Reife Schätze aus 1945 & Co

Große 45er - hier noch voll

Große 45er - hier noch voll

Zwölf erprobte Weinnasen trafen sich im September in Düsseldorf zur diesjährigen Raritätenprobe. Ein strammes Programm lag vor uns. Thema waren die Jahre mit der "5", mit einem Schwerpunkt auf dem Jahrgang 1945. Kulinarisch bestens versorgt wurden wir von Franz Josef Schorn, der sich erneut selbst übertraf und grandios aufkochte. Jörg Müller hatte zudem aus Sylt seine legendären Gänseleber-Törtchen mitgebracht, und Affineur Gerhard Waltmann aus Erlangen eine superbe Käseplatte. Da mussten jetzt nur noch die Weine mitspielen. Die waren bei den Berliner Sommeliers René Baumgart und Michael Dankwart in besten Händen.
Los ging es als erfrischendem Begrüßungsschluck mit einer 1995 Wehlener Sonnenuhr Spätlese von JJ Prüm. Taufrisch mit schöner Frucht, knackiger Säure, die die dezente Süße gut abpufferte, kräftige Schiefernote, und das alles mit einer traumhaften Leichtigkeit und Finesse, wie sie an der Mosel in dieser Form nur von den beiden Altmeistern Prüm und Haag beherrscht wird 92/100.
Im ersten Flight standen sich drei trockene Weißweine gegenüber. Der 1955 Meursault Charmes Vandermeulen wirkte deutlich jünger. In der Nase faszinierende, gelbe Früchte, am Gaumen kräftige Säure, baute sehr schön im Glas aus und schrie förmlich nach begleitendem Essen 92/100. Deutlich gereifter und wohl schon länger über den Zenit 1945 Chateau Olivier Blanc. Güldene Farbe, wirkte etwas gezehrt, bitter, astringierend am Gaumen, medinzinal, Penicillin, wurde mit der Zeit im Glas deutlich besser und war immer noch gut trinkbar 84/100. Sensationell der 1945 Gewürztraminer Clos Gaensbroennel Grande Reserve de la Victoire von Willm. Güldene Farbe, faszinierende Backwerknase, weihnachtliche Gewürze, Anis, dezente Süße und Bitternoten, pfeffrige, würzige Aromatik, viel Kraft, ein kompletter, großer Wein 94/100.

Verrückt das Farbenspiel der drei Süßweine im anschließenden Süßwein-Flight. Die hellste Farbe und der mit Abstand leichteste Wein ein 1955 Ediger Feuerberg Riesling feinste Beerenauslese aus Kesten an der Mosel von Josef Meurer. Ein feines, schlankes Tröpfchen mit Akazienhonig ohne Ende 89/100. Gülden in der Farbe die 1945 Deidesheimer Kieselberg Beerenauslese des Reichsrat von Buhl. Wunderbare, leicht malzige Süße gepaart mit dezenter Säure und irrer Länge am Gaumen. Unendliche Eleganz und Leichtigkeit 97/100. Mit der tiefdunklen, in der Karaffe fast schwarz wirkenden Farbe eines uralten Yquem die 1945 Erbacher Marcobrunn TBA von Schloß Schönborn. Ein Jahrtausendwein mit irrer Aromatik, Teer, Mineralität, viel Süße, immer noch gute Säure, wirkte heiß, Kraft und Eleganz, unendliche Länge am Gaumen 100/100.
Danach gab es eine ganze Reihe rote Solitäre. Den Übergang zu den Rotweinen musste der 1945 Vina Monti der Bodegas Monticello meistern. Helles Rot mit wenig Alter, faszinierende Nase mit betörender, roter Beerenfrucht, am Gaumen eher schlank, kommt mit der Nase nicht mit 85/100.
Spannend ein 1905 Haut Brion aus diesem nicht gerade berauschenden Weinjahr. Dunkles Rostbraun, in der Nase überreife Bananen, am Gaumen kräftige Säure, aber auch noch spannende Würze, leicht käsiger Ton, baut im Glas sogar noch aus. Gut trinkbar, so sind die 85/100 auch wie bei den anderen Weinen eine reine Genusswertung, die natürlich nicht das grandiose Erlebnis eines 100 Jahre alten Weinmonumentes wiederspiegelt.
Eine helle Farbe mit deutlichen Brauntönen hatte 1895 Cos d Estournel. Schwächere Nase als beim Haut Brion, wirkte dafür am Gaumen kräftiger, präsente Säure, etwas eindimensional, baute im Glas mit der Zeit ab und wurde astringierend 83/100.
1875 La Magdelaine hatte eine immer noch intakte, helle Farbe, wirkte leicht pilzig, Champignons, feine Fruchtsüße, sehr harmonisch. Dieser große Wein aus der Vorreblauszeit stand perfekt im Glas und baute nicht ab, da war immer noch Frische, immer noch Tannin, blieb lange am Gaumen, so wie ich es auch von anderen Weinen aus der Zeit kenne, bevor sich die Reblaus durch die Bordelaiser Weinberge gefressen hatte 95/100.

Eigentlich müsste man den 1935 Simi Cabernet Sauvignon den heutigen, kalifornischen Weinmachern um die Ohren hauen. Was da 2 Jahre nach dem Ende der amerikanischen Prohibition im kalifornischen Sonoma-Valley mit nur 12 % Alkohol erzeugt wurde, ist wirklich beeindruckend. Erstaunlich kräftige Farbe, in der Nase etwas Jod, aber auch Fruchtreste, Kaffee, am Gaumen massive Statur, Kraft, balsamische Noten, entwickelt schöne Süße 95/100. Für mich war das die dritte Begegnung mit dieser kalifornischen Weinlegende, die sehr eindrucksvoll zeigt, dass man auch und gerade in Kalifornien große Weine ohne den Alkoholgrad von Portwein erzeugen kann.
Eine weitere Legende ist 1925 Marques de Murrieta Castillo YGAY. Explodiert förmlich im Mund, ein Riesenwein mit Kaffee ohne Ende, unglaubliche Aromatik, Dichte und Länge. Und da ich davon noch bessere Flaschen getrunken habe, gibt es diesmal nur geizige 98/100.

Eine der ganz großen Überraschungen des Abends war ein 1945 Fleurie Clos de la Roilette von Bertrand. Fleurie? Ist das nicht ein Cru aus Beaujolais? Genau das ist es. Nur gehe ich davon aus, dass hier damals nicht wie heute Allerwelts-Gamay angepflanzt wurde, sondern Pinot Noir. So komplex, so aromatisch, so süß, so lang ein unglaublicher Wein mit leicht üppiger Exotik. Bleibt ewig am Gaumen, Burgund at it s Best, der Finessenmeister 98/100.
Immer wieder ein Erlebnis sind gut gelagerte, alte Burgunder aus den drei Top-Jahren 1911, 1915 und 1919. Wir hatten an diesem Abend einen Dreierflight mit Clos Vougeot aus 1915. Der 1915 Clos Vougeot von Pasquier Desvignes war auf hohem Niveau der Schwächste des Trios. Ein sehr feiner Wein mit deutlicher Säure, baute aber sehr gut im Glas aus und steigerte sich zum Essen 93/100. Eine Klasse drüber der schon mehrfach getrunkene 1915 Clos Vougeot Chateau de La Tour von Morin. Der hatte zwar zu Anfang einen leicht störenden Milchsäureton in der Nase, der aber rasch verflog. Am Gaumen mineralisch und Mokka ohne Ende. Wurde trotz aller Kraft im Glas immer weicher und schmelziger 96/100. Klarer Favorit der 1915 Clos Vougeot Nicolas von Charenton. Malzige Hustensaft-Süße, faszinierende aromatische Dichte, sehr harmonisch, komplex und lang, insgesamt deutlich jünger wirkend 98/100. Alle drei Weine hatten, wie auch andere Weine des Abends, nur einen Fehler: das Glas war zu klein und nicht voll genug!
Weniger bekannt ist, dass auch Rhone-Weine ähnlich gut altern wie die Kollegen weiter nördlich. Eindrucksvoll zeigte das ein 1945 Chateauneuf-du-Pape Chateau de Cabrières. Der war noch so präsent und frisch. Sensationelle Schoko-Mokka-Nase, irre Süße, am Gaumen etwas mehr Säure, aber auch sehr viel Schmelz 96/100. Noch eine Stufe drüber der 1945 Hermitage Tête de Cuvée von Vidal-Fleurie. Der hatte zu Anfang zwar eine etwas verhaltene Nase, baute dann aber unglaublich aus. Bitterschokolade ohne Ende. Am Gaumen dicht und aromatisch, so lang und so frisch 99/100. Damit war eine klare Meßlatte für die jetzt folgenden 45er Bordeaux gesetzt.
Den Anfang machte ein Vierer-Flight aus St. Emilion. Nur sehr zögerlich öffnete sich der insgesamt recht streng wirkende 1945 Canon. Dann kamen Aromen von dunklen Früchten und Lakritz 90/100. Auch 1945 Angelus in einer schottischen Abfüllung wirkte zu Anfang etwas streng, wurde zum Essen aber deutlich besser, weicher und entwickelte eine schöne Aromatik 93/100. Ein Riese war 1945 Gaffelière-Naudes mit überschwänglichen Aromen von Kaffee, Mokka, Schokolade und Trüffeln. Ein Traumwein mit irrer Nase und toller Länge 97/100. Star des Flights aber war völlig unerwartet 1945 La Dominique. Ein ganz großer, druckvoller Wein mit unerhörter Dichte, irrer Aromatik und Länge, der am Gaumen gar nicht mehr aufhörte 98/100. Beide Weine, Gaffelière-Naudes und La Dominique, zeigen, wie man aus großen, älteren Jahrgängen noch für verhältnismäßig wenig Geld gute Weine finden kann. Der gesamte Flight dürfte weniger kosten als eine Flasche Cheval Blanc, der in 1945 beschämend schlecht ist. Viel wichtiger als der große Name sind bei älteren Weinen Lagerung und Flaschenzustand.
Endlich mal mehr ins Glas kam im nächsten Flight, in dem sich 1945 Gruaud Larose und 1945 Talbot in der Magnum gegenüberstanden. Gruaud war von beiden Weinen der druckvollere, dichtere mit dem noch deutlich größeren Potential. Insgesamt wirkte er noch recht jung 95/100. Der Talbot hingegen war voll auf dem Punkt, und wenn man einen großen Wein genau in diesem Stadium erwischt, dann hängt einfach der Weinhimmel voller Geigen. So finessig, seidig und elegant mit feinem Schmelz, so lang am Gaumen, sicher mein bisher schönster Talbot überhaupt 97/100.
Gespannt war ich auf den nächsten Flight. Würde der erst im Januar auf sehr hohem Niveau verkostete 1945 Haut Bailly in einer belgischen Händlerabfüllung wieder seiner Rolle als Favoritenschreck gerecht werden? Der Haut Bailly erwies sich wieder als hochklassiger Wein mit der klassische Pessac-Nase, feine Süße und sehr schöner Länge am Gaumen 96/100. Leider stand er aber einem Monument gegenüber. Zuletzt habe ich 1945 Haut Brion 1993 auf unserer Jahrhundert-Probe in solch grandioser Form erlebt. Damals war er für mich der Wein der Probe, jetzt wieder! Das war Haut Brion vom Allerfeinsten, ein Wein, bei dem von der klassischen Nase über den Gaumen bis zum unendlichen Abgang einfach alles stimmte. Perfektion 100/100.
Eher beschämend war der nächste Vergleich. Da stand ein 1945 Lafite Rotschild in sehr gutem Zustand aus bester Lagerung einem nicht optimalen 1945 Carruades de Lafite entgegen. Der Lafite war ein eher leichtes, feines Weinchen mit sehr heller Farbe, aber wenig Brauntönen. Zeigte immer noch eine schöne Frische und ist noch lange nicht am Ende, aber da fehlte einfach das Fett des großen Jahrgangs, viel zuwenig Wein für s Geld 88/100. Der Carruades hatte die deutlich dichtere, dunklere Farbe, in der Nase Salami und Graphit, am Gaumen eher etwas kurz und rustikal 89/100.
Im folgenden St. Julien-Flight lag der füllige, sehr schöne 1945 Léoville Poyferré (93/100) vor dem finessigen, charmanten 1945 Beychevelle 91/100. Sehr enttäuschend trotz optisch einwandfreiem Zustand der 1945 Leoville-las-Cases, der sehr eckig, dürr und rustikal wirkte 87/100. Den Leoville-las-Cases habe ich schon mehrfach deutlich besser getrunken.
Noch immer recht jung wirkend der kräftig strukturierte 1945 Tour de Mons mit sehr dichter Farbe 92/100. Nach Tour-de-Mons kräht heute kein Hahn mehr. Alte Jahrgänge bis 1955 sind aber ein echter Geheimtipp und noch dazu meist sehr preiswert. Deutlich reifer 1945 Calon Ségur in einer dänischen Abfüllung(der Wein war in Fässern von Calvet an einen dänischen Händler geliefert worden, der ihn dann abgefüllt hatte). Ein sehr feiner Wein mit schöner Süße 91/100.
Überraschend gut 1945 Grand Mayne. Sehr junge Farbe, ein dichter, kraftvoller Wein mit feiner Süße und schöner Länge am Gaumen 93/100. Eine reife, etwas hellere Farbe hatte 1945 Certan de May in einer belgischen Händlerabfülung. Dafür zeigte dieser große Pomerol aber eine kräftigere, dichtere Aromatik am Gaumen, mehr Extrakt und mehr Fruchtsüße 95/100.

Schlusspunkt der Probe und gleichzeitig einer der Höhepunkte war 1945 Taylor Vintage Port. Flüssiges Marzipan kam da aus der Flasche, wieder die typischen Eukalyptusnoten, etwas Espresso, Portwein in seiner allerschönsten Form. Ersetzt jedes Dessert und gehört unbedingt alleine für sich getrunken. So schön habe ich den 45er Taylor, der schon immer als Legende galt, noch nie getrunken. Jetzt hat er sich etwas mehr geöffnet, doch Eile ist nicht geboten. Da ist noch genug Tannin, so dass auch Ihre Urenkel daran noch Freude haben können 99/100. Meine leider nicht. Ich müsste noch irgendwo im Keller eine Flasche haben, aber nach dieser grandiosen Erfahrung werde ich sie wohl bald trinken und nur die Erinnerung daran vererben.
Das war insgesamt ein strammes Programm, zumal es praktisch keine Ausfälle gab, und fast kein Wein weggeschüttet wurde. Interessant war es deshalb auch, die anderen Probenteilnehmer am nächsten Morgen zu sehen. Ich hatte selbst bestens geschlafen und hatte weder dicken Kopf noch Kater. Es ging mir einfach gut. So unisono auch den anderen. Als Wilhelm Busch sein "Rotwein ist für alte Knaben, eine von den besten Gaben" schrieb, hatte er wohl an gut gereifte, ältere Weine gedacht. Da haben sich Schwefel und andere Katerstoffe weitgehend abgebaut, der Alkoholpegel ist deutlich niedriger als bei den heutigen Hammerteilen, und das ohne Verzicht auf faszinierende Aromatik. Gut gelagerte, ältere Gewächse sind einfach bekömmlich. Schade dass man sich die nicht verschreiben lassen kann.