Grosse Pichon Comtesse Probe

Einer meiner Lieblingsweine ist Pichon Comtesse de Lalande aus Pauillac, von Fans kurz Comtesse genannt. Die stark Merlot-geprägte Comtesse verbindet in einzigartiger Weise Kraft und Struktur eines Pauillac mit dem schokoladigen Schmelz eines Pomerol. Ein großer, hedonistischer Wein mit beachtlichem Standvermögen. Als jetzt Weinart eine große Comtesse-Probe mit 34 reifen Jahrgängen auslobte, war für mich schnell klar: das lasse ich mir nicht entgehen.

Viele träumen ja vom Schloss am Wörthersee, ich träume ab sofort vom Forsthaus am Attersee. Der Landsitz der Wolfs ist es, dieses Forsthaus, und gleichzeitig Standort großer Proben. Der umtriebige Carlo Wolf, ein Urgestein der deutschen Wein- und Gastroszene hatte 1978 den legendären Rungis-Express gegründet. Danach kam Wein Wolf, später Weinart. Jetzt züchtet er am malerisch gelegenen Attersee den berühmten Atterochs und andere Viecher, alles stets mit dem Ziel höchster Qualität und Naturbelassenheit. Die Leitung der österreichischen Weinart hat er seiner Tochter Katharina übertragen. Zarte 25 Jahre ist das Mädel erst, legt aber eine ungeheure Power an den Tag. Verpackt ist das in sehr viel Charme, womit die Katharina Wolf auf mich wie so eine Art Comtesse der Weinszene wirkt. 34 Jahrgänge Pichon Comtesse umfasste die Probe, etliche davon in Großflaschen, so dass genug ins Glas kam. Passend dazu gab es ein extrem hochwertiges 10-Gang-Menü aus der Forsthausküche. Perfekt auch der Weinservice an diesem Abend.

Perfekter Traumstoff: die 1875 Pichon Comtesse

Perfekter Traumstoff: die 1875 Pichon Comtesse

Gleich im ersten Flight der Höhepunkt der Probe, eine perfekt erhaltene 1875 Pichon Comtesse aus der Vor-Reblauszeit. Erstaunlich lebendig war dieser Wein noch, nicht nur in der zwar hellen, aber voll intakten Farbe, die in ihrem Ziegelrot eher an einen dunkleren Rosé erinnerte. Schlichtweg ein Traum die generöse Nase mit feiner Süße, burgundischer Pracht und Fülle und an reife Himbeeren erinnernder Frucht, am Gaumen deutlich schlanker, sehr pikant mit etwas dominierender Säure, entwickelte sich und zeigte gute Länge am Gaumen 97/100. Eine sehr überzeugende Antwort auf die Frage "kann man solch alte Weine überhaupt noch trinken?". Der war nicht nur trinkbar, das war hoher Genuss. Alleine für diesen Wein hätte es gelohnt, auf den Knien zum Attersee zu rutschen. Durchaus noch gut trinkbar war auch 1906 Pichon Comtesse. Sehr kräftig die Farbe, etwas stichig die balsamische Nase, die immer mehr Champignons entwickelte, am Gaumen deutliche Säure, etwas harsches Resttannin, aber auch eine dezente Süße 88/100. Die 1923 Pichon Comtesse erschien zunächst als morbidester dieser drei Weinsenioren, etwas trüb in der Farbe, die Nase muffig und staubig, die zu Anfang deutlichen Alterstöne am Gaumen verschwanden rasch und diese Comtesse entwickelte sich, wurde gefälliger und war durchaus noch mit Genuss zu trinken 87/100. Ohne den leichten Fehlton, den dieser Wein leider besaß, wäre da deutlich mehr drin gewesen.

Die 1937 Pichon Comtesse aus der Magnum hatte eine reife Farbe mit deutlichen Brauntönen, auch die Nase zeigte deutliche Reife an mit ersten Nebentönen wie Schuhcreme und Möbelpolitur, am Gaumen deutlich besser, jünger und kräftiger, aber auch etwas eindimensional und monolithisch, mit feiner Süße aber auch noch gut trinkbar 86/100. Etwas gezehrt und säurelastig wirkte die 1943 Pichon Comtesse aus diesem besten der ansonsten schwierigen Kriegsjahre. Auf insgesamt niedrigerem Niveau wirkte sie aber durchaus noch spannend und durch die deutliche Säure pikant 84/100. Bei der 1987 Pichon Comtesse fragte ich mich, ob hier die Zeit stehengeblieben war. Bis Anfang der Neunziger war das mal bei mir zuhause so eine Art Edel-Tischwein. Dann hatte ich auch die letzte meiner insgesamt 60 Flaschen geleert. Und jetzt präsentierte sich diese Magnum so wie damals in den besten Zeiten. Kein großer, aber ein sehr feiner Wein, elegant mit feinem, süßem Schmelz, einfach eine zeitlos schöne Comtesse 89/100. Für € 15 gab es so etwas damals in der Subskription als 1tel. Those were the days .

Kaum zu glauben im nächsten Flight die 1925 Pichon Comtesse aus diesem unsäglichen Schrottjahr mit seinem sonnenlosen Sommer. Und aus diesem Unjahr sollte diese süße, feine, schmusige Traumcomtesse stammen, die Nase und Gaumen mit ihrer seidigen schmelzigen, eleganten Aromatik verwöhnte, und die durch die gute Säure auch noch erstaunlich frisch und pikant wirkte? Klar, die helle, aber noch intakte und brilliante Farbe zeigte schon ein deutliches Alter an. Aber des Rätsels Lösung dürfte für mich eher im Jahrgang 1924 liegen, in dem auf dem Gut ein außergewöhnlich gelungener Wein erzeugt wurde. Davon ist dann sicherlich ein Teil im 25er gelandet, der es so auf ungewöhnliche 93/100 bringt. Schwierig zu Anfang die 1926 Pichon Comtesse, trotz einer sehr überzeugenden, dichten und intakten Nase. Etwas diffus die Nase mit einer Mischung aus Menthol und Lacktönen, am Gaumen zunächst ruppig, kompakt und säurelastig, kein Comtesse-Charme in Sicht. Doch entwickelte sich diese Comtesse mit der Zeit enorm im Glas und wurde deutlich gefälliger 88/100. Dürfte in guten Flaschen noch sehr langlebig sein. Ähnlich die 1928 Pichon Comtesse, noch kein bisschen müde, aber schroff, ungenerös und uncharmant mit deutlichen, harschen Tanninen, entwickelt sich im Glas nur zögerlich 88/100. Dürfte in dieser Form noch lange leben, aber dabei langsam austrocknen. Habe ich sowohl in dieser Form als auch schon deutlich besser im Glas gehabt, ein sehr variabler Wein. Die Klasse, die ich sonst von den besten 28er Flaschen kenne, zeigte die 1929 Pichon Comtesse. Ein erotischer, betörender Wein, in der generösen, faszinierenden, süßen Nase Weihnachtsgewürz, am Gaumen unendliche Eleganz mit feinem, süßem Schmelz, dabei sehr filigran und perfekt balanciert mit großartiger Länge am Gaumen 96/100. Macht es in dieser Form noch etliche Jahre.

Die 40er waren im nächsten Flight angesagt. 1940 Pichon Comtesse hatte eine erstaunlich kräftige Farbe, die deutlich mehr versprach, als dieser Wein halten konnte. In der reifen Nase erste Lacktöne, am Gaumen sehr säurelastig, ein grenzwertiger, nur mit Schmerzen trinkbarer Wein 78/100. Eine alte Binsenwahrheit lautet: Es gibt keine großen Weine, nur große Flaschen. Sehr deutlich wurde das bei der 1945 Pichon Comtesse. Noch im Dezember letzten Jahres auf Elke Dreschers großer Pichon-Probe lag dieser Wein mit säuerlich und gezehrt wirkendem Gaumen weit unter seinen Möglichkeiten(86/100), doch jetzt, an diesem Abend, hatten wir Glück. Ein gewaltiges, dichtes, kraftvolles Konzentrat stand da vor uns, immer noch so jung wirkend wie die sehr dichte Farbe, elegant und faszinierend die fruchtige Nase, am Gaumen so zupackend, wie man es von einem großen 45er erwartet, und mit erster, malziger Süße. Hat in dieser Form noch eine lange Zukunft 97/100. Diesen Riesenwein hätte ich lieber aus der Magnum gehabt als die 1947 Pichon Comtesse im Nachbarglas. Bei der stimmte trotz Magnumbonus nur die Farbe. Reichlich flüchtige Säure in der Nase ließ diesen Wein unharmonisch erscheinen, was auch für den zwar kraftvollen, aber säurelastigen Gaumen galt. Mit dem heutigen Stand der Kellertechnik wäre daraus sicher ein deutlich besserer Wein geworden 88/100. Hatte die 1949 Pichon Comtesse Kork? Zumindest die Nase wirkte sehr unsauber. Am Gaumen wirkte dieser Wein, der auch mit einer tollen Farbe glänzte, deutlich besser 90?/100.

Richtig was ins Glas gab es mit dem nächsten Flight, drei wunderschöne Magnums und dazu noch eine große Überraschung. Recht jung, auch in der Farbe, wieder die 1952 Pichon Comtesse aus der Magnum, etwas streng vielleicht die speckige Nase, am Gaumen Kraft, Cabernet-Würze, immer noch gutes Tanningerüst und schöne Länge am Gaumen, baute im Glas enorm aus 93/100. Großartig auch wieder einer meiner Lieblingsweine dieses Chateaus, die 1953 Pichon Comtesse aus der Magnum. Das war Comtesse pur, eine Orgie in Seide für Nase und Gaumen, so fein so elegant mit betörendem Schmelz, leichtfüßig, tänzerisch und filigran, und dabei trotzdem mit druckvoller Aromatik, baute ebenfalls enorm im Glas aus und entwickelte eine schöne Süße 95/100. Deutlich kompakter und kräftiger wirkte da im Vergleich ebenfalls aus der Magnum die 1955 Pichon Comtesse, ein robuster, immer noch recht junger Stoff, in diesem Jahr mehr Baron als Comtesse 91/100. Klar konnte die 1957 Pichon Comtesse aus der 1tel mit diesen drei Weinen nicht mit. 1957 war nun alles andere als ein gutes Weinjahr in Bordeaux. Um so erstaunlicher dieser Wein, der an den 87er erinnerte, eine kleine, aber sehr feine, aromatische, immer noch wunderschön zu trinkende Comtesse, die noch lange nicht am Ende ist 87/100.

Feine, rotbeerige Frucht hatte die 1959 Pichon Comtesse, viel rote Johannisbeere, aber auch die hohe Säure vieler 59er. Ein guter, aber nicht wirklich großer Wein, der mit seiner Struktur aber noch gut weiter altern wird 91/100. Wie praktisch alle Weine dieses Tastings war auch das eine Chateau-Abfüllung. Speziell in 59 aber ist z.B. die französische Abfüllung von Cruse um Klassen besser. Voll auf dem Punkt war die 1962 Pichon Comtesse, weich, zugänglich, erstaunlich süß und füllig, sehr schokoladig, eine perfekte Weinpraline 93/100. Schokolade hatte auch die 1964 Pichon Comtesse, aber leider war sie hier in nasse Wolle gewickelt. Dieser Wein hatte sicher schon etwas bessere Zeiten gesehen, aber sicher nie richtig große. Da hatte, wie auf vielen anderen Gütern auch, der Regen zur Unzeit einen potentiell großen Wein degradiert 87/100. Noch voll da war die 1966 Pichon Comtesse, ein sehr kräftiger, aber auch etwas eindimensional wirkender Wein mit leicht bittrem Nachgeschmack, eben ein echter 66er aus dieser, in Bordeaux nicht sehr inspirierenden Zeit 86/100.

Viel Zeit und Luft braucht die 1970 Pichon Comtesse, damit dieses ruppige, von kräftiger Säure und sperrigem Tannin dominierte Monster etwas zugänglich wird. Dann wird dieser Wein durchaus passabel mit viel Zedernholz und warmer Cabernet-Würze 88/100. Besser gefiel mir die 1975 Pichon Comtesse, bei der vor allem die würzige, lakritzige Nase faszinierte, in der sich erste Süße zeigte, am Gaumen war diese Comtesse immer noch sehr kräftig mit deutlichem Tannin- und Säuregerüst, gehört sicher zu den besseren 75ern aus dem Medoc 90/100. Fehlerhaft war leider die sonst so großartige 1978 Pichon Comtesse. Da konnte nur der allererste Schluck überzeugen, dann baute der Wein rasch ab und wurde anstrengend mit grasigen, grünen Noten und Paprika statt Frucht, schade. In guten Flaschen ist das immer noch eine Traum-Comtesse auf 95/100Niveau. Dafür zeigte sich die 1979 Pichon Comtesse in bestechender Form. Praktisch altersfrei überzeugten hier die schokoladige, leicht trüffelige Nase und der sehr elegante Gaumen 92/100.

Total überrascht war ich von der 1980 Pichon Comtesse, von der ich überhaupt nichts mehr erwartet hatte. Aber dieses Exemplar hier war noch so jung, so aromatisch, so wunderschön zu trinken. Hätte ich blind sicher deutlich jünger eingeschätzt und nicht in diesen kleinen, überwiegend verblichenen Jahrgang geschoben 91/100. Da kam auf allerdings immer noch beachtlichem Niveau die 1981 Pichon Comtesse nicht mit, die ich deutlich besser in Erinnerung habe 90/100. Leider galt das auch für die 1982 Pichon Comtesse, über 20 Jahre einer meiner Lieblingsweine. Gut, das ist jetzt Jammern auf verdammt hohem Niveau, immer noch ein prächtiger Wein mit Süße und Fülle, aber eben nicht mehr dieser hedonistische Overkill, dieser dekadent-leckere Wein, der mit nur einem Schluck ein breites, zufriedenes Grinsen auf das Gesicht selbst des verbissensten Weintrinkers zauberte. Ist die Glanzzeit dieser Comtesse mit ihren 99-100/100 jetzt endgültig vorbei? Ich glaube da eher an ein zweites Leben. Diese Comtesse, die nach so einer langen, offenen Phase jetzt wieder stückweit verschlossen wirkt, kommt noch mal 94++/100. Ob der 1985 Pichon Comtesse bald dasselbe Schicksal droht? Derzeit ist das ein absolut betörender, erotischer Gaumenschmeichler, ein hoch eleganter, feiner Wein mit Süße, Schmelz und Fülle, bei dem jedes Glas zu klein ist 95/100. Dieser Wein war so schön, dass uns unsere großzügigen Gastgeber aus ihrem Privatkeller noch eine weitere Flasche dieser Pracht-Comtesse spendierten.

Mit einem zehnten und eigentlich letzten Flight ging dieses prächtige Weinfest, das die Wolfs hier im Forsthaus inszeniert hatten, noch lange nicht zu Ende. Gelöst und locker die Stimmung an der geselligen, langen Tafel, zufrieden und glücklich die Gesichter. Da hatte sicher auch das großartige, 10gängige Menü seinen Teil zu beigetragen. Nur die 1986 Pichon Comtesse wollte wohl partout ein Spielverderber sein. Nein, die hatte keinen Fehler, wirkte aber erstaunlich verschlossen und tanninig. Warum hat eigentlich noch niemand ein intelligentes Weinetikett entwickelt, das das Trinkstadium eines Weines anzeigt? Hier hätte dann jetzt Rot oder zumindest Rot-Gelb aufgeleuchtet. In anderen Flaschen wachsen da locker bis zu 97/100 rüber, hier war eher hoffen und warten angesagt 91+/100. Dies galt auch für die 1988 Pichon Comtesse, die aus wärmer gelagerten Flaschen schon deutlich mehr zeigt. Hier war das jetzt ein klassischer 88er mit Langstreckenpotential, der im jetzigen Stadium noch einiges an Phantasie abnötigt 90+/100. Immer noch sehr jung auch die 1989 Pichon Comtesse, deren großartige Struktur und intaktes Tanningerüst eine lange Zukunft versprechen. Während dieser Wein aus vielen Flaschen noch recht verschlossen ist, zeigte er sich hier schon hedonistisch schön mit schokoladigem Schmelz, würzig, anmachend, animierend mit immer noch jugendlicher, purer Frucht. Eine große Comtesse, gemacht für lange Zeit 95+/100. Selbst 1990 Pichon Comtesse, sonst bisher immer eine herbe Enttäuschung, konnte auf niedrigerem Niveau überzeugen und trank sich sehr schön 91/100.

Katharina und Carlo Wolf

Katharina und Carlo Wolf

Inzwischen war es weit nach Mitternacht, doch bis auf den Hausherren, der regelmäßig ankündigte, er ginge jetzt ins Bett(und dann doch blieb), hatten alle Sitzfleisch. Ein Reparaturschluck wurde eingefordert, und auch hier zeigten sich die Wolfs wieder sehr spendabel. Es wurden derer gleich vier. Hellwach war ich sofort nach dem ersten Schluck der 2001 Wehlener Sonnenuhr Auslese von JJ Prüm. Was für ein irrsinniges, sehr junges, extrem mineralisches Konzentrat, ungeheurer, aromatischer Druck am Gaumen und sehr hoher Extrakt bei niedrigem Alkohol, ein Wein auf dem Weg zur Legende 93+/100. Chancenlos danach eine 1993 Erdener Prälat Auslese Goldkapsel von Dr. Loosen, sehr füllig, aber auch etwas rustikal 90/100. Nur die Farbe zeigte bei der noch sehr jung und frisch wirkenden 1985 Wehlener Sonnenuhr Auslese von JJ Prüm erste Reife an, wunderschöne, kräuterige Note, Minzfrische, gute Säure 92/100. Und dann war da noch eine gewaltige 2005 Scharzhofberger Spätlese von Egon Müller, sehr mineralisch, hoch elegant und finessig mit knackiger Säure und hohem, aromatischem Druck am Gaumen 93/100.

Während ich diese Zeilen schreibe, kommt in der Subskription gerade 2009 Lafite raus in einer kleinen, ersten Charge. Der Preis für mich als deutschen Kunden dürfte bei € 1000+ liegen, wobei ich dann wohl auch noch danke sagen müsste, wenn ich überhaupt Lafite zugeteilt bekäme. Das ist für nur eine, in 20 Jahren trinkbare Flasche mehr, als mich dieser herrliche Abend hier gekostet hat. Da sage ich dann doch schon mal vorab laut und deutlich Nein Danke. In meinen Träumen kommt 2009 Lafite höchstens als Alptraum vor. Lieber träume ich von der nächsten Probe im Forsthaus am Attersee.