Coulée de Serrant mit Nicolas Joly

Bio ist derzeit in. Leider wird mit dieser Bezeichnung viel Schindluder getrieben. Etwas anders sieht es mit biodynamischem Weinanbau aus. Der geht ein ganzes Stück weiter und bezieht auch die Lehren Rudolf Steiners mit ein. Ganz vorne dran Nicolas Joly, der sein Gut, auf dem der bekannte Clos de Coulée de Serrant erzeugt wird, Anfang der 90er konsequent auf biodynamische Arbeitsweise umstellte. Uwe Bende hatte zu diesem Thema eine interessante Probe in Bochum in der Gesellschaft Harmonie auf die Beine gestellt. Mit dabei nicht nur etliche Jahrgänge Coulée de Serrant von 1964 bis 2008, sondern auch der charismatische Winzer selbst und seine charmante Tochter Virginie.

Chenin Blanc ist die Traube, aus an der Loire der Coulée de Serrant erzeugt wird. Mit Riesling hat Chenin Blanc nicht viel zu tun, und doch gibt es ein paar wesentliche Gemeinsamkeiten. Beide lieben das Licht, können aber Hitze nicht so gut vertragen. Anfällig für Edelfäule eigenen sie sich gut zur Erzeugung edelsüßer Klassiker. Beide weisen eine markante Säure auf. Und, was allerdings für fast alle Rebsorten gilt, große Qualitäten entstehen nur auf gutem Terroir bei konsequenter Begrenzung der Erntemengen.

Den Worten Nicolas Jolys zu lauschen, das hat schon was. An diesem Mann ist ein begnadeter Wanderprediger ebenso verloren gegangen wie ein großer Entertainer. Konsequent tritt er für sein Anliegen ein und weiß auch mit wohl gewählten Worten und viel Charme zu überzeugen. Wein entsteht für Nicolas Joly ausschließlich im Weinberg und nicht im Keller, wo er den Wein völlig in Ruhe lässt und wo der Wein sich mit Spontanvergärung ohne jeden Eingriff und auch ohne Temperaturkontrolle praktisch selbst macht. Den Begriff Winemaker lehnt Joly schroff ab. Terroir ist für ihn nur möglich mit gutseigenen, natürlichen Hefen. Und nicht mit den, von der Industrie angebotenen, 350 verschiedenen Reinzuchthefen. Die gebe es inzwischen in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen bis hin zu Banane, ein Ton, der bei einigen Beaujolais zu finden sei.

Der älteste Wein unserer Probe war 1964 Coulée de Serrant. Ein zeitloser Klassiker, seinerzeit vielleicht etwas zu früh geerntet und in der Jugend sicher ein Säuremonster, dafür aber mit immensem Standvermögen und in guten Flaschen sicher noch mit zwei Jahrzehnten vor sich. Ein markanter Charakterstoff, goldgelb die Farbe, in der floralen Nase etwas nasser Hund, aber auch Kräuter und Honig, am Gaumen kernig mit kräftiger Säure 91/100. 1977 Coulée de Serrant hatte eine zitronig-mineralische Nase, am Gaumen recht aggressive Zitrussäure, aber auch etwas metallische Noten. Ein kleiner Wein aus diesem schwierigen Jahr, der sich aber durch die hohe Säure auf niedrigem Niveau ewig halten wird 78/100. Recht gut gelungen 1979 Coulée de Serrant, in der floralen Nase ein großer Heuschober, immer stärker Tabak, aber auch ein deutlicher Schwefelton, ein spannender und vielschichtiger Wein, der am Gaumen recht harmonisch wirkte 90/100.

Gut gelungen 1983 Coulée de Serrant, auch hier zwar die etwas aggressive, zitronige Säure, aber auch eine hohe Mineralität, ein spannender Charakterstoff mit Ecken und Kanten 89/100. Im Vergleich dazu wirkte 1985 Coulée de Serrant weicher, wärmer, runder, zugänglicher, stoffiger mit einem Schuss Feuerstein, aber nicht ganz so spannend, auch hier ein gutes Säuregerüst mit kräftiger, aber reifer Säure 88/100. 1986 Coulée de Serrant war etwas stahliger, kühler, mineralischer, aber auch reifer und etwas weichgespült 87/100. 1987 Coulée de Serrant zeigte sich als ein kleiner, etwas langweiliger Wein, der aber immer noch gut trinkbar war 84/100. Deutlich dichter, komplexer und besser 1988 Coulée de Serrant, auch der mit einer sehr floralen Nase und dezenter Süße 88/100. 1989 Coulée de Serrant war ein spannender, großartiger Wein, komplex mit viel Tiefgang und toller Länge 91/100. Die Coulées aus den 80ern habe ich seinerzeit häufig in Restaurants getrunken. Gute Essensbegleiter zwar, aber ich habe mich oft gefragt, wie solch ein Wein schmeckt, wenn er mal richtig reif wird. Vor allem durch die hohe Säure wirkten diese Weine auf unterschiedlichem Niveau immer etwas unfertig.

Ich kann mich noch gut an eine Romanée Conti Probe 1994 im Düsseldorfer Parkhotel erinnern. Da gab es im Vorprogramm 1990 Coulée de Serrant. Damals notierte ich "erstaunlich geschmeidig für jungen Coulée, soll an neuer Weinbereitung liegen, vielleicht ist s auch nur der jahrgangsbedingte, hohe Alkohol und Glyceringehalt". Nicolas Joly hatte bereits mit der Umstellung begonnen. Jetzt in dieser Probe hier zeigte sich der 90er mit spannender Supernase, mineralisch, aber auch mit reichlich Zitrusfrüchten, viel Ecken und Kanten, am Gaumen erstaunlich weich, füllig und geschmeidig 90/100. Mit 1994 war die Umstellung auf biodynamischen Weinbau komplett vollzogen. Der 1994 Coulée de Serrant war dem 83er nicht unähnlich, nur etwas generöser, dafür vielleicht mit weniger Charakter, aber mehr Charme und Komplexität, die spürbare Boytritis machte ihn gefällig 91/100. Ganz großes Kino dann 1995 Coulée de Serrant, Kraft, Fülle, Freude, jede Menge Trinkspaß, für mich der Wein des Abends 94/100. Oxidiert und ziemlich hin kam 1997 Coulée de Serrant ins Glas mit deutlicher, flüchtiger Säure. Der wäre wohl in jedem Restaurant als fehlerhaft zurückgegangen. Hier blieb er stehen und zeigte plötzlich nach einer halben Stunde eine phänomenale Entwicklung. Da war plötzlich ein ganz anderer Wein im Glas, gefällig, spannend, mit schöner Süße 91/100.

2002 Coulée de Serrant war der erste Wein des Vater-Tochter-Gespanns, ein sehr schöner Wein mit toller Struktur und viel Potential, baute enorm im Glas aus 91/100. 2003 Coulée de Serrant war der typische 2003-Blender, tolle Nase, nix am Gaumen. Auch die Nase wurde mit der Zeit leider süßlicher und gewöhnlicher 85/100. Reif, weich, generös, geradezu schmusig am Gaumen 2005 Coulée de Serrant, aber irgendwo fehlten auch das Kernige und der Biss der klassischen Coulées 92/100. 2007 Coulée de Serrant zeigte sich auf der einen Seite fett und kräftig, auf der anderen kompakt und etwas verschlossen, ein Wein, der sicher Zeit braucht und sich noch entwickeln wird 89+/100. Als großer, spannender Jungwein zeigte sich 2008 Coulée de Serrant. Deutliche Riesling-Affinität mit apfeliger Säure, ein spannender Jungwein, sehr generös mit cremiger Textur 92/100. Mich wunderte schon, dass diese Coulée de Serrants plötzlich so eine Zugänglichkeit und Fülle zeigten. Ein kurzer Blick auf das Etikett löste das Rätsel. 15,5% Alkohol waren das Geheimnis. Alkohol als Geschmacksträger hat nichts mit biologisch dynamischer Arbeitsweise zu tun, sondern mit dem Irrweg immer reiferer Frucht, die zum spätest möglichen Zeitpunkt geerntet wird. Perfekte Probenweine sind das, mit denen man eine Runde wie uns hier ebenso begeistern und blenden kann wie Tester und Weinschreiberlinge. Aber was ist mit der "armen Sau", die sich dann auf Grund hoher Bewertungen den Keller mit solchem Zeugs vollknallt. Wer braucht denn solche Weißweine mit diesem Alkoholgehalt für den regelmäßigen Genuss? Mit der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung der Weinberge, mit dem Respekt vor der Natur, liegen die Jolys sicher richtig. Aber wenn das zu solchen Monstren führt, ist sicher Handlungsbedarf und ein gewisses Umdenken angesagt.

Kommen wir zurück zur Biodynamie. Die hier zu erklären sprengt sicher den Rahmen meiner Seite. Sie geht aber insofern über biologische Landwirtschaft hinaus, als sie zusätzlich rein natürliche Zusatzstoffe in extrem stark verdünnter Form nutzt, um Boden und Pflanzen zu stärken und von den Giften der traditionellen Bewirtschaftung zu befreien. Gleichzeitig will sie so den Reben helfen, die Charakteristik des jeweiligen Terroirs wieder stärker herausarbeiten zu können. Vereinfacht lässt sich hier von einer Art Homöopathie für Pflanzen sprechen. Mehr dazu in Nicolas Jolys lesenswertem Standardwerk "Der Wein, die Rebe und die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise".

Aus einer Handvoll im positiven Sinne Verrückter ist inzwischen unter den Namen La Renaissance des Appellations eine internationale Gruppierung mit 176 Winzern aus 13 Ländern geworden. Anlässlich der Prowein lud diese Vereinigung zu einer vorbildlich organisierten Verkostung ins Düsseldorfer Präsidentenschlösschen ein. Für mich war das eine perfekte Fortsetzung der vorabendlichen Coulée de Serrant Probe, die ich mir natürlich nicht entgehen ließ. Aus Deutschland waren da so renommierte Namen wie Christmann, Rebholz oder Wittmann vertreten, und ein Olivier Humbrecht schenkte dort ebenso seine Weine aus wie eine Elisabetta Foradori. Eigentlich eine kleine Prowein. Nur dass halt all die draußen bleiben mussten, für die der Wein erst im Keller entsteht, mit Reinzuchthefen, Enzymen und allem, was die Industrie sonst noch so bietet. Der Fairness halber sei aber gesagt, dass immer mehr Winzer zumindest im Weinberg biologisch arbeiten, auch ohne Biosiegel und ohne Mitgliedschaften in Vereinigungen. Und auch etwas ketzerisches kann ich mir nicht verkneifen. Wer kein großes Terroir hat, dem hilft natürlich nicht, wenn er mit biodynamischen Methoden genau das herausarbeitet. Auf einen Kartoffelacker gehören nun mal Kartoffeln und keine Reben. Aber Bio-Kartoffeln sind ja auch nichts Schlechtes.