ProSchorn 2010

Mit über 35.000 Fachbesuchern und über 3.300 Ausstellern ging im März die bisher erfolgreichste Prowein über die Bühne. Damit dürfte sich diese Veranstaltung endgültig in der Weltspitze etabliert haben. Doch nicht nur auf der Messe pulsierte es. Die Weinbars und Restaurants Düsseldorfs waren jeden Abend bis zum Bersten gefüllt, und das meist bis in den frühen Morgen.

Ich habe die drei Prowein Abende wieder genutzt, um mich mit Freunden aus aller Welt zu treffen und gemeinsam ein paar spannende Weine zu trinken. Standort war wie schon im Vorjahr das Restaurant Schorn, in dem wir aus der Prowein kurzerhand an den Abenden eine ProSchorn machten.

Feine 50er

Die magischen 60 hat Emmerich Knoll im Februar diesen Jahres gepackt. Der Franz Hirtzberger folgt im Mai diesen Jahres, und auch der Wineterminator ist im August fällig. Wie gut, dass diese gewaltige Zahl heute nicht mehr viel bedeutet. Zwar haben wir alle drei die nächste Generation in unseren Betrieben, doch fühlen wir uns immer noch so fit und taufrisch wie die Weine unseres Geburtsjahrgangs. Um letzteren ging es am ersten ProSchorn Abend. Für meine österreichischen Freunde organisierte ich eine kleine Verkostung schöner Weine aus 1950.

Gleich der erste Wein war eine große Überraschung, eine 1950 Rüdesheimer Berg Rottland Auslese Cabinett von Brogsitter-Finck. Güldene Farbe, feine Karamell- und Malznoten in der Nase, gute Säure am Gaumen und sogar Frische zeigend, dazu eine feine Süße, ein zeitloses Dokument auf dem Niveau einer BA 93/100.
Im ersten roten Zweierflight war leider ein 1950 Clos Vougeot von Mähler-Besse oxidiert und kaputt. Dafür besaß der 1950 Chateauneuf-du-Pape von Berard um so mehr Strahlkraft, ein komplexer, würziger, lakritziger Riese, der am Gaumen förmlich explodierte und die salzige Mineralik eines großen Wachauer Smaragdes zeigte. Ein Wein ohne Alter, der es locker noch 1-2 Jahrzehnte macht 96/100.
Zweimal Burgund war danach angesagt. Sehr viel hatte ich mir eigentlich von einem 1950 Clos des Lambrays der Domaine des Lambrays versprochen, doch bei diesem Wein störte besonders zu Anfang ein leicht stechender Ton, der an das Desinfektionsmittel erinnert, das Ärzte vor einer Spritze nutzen. Mit der Zeit verschwand dieser Ton und der elegante, feingliedrige Wein wurde etwas generöser 89/100. Besser ein 1950 Chambolle Musigny von Veuve Genin. Der besaß die verschwenderische Nase eines gut gereiften Burgunders, auch am Gaumen Süße, Kraft und Fülle, immer noch gute Frucht und eine nicht unangenehme Rustikalität 93/100.
Spanien, insbesondere Rioja, gilt ja immer als Geheimtipp, wenn sonst nichts mehr geht. Ein 1950 Royal Reserva Tête de Cuvée der Bodegas Franco-Espanoles hatte die klassische Gemüsenase älterer Riojas, am Gaumen zeigte er eine feine, reife, malzige Süße und schönen Schmelz, baute aber mit der Zeit etwas ab 87/100. Ein 1950 Vina Real Cosecha Especial von CVNE wirkte im direkten Vergleich um Jahrzehnte jünger und wäre auch als 90er durchgegangen, so dicht, so kraftvoll und mit einer derart druckvollen Aromatik, sehr dichte Farbe, Kaffee statt Gemüse 96/100.
Aber das war alles nur Vorspiel, denn jetzt kamen wir nach Bordeaux auf das rechte Ufer, wo 1950 ein großer, langlebiger Jahrgang war. 1950 l Evangile in einer R&U Abfüllung war (mal wieder) ein Bilderbuch-Pomerol, Kraft, Fülle, Schmelz, etwas Rumtopf und dazu Minze, sehr druckvoll und fast zeitlos schön 97/100. Dem stand dieser unglaubliche 1950 Clos René, ebenfalls in einer R&U Abfüllung, kaum nach. Sehr dichte, deutlich jünger wirkende Farbe, fruchtig- schokoladige Nase, am Gaumen ein hoch aromatisches, leicht portiges Krafftbündel mit schokoladiger Fülle 96/100.
Aber es sollte noch besser kommen. 1950 Cheval Blanc in einer Chateauabfüllung hatte mit mid shoulder keinen guten Füllstand, aber das war diesem außerweltlichen Riesen so etwas von Sch egal. Der knallte richtig am Gaumen, war so komplett mit soviel Tiefgang und einer faszinierenden Aromatik. Wir hatten ihn blind im Glas, aber das konnte ja nur Cheval Blanc sein, riesengroß, Cheval Blanc und Bordeaux geht nicht besser 100/100. Große Klasse auch 1950 Pavie in einer belgischen Händlerabfüllung. Wer sich darüber beklagt, dass Gerard Perse heute auf Pavie dramatische Blockbuster erzeugt, sollte mal einen dieser alten Pavies trinken. Perse, der heutige Besitzer hat diesen Stil nicht erfunden, er hat ihn wiederentdeckt. Faszinierend an diesem alten Pavie hier war, wie sich die immer noch unbändige Kraft mit Frische, Kühle und sehr guter Struktur verband 97/100.
Wem der inzwischen kaum noch auffindbare Cheval Blanc zu teuer ist, der könnte es mal mit 1950 Canon versuchen. Als ich den 1996 erstmals bei Drawert im Glas hatte, notierte ich "junge, dichte, kräftige Farbe, erst widerliche Säure, schliff sich ab, wurde besser, total jung, aber viel Säure, ideal zum 60.". Na bitte! Jetzt war er immer noch kraftvoll, aber deutlich gefälliger und nicht weit vom Cheval Blanc weg 96/100. Überraschend schön präsentierte sich auch 1950 Calon Ségur, den ich noch nie so gut im Glas hatte. Ein strammer, dichter Wein, etwas rustikal, aber auch mit generöser Süße und wunderbarer Länge am Gaumen 94/100.
Den süßen Abschluss unserer kleinen Verkostung bildete ein 1950 Banyuls der Domaine Pietri Gerard, süß, üppig portig-schokoladig und einfach unkompliziert lecker 92/100. Banyuls und Rivesaltes sind heute immer noch bezahlbare, leichter findbare Alternativen, wenn ein 50er gesucht wird. In jedem Fall landet man damit bei Geburtstagskindern einen Treffer, denn das Zeugs schmeckt in der Regel gut. Allerdings drängt sich mir bei diesen Weinen angesichts des oft neuen Outfits, wie ihn auch unsere Flasche hatte, ähnlich wie bei den ominösen Jahrgangs-Armanacs der Verdacht auf, dass sie alle aus dem selben Fass kommen und nur das gewünschte Jahrgangsetikett drauf geklebt wird.

J´AIME À VIEILLER

J aime à vieillir ich liebe es, zu reifen, dieser Spruch von den 47er Burgundern der Reine Pedauque hätte auch das Motto unseres zweiten ProSchorn Abends sein können. Mit einer 1964 Graacher Himmelreich Spätlese des Friedrich Wilhelm Gymnasiums starteten wir. Die wirkte zu Anfang schon sehr reif und inzwischen trocken am Gaumen. Baute mit viel Luft aber aus und entwickelte in der Nase neben Petrol auch Honignoten, am Gaumen sorgte die knackige Säure sogar noch für den Eindruck von Frische 86/100. Absolut trocken ein höchst erstaunlicher 1942 Sidi Brahin, ein Mascara aus Algerien. In der Nase Dörrfrüchte, Karamell und auch etwas Schoko, am Gaumen schöne Bitternote im sehr langen Abgang 88/100.
Soweit der Einstieg. Jetzt sorgte Markus Molitor mit zwei raren, extrem jungen Weinen für einen Ausblick auf das, was bei der ProSchorn 2030 für Furore sorgen könnte. Ein Monument im Werden die trockene 2005 Niedermenninger Herrenberg Auslese***, sehr jung, aber schon faszinierend mit viel Schiefer, cremiger Textur, Kraft, Fülle und gewaltiger Struktur, noch irgendwie etwas unfertig, aber schon so lang am Gaumen 92+/100 mit Potential für 96/100. Schlichtweg Legendenpotential hat die 2006 Zeltinger Sonnenuhr Auslese*** trocken. So ein gewaltiger, streng selektierter Wein von 120 Jahre alten, wurzelechten Reben, straff gewirkt mit herrlicher Frucht und einer traumhaft salzigen Mineralität, riesengroß und lang am Gaumen, und doch kratzten wir da nur an der Oberfläche. Ein schier unglaublicher Wein, der wahrscheinlich selbst im Glas noch 3 Tage zulegen würde, bei aller Wucht zudem erstaunlich fein. 93/100 hatten wir da schon locker im Glas, aber die 97 oder 98/100, die da in 10 oder 15 Jahren mal zusammenkommen, die waren schon deutlich spürbar. Markus Molitor ist ein in sehr positivem Sinne total verrückter Winzer. Wo viele seiner Kollegen mit Reinzuchthefen nach frisch polierten Großen Gewächsen für den Weltmarkt streben, baut er seine Weine konsequent lagentypisch aus. Da kommen dann schon mal bei einer Jahrgangspräsentation 95 völlig unterschiedliche Weine zusammen. Aber ist es nicht gerade das, was Wein so spannend macht? Sonst könnten wir ja gleich zu Bacardi mit Cola greifen.
Nach diesem Ausflug in die Zukunft widmeten wir uns wieder den reiferen Sachen. Schon etwas gefährlich lebte die 1971 Oberemmeler Abteihof Auslese von Kesselstatt, sehr reif mit viel Petrol in der Nase, kaum noch Süße am Gaumen und auch erste Anflüge von Möbelpolitur 87/100. In einer anderen Liga die 1971 Waldracher Jesuitengarten BA von Schenck-Oster, Süße, Schmelz, Fülle, Mineralität und eine tolle Säure ergaben ein faszinierendes Spiel in der Nase und am Gaumen 94/100.
Und dann kam eine absolute Legende ins Glas, ein Wein wie von einem anderen Stern, eine 1937 Wehlener Sonnenuhr feinste Auslese von JJ Prüm. Unendliche Eleganz und Finesse, so unglaublich frisch und zeitlos schön, die Farbe brilliant mit tiefem Altgold, in der sublimen, absolut faszinierenden Nase immer noch Frucht, Frische und Mineralität, am Gaumen Harmonie pur, nur dezente, perfekt inegrierte Süße, ein Wein bei dem einfach alles stimmte und der auch unsere Runde sprachlos machte, einfach puristisch schön, legte sich wie Seide auf den Gaumen und blieb ewig haften, hat sicherlich Potential für 50 weitere Jahre 100/100.

Da wirkte die nachfolgende, sicher nicht optimal gelagerte 1971 Trittenheimer Apotheke BA von Milz-Laurentiushof im Vergleich deutlich älter, colafarben, sehr reif, für eine BA dieses großen Jahres zuwenig Säure und Süße 88/100.
In gewisser Form Lehrgeld bezahlt habe ich bei den beiden Flaschen des ersten Rotweinflights. Beide habe ich vor Jahren für nicht wenig Geld bei renommierten, deutschen Auktioshäusern (es gibt für Wein nur 2, also bei jedem eine) als vermeintliche Chateau Cantemerle erworben. Nur handelte es sich bei beiden Weinen um einen Bordeaux Superieur mit dem Namen Cru Cantemerle aus der Gemeinde St. Gervais zwischen Bourg und Blaye auf der anderen Seite der Gironde. Beides sicher keine schlechten Weine, aber eben keine Chateau Cantemerles. Der 1959 Cru Cantemerle in einer R&U Abfüllung hatte eine helle Farbe, war sehr fein und elegant mit schöner Süße, aber auch etwas verbranntem Gummi in der Nase 89/100. Dunkler, kräftiger, aber auch etwas rustikaler mit mehr Säure der 1955 Cru Cantemerle in einer Segnitz-Abfüllung 89/100. Besonders beim 59er, unten links im Bild, wird schon deutlich, dass da unter bekanntem Namen auf unbedarftere Kunden abgezielt wurde. In Bordeaux gibt es viele Güter, die berühmte Namen tragen, aber mit den bekannten Gewächsen nichts zu tun haben. Das gilt nicht nur für die Lafittes, Moutons und Latours, es gibt z.B. auch eine Domaine Beychevelle und eine Domaine Gaffelière, die mit den gleichnamigen Chateaus nichts zu tun haben. Gerade bei alten Flaschen aus einer Zeit, in der man es mit Markenrechten noch nicht so genau nahm, ist da sicher Wachsamkeit angesagt.

Zwei Cantemerles - beide nicht Chateau Cantemerle

Zwei Cantemerles - beide nicht Chateau Cantemerle

Pech hatten wir mit einem 1952 Magnan-la-Gaffelière in einer belgischen Händlerabfüllung. Die dichte Fabe stimmte, der Wein war kraftvoll und gut strukturiert, aber leider korkig. Auch beim 1952 Cos d Estournel in einer Barrière-Abfüllung stimmten Farbe, Kraft und Struktur, nur hatte der statt Kork eine generöse Süße und den Duft von Bittermandeln, toller Stoff und noch längst nicht am Ende 93/100. Beide Weine sicher noch eine Suche wert, nicht nur für diejenigen, die in zwei Jahren einen runden Geburtstag feiern.
Und dann kam als Solitär wieder einer dieser unglaublichen Weine, bei denen man sich an den Kopf fasst und sich fragt, wie so etwas überhaupt möglich ist. Unter Beaujolais versteht man ja heute gemeinhin frühreife Massenplörre für den schnellen Genuss. Aber das war wohl nicht immer so. Schon mehrmals hatte ich großartige Beaujolais aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts mit geradezu unglaublichem Standvermögen im Glas. Diese Flasche hier war keine Ausnahme. Der 1921 Beaujolais Fleurie in einer deutschen Abfüllung von Reidemeister & Ulrichs hatte eine sehr dichte, fast ins Schwarze gehende Farbe, ein sehr kraftvoller Wein, intensiv am Gaumen mit malziger Süße 94/100.

Und noch einmal schlug der Korkteufel zu. Ohne wäre der 1961 Chateauneuf-du-Pape von Mont Olivet sicher ein kräftiger, großer Chateauneuf gewesen, dessen Potential deutlich spürbar war. Hätte ich gerne mal clean im Glas. 1961 war ja nicht nur in Bordeaux, sondern auch an der Rhone ein Riesenjahrgang. Der 1961 Chateauneuf-du-Pape Vieux Moulin allerdings war schon verdammt reif mit heller Farbe, auch am Gaumen neben Süße deutliche Alterstöne, droht langsam zu zerfallen, trotzdem noch 90/100.
Die besten Bordeaux kommen aus Burgund, lautet ja ein beliebter Spruch. Der ist überhaupt nicht so abwegig, solange es um ältere, reifere Weine geht. Im Alter werden Bordeaux und Burgund immer ähnlicher, und es gilt eigentlich als großes Kompliment für einen reiferen Bordeaux, wenn man ihm burgundische Qualitäten zubilligt. Rhone-Fans verlängern diesen Spruch gerne mit und die besten Burgunder kommen von der Rhone. Der 1947 Chateauneuf-du-Pape von Mommessin schien diesen Spruch zu bestätigen. Ziemlich hell die aber intakte und noch brilliante Farbe, filigran die Anmutung und unendlich elegant mit sehr feiner Himbeer- und Erdbeerfrucht, verschwenderische Süße und eine perfekte Harmonie, dieser hoch elegante Wein präsentierte sich so wie eine Wehlener Sonnenuhr von der Rhone 98/100. Der 1955 Clos de l Oratoire des Papes im anderen Glas war dichter, kräftiger, etwas rustikaler und kerniger, sogar mit Schokolade, kam aber mit der Finesse des Mommessin nicht mit 93/100.
Krönender Abschluss unserer Verkostung waren zwei großartige Burgunder von Reine Pedauque, auf denen auch das Motto dieses Abends stand. Der 1947 Corton Clos du Roi war der kräftigere, männlichere, rustikalere der beiden. Stand wie eine Eins im Glas ohne spürbares Alter und war sehr lang am Gaumen 96/100. Der 1947 Clos Vougeot war der Inbegriff eines großen, perfekt gereiften Burgunders, Pracht und Fülle, verschwenderische Süße, irrer aromatischer Druck am Gaumen, dabei Eleganz pur. Worte können einem solchen Monument kaum gerecht werden 100/100.

Keine guter Wein aus 1960?

Zum Bersten voll das Restaurant am Messe-Montag, dem klassischen Hauptkampftag. Reichlich fröhliche, bekannte Gesichter aus der Weinwirtschaft. Da merkt man schon den Unterschied zu den armen Schweinen, die auf anderen Messen angestrengt Schuhe, Rollstühle oder Walzwerke verkaufen müssen. Der dritte ProSchorn Abend in neuer, internationaler Runde startete mit zwei reifen deutschen Auslesen. Eleganz pur die sehr mineralische, feine 1964 Wiltinger Hölle feine Auslese von den Vereinigten Hospitien, wunderschöne Süße und prägnante Schiefernote 93/100. Die 1964 Eitelsbacher Kronenberg feinste Auslese von Tyrell war reifer, fülliger, dicker mit viel Orangenkonfit, aber auch mit guter Säure 92/100.
Dann wurde es kurz etwas jünger mit der 2007 Niederhäuser Hermannshöhle von Dönnhoff, als Großes Gewächs wieder ein gewaltiger, druckvoller, immer noch sehr jugendlicher Ausbund an Mineralität, leider zu schnell getrunken, bevor sich dieser Riese überhaupt richtig entfalten konnte. Als Spätlese zeigte dieser Wein viel Boytritis, Rosinentöne, süße Fülle und wirke erstaunlich reif 92/100.
Bei der faszinierenden Nase der 1999 Grande Cuvée TBA #6 von Kracher musste ich unwillkürlich an mein Lieblingsdessert Crêpe Suzette denken, sehr fruchtig, süß, mit einem Schuß Grand Manier. Auch am Gaumen zeigte dieser mit 250g Restzucker versehene, dickflüssige Hochkaräter eine gewaltige, süße Fülle, aber keinerlei Schwere, ein moderner Süßwein-Klassiker 96/100. Im anderen Glas einer der ganz großen, deutschen Süßweine, eine 1973 Scharzhofberger Eiswein BA von der Hohen Domkirche. Immer noch helle, junge Farbe, in der Nase und am Gaumen so frisch mit knackiger Säure und perfekter Süße, die sich gegenseitig hochschaukelten und ein perfektes, feinstes Spiel miteinander eingingen, dazu noch diese gewaltige Mineralität der Lage Scharzhofberg, in der die Hohe Domkirche damals gute Teile hatte, Herz was willst Du mehr! 99/100.
Raten war danach angesagt. So eine Weinprobe hat ja etwas von einem Kindergeburtstag für große Jungs (und Mädels natürlich, wir hatten drei Prachtexemplare in unserer Runde), da gehört einfach ein Spielchen mit dazu. Klare Ansage dazu: wer diese Weine nicht annähernd eingrenzen kann, sollte in die Altstadt weiterziehen und sich dem Bier zuwenden. Ziemlich reif der erste Wein, mit malziger Süße, Schokolade und Pinot-Affinität, wobei der Gaumen dieses Weines, der sich immer noch gut trank, deutlich besser war als die Nase. Des Rätsels Lösung war ein 1971 Brüssele Clevner von Graf Adelmann 82/100. Der zweite Wein, dicht kräftig, zupackend, ohne jedes Alter ging als jüngerer, würziger, ledriger, animalischer Chateauneuf durch. So schoben ihn die meisten auch an die Rhone, ein paar wenige auch nach Italien. Nur dahin wo er hingehörte schob ihn niemand, auch nicht Gerard Kracher selbst. War schon ein tolles Teil, dieser 1992 Kracher Blend II, eine Cuvée aus Blaufränkisch und Zweigelt 92/100.
Als Zwischenspiel gab es zwei junge 2000er Burgunder, von denen einer leider mit Flaschenfehler ein Totalausfall war. Der andere, ein 2000 Clos de la Roche Cuvée Lucie von Hubert Lignier, wusste als druckvoller Burgunder mit schöner rot- und blaubeeriger Frucht und für 2000 erstaunlicher Struktur zu überzeugen 92/100.
Mit Daniel Gantenbein und Beatrice Putzi hatten wir zwei werdende Jubilare am Tisch. Nur hat es halt in 1960 ganz tolle Menschen gegeben, aber nur wenige, brauchbare Weine. Was also tun? Einfach die Nasen in die beiden, nächsten Gläser halten. Der 1960 Romanée St. Vivant von Doudet Naudin wirkte immer noch sehr jung, auch in der dichten Farbe, ein 30 Jahre jünger wirkendes Powerhouse mit gewaltiger Struktur und süßer Frucht, erinnert schon an jüngere Rhone Weine. Dieser Wein hat sich seit 1996, wo ich ihn zum ersten Mal bei Jürgen Drawert im Glas hatte(seitdem liegen diese Flaschen auch bei mir im Keller), praktisch nicht verändert 94/100. Deutlich reifer, aber nicht minder begeisternd im anderen Glas ein 1960 Corton Cuvée Dr. Peste vom Hospice de Beaune, in der ausdrucksstarken Nase Mokka pur und viel Kaffee, am eleganten Gaumen reichlich süßer Schmelz 94/100.

Extrem helles, säurelastiges, kaum trinkbares Zeugs war ein enttäuschender 1955 Barolo Riserva Vini Pregiati von Giacomo Conterno. Da war der 1955 Hermitage Mas des Bessards von Chapoutier um Klassen besser, ein enorm kräftiger, immer noch junger erscheinender, druckvoller Wein 94/100.
Den Rst des Abends widmeten wir uns reifen Burgunderträumen. Ein 1959 Pommard Clos de la Commaraine von Jaboulet Vercherre hatte eine helle, reife Farbe, insgesamt eine schöne Aromatik mit feiner Süße, weich am Gaumen, nur die flüchtige Säure störte etwas 90/100. Ein kaum-zu-glauben Wein dann der 1959 Aloxe Corton von Doudet Naudin, einfach ein großartiger, gewaltiger, deutlich jünger wirkender Burgunder, zwar aus einem großen Jahr, aber dann aus so einer Lage, unfassbar 95/100. Lag übrigens auch 15 Jahre in meinem Keller. Noch eine Ecke drüber der ebenfalls großartige 1949 Echezeaux von Doudet-Naudin. Ich kann mich noch genau erinnern, wie eine Zwillingsflasche dieses Riesenteils 1995 in Berlin auf einer Raritätenprobe 49 Margaux und Lafite platt machte 96/100. Wunderschön gereift, sehr elegant mit schöner Süße, aber auch mit kräftiger Säure, ein 1959 Les Echezeaux von Leymarie 93/100. Meine Chronistenpflicht fiel mir immer schwerer. Ich wollte eigentlich nur noch schwelgen und genießen. Schließlich bekommt man ja so einen großen, kompletten Burgunder wie den 1929 Clos Vougeot von Pascal Frères nicht jeden Tag ins Glas. Getragen von einer deutlichen, tragenden Säure, wird dieser süße, animierende Wein wohl noch lange faszinieren 96/100.
Über 4 Stunden wartete der 1947 Chambertin Vandermeulen aus einer meiner besten Flaschen (3 cm) jetzt schon dekantiert in der Karaffe. Eigentlich hätte ich diesem Monument gerne noch 1-2 Stunden gegönnt, aber ich wollte schlicht und einfach ins Bett. Oft genug habe ich diesen Wein, der nicht nur zu meinen Top 100, sondern auch zu der Handvoll allerbester Weine gehört, die ich je trinken durfte, auf dieser Website ja schon beschrieben. Aber diese Dramatik, diese jugendliche Dichte, diese unfassbare Aromatik, die den gesamten Gaumen mit Beschlag belegt, das ist einfach Perfektion 100/100.
Blieb als letztes noch ein 1919 Pomard Cuvée des Dames de la Charité vom Hospice de Beaune, abgefüllt von Bichot. Klar hatte es dieser 90 Jahre alte Senior aus einem der allerbesten Burgunderjahre des letzten Jahrhunderts nach diesem Hammerteil schwer. Richtiggehend morbide wirkte er zu Anfang im direkten Vergleich. Doch das gab sich mit zunehmender Luft. Der Pomard baute enorm aus, wurde immer fülliger, süßer und generöser, die immer erotischer werdende Nase mit reichlich Kaffee entwickelte einen hohen Suchtfaktor 95/100. Eine Flasche habe ich noch von diesem Elixier. Die setze ich mit Sicherheit nicht mehr neben einen 47er Vandermeulen Chambertin.
Der Rest der Runde ist nach meinem Aufbruch wohl noch weiter geblieben, einige, wie schon an den Abenden zuvor, bis zum frühen Morgen. Winzer müsste man sein. Bei mir klingelt morgens um kurz nach Sechs der Wecker. Vielleicht sollte ich zur nächsten Prowein/ProSchorn mal Urlaub nehmen.