Sprachlos

Sprachlos war der Wineterminator nicht nur, als die Preise für die 2006er Premiers rauskamen. Nach der einfachen Formel 2003 mal 2 waren da für die besseren Chateaus Preise herausgekommen, die mit der Qualität des Jahrgangs nichts mehr zu tun haben. Sprachlos war ich aber auch, als mich fast zeitgleich gute Weinfreunde mit einer extrem hochkarätigen Weinprobe verwöhnten.

Eine kleine Probe mit hochwertigen Burgundern zum Mittagessen leitete diesen denkwürdigen Tag ein. Mit Weißen Burgundern, zumal aus den 90ern, habe ich so meine Probleme. Zuviel oxidierte Weine, zu teuer für das Gebotene. Doch unsere Gastgeber hatten bei der Auswahls dessen, was sie an unsere Gaumen ließen, ein goldenes Händchen. Wirklich enttäuschend nur der erste Wein, ein 1993 Bienvenue Batard Montrachet von Leflaive. Ein sehr kräftiger Wein zwar, der aber vergeblich versuchte, von vergangenen, großen Tagen zu erzählen. Denn er wirkte schon verdammt gezehrt mit oxidativen Noten und wenig verbliebener Frucht. Im Glas baute er etwas aus, es kamen Noten von Anis und Lakritz, das Oxidative verschwand etwas, die Strenge aber blieb. Klar konnte man auch denn trinken, und 89/100 sind ja auch schon was. Eine Klasse besser war 1993 Bienvenue Batard Montrachet von Ramonet. Ein sehr kräftiger, spannender, vielschichtiger Wein mit irrer Länge am Gaumen. Wirkte noch sehr jung mit viel Potential für etliche Jahre 95/100.
Sehr positiv überrascht war ich auch von einem 1989 Chablis Montée de Tonnerre von Ravenau. Ein großer, kompletter, immer noch frischer Chablis mit perfekt eingebundener Säure. In der Nase florale Aromen, frisch gemähte Wiese, Geranien, entwickelt sich in der ersten Stunde perfekt im Glas und gewinnt an Gewicht und Struktur, erst danach baut er wieder etwas ab. Ein sehr überzeugender Chablis, der aber in den nächsten Jahren getrunken gehört 95/100.
1992 Meursault Charmes von Comte Lafon überzeugte mit Finesse und Eleganz, ein traumhaft balancierter Burgunder mit guter Säure, cremiger Textur, feiner Würze und unendlicher Länge am Gaumen, ein echter Aristokrat unter den Weißweinen 94/100. 1992 Meursault Genevrières, ebenfalls von Comte Lafon, kam da auf sehr hohem Niveau nicht ganz mit. Er wirkte feiner und harmonischer als der Charmes, hatte aber nicht dessen aromatischen Druck 93/100. Beide Comte Lafons zeigten sich sehr schön und wiesen keine Alterstöne auf, doch haben sie ihren Höhepunkt schon leicht überschritten und gehören sicher in den nächsten Jahren getrunken.
Aus der Rolle fiel danach ein 1995 Hermitage Blanc von Chave. Stellen Sie sich eine feine Gesellschaft vor, in die plötzlich ein Großbauer hineinpoltert. Ein sehr kräftiger Wein mit etwas herbem Charme, "männlich", Power ohne Ende, deutliches Holz, erdige Noten, sehr mineralisch, edel-rustikal im besten Sinne 94+/100. Große Weiße Weine von der Rhone gehören entweder ganz jung getrunken, oder mindestens 10, besser 20 Jahre nach der Ernte. Gerade im zweiten Stadium erreichen sie dann eine faszinierende Komplexität, die denen großer Burgunder nicht nachsteht. Dieser Hermitage hier steht noch ganz am Anfang der zweiten Trinkphase. Er wird sich sicher innerhalb der nächsten Jahre noch deutlich wandeln, mehr Finesse und Komplexität entwickeln. Das Trinkfenster könnte sicher bis 2020 reichen, bei sehr guter Lagerung auch noch darüber hinaus.

Empfangen wurden wir am Abend bei herrlichem Sonnenschein auf einer großzügigen Gartenterrasse mit 1985 Roederer Cristal. Dieser Champagner war das ideale Kontrastmittel zu den dann folgenden Genüssen. Roederer Cistal mag jung als überteuerte Russenbrause in Edeldiscos taugen, zum Altern ist er wohl weniger gedacht. Ganz schön müde wirkte der Kandidat in unserem Glas und auch etwas simpel 87/100.
Um so besser die beiden, folgenden Champagner. 1964 Dom Perignon bot reife Champignons vom Feinsten. Ein sehr kräftiger, nachhaltiger Champagner mit dezentem Mousseux, der jetzt wunderbar zu trinken ist und perfekt illustriert, welche Komplexität große, ältere Champagner entwickeln können 94/100. Fast ein Stillwein war 1962 Dom Perignon. Da perlte nicht mehr viel. Dafür zeigte dieser große Stoff eine unglaubliche Komplexität und Länge. Dazu eine perfekte Struktur, viel besser geht reifer Champagner nicht 97/100.
Zwei Weißweine mit berühmten Namen standen sich im ersten Flight gegenüber. 1990 Le Montrachet von Marc Colin wirkte etwas plump und fett, Orangennoten, wenig Finesse. Der hatte seinen Höhepunkt bereits deutlich überschritten und wies von der weltbekannten Lage nur den Namen, nicht aber die Klasse auf 89/100. Deutlich besser 1992 Bienvenue Batard Montrachet von Ramonet. Das war ein riesengroßer, facettenreicher Wein mit viel Schmelz, Komplexität und Länge. Mit viel frischer Frucht und guter Säurestruktur, immer noch mit weiterem Alterungspotential 96/100.
Ganz erstaunlich hat sich 1970 d Yquem entwickelt. Zumindest galt das für die Flasche, die wir an diesem Abend genießen durften. Der wirkte so harmonisch und ausgeglichen, so elegant mit nicht übermäßiger Süße, gut abgepuffert durch die relativ hohe Säure. Kein großer Yquem, aber in diesem Stadium ein sehr leckerer mit viel Schmelz 93/100. Im Nachbarglas 1961 Belair aus Sauternes in einer Barrière-Abfüllung. Auch das aus einem wiederum eher mäßigeren Sauternes-Jahr ein schlanker, feiner Wein mit wenig Boytritis, dezenter Süße, immer noch erstaunlich frisch wirkend mit guter Säure, bittere Orangenmarmelade, hat sicher noch etliche Jahre Potential 90/100.
Gleich mit einem Paukenschlag ging es dann in die rote Abteilung. 1975 Heitz Martha s Vineyard wurde am Tisch für einen großen La Mission gehalten. In bester Bordeaux-Stilistik wusste diese kalifornische Legende mit rauchigen Noten, mit Teer und Zedernholz, mit gewaltiger Kraft und Länge zu überzeugen. Sicher noch Potential für 10+ Jahre 97/100. Würde ich gerne mal gegen 1975 La Mission trinken, das wäre ein spannender Vergleich. Im anderen Glas aber auch eine Legende, 1975 Sassicaia, einer der größten Weine, die auch dem italienischen Gut je erzeugt wurden. Nicht die fast brutale Kraft des Heitz, eher etwas filigraner, frischer, aber auch mit exotischerer Aromatik, minzig, irre Länge am Gaumen 97/100. Das waren noch Zeiten, als Sassicaia nicht nur teuer, sondern auch gut war.
Und gleich noch eine Legende aus einem legendären Jahr. 1919 Morey St. Denis aus der Collection Dr. Barolet zeigte sehr eindrucksvoll, warum 1919 neben 1915 und 1911 eines der besten Burgunderjahre des letzten Jahrhunderts war. Unglaublich, welche Frische, Länge und Dramatik dieser deutlich jünger wirkende Wein heute noch zeigte 98/100.
Irgendwo schienen die Gastgeber einen Narren an einem Brüderpaar gefressen zu haben, das mit am Tisch saß. Denn schon wieder bekamen wir eine Paarung aus deren Geburtsjahr. 1962 Latour war ein kerniger, wunderschöner, trüffeliger Latour mit viel Kraft und Biß, sicher noch Potential für lange Jahre 95/100. 1964 Latour war deutlich weicher, feiner, in seiner fast samtigen Art für Latour etwas atypisch, aber mit toller, druckvoller Aromatik am Gaumen 94/100.
Mit 1900 Léoville Poyferré kam dann der älteste Wein der Probe auf den Tisch. Die über 100 Jahre merkte man diesem Senior nicht an Nicht nur in der Farbe wirkte er jünger. Sehr schöne Nase, etwas Kaffee, am Gaumen massive Säure, etwas stahlige Frucht und insgesamt eher eckig und rustikal wirkend 90/100. Die massive Säure hatte dieses Relikt vergangener Zeiten am Leben gehalten und wird dies auch noch eine ganze Weile tun.
Mehr Trinkspaß machte 1921 Montrose. Der hatte zwar eine leicht stahlige, blecherne Nase, war dafür aber am Gaumen trotz aller Struktur ganz und gar Montrose-untypisch zugänglich mit feiner Süße und Finesse 93/100. Was wiederum zeigt: wer seinen Montrose nicht mag, hat einfach nur ein paar Jahrzehnte zu wenig gewartet.
Ungeduld war auch beim nächsten Wein fehl am Platze. 1950 Cheval Blanc in einer perfekten Chateau-Abfüllung startete sehr verhalten. Er braucht viel Zeit und Luft. Rustikal und verschlossen waren da zu Anfang vielleicht mal gerade 90/100 im Glas, doch im 5-Minuten Rhythmus legte der Wein jeweils um einen Punkt zu. Wurde druckvoller, aromatischer und entwickelte im Schneckentempo die süchtig machende Cheval Blanc Nase. Beim letzten Schluck war ich dann sicher bei 98/100. Da hätte ich gerne mehr Zeit und auch mehr Wein im Glas gehabt. Auf Cheval Blanc wurden zwischen 1947 und 1955 reihenweise denkwürdige, extrem langlebige Weine erzeugt. Sollten Sie ein solches Stück aus zuverlässiger Lagerung und in gutem Zustand einmal in die Finger bekommen, bitt unbedingt eine Stunde vorher dekantieren und dann genau beobachten.
Spontan in die Probe eingebaut wurde dann das Mitbringsel eines Gastes. Den 1954 Nuits. St. Georges von Doudet-Naudin hätte am Tisch niemand so alt geschätzt und schon gar nicht in dieses ziemlich unterirdische Jahr geschoben. Ein sehr feiner, fruchtiger Burgunder mit immer noch schöner Farbe, am Gaumen eher schlank, mehr Finesse als Power, feiner Schmelz, erstaunliche Länge 94/100.
Zum Niederknien die nächste Paarung. 1959 Mouton Rothschild war das mit Abstand beste Exemplar, das ich von diesem Wein je getrunken habe. Mag sein, dass er jetzt endlich reif ist. Schon die fantastische Nase mit viel Minze, einem Hauch Eukalyptus, mit Bleistift und altem Sattelleder identifizierte ihn nicht nur sofort als großen Mouton, sie erinnerte auch stark an die Legende 45. Am Gaumen unglaublich dicht und von einer perfekt strukturierten Üppigkeit. Vinologische Dekadenz in ihrer schönsten Form 100/100. Völlig anders, aber keinen Deut schlechter und in sich ebenfalls absolute Perfektion 1959 Lafite Rothschild. Sehr viel feiner, eleganter als der Mouton. In der Nase Minze, aber auch Kräuter und eine feine Süße. Die Süße dieses sehr finessigen Weines seht sich am Gaumen fort, endlos im Abgang. Ein Jahrhundert-Lafite, jetzt auf dem Höhepunkt, auf dem er sicher noch 10-20 Jahre bleibt 100/100. Zwei derartige Jahrhundertweine in bestechender Form in einem Flight erleben zu dürfen, das ist ein denkwürdiges Ereignis, das alleine schon die weite Anreise lohnte.
Während ich noch versuchte, dieses einzigartige Erlebnis zu verdauen, stand vor mir schon die nächste Granate, 1962 Hermitage La Chapelle von Jaboulet-Ainé. Das war massig schwarzes Lakritz pur, so, wie man es nur beim Apotheker kaufen kann, Kraft ohne Ende, leicht animalisch, ein breitschultriger, sehr dichter Wein mit noch langer Zukunft 96/100.
Zu den unsterblichen Weinlegenden gehört auch 1947 Cheval Blanc. Auch damit verwöhnten uns unsere Gastgeber. Allerdings war dies eine nicht näher identifizierbare, belgische Händlerabfüllung. Die kam mit der Chateau-Abfüllung, wie ich sie noch vor 4 Monaten bei Jörg Müller genießen durfte, nicht mit. Das war hier ein kompletter, riesengroßer Wein, der aber sehr medoc-ähnlich wirkte und dem die portige Fülle und hedonistische Dekadenz der Chateau-Abfüllung fehlte 96/100. Wer bei einer Auktion oder im Internet auf eine der dort häufig angebotenen 47er Chevals bietet, sollte wissen, dass es hier riesengroße Unterschiede zwischen einzelnen Abfüllungen gibt. Die liegen nicht nur darin begründet, dass die Weine damals Fassweise ausgebaut wurden und nicht alle Fässer gleich gut waren. Auch der weitere Ausbau und die Abfüllung waren entscheidend und nicht immer von höchstem Standard. Dazu kommt natürlich, dass das Vorhandensein derartiger Abfüllungen ohne Korkbrand inzwischen massig Spitzbuben anlockt. Ich würde einen 47er Cheval Blanc heute nur noch gegen Vorlage einer damaligen Originalrechnung kaufen.
Eine Chateauabfüllung und einfach außerirdisch gut war 1955 Cheval Blanc. Ein unglaublicher Wein, immer noch so jung wirkend mit dem klassischen Cheval Blanc Parfüm als Nase, mit unwahrscheinlich druckvolle Aromatik am Gaumen, leicht portig, süß, unglaublich dicht mit feiner Minze und das alles in einem harmonischen Ganzen mit fast spielerischer Eleganz und Leichtigkeit 100/100. Eigentlich sollte ich diesen Tipp nicht geben, weil ich dann selbst vergeblich diesem Wein hinterher rennen werde. Aber der 55 Cheval Blanc ist kein bisschen schlechter als 47 und hält mit diesem in jeder Beziehung mit, außer im Preis.
Mit zwei Rousseau-Weinen kam dann noch einmal Burgund auf den Tisch. Den Vergleich dieser beiden Weine fand ich recht spannend. Der 1985 Chambertin Clos de Bèze von Armand Rousseau war ein recht schöner, gefälliger, schon verdammt reifer Burgunder neuen Stils, der mich aber nicht besonders anmachte 89/100. Das lag vielleicht am 1952 Chambertin von Armand Rousseau im Nachbarglas. Denn das war ein großer, kraftvoller Burgunder "aus der guten, alten Zeit" mit komplexer Nase, würzig, erdig, Tee, massig Kaffee, am Gaumen Kraft und Fülle mit wunderbarem Abgang. Wirkte in sich stimmiger und mit deutlich mehr Potential als sein 33 Jahre jüngeres Gegenstück 94/100.
Den Abschluss dieser denkwürdigen Verkostung bildete ein 1975 Trotanoy. Ein kräftiger, dichter, langer, großer Pomerol mit sehr dichter Farbe und immer noch massiver Tanninstruktur. Trotz schöner Frucht und feiner Süße wirkte er zumindest in dieser Flasche noch ein paar Jahre von der vollen Genussreife entfernt 92+/100. Bei 75er Pomerols ist mir das in der letzten Zeit häufiger aufgefallen, nicht nur bei Petrus. Die Weine entwickeln sich im Schneckentempo und haben eine grandiose Zukunft.