Prowein 2008

Einmal im Jahr trifft sich die Weinwelt in meiner Heimatstadt Düsseldorf zur Prowein. Jede Menge los ist dann nicht nur auf dem vollen Messegelände. Auch außerhalb der Messe spielt sich reichlich ab. Schließlich sind die Winzer selbst in der Regel keine Kostverächter. Strohwitwer war ich zur diesjährigen Prowein, wie praktisch. So traf ich mich halt an drei Abenden im Restaurant Schorn mit Freunden aus der Wein- und Gastroszene.

Prowein die Erste

Rappelvoll ist es traditionell am Abend des ersten Messetages, dem Sonntag, bei Schorn. Kaum zu glauben, wie viele Leute in einem solchen Ernstfall in dieses Restaurant passen. Restaurant, Keller, Gartentisch eng gedrängt saßen und standen fröhliche Menschen, genossen die kulinarischen Köstlichkeiten der Küche und widmeten sich dem Erkenntnisobjekt der Messe, dem Wein. Am großen, von einer Plane geschützten Gartentisch hatte auch ich ein Plätzchen gefunden. In stets wechselnder, netter Runde verklappten wir dort unter anderem die übrig gebliebenen Flaschen der Worst Bottle, ergänzt um einige Mitbringsel der Anwesenden. Karl Heinz Johner hatte nicht nur seine charmante Gattin mitgebracht, sondern auch einen 2006 Weißburgunder SJ aus diesem nicht gerade einfachen Jahrgang. Wie inzwischen alle seine Weine hatte auch der einen Schraubverschluss. Geprägt war er von intensiver Frucht, gepaart mit massiver Fruchtsüße, Zitrusaromen und Quitte. Schraubverschluss und Reinzuchthefen ließen grüßen. Im Abgang schlank und nicht sonderlich komplex 88/100. Weiter ging es mit einer 1964 Scharzhofberger Auslese von Egon Müller. Ein prächtiges Gewächs mit hohem Extrakt und erstaunlicher Fülle und Länge, ohne dabei irgendwie dick zu sein. Die Süße war schon deutlich reduziert, dafür zeigte der Wein einen schönen Karamellton und eine wunderbare Harmonie am Gaumen 94/100. Und dann griff Karl Heinz Johner doch noch zum Korkenzieher und öffnete einen 1998 Blauen Spätburgunder SJ. Der Korken hatte diesem Wein sicher nicht geschadet. Jugendliche Frucht und Frische, am Gaumen burgundische Fülle, ein komplexer Wein mit gutem Säuregerüst 93/100.
Burgundische Pracht und Fülle dann auch in einem betörenden 1953 Gaffelière-Naudes aus einer nicht optimalen ms" Flasche. Der hatte nicht nur das klassische Cheval Blanc Parfüm in der Nase. Auch am Gaumen präsentierte er sich wieder mit wunderbarer Süße, Finesse und Eleganz als schlaue Alternative zum teuren Cheval 95/100.
Das Thema Kork gegen Schraubverschluss war schnell abgehakt. In gelöster Stimmung diskutierten wir lieber, was denn das SJ bei den Johner-Weinen bedeutet. Wir einigten uns schließlich in bester, rheinischer Art auf "Sau Juut". Dieses Prädikat hätte auch auf den höchst erstaunlichen 1975 Haut Batailley gepaßt. Der war unglaublich dicht und füllig mit excellenter Struktur und gezähmter Säure, für den auf dem linken Ufer eher problematischen Bordeaux-Jahrgang sehr überraschend 92/100.
Äußerlich in saumäßigem Zustand war ein 1929 Nenin, unleserliches Etikett, nur noch low shoulder, aber was für ein Hammerteil. Auf dem Bröselkorken war der Jahrgang ebenso wenig identifizierbar wie auf dem Etikett, da blieb mir nur die Aussage des Vorbesitzers. Und zu der passte der Inhalt dieser Flasche. Alte, aber unglaublich dichte Farbe, Schokolade ohne Ende, Kaffee, Mokka, intensive Süße, aber auch eine recht massive, tragende Säure, einfach saftig und groß 95/100.
An Silver Oaks Alexander Valley erinnerte mich der nächste Wein, ein 1981 Certan de May. Cassis, viel süßes Holz, ein absolut betörender, feingliedriger, großer Wein 93/100. Auch der stammte von Kochlegende Hubi Scheidt, der sich 2 Nächte lang den kompletten Wineterminator reingezogen hatte um sicherzustellen, dass ich keinen seiner Weine jemals zuvor im Glas hatte.
Ziemlich hell die Farbe des 1947 Macon von Roger Moreau. Der war nicht mehr so ganz taufrisch. Leicht oxidativ mit deutlicher Säure, aber auch karamelliger Süße, in jedem Fall noch gut trinkbar 87/100. In deutlichem Kontrast dazu ein Trilogie aus Pomerol. Hinter diesem Fantasienamen sollen sich deklassierte Fässer von Le Pin aus 96, 97 und 99 von Le Pin verbergen. Junges, pfeffriges Zeugs, das stilistisch auch von der nördlichen Rhone kommen könnte. Ich hatte in jedem Fall nichts im Glas, was auch nur entfernt an Le Pin erinnern könnte 89/100.
Weiter ging es mit einem 1986 Echezeaux von Emmanuel Rouget, der angeblich von Jayer stammen sollte. Der wirkte irgendwie etwas gewollt und nicht gekonnt. Druckvolle Aromatik und Länge am Gaumen auf der einen Seite, schlanke Statur, kräftige Säure und bissige, nicht sonderlich reife Tannine auf der anderen 89/100. Da dann doch lieber einen einfachen 1955 Côte de Beaune von Louis Jadot. Schon erstaunlich, welche Klasse damals selbst einfachere Burgunder erreichten. Der hier war voll auf dem Punkt, sehr füllig mit viel Schokolade, wie ich sie in Burgundern eigentlich eher selten finde und Mokka, kleidete den Gaumen sehr schön aus, das muss ein deklassierter, großer Wein gewesen sein 94/100.
Sein Alter konnte ein 1918 Nuits von Flouche&Fils trotz sehr dichter Farbe nicht verbergen. Sehr reif wirkte dieser Wein mit deutlicher Säure und leichten Lacktönen. Trotzdem war er nicht nur voll trinkbar, die Lacktöne verschwanden mit Luft, der Wein gewann an Aromatik und zeigte sogar noch Frucht und wurde immer besser. Entwickelte sich zu einem zwar in Ehren gereiften, aber doch erstaunlich balancierten, schönen Burgunder 91/100.
Groß war der Jahrgang des nächsten Weines, groß aber auch der Schwund dieser Flasche aus der Worst Bottle Hinterlassenschaft, bei der 8 cm fehlten. Dem 1937 Charmes Chambertin der Confrérie des Chevaliers de Tastevin tat es keinen Abbruch. Sehr dicht immer noch die Farbe, in der Aromatik war der Wein sehr weit entwickelt mit rosiniger Süße, aber auch noch komplex und mit guter Länge 91/100. Gut 7 cm fehlten auch bei einem 1955 Garrafeira. Von Carvalho, Ribeiro & Ferreira aus Portugal. Der startete mit unsauberen Fassnoten, doch darunter verbarg sich ein blitzsauberer, hocharomatischer Wein mit irrer Kraft und Länge, der am Tisch für viel positives Erstaunen sorgte 90/100. Leider galt das nicht für einen 1942 Tinto Garrafeira von SA Messias. Der war zwar besser gefüllt, hatte aber eine helle Farbe und war schlichtweg hin. Mit einem Prachtburgunder endete der erste Abend, einem 1955 Clos Vougeot von Rossigneux&Fils 94/100. Zumindest für mich endete damit der erste Abend. Ich wusste, wann ich mich aus dem Staub machen musste, bevor bei Schorn kurz vor Mitternacht die üblichen Verdächtigen einliefen. Namhafte deutsche Winzer, die vorher bei einer der Prowein goes City Veranstaltungen ihre Weine präsentiert hatten, machten jetzt noch bis 5 Uhr früh die Nacht zum Tag.





Prowein die Zweite

Mit Stefan Graf Neipperg und Weinhändler Michael Unger ging es in den zweiten Prowein-Abend. Später gesellten sich noch Winzer Gunter Künstler und seine liebenswerte Gattin zu uns. Als Risikoflasche hatte ich einen 1978 Beringer Chardonnay mitgebracht. Klar war der reif, auch schon deutlich über den Punkt, aber immer noch erstaunlich gut trinkbar. Güldene Farbe, in der Nase dezent oxidativ, aber auch leicht rauchig, am Gaumen buttrige Fülle, nur ganz leicht gezehrt wirkend 87/100.
Stefan Graf Neipperg hatte zwei alte Flaschen aus den Kellern des Chateaus mitgebracht. Ein rustikales Kraftpaket war 1952 Canon-la-Gaffelière mit sehr dichter Farbe, etwas rustikaler Charme, die leicht medizinale Aromatik eines süßen Hustensaftes, hielt sich gut im Glas und baute nicht ab 92/100. Deutlich jünger und feiner wirkte 1950 Canon-la-Gaffelière, ein Musterbeispiel nicht nur für Terroir und Qualität des Weingutes, sondern auch für die Qualität und das Standvermögen des Jahrgangs 1950 auf dem rechten Ufer. Ein sehr eleganter, hocharomatischer Wein mit feiner Frucht 95/100. Beide Weine hatten als Folge der hirnrissigen Flüssigkeitsregeln im europäischen Luftverkehr den Weg von Bordeaux über Frankfurt nach Düsseldorf als Sperrgepäck und entsprechend geschüttelt verbracht. Ich würde beide gerne noch mal auf dem Chateau direkt aus dem Keller verkosten und bin mir sicher, dass dann nochmal jeweils 2 Punkte dazu kommen.
Fantastisch auch die Qualität des 1961 Clos de l Oratoire, der nur die kurze Reise aus meinem Keller mitmachen mußte. Einfach sexy war dieser unglaublich leckere Wein. Ich weiß, dass sexy und lecker beides keine Begriffe der Weinsprache sind, aber erstens ist mir das egal, und zweitens beschreiben genau diese beiden Begriffe den unkomplizierten, aber sehr hochstehenden Trinkgenuss dieses Weines, den Robert Parker wahrscheinlich nicht minder trefflich als "liquid viagra" bezeichnen würde. Traumhafte Nase mit Süße, Kaffee und satter Röstaromatik, die sich am Gaumen fortsetzt, eigentlich mehr reifer Pomerol als St. Emilion 95/100. Das war leider meine einzige Flasche, aber selbst wenn ich 24 davon hätte, wären es zu wenig.
Schwieriger das Jahr und schwieriger der Wein trotz perfekter Flasche. 1962 Troplong Mondot hatte eine wunderbare Nase, die an die dicke, dunkle Kruste eines Bauernbrotes erinnerte und die auch von der Rhone kommen könnte. Am Gaumen war er eher schlank mit deutlicher Säure, wird sicher nicht mehr besser und gehört getrunken 89/100.
Michael Unger sammelt seit längerer Zeit ältere, rare kalifornische Weine. Uns hatte er einen 1960 Inglenook Cabernet Sauvignon Cask A1 mitgebracht. Dichte Farbe, reif, sehr weich, erstaunlicherweise weder Eukalyptus noch Minze, baute wunderbar im Glas aus und wurde immer fülliger und aromatischer, ein sehr lebendiges Stück kalifornischer Weingeschichte 93/100. Inglenook war zusammen mit BV und Martini sowohl qualitativ als auch preislich damals die absolute Spitze des kalifornischen Weinbaus. Ich bin gespannt, welche dieser Schätze Michael Unger am 26. April auf seiner kalifornischen Raritätenprobe aufmacht, zu der ich mich auch angemeldet habe(bei Interesse schnell reagieren, www.ungerweine.de, es gibt wohl nur noch 1-2 Plätze).

Mit Familie Künstler tranken wir dann aus der unerschöpflichen, Schornschen Karte noch eine 1983 Hochheimer Hölle Riesling Auslese trocken, natürlich von Künstler. Unglaublich, welche Frische dieser ja nun fast 25 Jahre alte. Trockene Riesling noch zeigte. Brauchte sehr viel Luft und wurde im Glas immer größer, länger und komplexer mit kräftiger Säurestruktur und irrer Länge am Gaumen und strotzte vor Mineralität, hat sicher noch 10+ Jahre vor sich 92/100.

Prowein die Dritte

Auch der dritte Prowein-Abend hatte es in sich. Der unermüdliche Hubi Scheidt aus Trier war wieder mit dabei, Wolf-Dietrich Salwey, der Seniorchef des gleichnamigen, Kaiserstühler Weingutes und André Speisser von Harddy s Weinstuben aus Sylt. Thema dieses Abends war 1953 Bordeaux, das Geburtsjahr meines Freundes André.
Vorab tranken wir eine 1999 Maximin Grünhäuser Abtsberg Spätlese trocken. Die war leider völlig daneben, wirkte mindestens 20 Jahre älter, muffig, faulig, stark gezehrt. Da war wohl seinerzeit faule Boytritis mit im Spiel 70/100. Landete komplett im Kübel. Ganz im Gegensatz dazu eine sehr gelungene 2000 Prado Enea Gran Reserva von Muga. Gute Frucht, süß wirkend, stabile Säurestruktur, sehr würzig, Weihnachtsgebäck und Lebkuchen, schlank im positiven Sinne, trank sich sehr gut 91/100.
Als ersten 53er hatten wir 1953 Trottevieille im Glas. Einfach ein kompletter, schöner Wein in totaler Harmonie, reif, gute Struktur, immer noch fruchtig, sehr feingliedrig und schöne Länge, bot perfekten Trinkfluss 95/100. Sehr viel weiter und mit Abstand der reifste Wein des Quartetts war 1953 Léoville Poyferré, dem man schon in der Farbe das Alter deutlich ansah. Wirkte wie ein älterer Rioja mit malziger Süße und immer mehr Kaffee, ist auf dem Abstieg 89/100.
Sehr überzeugend 1953 l Evangile in einer deutschen R&U Abfüllung. Sehr dichte Farbe ohne erkennbares Alter, explosive Nase, sehr würzig, mit frisch gebackenem, warmem Brot, Schokolade und einer guten Portion Lakritz, irre Kraft am Gaumen und sehr lang, gute Säurestruktur, wird im Glas immer süßer 97/100. Klar genoss ich diesen großen Pomerol in vollen Zügen. Aber mir war angesichts dieses gewaltigen Hammerteils Angst und Bange um die arme Comtesse, die ich als letzten Wein vorgesehen hatte. Doch diese Sorge war völlig unbegründet. Die 1953 Pichon Comtesse erwies sich einfach als perfekt gereifter, großer Bordeaux. Habe ich noch nie so gut und überzeugend im Glas gehabt. Kein Alter in der dichten, völlig intakten Farbe, Eleganz und Finesse pur, dazu mit irrer Fülle und Länge, pure Seide kleidete den Gaumen aus, währende die 82er Comtesse langsam abbaut, zeigt dieser großartige Wein keinerlei Müdigkeit, ein echtes Monument, das am Tisch ungeteilten Beifall fand 98/100.

Prowein die Vierte?

Fand nicht statt. Die Prowein war zu Ende. Ich war zwar immer noch Strohwitwer, verbrachte den Abend aber mit reichlich Evian und ohne Wein zuhause. Und nach der Prowein ist bekanntlich vor der Prowein. Im nächsten Jahr ist die Prowein günstiger gelegen, vom 29. bis 31. März und überschneidet sich nicht mit den Osterferien. Ausgebaut wird dann sicher auch das Programm Prowein meets City. Ich werde rechtzeitig berichten.

Dankbar wäre ich, wenn Sie mir hier wieder Ihre Stimme geben.