Gruaud Larose Vertikale

Gruaud Larose hieß das Thema einer Vertikale, an der ich kürzlich teilnehmen durfte. Eigentlich war Gruaud Larose immer ein sehr zuverlässiger, großer Wein. Schon lange vor der offiziellen Klassifikation von 1855 war Gruaud Larose immer der kleinen Anzahl von Deuxième Crus zugerechnet worden. Doch ausgerechnet mit den beiden Super-Weinjahren 1989 und 1990 wurde die Qualität von Gruaud schwankend.
Vielleicht markiert ja der gelungene 2005 Gruaud Larose, mit dem unsere Probe begann, den Wendepunkt zurück zur bewährten Qualität. Wie viele andere 2005er auch war dieser Wein geprägt von bissiger Säure und astringierenden Tanninen. Doch da war auch eine wunderbare Frucht, die mit zunehmender Luft stärker in Erscheinung trat und viel Substanz. Das ist kein früh trinkbarer Schmusewein. Eher ein Rassetropfen mit Langfristpotential. 93+/100 bekommt da mal ins Glas, wer geduldig mindestens ein Jahrzehnt wartet.
Zugänglicher war dagegen 2001 Gruaud Larose, obwohl da in den nächsten Jahren auch noch mehr kommen dürfte. Derzeit präsentiert er sich mit dunkler Farbe sehr kräftig und rustikal. Mehr als 86/100 konnte ich meinem Glas nicht entlocken. Scheint derzeit durch eine verschlossenere Phase zu gehen, die aber nicht allzu lange dauern dürfte. Ähnlich sieht es übrigens bei 2002 Gruaud Larose aus, den wir nicht in der Probe hatten. Beides solide, maskuline, aber nicht umwerfende Gruauds, die sich, wenn sie in wenigen Jahren die Trinkreife erreicht aben, für eine ganze Zeit auf bis zu 90/100 Niveau halten werden.
Prächtig der 2000 Gruaud Larose, der wie die meisten 2000er schon erstaunlich viel zeigt. War für mich 2003 in den Ankunftsproben einer der schönsten Medocs und löste seinerzeit bei mir einen kleinen, spontanen Kaufrausch aus. Bringt derzeit eine komplexe, von Röstaromen geprägte Nase mit viel Kaffee und eine druckvolle Aromatik am Gaumen 92+/100 mit Potential für 95/100 in nicht allzu ferner Zukunft.

Damit tauchten wir dann ab in die Neunziger Jahre, in denen sich Gruaud Larose nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert hat. Zwar blieb in dieser Zeit des Inhaberwechsels das für die Weinbereitung zuständige Team weitgehend komplett. Doch entsteht der Eindruck, dass die Herrschaften sich mehr um ihre eigene Zukunft als die des Weines kümmerten.
Etwas einfach gestrickt 1998 Gruaud Larose. Pflaumige, offene Frucht, nett zu trinken, ein kleiner Gruaud für den frühen Genuss 87/100.
Ein weicher, leckerer Schlabberwein 1997 Gruaud Larose, harmlos zwar, aber mit feiner Aromatik und im Glas nicht abbauend. Dürfte noch ein paar Jahre Trinkspaß bereiten 85/100.
Wenig Charme zeigt derzeit 1996 Gruaud Larose. Wirkt leicht medizinal in der Nase und erinnert eher an Hustensaft als an einen großen St. Julien, bitter im Abgang 86/100. Da dürfte allerdings in den nächsten Jahren noch mehr kommen.
Fehlerhaft 1995 Gruaud Larose mit einem deutlichen Essigstich.
Wenig abgewinnen konnte ich 1994 Gruaud Larose. Der wirkte eckig und rustikal mit grünem Tannin und war dazu ziemlich muffig 82/100.
Ein gefälliger Simpel 1993 Gruaud Larose, etwas stumpf und langweilig, entwickelte sich aber auf niedrigem Niveau gut im Glas 86/100.
Sehr bedenklich, was das Chateau in den beiden großen Zwillingsjahren 89/90 ablieferte. 1990 Gruaud Larose wirkte überreif, rosinig, Birnendicksaft, am Gaumen viel Säure, schien sich in dieser Flasche schon zu verabschieden und war eindeutig auf dem Wege abwärts 86/100. Und wer jetzt den Kopf schüttelt und etwas von 96 Parker-Punkten für diesen Wein murmelt, der sollte nachlesen, von wann diese Notiz stammt, nämlich 2002. Auch ich hatte den 90er vor vier Jahren noch bei Schorn in einer Best Bottle zwar schon sehr reif, aber immerhin noch mit 94/100 im Glas. Aber das war einmal.
Etwas besser und stabiler 1989 Gruaud Larose, aber auch der für den Jahrgang eher eine herbe Enttäuschung. Malzige Süße mischte sich mit der Hausapotheke und einer etwas staubigen Aromatik 89/100.

Jetzt kamen wir zu den besseren Zeiten von Gruaud Larose. Zwar endete die Ära Cordier mit dem scheibchenweisen Verkauf des Chateaus ab 1985, die Weine waren aber bis 1988 eine Bank. Das gilt auch für 1988 Gruaud Larose, einen immer noch etwas verschlossenen, sehr kräftigen Langstreckenläufer mit gutem Potential und guter Frucht, der derzeit sehr viel Luft braucht und sich im Glas nur im Schneckentempo entwickelt 90+/100. Könnte in ein paar Jahren für eine große Überraschung gut sein.
Sehr jung, bissig und von massiven Tanninen dominiert zeigte sich in unserer Probe auch 1986 Gruaud Larose. Das ist aber eigentlich ein schlafender Riese, der je nach Lagerung bald oder erst in 10 Jahren mal auf 96+/100 Niveau Furore machen wird. So jung wie in dieser Flasche hatte ich ihn lange nicht mehr. Mehrfach durfte ich ihn in den letzten Jahren schon deutlich offener verkosten.
Einfach köstlich dann aus der Magnum 1985 Gruaud Larose. Das ist Gruaud in Bestform. Aus dem in früheren Jahren so markanten "Cordier Stinker", der deutlichen Brett-Nase, die man bei allen Cordier-Weinen(Gruaud, Talbot und Meyney) gleichermaßen fand, ist eine sehr angenehme, nur dezent stallige, leicht animalische und mehr von Leder und feiner Zedernholzwürze geprägte Nase geworden, dazu reife Beeren, ein Hauch Trüffel und etwas Tabak Am Gaumen bei aller Nachhaltigkeit sehr elegant und mit fast cremiger Textur, dabei sehr lang. Ein Wein, der voll auf dem Punkt ist und schiere Lust bereitet, einfach die Essenz reifen Cabernets 94/100. Dürfte sich in sehr gut gelagerten Flaschen und insbesondere in großen Formaten sicher noch länger auf diesem Niveau halten und ist dann derzeit einer der schönsten Weine aus 1985. In dieser Probe war es der erste, echte Höhepunkt. Aus der bisherigen Arbeitsprobe wurde jetzt endlich Vergnügen. Bei ungewisser Herkunft würde ich allerdings von diesem Wein inzwischen die Finger lassen. Wärmer gelagert hat der Spaß inzwischen schon ein Ende gefunden.
Schade, dass 1983 Gruaud Larose nicht dabei war. Der spielt in einer ähnlichen Liga und wäre der perfekte Zwilling des 85ers gewesen.
Und dann kam der Wein des Abends, 1982 Gruaud Larose. Das war St. Julien und Bordeaux in seiner allerschönsten Form. So dicht, so komplex, so kraftvoll, mit gewaltigem, aromatischem Druck am Gaumen, erstem dezentem Schmelz und gewaltiger Länge 98/100. Ein großartiger Wein, sehr nahe der Perfektion, der bei guter Lagerung mindestens 2-3 Jahrzehnte ein Höhepunkt jeder Probe und immer noch ein unbedingter Kauftipp.
Erstaunlich fein, komplett und ohne Alter auch 1981 Gruaud Larose, der sich von den anderen Weinen dieser Ära hauptsächlich durch die geringere Kraft unterschied. Für den Jahrgang in jedem Fall ein großer Erfolg. Dürfte sich auch aus der 1tel noch länger auf 91/100 Niveau halten. Wer einen schönen, immer noch lagerfähigen 81er Bordeaux sucht, ist hiermit insbesondere aus der Großflasche bestens beraten.
Und dann war da der für mich vom derzeitigen Trinkspaß her zweitbeste Wein der Probe, 1979 Gruaud Larose aus der Magnum, den ich nur einmal noch besser im Glas hatte, vor ein paar Jahren aus der Doppelmagnum. Einfach ein großer Wein mit betörender Aromatik, immer noch mit guter Frucht, mit Tabak, viel Leder und seidiger Fülle. Aus der Magnum praktisch altersfrei mit einer Superfarbe 95/100.
Eher schwierig inzwischen 1975 Gruaud Larose. Erngmaschig am Gaumen, die Frucht fast völlig verschwunden, dafür bissige, astringierende Säure ohne Ende 82/100.
Und dann kam noch ein eher unerwartetes Highlight, 1966 Gruaud Larose. Die einstmals massiven, harschen Tannine sind abgeschmolzen, die Frucht hat überlebt. Jetzt einfach ein sehr feiner, eleganter, sehr nachhaltiger Gruaud, sowohl in der Nase als auch am Gaumen mit faszinierender Aromatik 93/100.

Zum Abschluss tranken wir noch drei Methusalems, bei denen allerdings von ungetrübtem Trinkspaß keine Rede mehr sein konnte. Sehr schön bei 1934 Gruaud Larose noch die Farbe, aber das war es dann auch. Am Gaumen dominierte Säure ohne Ende 78/100. Immer noch gut trinkbar, wenn auch auf niedrigem Niveau, 1921 Gruaud Larose. Auch da zwar viel Säure, aber auch eine schöne, malzige Süße. Das Depot, das ich mir natürlich nicht entgehen ließ, zeigte noch mal eindrücklich die einstige Klasse diesen Weines 84/100. Schlichtweg hin war der nur noch mit Schmerzen genießbare 1920 Gruaud Larose 72/100. Ich bin bekennender Altweinfreak, aber kein Leichenfledderer. Bei diesen drei Weinen gab es vielleicht etwas Ehrfurcht vor dem Alter, aber sonst keinen Grund, sie schönzureden.

Mein persönliches Fazit? Um die Gruauds der Jahre 1989 bis 1999 werde ich weiterhin einen Bogen machen. Da gibt es für das gleiche Geld oder auch erheblich weniger deutlich bessere Bordeaux. Nachkaufen, sofern der Preis stimmt, werde ich sicherlich 88, 86 und 82, natürlich halte ich auch die Augen auf nach Großflaschen aus 85 und 79. Was wir nicht in der Probe hatten, ich aber schon mehrfach im Glas, sind die großartigen Gruauds aus 49, 53, 55, 59 und vor allem 61. Aus gutem Keller sind die jederzeit eine Sünde wert. Und dann hoffe ich ja noch auf eine Gruaud-Altwein-Vertikale. Einmal, 1993, durfte ich 1865 Gruaud Larose trinken. Da konnte ich nachvollziehen, warum die Gruauds aus der Zeit vor der Reblaus so hohe Wertschätzung genossen. Und last not least werde ich natürlich wieder die jüngeren Jahrgänge ab 2005 im Auge behalten. Es scheint, als würde dieses Chateau mit seinem großen Terroir vom neuen Besitzer wieder gründlich wach geküßt. Das würde sicherlich nicht nur post mortem die Herren Gruaud, der das Chateau im 18. Jahrhundert aus drei verschiedenen Gütern formte und Larose, der es von ihm erbte, weiterentwickelte und ihm seinen heutigen Namen gab, freuen.