot vom Allerfeinsten, betörende, feinduftige Nase, am Gaumen sehr finessig und delikat, mehr Eleganz als Kraft, aber doch sehr komplex und unglaublich lang, ein großes Violinenkonzert 99/100.
Legendär sind alte Pavies, deren unbestreitbarer Klasse der neue Besitzer dieses Chateaus mit viel Engagement und auch großem Erfolg seit 1998 nacheifert. Da waren wir schon gespannt, wie sich heute ein 1923 Pavie aus einem eher etwas kleineren Jahr präsentieren würde. Für seine fast 85 Jahre besaß dieser Pavie noch eine unglaublich dichte Farbe mit wenig Spuren von Alter. In der Nase frischer Bohnerwachs, aber auch Cigarbox ohne Ende, etwas Jod, mit der Zeit kam immer mehr reife Johannisbeere dazu. Am Gaumen war der Pavie, der sich mit Händen und Füßen gegen das Altwerden wehrte, recht kompakt mit kräftiger Säure, was ihn sehr kernig wirken ließ 93/100.
Was war los an diesem Abend? Zwei Totalausfälle hatten wir schon zu verzeichnen gehabt. Und dann jetzt der Supergau. Nicht gerade preiswert war die erst vor ein paar Monaten erworbene Flasche 1916 Latour gewesen. Sehr gut der Zustand mit very top shoulder, nicht minder gut und vor allem extrem langlebig der Jahrgang, mit dem ich bisher nur gute Erfahrungen gemacht habe. Eine Bombe hätte dieser Latour sein müssen, stattdessen war es ein Rohrkrepierer. Flüchtige Säure ohne Ende, Klebstoff, Schuhcreme, einfach untrinkbar.
Nur einen Bruchteil des Latour hatte der 1918 Chateau Brown aus Leognan gekostet, der dann alles wieder gut machte. Superfarbe, Minze wie ein großer Lynch Bages aus den 60ern, kräuterige Aromen, am Gaumen vielschichtig mit großer Fülle, reif, rund und lang, da war einfach pure Freude im Glas 95/100.

Nach diesem Höhepunkt gleich der nächste Absturz und auch der wieder aus meinem Geburtsjahr. 1950 Haut Brion hatte einen ganz üblen Kork, da half einfach gar nichts mehr. Blieb als Absacker noch eine, für kleines Geld erworbene Risikoflasche, auf der nur der Jahrgang und das Wort Chateau zu entziffern waren. Das hätte auch etwas ganz Großes sein können, war es aber nicht. Der über den Korken zu identifizierende 1928 Chateau d Arsac war ein eher leichtgewichtiger, kleiner, schöner Wein, schon sehr weit, weich am Gaumen und auch etwas gezehrt, zu wenig für ein Wunder 83/100.
Bettschwere breitete sich in unserer Runde aus, doch da hatten wir die Rechnung ohne den sympathischen Wirt gemacht. Yves Deval-Block wollte uns noch mit einem 1998 Shafer Hillside Select überraschen. Nicht nur, das unsere Weine leer und wir ziemlich voll waren. Nach den Altstars wirkte dieser kalifornische Jungrocker eher wie ein armer Wicht. Dabei hatte Shafer mit dem Hillside Select noch einen der besseren Weine des in Kalifornien ja nicht gerade berauschenden Jahrgangs 1998 produziert. Jung nach sehr alt geht eigentlich nur, und diese Erfahrung haben wir in vielen Proben gemacht, wenn der junge Wein sehr frisch und weiß ist, idealerweise ein junger Riesling, wobei es auch ein Kabinett tut. Und wenn das nicht geht, dann lieber ein frisch gezapftes Pils als noch eine Rotweingranate.

Die Herrin der Flaschen - Janine Linaldeddu

Die Herrin der Flaschen - Janine Linaldeddu