Nur vom Feinsten

Das war schon außergewöhnlich, was da drei passionierte Weinsammler in dieser malerischen, nördlich gelegenen Kleinstadt präsentierten.
Schon zu einem spontanen Mittagessen wurden wir mit 5 verschiedenen Chardonnays überrascht. So unterschiedlich wie die einzelnen Weine waren auch die Geschmäcker am Tisch. Mit einer Ausnahme fand jeder Wein mindestens einen unter uns, der ihn für den Besten hielt. Den Anfang machte ein 2002 Nuits Blanches au Bouge "Who says" von Au Bon Climat. Der war noch verdammt jung, machte aber schon viel Spaß. War das jetzt ein kalifornischer Meursault oder eher ein Burgunder mit kalifornischer Opulenz? Nussig, mit cremiger Textur, tropischen Früchten, dezenter Üppigkeit, guter Säure und Würze am Gaumen 92+/100. Wird sich sicher noch etliche Jahre positiv entwickeln. Ich bin ein großer Fan von Au Bon Climat Winzer Jim Glenenden. Seine Weine sind eigenständig, spannend und altern hervorragend. Parker mag sie nicht besonders. So bleiben die Preise im erschwinglichen Bereich und Verfügbarkeit ist auch gegeben. Eine herbe Enttäuschung war 2004 Gaja & Rey. Klar, das ist ein hoffnungslos überteuerter Wein, aber konnte der so schlecht sein? Kaum Frucht, nur Holz und Alkohol, absolut charmefrei. Für den konnte sich am Tisch wirklich niemand begeistern. Da kamen kaum mehr als 79/100 ins Glas. Ich kann mir das kaum vorstellen und vermute eher, dass wir es hier mit einem schleichenden Kork zu tun hatten.
Ein Charakterwein mit deutlichem Stinker in der Nase war der für das schwierige Jahr gut gelungene 1994 Corton Charlemagne von Bonneau du Matray. Sollte sicher in den nächsten Jahren getrunken werden 90/100. Sehr bald trinken würde ich auch den 1999 Puligny Montrachet Les Pucelles von Leflaive. Der präsentierte sich in bestechender Form mit viel Schmelz, mineralisch, aber auch etwas poliert und sicher auf dem Höhepunkt 91/100. Einer der besseren 99er weißen Burgunder, von denen viele schon das Zeitliche gesegnet haben. Sehr jung wirkte dagegen noch der 1996 Meursault Charmes von Comte Lafon. Ein komplexer, mineralischer Wein mit feiner Frucht und sehr kräftiger Säure. Wir tranken ihn leider aus zu kleinen Gläsern. So konnte er nur einen Teil seines Potential zeigen. Untrügliches Zeichen für seine Qualität war, dass er sehr gut im Glas ausbaute und auch steigende Temperaturen spielend verkraftete, die Nagelprobe für einen großen Chardonnay 92+/100.

Als Begrüßungsschluck am Abend wurde uns 1988 Dom Perignon gereicht. Der war eigentlich noch viel zu jung. Ein großer Champagner mit toller Struktur, der erst in 5 Jahren und danach richtig zeigt, was in ihm steckt 93+/100. Anders der darauffolgende 1976 Dom Perignon. Der war reifer, zeigte aber noch keinerlei Schwächen, dafür deutlich mehr Tiefgang. Sehr kräftig, lang und komplex. Zeigte immer neue Facetten und hielt auch steigenden Temperaturen spielend stand, ein ganz großer Champagner, der sicherlich bei entsprechend kühler Lagerung noch lange auf diesem sehr hohen Niveau bleiben dürfte 97/100.
Wer sein Weingeld mit vollen Händen verplempern möchte, erreicht das mit Sicherheit mit dem Kauf von Le Montrachets. Ich kenne eigentlich nur zwei extrem gute, sehr zuverlässige und entsprechend teure Erzeuger aus dieser hochwertigen Mini-Appelation: DRC und Comte Lafon. Die zahllosen, anderen Winzer, die eine handvoll Stöcke in dieser begehrten Lage besitzen, sind sehr häufig mit Vorsicht zu genießen. So hatten wir zu diesem Thema einen lehrreichen Dreier-Flight aus dem großen Montrachet-Jahr 1978. Die Friedhofsnase des 1978 Le Montrachet von Collin ließ schon nichts Gutes ahnen. Ein gezehrter, steinalt wirkender Wein, bei dem die Säure immer mehr Überhand gewinnt und das einzige, prägende Element darstellt. Gutwillige 78/100. Deutlich besser der 1978 Le Montrachet von Drouhin, ein feiner, schmelziger Montrachet, nussig, gut strukturiert mit kräftiger Säure, aber sicher nicht groß 91/100. Nur beim dritten Wein, einem 1978 Le Montrachet von Bouchard spürte man das großartige Terroir. Der kam mit einem kräftigen, brillianten Goldgelb ins Glas, ein sehr eleganter, zeitlos schöner Wein ohne jede Altersspur, finessig mit viel Spiel, sehr vielschichtig. Baute mit steigender Temperatur im Glas sehr schön aus und zeigte immer neue Facetten, ein Klassewein 96/100.
Noch eine relativ helle, altgoldene Farbe hatte 1971 d Yquem. Der wirkte in dieser Flasche(ich kenne ihn auch reifer) immer noch verdammt jung. Feine Honigtöne, cremige, exotische Frucht, wenig Säure, gute Länge am Gaumen - 93/100. Deutlich weiter und ein klassischer perfekt gereifter Sauternes war 1961 Suduiraud. Güldene Farbe, Orangenschale, Crême Brulée, intensive, sehr angenehme Bitternote, sehr lang am Gaumen 95/100.
Noch sehr jung, ganz am Anfang stehend und ziemlich unfertig wirkte 1988 Romanée St. Vivant von Leroy. Die anfängliche, intensive Käsenote verflog rasch. Feine, pikante Frucht, viel Himbeere, etwas spitze Säure, sehr schlank, da sind sicher noch gut 10 Jahre Warten angesagt 90+/100.
Zweimal 1950 Cheval Blanc stand danach gegeneinander, beides nicht näher identifizierbare Händlerabfüllungen, die sowohl aus Frankreich wie auch aus Belgien stammen konnten. Große Händler wie Vandermeulen, Hanapier oder Cruse haben auch damals schon ihre Flaschen mit dem eigenen Namen versehen. Bei den zahllosen, kleineren Händlern findet sich nur ein relativ neutrales Etikett, auf dem statt des "mise en bouteille aux chateau" nur der Name des Besitzers des Chateaus steht. Fälschlicherweise werden solche Flaschen dann oft auch als z. B. in diesem Fall Fourcaud-Laussac Abfüllungen bezeichnet, als ob der Besitzer neben der Chateauabfüllung noch eine Privatabfüllung gemacht hätte. So ist der Kauf solcher Händlerabfüllungen immer eine risikoreiche, aber spannende und durch den niedrigeren Preis oft auch lohnende Angelegenheit. Grandios die erste Flasche. Brauchte wie alle Cheval Blancs aus dieser Periode viel Zeit und Luft. Wer diese Weine nicht oder nur ganz vorher dekantiert, dem entgeht das große Cheval Blanc Vergnügen. Druckvoll, aromatisch, deutlich jünger wirkend, die anfängliche Rustikalität machte immer mehr seidiger Eleganz Platz, ein ganz langer, großer Stoff, von dem ich gerne erheblich mehr im Glas gehabt hätte 97/100. Da fiel die zweite Flasche mit ähnlichem Etikett, aber ohne Hinweis auf den Chateau-Besitzer mit hoher Säure und wenig Charme deutlich ab 88/100.
Für deutlich älter hatte ich den 1985 Grands Echezeaux von DRC gehalten. Verdammt reife Farbe mit deutlichen Brauntönen, pfeffrige Nase, würzig, tolle Aromatik und Komplexität, vielschichtige Frucht, ginge auch als großer 59er durch mit toller Länge und Finesse. Faszinierend, wie dieser Wein sich entwickelte und im Glas ausbaute 94/100.
Weiter ging es mit drei Vandermeulen-Abfüllungen aus dem großen Jahr 1947. Schlicht und einfach perfekt war 1947 Margaux VDM. Traumhaft kräuterige Aromatik mit viel Minze, unglaublich dicht und kräftig am Gaumen mit toller Süße und irrer Länge, ein Riese 100/100. Ganz groß auch 1947 Croix de Gay, der für sich alleine getrunken vielleicht noch mehr als 97/100 bekommen hätte. Ein Traum-Pomerol, so üppig, reich und lang mit feiner, exotischer Aromatik und guter Süße, Hedonismus pur.
Überhaupt nichts anfangen konnte ich mit 1947 Chambertin VDM, oder besser gesagt dem, was da als socher ins Glas kam. Völlig untypisch, sehr kräftig und jung, Rhone-Aromatik, etwas Lakritz, sehr alkoholreich und konzentriert wirkend. Keine Ahnung, was da in unser Glas kam. Jedenfalls war das nicht der 47er Chambertin von Vandermeulen. Die sehr generösen Gastgeber öffneten zum Schluß der Probe noch eine weitere Flasche, die dann wieder die klassische Aromatik dieses Weines zeigte, aber nicht seine Größe. Letzteres mag sowohl an unserem ermatteten Gaumen, als auch der schlechten Füllmenge der zweiten Flasche gelegen haben.
In diesem Zusammenhang sei ein offenes Wort zu den Vandermeulen-Weinen gesagt. Authentisch und aus der richtigen Quelle sind das unglaubliche Weine, die häufig die Chateau-Abfüllungen noch übertreffen. Die beiden Vandermeulen-Brüder waren absolute Qualitätsfanatiker, was den Inhalt der Flaschen anging. Nur die Ausstattung war ihnen egal. Immer derselbe Einheitslook mit dem stets identischen Etikett und einem blauen Gummistempel für den Jahrgang, neutrale Kapsel, neutraler Kork. Das mag damals alles problemlos gegangen sein. Vandermeulen-Weine, die bis 1955 abgefüllt wurden, gelangten selten über Belgien hinaus. Sie waren zum hochklassischen Verzehr gedacht, nicht als Sammlerstücke. Nur leben wir inzwischen leider in einer bösen Welt. Durch einfachen Etikettentausch wird da zum Beispiel aus einem preiswerten 52 Clos du Commandeur ein sündhaft teurer 47 Petrus. Mir tauchen auf Auktionen und bei Ebay zuviel dieser Edelteile auf. Ich kaufe Vandermeulen-Abfüllungen nur noch, wenn sie auf direktem Wege aus einem seriösen, belgischen Keller kommen.

Perfektion dann wieder im nächsten Flight. 1955 Cheval Blanc zeigte sich von seiner besten Seite, druckvolle Aromatik, leicht portig, süß, unglaublich dicht mit feiner Minze und das alles in einem harmonischen Ganzen mit fast spielerischer Eleganz und Leichtigkeit 100/100. Da konnte auf allerdings sehr hohem Niveau 1955 Lafite Rothschild nicht mithalten. Ein sehr reifer, komplexer, schmeichlerischer Lafite mit feiner Süße 95/100.
Eigentlich noch viel zu jung danach ein 1990 Musigny Vieilles Vignes von Comte de Vogüe. Ein irres Konzentrat, großer Beerencocktail, immer noch strammes Tanningerüst, trotzdem ausgewogen und balanciert mit schöner Länge, bei allem aromatischen Druck sehr elegant, gehört noch 10 Jahre weggelegt 96+/100.
Auf höchstem Niveau ging es weiter. Mit einem 1953 Lafite Rothschild bekamen wir Lafite in Perfektion ins Glas. Lediglich die Nase war etwas verhalten. Am Gaumen dekadente, üppige Reife, der Wein war geradezu mollig mit etwas malziger Süße, aber dabei immer noch elegant und sehr lang, voll auf dem Höhepunkt, so seidig und finessig 100/100. Ein so großartiges Erlebnis in Worte zu fassen fällt zumindest mir unglaublich schwer. Bei jungen Weinen ist das einfacher. Da werden dann 17 Obstsorten runtergebetet, gemischt mit ein paar Nüssen und Mineralstoffen und schon steht eine nichtssagende, aber umfassende Beschreibung eines Weines, der nach ein paar Jahren ohnehin völlig anders schmeckt. Aber bei so einem Jahrhundertwein, der einfach sprachlos macht? Den muß man einfach erleben, und ich durfte das.
Der im Vergleich getrunkene 1953 La Mission Haut Brion hatte die schönere, klassische La Mission Nase mit massig Teer, Cigarbox und Leder, war auch am Gaumen wunderschön und ebenfalls voll auf dem Höhepunkt. Ein ganz großer Wein, der sich aber im direkten Vergleich auf allerhöchstem Niveau dem Lafite geschlagen geben musste 98/100.
Etwas "normaler" wurde es dann mit zwei interessanten 78ern. 1978 Latour war in bestechender Form, leicht kräuterige Aromatik, Zedernholz, immer noch feine Frucht, nicht der typische-Latour-Hammer, eher auf der etwas leichteren, eleganteren Seite, aber wunderschön zu trinken 92/100. Beim 1978 Barbaresco Sori Tildin von Angelo Gaja war ich zunächt blind bei einem jüngeren Rhone-Wein. So dicht, so voll, so lang und dabei sogar eine üppige Süße. Immer noch massig Frucht und eine gewisse Frische, toller Stoff 93/100. Heiß wurde am Tisch diskutiert, ob denn dieser Wein Barbaresco-Typizität besaß. Wenn man unter Barbaresco anstrengende, alkoholische, sperrig-rustikale Plörre versteht, dann sicher nicht. Ich war ohnehin längst im siebten Rotweinhimmel entschwunden. Bei soviel Genuß hatte ich auf späte Grundsatzdiskussionen keine Lust.
Wie ein 78er Latour mit Turbolader kam dann ein 1974 Simi Alexander Valley Cabernet Sauvignon Reserve daher. Klassische Bordeaux-Aromen, Zedernholz, feine Frucht, dazu etwas Minze und ein Hauch von Eukalyptus, und das alles mit einer wunderbaren Frische. Zeigt die überragende Qualität nicht nur des Jahrgangs, sondern auch der alten Simis 94/100. Wie Sauer Bier wurde der Simi im letzten Jahr von einem Münchner Auktionshaus über längere Zeit in größerer Menge angeboten. Wohl dem, der da zugeschlagen hat.
Der letzte Rotwein des Abends, ein 1974 Vega Sicilia Unico, besaß ein betörende Nase, eine üppige Süße am Gaumen, aber auch eine mächtige, darunterliegende Säure 93/100. Ich würde diesen guten, aber nicht außergewöhnlichen Unico, den ich schon mehrfach deutlich besser erlebt habe in den nächsten Jahren trinken. Die Säure scheint sich wie bei vielen älteren Unicos immer mehr in den Vordergrund zu drängen.
Zum Abschluß dieser grandiosen Probe kam dann noch die Leichtigkeit des Seins ins Glas, eine 1983 Wehlener Sonnenuhr Beerenauslese von JoJo Prüm. Ein himmlischer Nektar, noch unglaublich frisch, sehr elegant, feine Honigsüße, viel Spiel, gute Säure, erst ganz am Anfang, sehr sympathische 7 % Alkohol 95/100.

Den Dreien sei herzlich für dieses traumhafte Erlebnis gedankt. Ganz schwindelig wird mir, wenn ich daran denke, dass die größten Weine der Probe aus der zweiten Hälfte der 40er und ersten Hälfte der 50er stammten. Weine, die ihre überragende Qualität auf dem Höhepunkt einer langen Entwicklung zeigten. Ob die hochgelobten 2005er diese Klasse jemals erreichen? Aber wenn sie dafür auch 50 Jahre brauchen, bekomme ich das wohl ohnehin nicht mehr mit.