Happy Birthday aus Gabriel-Gläsern

Klar sagte ich zu, als mich ein Schweizer Weinfreund zu einer Feier anlässlich seines 50. Geburtstages einlud. Nicht gerechnet hatte ich allerdings damit, dass sich diese "Feier" als extrem hochkarätige Weinprobe entpuppte.

Infos zum geplanten Geburtstagsfest hatte ich kaum. Ein Hotel wurde mir angegeben, in dem ein Zimmer für mich reserviert war. Zur vorgegebenen Zeit holte uns ein Taxi ab und brachte uns mitten in den Wald. Hier lag auf einer Lichtung das Forsthaus Zuffikon, ein imposanter Holzbau. Aber wo war jetzt die Band, das Buffet, die Heerscharen von Gästen? Lediglich ein knappes Dutzend meist gut bekannter Gesichter sah ich. Was ging hier ab? Ganz einfach. Der gute Daniel wollte diesen Tag, seinen Geburtstag, in einem kleinen Kreis guter (Wein)Freunde verbringen. Das eigentliche, große Fest war dann für das darauffolgende Wochenende geplant, was nicht nur mir deutlich lieber war. Im Forsthaus selbst war in einem großen Raum für unser Dutzend eine lange Tafel eingedeckt mit reichlich Gabriel-Gläsern. Auch das war eine Premiere für mich. Ich kannte das Glas zwar aus Vorentwürfen und Prototypen, doch das war jetzt für mich die erste große Probe mit dem Gabriel-Glas.

Die Zwölferrunde stimmte, die Location war schlichtweg perfekt und hatte was, die Gläser wirkten trotz der leicht gewöhnungsbedürftigen Optik hoch spannend. Jetzt müsste es außer den passenden Weinen nur noch den Beamer aus Startrek geben, damit meine Wunschküche aus der Braui direkt auf unsere Teller käme. Und genau das passierte. Zwar nicht gebeamt, aber von Werner Tobler perfekt als Catering vorbereitet und von einer extrem fleißigen, talentierten Mitarbeiterin nicht minder perfekt zelebriert. Es müssen so an die 10 göttliche Gänge gewesen sein, die da auf unsere Teller gezaubert wurden. Und der gute Werni saß sichtlich zufrieden strahlend mit am Tisch. Da fehlt als nächstes eigentlich nur, dass es die Braui-Küche auch als Download gibt. Die würde ich mir dann jeden Abend auf den Teller holen.

Draußen vor dem Forsthaus starteten wir mit dem Apero, einem 1996 Saarburger Rausch Spätlese von Geltz-Zilliken aus der Magnum. Als ich den Jahrgang sah, packte mich gleich das schlechte Gewissen. ist doch meine Beschreibung des Jahrgangs 1996 schon weit gediehen, aber immer noch nicht fertig. Na gut, ich gelobe zügige Besserung. Erste Reife zeigte der Wein nur in der Nase mit reifer, cremiger Zitrusfrucht, am Gaumen präsentierte er sich sehr harmonisch in perfektem Trinkstadium und immer noch frisch durch die knackige, präsente 96er Säure 92/100.

An der langen Tafel des Forsthauses erwartete uns dann bereits der erste Rotweinflight. Gut, dass das nicht die erste Runde von "Wer wird Millionär" war. Ich hätte wohl alle Joker gebraucht, denn mit meinen Einschätzungen lag ich völlig falsch. Eine sehr junge Farbe hatte der 1998 Phélan Ségur, Cassis pur und viel Kirsche in der aber auch etwas anstrengend wirkenden Nase, am Gaumen schlank und sperrig mit astringierenden Tanninen 87/100. Passend zum Probenort offerierte die Nase des 1998 Leoville Poyferré einen großen Cocktail reifer Waldbeeren, wurde aber mit der Zeit immer floraler mit frischem Gras. Feine Fruchtsüße am Gaumen und sehr guter Trinkfluss 91/100. Beerig auch die Nase des 1998 Figeac, dazu leicht harzige Töne, wir hatten jetzt den Tannenwald im Glas, am Gaumen warm-würzig, fast etwas mollig, kleidete den Gaumen voll aus und war in bestechender Form, ohne die sonst so oft störende, Kork-ähnliche Figeacnase 92/100.

Nach diesem Vorspiel ging es gleich in die Volle. Dreimal Palmer vom Feinsten stand vor uns. 1988 Palmer war ein konzentrierter, großartiger Stoff mit immer noch massivem Tanningerüst und viel Zedernholz, die Frucht nur ganz verhalten, das gewaltige Langstreckenpotential aber deutlich spürbar 91+/100. Ausgerechnet 1989 Palmer war leider fehlerhaft mit einem deutlichen Kloakenton in der Nase und am Gaumen, wurde zwar mit der Zeit etwas besser im Glas und entwickelte eine schöne Süße, war aber um Längen von den 95+/100 entfernt, zu denen dieser Wein in der Lage ist. Voll auf dem Punkt dagegen 1990 Palmer, Seide pur, so elegant, so finessig, ein reifer Traum-Margaux, den man jetzt in großen Schlucken trinken und genießen kann 94/100.

Das faszinierende 88/89/90 Spielchen ging weiter. Großes Potential zeigte auch der konzentrierte, tanningeprägte 1988 Leoville las Cases, der in der Anmutung als perfekter Pauillac durchging und an 88 Mouton erinnerte 93+/100. Auch 1989 Leoville las Cases mit seiner grandiosen Struktur eher Pauillac als St. Julien, noch ganz am Anfang, aber mit herrlicher, reintöniger, rotbeeriger Frucht, derzeit eher etwas schlank wirkend, puristisch schön mit wunderbarer Länge am Gaumen 95/100. 1990 Leoville las Cases war der reifste, süßeste, kompletteste, zugänglichste der drei, wirkt jetzt voll da und macht immensen Trinkspaß 97/100.

Alle Weine habe ich auch schon völlig anders getrunken. Extreme sind dabei der 16-18 Grad Keller des Doctorhaus bei Zürich und mein eigener Eisstall. Einzig die Lagerung entscheidet darüber, wie offen sich ein Wein präsentiert. Die Weine unserer Probe schienen durchweg aus sehr guter Lagerung zu kommen. Für die drei Jahrgänge habe ich eine simple Faustregel für die Entwicklung der Weine in den nächsten Jahren, die nicht nur bei diesem perfekten Leoville las Cases "Pauillac-"Flight gut hinkommt, sondern auch bei vielen anderen Weinen:

Heute: 90 vor 89 vor 88

Morgen: 89 vor 90 vor 88

Übermorgen: 88 vor 89 vor 90

"Ruf mich in 10 Jahren mal wieder an" hieß es auch bei 1988 Montrose, einem dichten Muskelpaket mit Tannin ohne Ende 91+/100. Ich bin mir ziemlich sicher, auch da wird noch mal was Großes draus. In diesem Trio war 1989 Montrose der zugänglichste. Hält heute für deutlich weniger Geld, was der 90er verspricht, druckvolle Aromatik, geile Süße, ein Montrose zum Reinsetzen 96/100. Potentiell der größte, kompletteste der drei ist natürlich 1990 Montrose, der sich aber nur im Schneckentempo entwickelt 94+/100. Natürlich muss man den Stil von Montrose mögen. Die Weine sind nicht mehr ganz so ruppig wie in früheren Zeiten, bleiben aber klassische Montrose, kernig, zupackend, fordernd und im besten Sinne "austere".

Im nächsten Flight bekam ich mit dem 1997 Dunn Napa Valley endlich mal einen Dunn, der trotz aller Jugend und strammer Tannine etwas mehr zeigte. Faszinierende Nase mit einer Mischung aus Brett und jugendlicher Röstaromatik, pure, reintönige Frucht, am Gaumen druckvoll und für einen Dunn erstaunlich fett 94/100. Dunn macht klassische Weine für die Ewigkeit. Wer diese Weine nicht kennt und zu schätzen weiß, sollte die Finger davon lassen. Sonst ist die Kiste frustriert leer getrunken, bevor sich der Vorhang gehoben hat. War es vielleicht das Gabriel-Glas, das diesen Wein mehr zeigen ließ? Diesen Verdacht hatte ich auch beim 1993 Heitz Bella Oaks. Kraft, Dichte, Minze, so eine tolle Struktur, wie aus einem Stück gemeißelt, einfach grandios mit immer noch dichter, junger Farbe und noch enormem Potential 95/100. Gut gelagerte Flaschen Bella Oaks wie diese hier stehen hinter Martha s Vineyard kaum zurück, kosten aber nur einen Bruchteil. Bitte nicht weitersagen, ich suche selber.

Schlucken musste ich, als ich die Subskriptionspreise für 2009 Cheval Blanc sah. Wer soll das noch bezahlen? Unsere Nachfahren werden wohl von Cheval Blanc nur noch in Weinmärchenbüchern lesen. Schlucken mußten oder besser gesagt durften wir an diesem Abend auch. Allerdings handelte es sich um große Schlucke. Unser spendables Geburtstagskind hatte eine Doppelmagnum 1997 Cheval Blanc geöffnet. Aus der Großflasche zeigte dieser Wein noch keinerlei Müdigkeit und war noch erstaunlich dicht und kräftig. Selbst, als der Gregor am nächsten morgen den Rest aus der Flasche trank, waren beide(!) noch in guter Form. Kein großer Cheval Blanc, aber ein typischer, sehr feiner, eleganter mit süßem Schmelz und diesem unwiderstehlichen Cheval-Parfüm in der Nase.

Angesichts dieser großen Cheval Blanc-Flasche wurde ich noch aus einem anderen Grund etwas wehmütig. Hatte ich doch für diese Geburtstagsprobe einen anderen Event in Deutschland absagen müssen, bei dem es unter anderem 47 Cheval Blanc in drei verschiedenen Abfüllungen gab. Wann bekommt man schon mal 47 Cheval Blanc zu trinken. Doch meine Weintrauer verwandelte sich beim nächsten Flight in ein breites, zufriedenes, innerliches Grinsen. Was vor mir stand? 1947 Cheval Blanc natürlich, in einer Vandermeulen-Abfüllung. Je nach Abfüllung und Lagerung kann dieser Cheval schon verdammt müde sein. Dieser hier war reif, sehr reif sogar, baute aber im Glas nicht ab sondern aus. Verschwenderische Nase, Schoko, Mokka, Kaffee, herrliche Süße, auch am Gaumen unendlicher Schmelz, Süße und Fülle, ein in dieser Form unsterblicher, hedonistischer Riese 100/100. Im anderen Glas der deutlich jünger wirkende 1949 Cheval Blanc, nicht so üppig wie der 47er, seidiger, eleganter, feiner, wieder mit dieser unnachahmlichen Cheval Blanc Nase, feinste Seide für Nase und Gaumen, feine Süße, aber auch gute Säurestruktur, dadurch noch jung und pikant wirkend mit Anklängen von Schwarztee, aus guten Flaschen wie dieser noch lange nicht am Ende, eher mit Entwicklungspotential 98/100.

Ja, das Geburtstagskind meinte es richtig gut mit uns und zauberte eine Granate nach der nächsten ins Glas. Endlich bekam ich mal wieder 1949 Ducru Beaucaillou zu trinken, einen der großen Klassiker dieses Chateaus. Eleganz pur, immer noch mit intakter Farbe und schöner Frucht, pikant, erstaunlich frisch, dezente Süße 94/100. Ein Traum im anderen Glas der 1945 Cos d Estournel. Vor vier Jahren auf René Gabriels großer Cos-Probe hatte ich das Gefühl, dass dieser Wein noch nicht richtig reif war. Diese Flasche hier aber war auf dem Höhepunkt und zeigte einfach alles, ein großer, kompletter Weinriese, elegant, feinduftig, druckvoll am Gaumen mit feiner Süße und unendlich lang am Gaumen 97/100.

Ein spannendes Duell im nächsten Flight, in dem der
1986 Gruaud Larose allerdings auf höchstem Niveau chancenlos war. Sehr dicht, sehr konzentriert, aus dieser Flasche hier sehr jung mit deutlichem Tanningerüst, viel Zedernholz, pure Frucht, aber noch nicht ansatzweise dort, wo dieser potentiell sehr große Wein mal hin gelangt 94+/100. Und im anderen Glas 1986 Mouton Rothschild, der dritte(!!!), den ich innerhalb von 10 Tagen trinken durfte. Gleichzeitig war das trotz aller Jugend und mächtiger Tannine der giftigste, explosivste, ein schier unglaublicher Gigant mit einer blutjungen Farbe, schwarz wie Ägyptens Nächte. Warum ich da "nur" 99+/100 dran schreibe? Weil da noch mehr kommt. Obschon es in dieser Form schwerfällt, von den Flaschen weg zu bleiben. Das Zeug knallt dermaßen am Gaumen. Ob da auch wieder das Gabriel-Gas mit dran schuld war?

Dreimal 83 war jetzt angesagt, dreimal traumhaft schöner, reifer Weingenuss aus einem vergessenen, großen Jahrgang. Immer noch jung und konzentriert wirkend der herrliche 1983 La Mission Haut Brion, Cigarbox-Nase, ätherische Aromatik, Tabak, Minze, Kräuter, am Gaumen weich, schmeichelnd, aber sehr nachhaltig 94/100. Ein Traum und voll da auch 1983 Latour mit der klassischen Trüffel- und Walnussaromatik 95/100. Beide Weine sicher noch mit Potential für 10+ Jahre. Deutlich mehr dürften es bei 1983 Margaux sein, unzweifelhaft der Wein des Jahrgangs. Von diesem Wein gibt es eine grausige Variante, die ich leider erst vor 2 Monaten wieder im Glas hatte und eine atemberaubende. Wir hatten letztere, womit sich das unverschämte Flaschenglück dieser Probe fortsetzte. Ein Monument ist dieser irrsinnig dichte, konzentrierte Margaux, ein kompletter Wein, der auf unnachahmliche Art Eleganz und unbändige Kraft miteinander verbindet, eben die klassische Eisenfaust im Samthandschuh 99/100. Ist in 10 Jahren ein Kandidat für die Höchstnote.

Und wie schmeckt 1982 Cos d Estournel in 10 Jahren? So, wie heute der 45er. Der 82er wirkt immer noch sehr jung und kraftvoll, und hat noch einen weiten Weg vor sich, bis er wieder da landet, wo er als Jungwein einmal war. Immerhin ist er jetzt aus seinem Schneckenhaus raus und macht schon wieder verdammt viel Spaß 96+/100. Auch die 1982 Pichon Comtesse ist immer noch ein sehr schöner Wein. Man darf sie halt nur nicht vor 5 oder 10 Jahren in ihrer Glanzzeit im Glas gehabt haben. Jetzt ist sie auf hohem Niveau nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ob dieser Wein noch mal kommt? 95/100.

Was für ein Feuerwerk, was für eine geniale Probe, bei der einfach alles stimmte. Danke, lieber Daniel. Deinen 100sten habe ich mir schon mal vorgemerkt. Vielleicht trinken wir dann ja aus Gabriel-Schnabeltassen. René s Gläser haben in dieser Probe voll überzeugt. Ich werde mir jetzt in jedem Fall auch einen Satz zulegen und dann ausprobieren, ob das Glas auch meine derzeitige #1, das Zalto DENK.ART Universalglas, schlägt. In jedem Fall hat diese Probe eines sehr deutlich gezeigt. Wer bei den Gläsern spart, spart am falschen Ende. Lieber eine Granate weniger, und dafür anständige Gläser auf dem Tisch. (wt 07/2010)