Hin und her

Zu einer feinen Probe in kleinerem Kreise war ich kürzlich eingeladen. Und da am Nachbartisch noch eine größere Gruppe berühmt-berüchtigter Weinhändler saß, ging zusätzlich noch so manch spannendes Glas zwischen den Tischen hin und her.

Den müsst Ihr nicht austrinken, meinte unser Gastgeber zum Begrüßungsschluck, das sei eine Risikoflasche. Wir schauten uns fragend an. Was konnte das bloß sein? Ein älterer, versekteter Spätburgunder Weißherbst? Zumindest schmeckte dieses zwar immer noch gut moussierende, aber einfach gestrickte, leicht süßliche Wässerchen so. Gnädige 84/100 für einen 1985 Veuve Clicquot Rosé Reserve, den man sich in dieser Form wirklich nicht merken muss. Ausgetrunken hat ihn keiner von uns. Ruckzug leerten sich dagegen die Gläser bei der 1999 Wehlener Sonnenuhr Spätlese von JJ Prüm. Die trank sich trotz ihrer Jugend wunderbar, sehr frisch mit traubiger Süße und knackiger, balancierender Säure 92/100.

"Der mit dem Kork kämpft", konnte man leider den 1969 Mayacamas betiteln. Jammerschade, denn eigentlich hatte der Mayacamas, wenn man das Glas eine Weile ruhig stehen ließ, eine schöne Eukalyptusnase mit Minze. Kräftige Säure hielt ihn frisch, doch der auch am Gaumen spürbare Korkton ließ ihn etwas stumpf wirken. Wäre sonst sicher ein schöner Wein oberhalb von 90/100 gewesen. Ein reifer Bordeaux aus Kalifornien danach der 1974 Mondavi Reserve, minzig, viel Leder, kein Alter 94/100.

Und da kam schon das erste Glas vom Nachbartisch, ein 1989 Taittinger Comtes de Champagne von der Schornschen Karte. Das war reifer Champagner vom allerfeinsten, jetzt in bestechender Trinkform, reife Farbe, sehr gutes Mousseux, in der Nase dicke Brotkruste, am Gaumen reife, gelbe Früchte, buttrig, nussig, cremige Textur, aber auch erstaunlich gute Säure, baut enorm aus und zeigt gewaltige Länge am Gaumen 96/100. Sicher nicht so langlebig wie z.B. 88 oder 90, aber warum auch? Der kann nur anders, aber nicht mehr besser werden. Erstaunlicherweise interessierte sich sonst kaum jemand für den Taittinger. Um so besser für mich, denn ein großer Champagner in großen Schlucken, das hat was.

Ein weiteres Rotwein-Pärchen stand vor uns. Was sollte das denn bitte im linken Glas sein? Zu Anfang Puddingpulver in der Nase, billige Industrievanille, dann kam mit der Zeit immer mehr Frucht, reife Sauerkirsche, aber das alles machte nicht an. 1999 Dominus war dieser diffus wirkende Tropfen. Undekantiert war er ins Glas gekommen. Was hatte da bloß unseren Sommelier geritten? Reinste Verschwendung und eigentlich auch Hinrichtung eines sonst so schönen Weines war das. Ich ließ mein Glas mit dem letzten Schluck eine Weile stehen. Und in der Form dieses letzten Schluckes hätte ich gerne das ganze Glas gehabt, ein eleganter, fruchtiger, sehr nachhaltiger Dominus, ein sehr schöner Bordeaux aus Kalifornien, der jetzt wenigstens auf 93/100 kam. Im anderen Glas ein bestens gelungener Bordeaux aus Italien, 1999 Solaia, jung und dicht die Farbe, gute Struktur, noch so jung, Säure, bei aller Kraft doch elegant und fein wirkend mit betörend schöner Frucht - 94/100.

Und schon wieder kam ein Glas vom Nachbartisch, 1995 Newton Chardonnay unfiltered. Ein perfektes Musterbeispiel dafür, wie gut die besten kalifornischen Chardonnays altern können. Der wirkte noch so jung, nussig, cremig mit feinem Schmelz, mineralisch und trank sich einfach saugut 93/100. Einfach spannend, diese Abwechslungen vom Nachbartisch.

Zwei große Rote standen jetzt vor uns, zumindest der Papierform nach. Nur konnten wir eigentlich alle mit dem 1995 Vega Sicilia Unico nicht viel anfangen. Übertrieben süße, offene Cassis-Frucht, dropsige Süße, wirkte dadurch kitschig und eher wie eine Karikatur von Vega Sicilia. Gut, viel Säure hat er ja, aber die haben Brausebrocken auch 88/100. Gegen den wirkte der zwar ebenfalls recht offene 1995 Leoville las Cases, diese modernere Variante des 90ers, mit seiner perfekten Struktur geradezu klassisch 94/100.

Ich hatte es kaum zu hoffen gewagt, aber da war es wieder, das Glas vom Nachbartisch. Ein 1991 Abreu Cabernet Sauvignon Madrona Ranch war diesmal drin. Der hatte nicht die aromatische Dramatik der jüngeren Abreus, eher ein feiner, fruchtiger, gut gereifter Wein, der stilistisch noch mit einem Bein in den 80ern stand 92/100.

Weiter ging es mit einem spannenden Drilling, Léoville Poyferré aus drei verschiedenen Jahrzehnten, jeder für sich sehr beeindruckend. So z.B. 1959 Leoville Poyferré, den ich noch nie so gut im Glas hatte. Relativ hell die Farbe zwar, aber wenig Reifetöne, herrlich die Kaffeenase, Starbucks pur, immer noch frische Frucht, gute Säure und Struktur, ein klassischer, großer 59er, der es in dieser Form noch länger macht 95/100. Kein Alter zeigte 1983 Leoville Poyferré, sehr viel aromatischer Druck und generöser Schmelz, immer noch eine Suche wert und in 83 ein Wein in der Klasse der Weine aus der Appelation Margaux 94/100. Natürlich noch sehr jung mit dichter Farbe und großartiger Struktur 1996 Léoville Poyferré, ein Wein mit großer Zukunft, der aber mit seiner süßen, dunklen Frucht auch heute schon viel Spaß macht 94+/100.

Auch der Nachbartisch erhöhte das Tempo. Zwei Weine konnte ich verkosten. Nicht einordnen konnte ich den ultrararen, kalifornischen 1999 Blankiet Estate Paradise Hill Vineyard. Sehr dicht, sehr kräftig, zu Anfang Rhone pur, Lakritz, Veilchen, animalische Noten, viel Brett, ein jugendliches Monster, das sich zögerlich öffnet, wird immer fruchtiger und fährt langsam die Rhone abwärts. Mit dem letzten Schluck sind wir dann auf dem Überseedampfer 94/100. Im anderen Glas der gesuchte und hoch bewertete 1997 Arrowood Reserve Spéciale. Sicher ein sehr guter, dichter, gut gemachter Kali-Cab mit viel dunkler Frucht, aber Parkers Assoziationen mit 96 Latour konnte ich nicht nachvollziehen 94/100.

Ein ausgemachter Heitz-Sammler und Liebhaber ist unser Gastgeber. Da musste doch jetzt endlich was kommen und es kam auch, 1990 Heitz Martha s Vineyard. Vielleicht nicht der typischste aller Heitz, so offen, so sexy, eine wuchtige Coca-Cola Nummer mit einem dicken Schuss Minze und Eukalyptus, mit wunderbarer, süßer, fruchtiger Fülle, dabei immer noch so jung mit reichlich Reserven 95+/100. Voll auf Augenhöhe im anderen Glas 1990 Ausone. Von dem muss es, wie übrigens bei 90 Heitz leider auch, bessere und schlechtere Flaschen geben. Wir hatten an diesem Abend wie bei Heitz doppeltes Flaschenglück und ein perfektes Exemplar erwischt, einen großartigen, kraftvollen St. Emilion mit Turbolader und gewaltiger Länge 95/100.

Bei der Gelegenheit ein Tipp für alle Heitz-Fans. Heitz hat nicht nur mit Ungerweine in Deutschland eine neue Heimat. Die Ungers veranstalten am 1. und 2. April in Aschau einen wohl einmaligen Heitz-Event, unter anderem mit 36 Jahrgängen Martha s Vineyard. Da lohnt wohl in jedem Fall ein Eintrag auf der Warteliste. Der Wineterminatorbereits lässt sich diese Probe nicht entgehen und hat sich bereits angemeldet.

Alt und fad wurde es jetzt in unseren Gläsern. Bei 1961 Gloria war nur der Jahrgang prickelnd. Der Wein selbst war trotz dichter Farbe reif, alt und ziemlich charmefrei 86/100. Nicht viel anders der 1964 Barolo von Giovanni Sordo, alte Rosenstöcke vom Komposthaufen, nicht unbedingt mein Ding 86/100. Da sah wohl auch der Gastgeber so und öffnete rasch noch einen prächtigen 1990 Chateau Montelena. Der zeigte sich endlich wieder in Topform, ein jugendlicher Bordeaux mit sehr guter Struktur, hoher Mineralität und präziser, aber saftiger kalifornischer Frucht, einfach das Beste aus zwei Welten 95/100.

Blieben noch zwei spannende Shiraz aus Kalifornien. Einen vom Nachbartisch, einen weichen, würzigen, fruchtigen, aber im direkten Vergleich auf hohem Niveau eher harmlosen 1995 Araujo Eisele Shiraz (93/100) und dann aus der Schorn Karte ich musste mich ja auch mal revanchieren ein 1997 John Alban Reva Shiraz. Sehr jung, eher schlank strukturiert, aber mit messerscharfer Präzision, Rhone pur mit dunkler Frucht, animalisch, etwas Schoko, baute im Glas enorm aus, ganz großes Rhone-Kino made in California 96/100.

Und einen süßen Abschluss hatte der Nachbartisch noch bestellt, aber nicht ausgetrunken. Über den machte ich mich dann mit größtem Vergnügen mit unserem Gastgeber her. Nicht mehr allzu süß war die 1990 Bernkasteler Doctor Auslese von Kesselstatt mehr, aber so wundervoll harmonisch und ausgewogen mit einer feinen Campari-Bitternote, einfach ein perfekter Absacker 93/100. (wt 02/2011)