Grosses Herz und Grosser Keller

Ein großes Herz hatte der spendable Gastgeber einer faszinierenden Raritätenprobe, an der ich kürzlich teilnehmen durfte, und dazu auch den passenden, großen Keller. Ja, es gibt sie, noch, die stillen Genießer in diesem Lande, die nach draußen nicht auftreten wollen, ihre sorgsam über Jahre gesammelten Schätze aber gerne mit guten Freunden teilen.

Mit einem 1976 Dom Perignon wurden wir willkommen geheißen. Der wirkte deutlich reifer, als eine an gleicher Stelle vor drei Jahren getrunkene Flasche und auch reifer als die Flasche, die mir Jörg Müller vor 2 Monaten kredenzte. Sehr reif in Optik und Sensorik, nur noch dezent auf der Zunge spürbares Mousseux, aber am Gaumen immer noch viel Kraft 94/100. Deutlich jünger wirkte danach 1969 Dom Perignon, der immer noch ein gutes, grobperliges Mousseux besaß. Er war zwar insgesamt etwas schlanker, dafür aber facettenreicher und komplexer 95/100.

Blind bekamen wir danach drei Weißweine vorgesetzt. Nur soviel verriet uns unser Gastgeber. Ein Burgunder sei dabei, ein Rhonewein und ein Weißer Bordeaux. Der Bordeaux war schnell lokalisiert, aber auch eine herbe Enttäuschung. Das sollte der 1990 Haut Brion Blanc sein? Etwas parfümiert wirkende Nase, am Gaumen ein säuerlicher Mickerling mit Anklängen von Brausepulver und Aceton, völlig daneben und ohne Hoffnung auf weitere Entwicklung 82/100. Erstaunlich, dass auf so einem renommierten Gut in so einem guten Jahr dermaßen daneben gelangt werden kann. Vertan habe ich mich bei den beiden anderen Weinen. Der goldgelbe 1991 Hermitage Blanc von Chave war ein kräftiger, etwas rustikaler Charakterstoff mit deutlichem Burgunder-Stinker in der Nase, erst etwas gemüsig, dann immer rauchiger, sehr dicht, kraftvoll, komplex und lang am Gaumen 94/100. Sehr viel mehr Zeit und Luft brauchte der sehr feine, finessige und vor allem zu Anfang viel distinguierter auftretende 1992 Bienvenue-Batard Montrachet von Ramonet, der gegen den Hermitage erst fast etwas schüchtern wirkte. Doch das gab sich, der Ramonet explodierte förmlich im Glas und ging dann auf die Überholspur, was für ein großartiger, weißer Burgundertraum 96/100.

Dreimal süß war jetzt angesagt, natürlich mit entsprechender, kulinarischer Begleitung. Die war am gesamten Abend auf allerhöchstem Niveau. Was Johann Landersdorfer und Robert Innerhofer vom gleichnamigen, Münchner Restaurant da an diesem Abend mit ihren Mitarbeitern zauberten, das hatte absolute Klasse, ebenso der makellose Weinservice. Perfekt gereift der in der Nase sehr kräuterige 1945 Suduiraud, auch am Gaumen intensive, kräuterige Honigsüße, cremige Textur und gute Länge 95/100. Absolut grandios, aber aus dieser Flasche mit seiner schon recht dunklen Farbe doch um einiges weiter, als ich ihn kenne, 1947 Climens. Malzige, rosinige Süße, säurearm wirkend, weich, mollig, reif, dabei sehr reichhaltig mit schöner Fülle und Süße, geht in dieser Form auch als große, alte TBA durch 97/100. War der untrinkbare 1949 Rieussec mit dieser unangenehmen Mischung aus Lacktönen und Möbelpolitur nur fehlerhaft, oder schon hin? Ich vermute beides.

In den roten Teil des Abends starteten wir mit einem sehr gelungenen 78er Flight. Absolut dominierend 1978 La Mission Haut Brion. Ein gewaltiger Wein, ungemein druckvoll, erdig, mineralisch, teerig, viel Tabak, aber auch mit einem Hauch Exotik, der Heitz Martha s Vineyard aus Pessac, immer noch mit kräftigen Tanninen 97/100. Sehr positiv überrascht war ich auch von einem 1978 Barolo Serralunga von Bruno Giacosa. Klar hatte der die wohl unvermeidlichen, etwas sperrigen Resttannine und war auch schlank am Gaumen, aber für einen Piemonteser wirkte er erstaunlich gefällig und sehr aromatisch mit deutlichem Schokoton und viel Minze 94/100. Enttäuscht hat mich zu Anfang der 1978 Caymus Cabernet Sauvignon Grace Family Vinyard, der sehr reif und deutlich über den Zenit wirkte, immer noch mit viel Minze und etwas Eukalyptus, baute im Glas sehr schön aus, der anfängliche Alterston schwand völlig und der Grace entwickelte eine wunderbare Fülle 93/100. Da musste ich dann noch mal einen großen Schluck vom Depot nehmen. Das gab einen faszinierenden Rückblick auf das, was dieser Wein vor langen Jahren mal ins Glas brachte und erinnerte in seiner Konzentration an 1994 Caymus Special Select.

Geradezu sprachlos machte mich danach ein 1950 La Mission Haut Brion in einer R&U Schaffermahlzeit Abfüllung. Der war noch so jung, so dicht und kraftvoll, so vibrierend, viel besser geht La Mission nicht 99/100. Meine bisher beste Flasche dieses Weines. Ebenfalls noch sehr jung wirkend mit dem unbeschreiblichen Cheval-Parfüm in der traumhaften Nase ein 1950 Cheval Blanc in einer belgischen Thienpoint-Abfüllung. Auch der noch unglaublich jung, auch in der sehr dichten Farbe 98/100. Stolz hatte mir unser Gastgeber vorher bei einer Führung durch seinen Keller diese, aus Belgien stammende OHK gezeigt, nie gereist, nie bewegt, mit perfekten Füllständen und die Flaschen noch einzeln in der originalen Stroh-Ummantelung. Ich hätte nie zu hoffen gewagt, dass ich von diesen Flaschen später eine trinken dürfte.

Ging das noch zu steigern? Es ging. So erotisch war der 1929 Margaux in einer Vandermeulen-Abfüllung, mit burgundischer Pracht und Fülle, mit verschwenderischer Süße, dabei hoch elegant und mit viel Finesse, blieb ewig lang am Gaumen, aus dieser perfekten Flasche eine unsterbliche Weinlegende 100/100. Dagegen hatte es im anderen Glas der 1949 Petrus, ebenfalls in einer Vandermeulen-Abfüllung auf extrem hohem Niveau richtig schwer. Er wirkte im Vergleich zu diesem außerweltlichen Margaux eher etwas maskuliner, sehr kräftig mit perfekter Struktur und irrer Dichte und Länge. Bleibt ewig am Gaumen und hat in Flaschen wie dieser noch gewaltiges Potential 98/100. Vandermeulen Abfüllungen sind einfach eine Bank und schwer zu toppen solange sie echt sind und aus perfekter Lagerung stammen. Leider sieht man diesen Flaschen weder an, ob sie gefälscht wurden (da genügt mangels Korkbrand und neutraler Kapsel leider schon ein simpler Tausch des Etiketts), noch ob der Keller eher suboptimal war und nebendran die Heizung bollerte. Der Füllstand alleine reicht als Indiz nicht. So habe ich mit Vandermeulen-Flaschen auch schon herbe Enttäuschungen erlebt. Eine solche in der krassesten Form hatten wir danach mit einer äußerlich einwandfreien Flasche 1928 Richebourg im Glas. Sehr helle, reife, uralte Farbe, wirkte aufgespritet, nussig, deutliche Sherrytöne und als Burgunder gleich welcher Art nicht zu identifizieren. Wahrscheinlich war wirklich Sherry drin.

Sehr jung wirkte in der nächsten Flasche 1961 Le Gay, eine Art großer, kräuteriger Pauillac mit perfekter Struktur und grandioser Zukunft, in dieser Form wieder ein perfekter Lafleur für Schlaue 96+/100. Allerdings scheint es von diesem Wein unterschiedliche Abfüllungen zu geben, denn ich hatte ihn schon mehrfach deutlich schlechter und schwächer im Glas. Aus der "kaum zu glauben" Abteilung dann dieser riesengroße 1961 Musar, einfach betörend mit faszinierender Aromatik, burgundisch im besten Sinne, aber auch mit einem deutlichen Schuss Exotik, sehr süß, dabei fast etwas üppig, aber mit toller Struktur, sehr intensiv und nachhaltig am Gaumen, keinerlei Zeichen von Müdigkeit 98/100. Inzwischen weiß ich auch, warum mir die älteren Musars deutlich besser schmecken, als die jüngeren. Dieses Zeugs kann nicht nur hervorragend altern, sondern muss es auch. Ältere Musars, nicht nur die beiden Legenden 1956 und 1961, sind jede Suche und Sünde wert. Eigentlich gilt das auch für 1961 Mouton Rothschild. Nur wären bei dieser Flasche hier, wäre sie denn ein Auto, im Fahrzeugbrief sicher schon ein gutes Dutzend Besitzer eingetragen gewesen. Das ist die Krux bei Moutons. Die eignen sich perfekt als Raumschmuck, zum Herzeigen und zum weiterverschenken, natürlich auch zum Weiterverkauf. Nur hält das auf die Dauer auch der beste Wein nicht aus. Dieser hier ist eigentlich ein ganz großer Mouton nahe der Perfektion, nur eben nicht aus dieser Flasche. Da waren deutliche Maggitöne, eine rosinige, malzige Süße, der Mouton baute ab und schien förmlich zu zerfallen. Doch mit zunehmender Luft bekam er dann noch mal die Kurve, bäumte sich auf, wurde generöser, minziger und ließ wenigstens erahnen, wie 61 Mouton aus bester Lagerung schmecken könnte 93/100.

Sehr schön ein 1955 l Evangile in einer belgischen Händlerabfüllung. Sehr fein, süß und generös die Nase, am Gaumen neben Süße auch viel Kraft und eine großartige Struktur, dürfte sich in dieser Form noch länger halten 95/100.

Sehr ähnlich danach ein 1959 l Evangile, nur hatte der halt von Allem noch etwas mehr. Ein großer Wein mit schokoladiger Süße und gewaltiger Statur 97/100. Da kam auf sehr hohem Niveau im Nachbarglas der deutlich reifere 1949 Nenin nicht ganz mit. Bei dem trübte ganz zu Anfang ein käsiger Ton das Vergnügen. Der verschwand jedoch rasch und machte Platz für einen schokoladigen, reifen, weichen Schmuse-Pomerol 95/100. Vielleicht hat sich dieser sehr gut gelungene Nenin an diesem Abend etwas unter Wert verkauft. Die Generösität unseres Gastgebers führte natürlich dazu, dass sich unser Gaumen schnell an das gewaltige Niveau gewöhnte. Da wurden perfekte Weine zur Normalität, nur sehr gute wirkten schon fast wie Flops. Aber es gibt Schlimmeres im Leben, als so eine Aneinanderreihung großer Gewächse.

Reif war der 1953 Margaux, den wir danach bekamen. Sehr fein, elegant, mit viel Schmelz und schöner Süße, hell und reif schon die Farbe, die bei diesem Wein früher sprichwörtliche Eisenfaust im Samthandschuh zeigte nicht mehr ganz die gewohnte Kraft, doch blieb der Margaux sehr nachhaltig und lang am Gaumen 97/100. Noch sehr jung wirkte im anderen Glas der 1953 La Mission Haut Brion in einer belgischen Händlerabfüllung, auch in der Farbe. Aber es war nicht der übliche La Mission-Hammer, eher ein femininer Stil, sehr filigran, fein und elegant, fast luftig mit feiner Süße, das Teerige, die ätherischen Noten und die klassische Cigarbox-Aromatik ließen aber klar den großen Pessac erkennen 98/100.

Wie sehr wir an diesem Abend verwöhnt worden waren, zeigte dann wie eine Art Kontrastmittel der letzte Rotwein-Flight. Dreimal Cheval Blanc, nicht aus den größten Jahren zwar, aber immerhin. Das wirkte trotzdem so, wie wenn man von einem hohen Berg mit seinem gewaltigen Ausblick und dem atemberaubenden Panorama zumindest wieder zur Mittelstation absteigt. Gefährlich lebt bereits der sehr reife 1971 Cheval Blanc, doch diese Flasche hier war eine der besten der letzten Jahre. Sehr fein, seidig-elegant, mit süßem Schmelz, kräuteriger Aromatik in der Nase und Schokotönen 91/100. Jung war der 1975 Cheval Blanc noch mit sehr dichter Farbe und unbändiger Kraft, aber woher kam diese fürchterliche Schuhcreme-Nase? Das war in dieser Form nun wirklich kein Genuss. Bester Wein dieser Dreierserie ein dichter, kraftvoller 1970 Cheval Blanc aus der Magnum 92/100.

Ein Traumdessert spendierte uns die Küchencrew als Abschluss eines hervorragenden Menüs. Der Hausherr stellte dazu einen erstaunlich jungen, kräftigen und sehr präsenten 1963 Taylor Vintage Port, der viel Alkohol zeigte, aber auch eine verschwenderische Marzipan-Süße 94/100. (wt10/09)