Nikolaus Probe

Da war Oliver Speh wieder voll in seinem Element. Eigentlich ist er ja hauptberuflich erfolgreicher Unternehmens- und Personalberater in der Gastrobranche. Doch für schöne Proben schlüpft dieser Gesinnungstäter in Sachen Wein gerne in die Rolle des Sommeliers. So auch an diesem Nikolausabend, für den einige von uns Raritäten aus ihren Kellern geopfert hatten. Gekonnt stellte Oliver aus unseren Trouvaillen die einzelnen Flights für diese Blindverkostung zusammen und brachte die Weine in handwerklicher Präzision auf den Tisch. Franz Josef Schorn, dieser Fleisch gewordene Inbegriff von Lebenslust, tat mit einem großartigen Menü das Seine dazu. Er wird seit einiger Zeit von einem hochtalentierten, jungen Koch unterstützt. Marcel heißt der Nachwuchs-Zampano, der seine Ausbildung in einem Drei-Sterne-Lokal absolvierte und jetzt hier, wo er darf wie er gerne möchte, richtig Vollgas gibt.

Prächtige Stimmung

Prächtige Stimmung

Extrem jung und bissig der erste Wein, ein 2007 Monzinger Frühlingsplätzchen von Emrich-Schönleber. Massive Säure und im jetzigen Stadium noch etwas unfertig wirkend mit deutlicher Hefenote. Insgesamt aber ein rassiger Wein mit pikanter, apfeliger Frucht, recht schlank, mit guter Zukunft 89+/100.
Weine wie früher, das ist das Konzept des Weingutes Später-Veith von der Mosel. Gemeint ist damit eigentlich eine Rolle Rückwärts in die Zukunft. Deutsche Rieslinge gehörten mal zu den teuersten, begehrtesten Weinen der Welt, voll auf Augenhöhe mit den großen Gewächsen aus Bordeaux. Warum das nicht mehr der Fall ist, liegt vielleicht mehr an den beiden Weltkriegen als an anderer Weinbereitung. In jedem Fall ist aber der Ansatz dieses Winzer sehr interessant, weil er mit Rückbesinnung auf klassische Methoden der Weinbereitung im Sinne von Slow Wine analog zu Slow Food eigentlich hochmodern und topaktuell ist. Nur reifstes Lesegut, nach Möglichkeit ohne Boytritis, verwendet er für seine Weine. Im Keller wird mit Spontanvergärung gearbeitet. Der Wein entscheidet selber, wann er fertig ist. So zeigt denn auch jeder Jahrgang seine ganz besondere Eigenheit. Eigentlich fast völlig trocken geraten ist die 2007 Piesporter Domherr Auslese trocken Tradition mit gerade mal 9g Restzucker. 115 Öchsle hatte das hochreife, handselektierte Lesegut. Das Ergebnis ist ein sehr kräftiges Konzentrat, das man locker gegen einen großen Smaragd aus der Wachau stellen könnte. Kein filigranes Möselchen, sondern ein gewaltiger, charakterstarker, spannender Tropfen mit sehr feinem Säurespiel. Mit 13,5 % Alkohol sicher nichts für eine laue Sommernacht auf der Terrasse, sondern eher ein sehr guter Speisenbegleiter 92/100. Völlig anders die 2006 Piesporter Domherr Auslese Tradition. Die zeigte eine spürbare Süße und auch deutliche Boytritis, was wohl jahrgangsmäßig kaum anders möglich war. Reife, füllige Honignase, auch am Gaumen viel Fülle und spürbarer(13%) Alkohol. Passte dadurch sehr gut zu Franz Josefs gebratener Gänseleber, gehört aber eigentlich noch 10-15 Jahre weggesperrt. Mich erinnerte dieser Wein stark an große Vendage Tardives aus dem Elsass, ein Zug, auf den die Wachauer ja auch gerade mit ihren Reserve-Weinen aufspringen. Wer diesem Wein 1 Jahrzehnte gönnt, bekommt dann einen harmonisch trockenen Wein, der im Glas richtig knallt und statt der heutigen 89 auch 93/100 bringen kann. Ähnlich gilt das auch für die 2005 Auslese Tradition. Hier keine Boytritis, reintöniger, schlanker, rassiger, aber auch mit viel Honig 88+/100. Ausgegraben hat diese Weine, die es nur in Kleinstmengen zu noch sehr erfreulich niedrigen Preisen gibt, Jochen Fricke. Der langjährige Chefeinkäufer von Mövenpick hat sich unter www.weinspuernase.de selbständig gemacht. Ich habe mir alle drei Weine in den Keller gelegt, denn wenn die großen Weinführer erst mal begriffen haben, was hier abgeht, dann ist es mit der Schnäppchenphase vorbei. Passend zum Motto Tradition und Weine wie früher hatten wir neben den 2007er einen 1921 Johannisberger Erntebringer Naturwein von den Vereinigten Weingutsbesitzern gestellt. Dieser cognacfarbene Senior hatte die faszinierende, nussige, leicht süße Nase eines Sherry Amontillado. Am Gaumen war er furztrocken und schon deutlich oxidativ mit einer an Walnüsse erinnernden Bitternote im Abgang. Mit 86/100 habe ich diesen Wein bewertet, was am Tisch längst nicht so gesehen wurde. Für Einige von uns schlug sich die Faszination dieses Weines in höherer Benotung nieder, andere, insbesondere die Jungweinfans, wandten sich mit Grausen ab. Ich bin persönlich eigentlich sehr dankbar für jeden, der keine alten Weine mag. Es gibt ohnehin nicht genügend davon. Deutlich älter als der Johannisberger wirkte ein 1969 Meursault Cuvée Loppin vom Hospice de Beaune. Auch hier war die sehr würzige, kräuterige Nase mit viel Anis und Fenchel deutlich interessanter als der schon sehr gezehrte, oxidative Gaumen 81/100. Dazu musste sich der Meursault noch eines 1993 Hermitage Blanc Chante-Alouette von Chapoutier erwehren. Der kam gerade zögerlich ein erstes Stückweit aus dem Schneckenhaus heraus, in das sich weiße Rhoneweine wenige Jahre nach der Ernte für ein gutes Jahrzehnt verziehen. Die Nase teilten sich florale Noten und ein deutlicher Petrolton. Am Gaumen war der Wein mineralisch und staubtrocken mit viel Kraft, aber auch mit einer etwas monolithischen Rustikalität. Sicher auch das ein Wein für Fans dieser Stilrichtung, deutlich besser übrigens nicht nur zum Essen, sondern auch nach längerer Zeit im Glas, in dem er enorm ausbaute und an Komplexität deutlich zulegte 91/100.
Jung und Burgund hieß der erste Rotweinflight. Animalisch, deutlich Brett in der Nase, am Gaumen etwas diffus, süß, speckig, üppig und füllig, mit gutem Pinot aus Burgund hatte der 1999 Volnay 1er Cru Jean Boillot & Fils wenig zu tun. Der schmeckte er so, als ob da jemand gezielt für seinen amerikanischen Importeur produzierte 85/100. Da gefiel doch der 1996 Chambolle Musigny von Ghislaine Barthod schon eher. In der Nase After Eight pur, am Gaumen schlank, sehr fein und burgundisch-elegant 88/100.

Selbst unser Jungweinfreak kam einigermaßen mit dem 1955 Pommard in einer R&U Abfüllung zurecht. Der war reif, fein mit schöner Süße, aber auch rauchig und speckig, an ein Spanferkel vom Grill erinnernd. Und obwohl er schon etwas auf dem Abstieg schien, strahlte er doch einiges an Faszination aus 90/100. Der helle Wahnsinn im anderen Glas ein 1955 Chateauneuf du Pape von Delas Frères. Soviel Kraft, Süße und Fülle, so eine tolle Statur, immer noch mit sehr präsenter, reicher, an Holunder erinnernder Frucht und mit endlosem Abgang. Da war kein Zeichen von Alter oder Müdigkeit, sondern genau die Vitalität, die sich so manch 50jähriger Weintrinker für sich selbst wünschen würde 97/100.
Auch gleichem Niveau, aber völlig anders, ein 1945 Clos Vougeot von A. Traxelle. Helle, reife Farbe, aber in der Nase und am Gaumen so betörend, so fein, delikat und finessig mit schöner, malziger Süße, blieb ewig am Gaumen. Ein unsterblicher Weinriese, der unzählige Geschichten zu erzählen wusste 97/100. Den heißen Jahrgang spürte man beim 1947 Vosne Romanée von Faiveley. Da war diese leicht dekadente Überreife, die satte Farbe, reichlich Trüffel und auch viel Kaffee, hielt sich am Gaumen mit viel Kraft sehr gut, nur die Nase wurde mit der Zeit etwas gemüsig 94/100. Unser Jungweinfreak wurde mir immer sympathischer. Konnte er doch mit beiden Weinen nichts anfangen und reichte uns seine Gläser. So einen wünschte ich mir häufiger in großen Proben an meiner Seite.

Es folgte ein kurzer, radikaler Sprung in die Neuzeit, um dann mit den Cabernets langsam wieder älter werden zu können. Eine dicke Sau der 2003 Aalto PS und nach den reifen Burgundern ein richtiger Kulturschock. Auch hier merkte man wie beim 47er das heiße, überreife Jahr in dem die Winzer überall sehr früh ernteten. Exotisch, dicht, ziemlich süß und fast etwas dick, Kokosmakronen, aber bei aller ausladenden Art auch mineralisch und mit guter Struktur 96/100. Im anderen Glas ein 2001 Leo d Honor von Casa Ermelinda Freitas aus Portugal. Ein nur in außergewöhnlich guten Jahren erzeugter Wein, der auch der einen Seite reif weich und füllig mit viel Lebkuchengewürz wirkte, auf der anderen Seite mit seiner guten Struktur und dem Tanningerüst noch viel Biss und Zukunft zeigte 94/100.
Spaßwein und Bordeaux? Na klar, das gibt es nicht nur bei Garagenweinen auf dem rechten Ufer. 1989 Lynch Bages ist so ein herrlich unkomplizierter, dekadenter, hedonistischer Spaßwein auf hohem Niveau, den man nicht schönreden muss. Große Schlucke und ein fröhlich Gesicht, das ist der klassische Lynch Bages Trinker. Klar ist dieser Wein unkompliziert und anmachend, aber dabei keineswegs simpel. Die opulente, süße Frucht täuscht Reife nur vor. Mächtige Tannine, die darunter lauern, sorgen dafür, dass der Spaß die nächsten 20 Jahre nicht endet 95/100. Noch nie so gut und offen im Glas wie an diesem Abend hatte ich 1987 Chateau Montelena. Fälschlicherweise hatte ich den erst für einen 97er Kalifornier gehalten, wogegen allerdings die gewaltige Struktur und ein immer noch ein massives Tanningerüst sprachen. Der sprang nicht so aus dem Glas wie die neueren Weine aus dem amerikanischen Sonnenstaat und hatte auch nicht deren Überreife. Der Montelena brauchte viel Zeit und Luft, gab dann aber enorm Gas mit süßer werdender Frucht und großartiger Länge am Gaumen, hat immer noch großartiges Entwicklungspotential und das Zeug zur Legende 96+/100. Zwei bis drei weitere Jahrzehnte sind bei diesem Wein locker noch drin.
Sehr positiv überrascht war ich auch von 1982 Sociando Mallet. Während viele kleinere 82er bereits das Zeitliche segnen, geht es bei diesem Wein erst richtig los. Junge, dichte Farbe, kommt aromatisch wie ein kleiner Latour daher mit Trüffeln, Zedernholz und bitterer Walnuss 91/100. Dürfte wohl immer noch für kleines Geld zu finden sein. Im anderen Glas ein sehr offener, zugänglicher 1998 Léoville Poyferré, jung, mit üppiger, pflaumiger Frucht und viel Schwarzkirsche, fast etwas marmeladig und exotisch wirkend, einfach viel unkomplizierte Freude im Glas 92/100.
Schon mal den neuen Schokoladen-Espresso von Lindt probiert? Den hatten wir danach im Glas. Ein super leckerer, einfach geiler Wein mit süßer Frucht und viel Kaffee mit Schokolade. Ein simpler, schier unglaublicher 1955 St. Julien ohne Lagebezeichnung, abgefüllt von Georg Harth in Nierstein 93/100. Noch einen Tick drüber trotz suboptimaler ms"-Flasche ein 1955 Gaffelière-Naudes. Bis zum Jahrgang 59 ist das stets ein Cheval Blanc für Schlaue. Aromatisch nicht weit vom großen Vorbild entfernt, manchmal sogar ebenbürtig, aber für einen Bruchteil des Preises. Ein sehr feiner, klassischer St. Emilion, der sich am Gaumen wie Cashmere anfühlte, so seidig weich und elegant, fast ohne Alter mit wunderschöner Süße und unendlicher Länge 94/100.

Von den üppig-prallen Spaßweinen waren wir also jetzt zu den Schmuseweinen gewechselt. Das setzte sich auch im letzten Flight fort. Eine seidige Textur hatte der weiche, elegante, sehr finessige 1953 Grand Puy Lacoste in einer Händlerabfüllung mit einer trüffeligen Aromatik, mit Lakritz und Schwarztee. Hielt sich perfekt im Glas 92/100. Die Riesenüberraschung aber war 1950 Labegorce Zédé in einer Calvet-Abfüllung. Der hatte nicht nur immer noch eine sensationelle, fast altersfreie Farbe, sondern war dermaßen süß, weich, füllig und burgundisch-elegant mit sehr ausdrucksstarker Aromatik, ein kleiner Wein diesmal ganz groß 94/100. Und das aus meinem Geburtsjahr! Gibt es eine schönere Überleitung zu anschließenden, süßen Träumen?

Kleine Buben zählen sehnsüchtig die Tage bis Weihnachten. Wir große Buben zählen zunächst einmal die Tage bis zu unserer Weihnachts-Best-Bottle. Jeder von uns hat schon etwas Rares in seinem Keller im Auge, Oliver Speh hat als Sommelier zugesagt und das neue Dream Team Franz Josef und Marcel opfert für uns einen Ruhetag. Unsere Weihnachts-Best-Bottle kann kommen.