Gründonnerstag 2006

Eine Reihe von Strohwitwern und eine noch größere Reihe schöner Flaschen, so startete das Osterwochenende mit einer feinen Probe.
Erstaunlich frisch war noch die 1959 Schloß Reinhartshausener Riesling Spätlese von Jakob Horz. Kräftiges Goldgelb, gutes Säuregerüst, keinerlei Petrol- oder sonstige Alterstöne, baute zunehmend im Glas aus und entwickelte immer mehr reife Quitte, einfach wunderschön zu trinken und wirkte deutlich jünger 90/100.
Viel Luft brauchte der 1989 Gewürztraminer Clos Windsbühl von Zind Humbrecht. Wirkte zu Anfang nicht nur kräftig und alkoholisch, sondern auch leicht brandig, doch das verschwand schnell. Immer mehr kam das typisch würzige des Gewürztraminers durch, dazu eine schöne Mineralität und erdige Töne. Mit der perfekt eingebundenen, praktisch nicht spürbaren Restsüße wirkte er sehr harmonisch, dazu absolut frisch mit toller Länge am Gaumen. Ein faszinierender Weinriese mit sicher noch 15+ Jahren Potential 96/100.
Dann standen sich in einem Flight zwei Jungstars gegenüber. Eine sehr dichte Farbe hatte der 2003 Mystique von Pöckel, die Antwort von Vater Pöckel auf den Rêve de Jeunesse des Sohnes. Natürlich noch sehr jung und etwas unfertig, Röstaromen ohne Ende, massiver Holzeinsatz, wirkt dadurch etwas gemacht, pralle Frucht, tolle Struktur, geht als großer, sehr junger Pauillac durch und hätte dort in 2003 so manchem Chateau zur Ehre gereicht. Braucht noch eine Weile und kann sicher in 5 Jahren in der Genussreife noch einen Punkt zulegen 94/100. Er hatte es allerdings auch mit einem harten Gegner zu tun. Wie von einem anderen Stern der 2003 Quinta Sardonia von Peter Sissek. Das war wieder klar seine Handschrift und der Pingus-Stil. Hedonistisch-üppig und konzentriert, dabei aber so perfekt balanciert. Das ist pralle Lebenslust, einfach geiles Zeugs, das man erlebt haben muss 96/100. (mehr zu diesem Wein hier)
Ein gewaltiges Konzentrat war auch der 1994 Grandes Anadas von Artadi. Dabei wirkte er nicht üppig, sondern perfekt strukturiert und immer noch sehr jung, feine elegante Johannisbeernase, kräuterig, tolle Länge, braucht sicher noch 10 Jahre bis zur vollen Reife 95+/100. Deutlich reifer und zugänglicher wirkte dagegen der 1994 Mauro Vendimnia Seleccionada. Der war jetzt voll auf dem Punkt, frisch gegerbtes Leder, Mokka, Röstaromen, leicht animalisch, am Gaumen so weich, reif und dabei so nachhaltig und üppig mit feiner, karamelliger Süße. Das ist moderner, reifer Rioja vom Allerfeinsten, so was könnte ich eimerweise trinken 96/100.
Total verschlossen und zugenagelt wirkte dagegen einer der Superstars vergangener Jahre, der 1990 Cos d Estournel. Superdichte Farbe, man spürt das gewaltige Potential, aber der Wein wirkte sehr anstrengend, er wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden 90++/100. Wir hatten den Cos erst vor kurzem in einer großen Cos-Probe aus Chateau-Beständen gehabt, die allesamt deutlich weiter und reifer waren. Da präsentierte er sich deutlich weiter und offener. Besitzer kühler Keller werden eben noch 5 Jahre warten müssen. Sehr feiner, zugänglicher Trinkspass war hingegen 1990 Grand Puy Lacoste. So fein, elegant und finessig, mit Zedernholz, reifer Johannisbeere und etwas Tabak und Zigarrenkiste. Wirkt reif und voll auf dem Punkt, aber das tun die GPL s häufig, da sind sicher noch 10+15 Jahre auf diesem Niveau drin 95/100.
In der Stilistik einem GPL nicht unähnlich der 1982 l Arrosée. Schöne rotbeerige Frucht, immer noch deutliche Röstaromatik, feine Süße, wirkt sehr gefällig und offen, aber auch mit druckvoller Aromatik am Gaumen. Macht sicher noch 10 Jahre auf 93+/100 Niveau Spass. Perfekter Vergleich dazu eigentlich 1986 l Arrosée, der vorerst letzte, große Wein dieses Chateaus und einer der Überflieger der Arrivage-Proben vor 18 Jahren. Leider hatte dieser sonst so zuverlässige Wein mit das übelste, was einem Weintrinker passieren kann, nämlich einen schleichenden Kork. Bei einem richtigen, offensichtlichen Kork weiß man gleich, was los ist. Der kommt sofort weg, und im Restaurant lässt er sich leicht und problemlos reklamieren. Der schleichende Kork dagegen macht den Wein nur Stumpf und zerstört die Frucht. Wenn man den Wein kennt, weiß man, was los ist. So wirkte der l Arrosée kompakt, astringierend, fruchtlos, stumpf mit einer sehr verhaltenen Nase, die allenfalls noch Anklänge an Mottenkugeln brachte. Nur ein Schatten dieses ansonsten großen Weines. Wer da im Restaurant nicht auf einen kundigen, verständigen Sommelier trifft, sieht alt aus.
Würden Sie freiwillig mehr als € 5 für einen 1978 Buena Vista Zinfandel ausgeben? Ab sofort vielleicht schon. Das war verdammt guter Stoff. Reife, helle Farbe, faszinierende, druckvolle, ungewöhnliche Armatik, gereifte Stauchtomaten, Lakritz, feine Würze, Süße, exotisch wirkend, auch am Gaumen Süße und gute Länge - 94/100. Als klassischer Bordeaux ging im Vergleich der 1978 Allesverloren Cabernet Sauvignon aus Südafrika durch. Ein sehr fein strukturierter, trotzdem kräftiger Wein mit Vanille, Schokolade und Mokka, lang am Gaumen 92/100. Beides Weine aus einer leider längst vergangenen Zeit, als hoher Alkohol noch nicht als Maß aller Dinge galt.
Bisher war ich nie ein großer Fan des 1975 Giscours. Der war mir meist zu rustikal und zu eckig mit deutlich zu hoher Säure. Doch an diesem Abend hatten wir ein traumhaft schönes Exemplar im Glas. Dichte Farbe, kraftvoll, leichte Strenge, aber auch feiner Schmelz 92/100. Überraschend gut auch 1975 Cheval Blanc. Da war wieder die traumhafte, unbeschreiblich schöne, klassische Cheval Blanc Nase. Ein Wein, an dem man stundenlang nur riechen könnte. Am Gaumen sehr weich, reif, charmant mit feiner Süße und mit einer finessigen Aromatik, die spontan an den großen 64er erinnert 95/100. Beide Weine zeigten, dass der Jahrgang 1975 durchaus noch für so manche Überraschung gut sein dürfte.
Anscheinend kriegt auch 1990 Figeac langsam wieder die Kurve. In seiner Fruchtphase war das ein toller Stoff, doch seit 1998 konnte ich ihm überhaupt nichts mehr abgewinnen und stand häufig kurz davor, meine Bestände zu verkaufen. An diesem Abend stand vor uns ein unglaublich junger, dichter, kräftiger Wein mit sehr junger Farbe, bei dem das Anstrengende, Korkähnliche der Figeacs nur ab und an unter der dichten Frucht durchschimmerte. In dieser Form ist das ein durchaus spannender, hochklassiger Figeac, der erst am Anfang seiner Genussreife steht 93+/100. Bleibt zu hoffen, dass das keine Ausreißerflasche ist und die nächste nicht wieder die wenig betörende Anmutung von nassem Hund hat.
Viel Fantasie braucht man bei 1994 Pontet Canet. Tiefe, undurchdringliche Farbe, massive Astringenz und kräftiges Tanningerüst bei recht wenig, aber feiner Frucht und nur einem Hauch von Schmelz zeigen einen etwas zurückgebliebenen Wein, der sich noch nicht ganz entschieden hat, ob er mal aufblühen will, oder lieber austrocknen. Heute sind da 88/100 im Glas. Je nach Entwicklung kommen da in 5-10 Jahren bis zu 5 dazu oder fallen weg.
Blutjung wurde es mit einem 2004 Alpha Estate aus Griechenland. Diese von 80% Syrah dominierte Cuvée war natürlich noch viel zu jung. Sehr schöne, primäre Frucht, aber auch massive Säure, ich konnte ehrlich gesagt nicht allzu viel damit anfangen 86/100. Als einer der griechischen Highflyer gilt dieses Gut. Dazu sollte man wissen, dass Trilogia in den Auflistungen der besten griechischen Weine nie vorkommt. Das mag vielleicht daran liegen, dass sonst unter Trilogia als Nr. 1 die nächsten 10 Plätze eigentlich frei bleiben müssten.
Zurück zu reiferen Weinen. Selbst im grausamen Weinjahr 1939 lassen sich noch trinkbare Tropfen finden. Während es z.B. in Burgund und an der Loire während der Ernte schneite(!), scheint in Spanien das Wetter ganz passabel gewesen zu sein. Der 1939 Bodegas Age aus Rioja im klassischen Leinensack war nur in der Nase mit ersten Madeira-Tönen etwas anstrengend, am Gaumen war er samtig und weich, wirkte alles andere als senil und zeigte eine wunderbare Aromatik 93/100. Ganz groß dann 1928 Paternina Gran Reserva. Noch so frisch mit dichter Farbe und irrer Länge, massig Kaffee. Rüttelte selbst ermattete Gaumen wider wach 98/100.
Brav blieben die Herren Strohwitwer. Voll des süßen Weines kam niemand mehr auf dumme Gedanken. Da blieben jetzt nur der Gedanke an das eigene Bett, an schöne Weinträume und die Vorfreude auf die eigene Familie an den Ostertagen.