Figeac und die Linzer Gang

Einmal im Jahr wird Linz zum Nabel der Weinwelt. Dann trifft sich an einem November Wochenende im Szenelokal Josef die Linzer Gang zu ihrer schon legendären, jährlichen Raritätenprobe. Das Hauptthema dieses Jahres war Chateau Figeac.

Gefreut hatte ich mich, in diesem Jahr wieder Teil der Linzer Gang sein zu dürfen. Gefreut hatte ich mich darauf, gute Weinfreunde aus aller Welt wiedersehen zu dürfen. Gefreut hatte ich mich auf alte Portweine, die Dirk Niepoort angeblich im Gepäck hatte. Und gefreut hatte ich mich natürlich auf den "Josef", dieses vibrierende, einmalige Szene-Gasthaus. Deutlich vergrößert hat sich dieser Josef. Dazu gekommen sind unter anderem ein perfekter Probenraum mit langer Tafel, ein begehender Weinklimaschrank und eine großartige Weinkarte mit etwa 600 Positionen. Alles, was in der österreichischen Weinwelt Rang und Namen hat findet sich auf dieser Karte, noch dazu in jeweils meist mehreren Jahrgängen und unterschiedlichen Flaschengrößen bis hoch zur Imperiale.

Habe ich mich auch auf Figeac gefreut? Jein. Ich bin ein großer Fan älterer Figeacs. Speziell in den 80ern aber hatte Figeac ein Kellerproblem(Ducru lässt grüßen), das sich oft in einer anstrengenden, kork-ähnlichen, an 4 Wochen lang getragene Wandersocken erinnernden Nase äußert. Eindrucksvoll bekamen wir das am Vorabend unserer Probe bei einem kulinarischen Get-together vorgeführt. 1989 Figeac gab es dazu aus der Imperiale. Ein klassischer, kerniger Figeac mit eben dieser anstrengenden, korkig wirkenden Nase, über die ich mich zuletzt aus der Magnum vor zwei Jahren bei René Gabriels großer 89*89 Probe geärgert habe. Was könnte das für ein schöner Wein ohne diese fehlerhafte Aromatik sein, groß und grenzwertig zugleich, wurde im Laufe des Abends marginal besser, 87-92/100 je nach Geschmackslage, ich bin da am untersten Ende anzusiedeln. Einige an unserem Tisch schien der Fehlton des Figeac nicht zu stören. Aber Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Wer auf einer ausgedehnten Hüttenwanderung in den Alpen nachts seine Socken auf dem Kopfkissen drapiert, weil er deren Gout so liebt, der wird auch 89 Figeac in dieser Form verehren.

Kommen wir zur eigentlichen Probe, die wir komplett aus Gabriel-Gläsern genießen durften. Serviert wurden die Weine halbblind, d.h. wir wussten, welche Weine in einem Flight waren, aber nicht, in welchem Glas sie sich befanden. (Über)reife Frucht hatte 2008 Figeac in der Nase, auch am Gaumen intensive Fruchtsüße, aber wenig Struktur und kurz im Abgang, wirkt etwas einfach gestrickt mit derzeit noch viel Babyspeck, könnte sich noch entwickeln 89/100. Gut gefiel mir 2007 Figeac, der jetzt in einer bestechenden, ersten Trinkphase ist. Wunderbar die Nase mit präziser, süßer Beerenfrucht, etwas schlank am Gaumen, aber wiederum mit sehr guter Struktur und guter Länge, ein feiner Figeac für die nächsten 10 Jahre 90/100. Verhalten wirkte die Nase des 2004 Figeac, der derzeit wohl durch eine verschlossene Phase geht, gute Frucht, am Gaumen kräftige Tannine, wirkt im jetzigen Stadium etwas monolithisch und braucht sicher noch Zeit 88+/100. 2006 Figeac präsentiert sich derzeit sehr offen mit süßer, etwas simpler, primärfruchtiger Nase, was sich am Gaumen fortsetzt, offen, süß, fruchtig, simpel 87/100. Mit fruchtig-eleganter Nase punktete auch 2003 Figeac, der aber am Gaumen etwas unharmonisch und strukturlos wirkte, ein typischer 2003er Bordeaux eben 88/100.

Insgesamt 32 Jahrgänge Figeac standen auf unserem Programm. Da wurde in der Verkostung ein ziemliches Tempo vorgelegt. Gucken, riechen, schmecken, spucken/trinken nächstes Glas. Ich bin mehrfach auf die Bremse getreten, weil ich mich mit einzelnen Weinen etwas länger befassen wollte. Aber so sind halt diese Proben, schnelle Momentaufnahmen, die das Befassen mit einem Wein über einen längeren Zeitraum nicht ersetzen. Ich habe die einzelnen Weine hier bewusst nicht nach Jahrgängen geordnet, sondern sie in der Reihenfolge besprochen, in der sie ins Glas kamen. Eine feine, schlanke Nase mit roten Johannisbeeren und Holunder hatte der 1994 Figeac, auch am Gaumen recht schlank und verhalten mit wenig aromatischem Druck 86/100. Immerhin verschonte uns dieser Wein mit der leider auch in diesem Jahrgang häufig anzutreffenden "Figeac-Nase". In besseren Flaschen wie dieser ist das ein kleiner, gut trinkbarer Figeac, der sich aber kaum weiterentwickeln dürfte. Krasser Gegensatz dazu der 1997 Figeac mit süßer, reifer, kandiert wirkender Frucht in der Nase, am Gaumen überreif und mostig, ein Wein, dessen Tage sicher gezählt sind 86/100. Eine gute Struktur und ein noch deutliches Tanningerüst zeigte der 2002 Figeac, der mit reifer, wohl definierter Beerenfrucht und Zedernholz in der Nase und guter Frucht auch am eher schlanken Gaumen sicher noch zulegen kann 88+/100. Einen zwiespältigen Eindruck vermittelte 1995 Figeac aus diesem doch sonst so gut gelungenen Jahrgang. Krautig-kräuterig die Nase, auch am Gaumen recht unharmonisch wirkend, scheint seine Zukunft bereits weitgehend hinter sich zu haben 87/100. Etwas untypisch wirkte 1999 Figeac, der sich jetzt wie so viele 99er Bordeaux in einer bestechenden Trinkphase befindet. In der Nase süße, gute Frucht und viel Lakritz, auch am lakritzig-fülligen, wohl definierten Gaumen an einen Hermitage-la-Chapelle erinnernd, machte einfach großen Trinkspaß und wirkte nach den ersten 9 Weinen wie eine Erholung 93/100. Eine ähnliche Klasse könnte durchaus der jetzt noch jugendliche, mit seinen deutlichen Tanninen noch etwas schlank und verhalten wirkende 2001 Figeac erreichen, sehr elegant mit feiner, pikanter Frucht, etwas Leder und Kaffee 91+/100.

Wir hatten durchaus Flaschenglück in unserer Verkostung, denn die korkig wirkende Fiegeac-Nase tauchte in erstaunlich wenigen Gläsern auf. So hatte ich den 2000 Figeac noch nie so schön im Glas. Dicht und kräftig die Farbe, eine wunderbare Nase, die Struktur, Rasse und Klasse versprach, was der Gaumen mit guter Frucht voll halten konnte, in dieser Form ein großer, junger wein mit Langstreckenpotential 94+/100. Nur, wenn man davon 3 oder 4 Flaschen kaufen muss, um eine gute mit dieser Klasse zu erwischen, dann ist das doch eine verdammt teure Übung. Hell die Farbe des 1992 Figeac mit deutlichem Wasserrand, oxidiert und muffig die Nase, am Gaumen gezehrt und einfach hin 78/100. Erstaunlich gut zeigte sich auch 1986 Figeac. Feinfruchtige, klassisch-distinguierte Nase, bei der nur eine deutliche Himbeernote etwas irritierte, voll intakte Tanninstruktur und nur ein Hauch von Figeac-Bitterkeit am Gaumen, wird sich in dieser Form noch etliche Jahre weiterentwickeln 90+/100. Allerdings hatten wir diesen Wein dann später beim Abendessen noch aus der Doppelmagnum, aus der er wieder diesen so grenzwertigen, kork-ähnlichen Ton zeigte, einfach nur fürchterlich. In dieser Form mag ich Figeac auch geschenkt nicht. Staubig-muffig die Nase des 1988 Figeac, am Gaumen viel Bittertöne und harsches Tannin, wenig Frucht, wenig Körper, das 88er Wunder wird an diesem Wein wohl vorbeigehen 85/100. Deutlich besser als aus der Impi des Vorabends zeigte sich 1989 Figeac, ein feiner, eleganter Wein mit pikanter Frucht, Johannisbeere, Kirsche und Hollunder, etwas Tabak, Leder und Zedernholz, am Gaumen kräftig, mineralisch, lang mit einer leichten Bitternote 91/100. Was für ein großartiger Wein kann 1990 Figeac sein, aber hier hatten wir wieder die stinkenden, alten Socken, die in die sonst wunderbare Frucht der Nase nun wirklich nicht hineinpassten und auch am Gaumen eigentlich nichts zu suchen hatten. Unter diesem sehr störenden Fehlton spürte man schon die Klasse, die dieser Wein in "reintöniger" Form haben könnte. Klar, trinken konnte man ihn und mit viel gutem Willen auch 90/100 geben. Aber ich dachte mit Wehmut nicht nur an die letzte, im Doctorhaus mit 95/100 genossene Flasche, sondern auch an die in meinem Keller noch verbliebenen 17 Flaschen. Wie viele davon mögen gut sein, drei, fünf?

Reif war 1979 Figeac mit heller Farbe. Diesmal hatten wir die anstrengende Figeac-Nase und den dazugehörigen, bitteren Gaumen in unserer Proben-1tel, die Doppelmagnum am Abend zeigte einen wunderbaren, eleganten, feinfruchtigen Bordeaux klassischen Zuschnitts, der ohne Eile noch etliche Jahre auf 91/100 Niveau viel Trinkfreude ins Glas bringt. Aber auch hier gilt: so gerne ich diesen Wein noch mal trinken würde, der mich in der guten Variante wie viele, andere 79er Bordeaux an eine klassische Variante von 1999 erinnert, ich käme wohl nie auf die Idee, hiervon eine OHK zu kaufen, um dann auf ein paar gute Flaschen zu hoffen. Seine besseren Zeiten schien 1978 Figeac schon hinter sich zu haben. Kräuterig die feine, schlanke Nase, auch der Gaumen kräuterig-lakritzig mit guter Länge, aber auch etwas ungenerös und sperrig 86/100. Und dann wurde es wirklich heftig. 1983 Figeac war so eine Art vinologischer Besuch im Domina-Studio. Hier waren die Socken schon 3 Monate getragen, ein anstrengender, fürchterlicher Wein, eine echte Strafe für Nase und Gaumen. Der verdient keine Bewertung, sondern höchstens ein Warnschild. Wenn es von diesem wein vereinzelte, bessere Flaschen gibt, präsentieren die sich dann vielleicht so, wie 1985 Figeac? Bei dem war der Fehlton in der Nase zwar auch spürbar, aber in deutlich angenehmerer, weicherer, süßerer Form. Auch am Gaumen war dieser Wein weich, gefällig, fast etwas schmusig, dabei sehr elegant und hoch aromatisch, ein Figeac auf Cheval Blanc Niveau 93/100. Deutlich besser(meist 94/100) hatte ich schon 1982 Figeac im Glas. Diesmal hatte er eine sehr dichte, noch junge Farbe, die Nase mit schwarzer Johannisbeere, leicht von Kräuter, schwarzen Oliven, Lakritz und Zedernholz unterlegt, kräftig mit noch deutlich spürbaren Tanninen am Gaumen 90+/100.

Erstaunlich schön zeigte sich 1976 Figeac, kein Hammerwein, eher etwas schlank, aber mit betörender, sehr gefälliger, feiner und auch generöser Nase, am Gaumen süß, schmeichlerisch und wiederum sehr elegant, keine Eile 93/100. Zu den besseren Weinen dieses Jahrgangs gehört auch
1975 Figeac. Leider hatte unsere Flasche einen echten, ziemlich üblen Kork. Sehr generös und einladend die leicht karamellige, süße Nase des 1966 Figeac, am Gaumen kräuterig, lakritzig, erdig 91/100. Sehr fein, elegant, würzig und lakritzig die Nase des 1970 Figeac, auch am Gaumen weich, balanciert und elegant mit erster Süße 90/100. Sehr dicht die Farbe des für den Jahrgang erstaunlich jung und kräftig wirkenden 1964 Figeac, einfach sexy und hedonistisch schön die generöse, süße Nase, immer noch mit guter Frucht, der leicht anstrenge Gaumen kam da nicht ganz mit 92/100.

Gibt es etwas, das ich an Figeac liebe? Natürlich, die alten Weine. Davon hatten wir jetzt zunächst optisch fünf Prachtexemplare im Glas. Sensationell die brillianten, fast altersfreien Farben, die eher auf 20 Jahre alte Weine hindeuteten. Zwei Weine stachen dabei in der unglaublich dichten Farbe heraus. Das konnten nur der 50er und der 49er sein. Eigentlich ein spannender Vergleich von zwei potentiellen Riesen. Doch leider hatte 1949 Figeac einen üblen Kork und entzog sich so diesem Vergleich. Entsprechend machte neben mir Jan Paulson ein langes Gesicht. Er hatte fest darauf gesetzt, dass "sein" Figeac der bessere wäre. Um so größer die Freude bei Franz Hirtzberger und Emmerich Knoll, die so wie ich aus 1950 stammten. Der 1950 Figeac in einer belgischen Händlerabfüllung zeigte sich in überragender Form. Ein konzentrierter Powerstoff mit fast unbändiger Kraft und immer noch erstaunlicher Frucht, dicht, Kaffeenoten, Lakritz, Teer, Bitterstoffe, immer noch intaktes Tanningerüst und langer Abgang, einfach einer dieser unsterblichen, großen 50er aus einer noch dazu perfekten Flasche 97/100. Völlig daneben leider 1955 Figeac in einer belgischen Grafé-Lecoq Abfüllung. Üble Kloakennase, am Gaumen Spüli mit Zitrone, nein, der war mit seiner tollen Farbe zwar schön anzuschauen, aber trinken konnte man das Zeugs nicht. Schade, auch das eigentlich wie z.B. auch 1953 ein riesengroßer Figeac, den ich schon mal mit 97/100 im Glas hatte. Aber gerade bei alten Weinen gehört zu einem großen Wein auch eine große Flasche. Die hier hatte nicht nur einen schlechten Füllstand. Sie hat wohl auch mal länger als Dekoration auf einem belgischen Kaminsims gestanden oder ist sonst wie misshandelt worden. Ein Bilderbuch-Figeac auch 1959. Auch der hatte nicht nur eine sensationelle Farbe, war dicht, kräftig, trüffelig, teerig, süß, immer noch mit guter Frucht, komplex, mit Kaffee- und Terroirnoten und gewaltiger Länge 95/100. Im direkten Vergleich dazu fehlte dem 1961 Figeac diese gewaltige, aromatische Dichte. Doch das machte er mit einer unglaublichen, an große Cheval Blanc erinnerden Eleganz und Finesse wett. Auch das ein großer, komplexer Figeac zum Träumen mit noch längerer Zukunft 95/100.

Sehr deutlich haben diese alten Figeacs gezeigt, was auf diesem Terroir möglich wäre. Jetzt müsste man nur noch können und wollen. Figeac gehört dringend wach geküsst. Bis es soweit ist, gehe ich weiter auf die Suche nach alten, gut gelagerten Figeacs.

Vier große 50er

Vier große 50er