ProSchorn 2012 Bordeaux & Co

Mit einem erfrischenden 2008 Ockfener Bockstein Kabinett von Othegraven starteten wir in den nächsten ProSchorn Abend. Feines Süße-/Säurespiel, kühle Mineralik, Kräuter, schöner Trinkfluss 87/100. Davon gab es erfreulich viel ins Glas, denn "wir", das war die einigermaßen pünktliche Vorhut. Der üblich volle, erste Messetag hatte einiges und einige durcheinander gebracht. Auch die sonst so reichlichen Düsseldorfer Taxen wurden des vor allem abendlichen Ansturms nicht Herr.
Dirk Niepoort war mit der Kutsche gekommen. So heißt sein neuester Wein, denn Coche ist portugiesisch für Kutsche. Frisch abgefüllt war dieser 2010 Coche, der von uralten Rebstöcken stammte, Rebigiato und 20 weitere Sorten. Erstaunlich elegant und leichtfüßig mit moderaten 13% Alkohol, aber enormem aromatischem Druck am Gaumen, dabei sehr burgundisch wirkend. Macht trotz seiner Jugend schon enormen Spaß und wird oberhalb von Redoma Branco mal irgendwo bei 93-95/100 landen. Nicht nur die Coche-Fans dieser Erde sollten sich diese Coche-Dury Alternative aus dem Dourotal mal zu Gemüte führen.
Aus seinem Geburtsjahr gäbe es nichts vernünftiges, hatte mir Stephan Graf Neipperg noch versichert, als er genüsslich am ersten Rotwein schnüffelte. Das stimmt im Prinzip, aber wenn früher eine Region die Ausnahme von der Regel schaffte, dann war das Burgund. Nicht nur äußerlich perfekt war der Zustand dieser Magnum 1957 Clos Vougeot von Thorin. Immer noch dicht die Farbe, sehr lebendig der Auftritt mit feiner, fruchtiger, süßer Nase, Schmelz ohne Ende, erstaunliche Struktur und gute Säure, auch am Gaumen Süße und Schmelz ohne Ende, ein großer kompletter Burgunder, der noch ähnlich fit war wie der gute Stephan 96/100.

Vor langen Jahren konnte ich einmal diese Flasche 1900 Wachenheimer Lug ins Land von Bürklin-Wolf kaufen. Mich reizte der Jahrgang und mich reizte der große Name, denn alte Pfälzer findet man nicht so häufig. Ansonsten wusste ich nicht, was ich von der Flasche halten sollte. Ein Prädikat oder sonstige Auszeichnungen wie z.B. Cabinet enthielt das Etikett nicht. Aber das ist das spannende an solch alten, bisher nirgendwo beschriebenen Weinen. Die können riesengroß sein, oder einfach nur ein interessantes Erlebnis ohne viel Genuss. Irgendwo dazwischen würde wohl dieser Lug ins Land liegen. Natürlich hatte ich Bürklin-Wolf Besitzerin Bettina von Guradze informiert, dass dieser Wein heute seinen Auftritt hätte, und sie hat sich das nicht entgehen lassen.

Ein breites Grinsen hatte unser Meister Sommelier Oliver Speh im Gesicht, als er den Wein kredenzte. Klein und schrumpelig war der Originalkorken. Die Flasche war der Unsitte des regelmäßigen Neuverkorkens und Nachschwefelns entgangen und präsentierte sich im Urzustand. Tiefbraun, aber durchaus noch mit Brillianz die Farbe, süß, karamellig, verschwenderisch die Nase, cremig die Textur am süßen Gaumen, der durch eine erstaunlich markante Säure perfekt balanciert wurde. Fülle, Kraft, Süße, unglaubliche Länge, dieses sehr komplexe Denkmal stand wie eine Eins im Glas und baute nicht ab, nein der Wachenheimer legte mit Luft immer mehr zu. Von der Qualität her war das eine absolut perfekte, sehr hochkarätige Trockenbeerenauslese. Hatten wir da Deutschlands erste und älteste TBA im Glas. Ein emotional tief bewegender Moment. Staunende Gesichter bei Markus Molitor und Roman Niewodniczanski. Solch eine Qualität in dem Alter aus der Pfalz? Ein 100/100 Wein ohne wenn und Aber. Ein einmaliges Erlebnis, das lange haften bleiben wird.

Szenenwechsel zu einem 11jährigen Weinbaby mit enormem Potential, das Markus Molitor im Gepäck hatte. Vor Kraft kaum laufen konnte diese 2001 Zeltinger Sonnenuhr Auslese***, bei der man das gut integrierte Holz noch deutlich spürte. Im Barrique ausgebaut war dieser Wein mit 13% Alkohol und 7g Restzucker. Würde ich noch mal 10 Jahre weglegen. Diese Granate, die mit einem Möselchen nichts gemein hat, gehört in die hinterste Ecke des Kellers. Für einen heutigen Auftritt sollte er einen Tag vorher dekantiert und dann aus großen Burgundergläsern getrunken werden. War hier beides nicht der Fall, so übten wir uns im erahnen des gewaltigen Potentials.

Nein, alt ist nicht immer gut. Sehr viele spannende Überraschungen hatte ich schon aus 1916, aber diese Magnum 1916 Giscours, von der ich mir trotz nicht optimalem Füllstand (ms) viel versprochen hatte, war es einfach nicht. Ein tiefes Dunkelrotbraun die Farbe, in der Nase, die nicht wirklich Spass machte, Kaffee, alter Balsamico und Holzkohle, am gezehrten Gaumen eine markante Bitternote und deutlich oxidative Noten 84/100.

Da war dann die nächste Magnum schon ein ganz anderes Kaliber. Mein Freund Jörg Müller war vor wenigen Tagen 65 geworden. Und da er unsere Runde bereicherte, öffnete ich ihm zu Ehren eine 1947 Grand Puy Lacoste Magnum. Einfach sexy war die Nase dieses Weines mit seidiger Eleganz und mit guter, pflaumiger Frucht, am Gaumen immer noch kraftvoll mit deutlicher Säure, aber auch mit schöner Süße 94/100.

Und damit kamen wir zum Rotweinflight des Abends. Blind hatten wir zwei große Cheval Blanc im Glas. 1950 Gaffelière-Naudes, dieser Cheval Blanc für Schlaue überzeugte mit seidiger Eleganz, mit verschwenderischer Süße, druckvoller Aromatik am Gaumen und großartiger Länge, baute enorm aus im Glas und legte immer mehr zu 98/100. Ich kaufe alte Gaffelière-Naudes wo immer ich sie finde, denn die waren damals auf Augenhöhe mit Cheval Blanc. Eine tiefe, dunkle Farbe hatte 1947 Canon-la-Gaffelière aus einer perfekten Flasche, vollbusig, sexy, generöse Süße, die portige Dichte von 47 Cheval Blanc, noch soviel Kraft, so jung, so immens lang, der schiere Wahnsinn 99/100. Für mich und auch für Stephan Graf Neipperg die bisher beste Flasche dieses Weines.

Aus seinem Jahrgang gäbe es außer ein paar Spaniern nichts vernünftiges, hatte mir Roman Niewodniczanski versichert. Da musste natürlich diese Flasche hier dran glauben. 1968 Chateau Vieux Vino Gran Reserva Tinto von den Bodegas y Vinedos Lopez aus Maipu-Mendoza in Argentinien war ein großer, reifer Malbeck mit nur einem Hauch flüchtiger Säure, der kaum Alter zeigte. Ging am Tisch als großer Bordeaux aus 55 oder 59 durch 94/100. Natürlich ruderte der ein oder andere am Tisch zurück, als der Wein aufgedeckt wurde, outete sich damit aber höchstens als bekennender Etikettentrinker. Das ist ja gerade das spannende bei Blindproben, dass auch ein namenloser Wein bei entsprechender Qualität die ihm sonst sicher verwehrte Chance auf den Punkte-Jackpot hat.

Ich bin kein Fan des Bordeaux-Jahrgangs 1997, aber es gibt eine ganz große Ausnahme, die uns Stephan Graf Neipperg aus der Magnum kredenzte, 1997 La Mondotte. Gut, auch der kommt nicht an die Riesen aus 1996 und 1998 dran. Aber er war aus dieser Magnum noch so jung, so druckvoll und kräftig, würde sich mit seiner intensiven Frucht, der offenen hedonistischen Art, unter der aber eine gute Struktur liegt, auch in einer Kalifornienprobe gut schlagen 94/100.

Erstaunlich kräftig, dicht und jung wirkte der 1948 Gaffelière-Naudes mit Tabak und Teernoten, nur mit dem Charme haperte es etwas. Am Gaumen wirkte er auf hohem Niveau etwas monolithisch 95/100. Fehlerhaft war leider der in der Farbe sehr helle 1970 La Tour Haut Brion, der die Aromatik von Putzlumpen besaß.

Der 1870 Cantenac Brown hatte zwar Korkbrand und sehenswertes, altes, braunes Glas, aber kein Etikett, an dem man sich ergötzen konnte. Sehr hell war die Farbe, in der Nase überlagerter Yoghurt, am Gaumen Bitternote, aber erstaunlicherweise auch viel Erdbeere. Er trank sich weitgehend spaßfrei, aber auch schmerzfrei, was nicht bei sehr vielen derart alten Weinen gegeben ist 80/100. Das erlebten wir bei einem 1934 Côte Rotie von Peyret Frères. Der war in der Nase noch ganz ok, am Gaumen aber ziemlich grausam mit überviel Säure. Da hätten sich beim trinken Schmerzen eingestellt. Schade, dass auch der 1959 Gazin fehlerhaft war. Nur die dichte Farbe war ok, der Rest erinnerte an durch den Konzentrator gejagtes Balsamico, einfach nur grausam. Danach wirkte ein 1945 Palmer in einer Mähler-Besse Abfüllung geradezu wie Erholung. Der war elegant, aber auch kompakt und schlank mit hoher Säure und pikanter Frucht, aber ich habe von diesem, vor 5 Jahren für viel Geld bei Koppe ersteigerten Wein deutlich mehr erwartet 92/100.

Den Abschluss des Abends, an dem uns die Schorntruppe wieder mit einem exzellenten Menü verwöhnte, bildeten aus 2009 die beiden Topweine von Stephan Graf Neipperg. Entwickelt sich dieser 2009 Canon-la-Gaffelière zu einer modernen Version des 47ers? So süß, so scheinbar reif, so sexy mit fantastischer Frucht, reifer Schwarzkirsche, Cassis, Brombeere, aber auch sehr würzig in der Nase mit Veilchen, mit enormem Druck und Länge am Gaumen und toller Struktur, dabei aber auch sehr elegant, jetzt in einer einfach unwiderstehlichen Frühform 96/100. Ein gewaltiges Kaliber war 2009 La Mondotte, der jetzt schon mit viel Genuss antrinkbar war, seine volle Klasse aber erst in gut 10 Jahren zeigen wird. Parkers 100 Punkte mögen dann durchaus drin sein, für dieses Meisterwerk, dass messerscharfe Konturen und eine gewaltige Struktur mit hedonistischer Frucht verbindet, mächtige, aber reife Tannine, enorme Dichte und Länge, sehr komplex, mineralisch, dabei überhaupt nicht dick, sondern erstaunlich frisch und elegant wirkend 98+/100. Natürlich habe ich beide Weine nicht gespuckt, sondern ausgetrunken und das mit höchstem Vergnügen. Das werde ich wohl in den nächsten Jahren mit etlichen meiner 2009er tun. Ich bin zwar bekennender Altweintrinker, aber ich liebe auch die überbordende Frucht junger Weine aus großen Jahren. Spätestens im Herbst diesen Jahres dürften fast alle 2009er in einer superben, ersten Trinkreife sein. Da nicht vorhersehbar ist, wie lange diese Fruchtphase dauert, und wann diese Weine sich wieder verschließen gedenke ich, das gnadenlos auszunutzen.