Vieux Chateau Certan 1945 bis 1995

Vieux Chateau Certan ist einer der großen Pomerols und doch völlig untypisch für die Region. Hier werden keine fetten Knaller erzeugt, sondern schlankere Weine mit mehr Finesse. Manchmal eher linkes als rechtes Ufer. Das mag an der Rebzusammensetzung liegen. Die betrug traditionell 50% Merlot, 25% Cabernet Franc, 20% Cabernet Sauvignon und 5% Malbec. In jüngeren Jahren stieg der Merlot-Anteil auf 60%, Cabernet Franc 30% und Cabernet Sauvignon 10%.
Mein Weinfreund Johannes hat im März 2005 dankenswerter Weise auf der Stromburg mit einer großen Vertikalprobe die Möglichkeit gegeben, die Entwicklung dieses Chateaus über 50 Jahre zu verfolgen.

Im ersten Flight hatten wir leider gleich den ersten von drei Totalausfällen.
1990 stank wie die Hölle und war eindeutig fehlerhaft. Verpasst haben wir da aber sicher nicht viel. Ich habe diesem eher enttäuschenden Wein aus dem Superjahr 1990 noch nie viel abgewinnen können.
1993 war ganz nett mit einer metallisch wirkenden Nase, florale Aromen, mehr Tannin als Frucht, da fehlt einfach das Gleichgewicht. Ist sicher langlebig, wird sich aber nicht mehr verbessern 86/100.
1995 war eigentlich ein Superjahr in Pomerol. Nicht so bei Vieux Chateau Certan. Hier wurde ein eher schlanker Wein erzeugt. Deutlicher Holz- und Vanilleton, feine Süße. Leider aber auch deutliche Spuren von TCA. Letzteres verschwindet mit der Zeit etwas, macht Cigarbox und etwas Leder Platz, wird dann aber wieder stärker. Kein Ruhmesblatt, dieser Wein 88/100.

Im nächsten Flight standen sich die Jahrgänge 67,66 und 62 gegenüber.
1967 war reif, auch in der Farbe. Am Gaumen zeigte er eine feine Süße, aber auch hohe Säure. Wurde mit der Zeit immer gefälliger und entwickelte eine schöne karamellige Süße, die an alte YGAYs erinnerte. Bald mit viel Genuss trinken 91/100.
1966 war ein klassischer 66er, mehr Pauillac als Pomerol, kompakte Frucht, eckig, hart und kantig wirkend. Wurde im großen Glas mit viel Luft deutlich besser 89/100.
1962 gefiel mir ausnehmend gut. Ein perfekt gereifter, toller Wein, geprägt von reifem Merlot mit faszinierender Nase und beeindruckender Aromatik. Habe ich noch nie so groß erlebt 94/100.

Der Wein des Abends kam dann im nächsten Flight.
1955 hatte in dieser perfekten Flasche noch eine ziemlich junge, dichte Farbe. Am Gaumen sehr kräftig, aber mit feinem Schmelz, tolle Frucht, Lakritz, sehr lang im Abgang, sicher noch gut für 10-15 Jahre, in dieser Flasche war der Wein einfach perfekt 100/100. Ich habe den 55er Vieux schon mehrfach getrunken und konstant mit 97-99/100 bewertet. Ein Wein den zu suchen sicher lohnt.
1953 stand kaum dahinter. Vielleicht etwas reifer, aber ebenfalls mit sehr dichter Farbe. Ein kompletter, großer Wein, ebenfalls mit traumhafter Aromatik, entwickelte feine Minze, die an Lynch Bages und alte Kalifornier erinnerte. Auch dieser Wein ist in guten Flaschen wie dieser sicher noch 10+ Jahre haltbar 97/100.
1959 war in diesem Flight auf hohem Niveau der schwächste und fiel deutlich ab. Eher etwas filigraner, sehr feinduftig, in der Nase deutliche Teernote, am Gaumen fehlte die Konzentration, dafür etwas zuviel Säure - 93/100.

Auf sehr hohem Niveau ging es dann weiter.
1952 hatte wiederum eine sehr dichte Farbe. Massig Schokolade, Mokkatöne und Kaffee, dazu etwas Lakritze. Entwickelte mit der Zeit eine karamellige Süße. Der 52er aus diesem oft übersehenen, großen Jahr ist sicher auf dem Höhepunkt 98/100.
1971 wurde seiner Rolle als Geheimtip wieder voll gerecht. Wieso eigentlich Geheimtip, wo doch 1971 in Pomerol ein Traumjahr war, größer als 1970? Magere 74(!)/100 finden sich für diesen Wein bei Parker, der diesem Wein bei seiner letzten Verkostung 1979(!) bescheinigte, er sei dünn und gehöre ausgetrunken. Bei Gabriel findet sich keine Notiz, nur Broadbent gibt immerhin 4 Sterne. Ideale Voraussetzungen also, um da noch mal auf einer Auktion ein Schnäppchen zu machen wenn ich Ihnen nicht zuvorkomme. Ich kaufe (und trinke) seit Jahren alle 71er Vieux, derer ich habhaft werden kann. Der Wein ist voll auf dem Punkt, reif und dabei so schmelzig und würzig mit feiner, malziger Süße. Der Cabernet Franc gibt ihm wieder eine starke Lakritznote, dazu kommen Kaffee- und Mokkatöne 95/100.
1961 hatte eine dichte Farbe, war aber leider korkig und untrinkbar. Das war sehr schade, denn ich habe diesen im positiven Sinne burgundisch angehauchten Wein bisher gut 6mal getrunken und konstant mit etwa 95/100 bewertet. Mehr dazu in meinen 61er Verkostungsnotizen.

Der in der Summe stärkste Flight und die drei am Tisch höchstbewerteten Weine waren dann die Jahrgänge 1945, 1947 und 1949.
1945 hatte eine Mörderfarbe. Wirkte in Nase und Gaumen etwas Medizinal, Hustensaft, zu lange gezogener Tee, leider auch deutliche auch Oxidationstöne, einfach überreif und für einen Klassiker zuviel des Guten 95/100. Ich diesen Wein schon in besseren Flaschen ohne Oxidation erlebt. Dann sind da noch ein paar Punkte mehr drin.
1947 hatte eine erstaunlich helle Farbe. Zeigte zu Anfang leichte Spuren flüchtiger Säure, was sich aber verlor, zeigte auch wieder die deutliche Teenote des 45ers, war aber insgesamt ausgewogener und baute sehr schön im Glas aus, entwickelte dabei eine feine Süße, irre Länge am Gaumen 97/100.
1949 war ein sehr aromatischer, feinduftiger, etwas leichterer Wein, der in diesem Superflight aud wiederum sehr hohem Niveau nicht ganz mitkam. Dabei gereichte ihm sicher nicht zum Nachteil, dass er eine feinere Frucht und dafür kaum Teenote hatte 94/100.

Nach diesem Feuerwerk hatten es die nachfolgenden Weine natürlich schwer.
1978 riss mich nicht vom Hocker, ein gefälliger, harmloser Schmeichler mit heller Farbe, hat seinen Höhepunkt bereits hinter sich, würde ich in den nächsten Jahren austrinken 86/100
1975 aus diesem großen, aber viel Geduld verlangenden Pomeroljahr startete bissig und ungenerös. Im Glas entwickelte er sich wurde er mit der Zeit immer besser 88/100. Ich würde diesen Wein, der eine gesunde, dichte Farbe hat, einfach noch ein paar Jahre weglegen. Der ist dann in ein paar Jahren noch mal für eine positive Überraschung gut.
1970 kam als unangenehmer, bissiger Säuerling ins Glas. Entwickelte sich mit der Zeit etwas, aber da ist keine Substanz dahinter. Hat wahrscheinlich auch kein Potential mehr. Schade, aus dem Jahr hätte man mehr machen können 84/100

Im nächsten Flight kam dann der dritte Totalausfall. Drei korkige Weine bei 24 älteren Flaschen eines namhaften Weingutes kann zwar mal passieren, ist aber eigentlich zuviel.
1986 hatte eine sehr dichte Farbe und Kork!
1989 aus diesem sonst so großen Jahr macht mich ratlos. War es das schon oder kommt da noch was? Sehr viel Tannin und zuwenig Frucht. Trinkt sich nicht schlecht, aber mehr als 88/100 sind da beim besten Willen nicht drin. Ich habe diesen Wein schon mehrfach deutlich besser getrunken.
1988 machte mich nicht minder ratlos. Ich habe den 88er Vieux Certan schon ein gutes Dutzend mal getrunken und oft mit 92+/100 bewertet. In dieser Flasche zeigte er viel Kraft, feinen Schmelz, wirkte aber auch etwas eckig und mit wenig Potential 88/100.

Etwas besser waren dann die Weine aus der ersten Hälfte der 80er
1983 war erstaunlich reif, dabei sehr schön zu trinken, richtig süffig mit malziger Süße, lange aufheben würde ich so was aber nicht mehr 91/100
1982 war der schwächste des Flights und für das große Jahr eine herbe Enttäuschung. Ein nichtssagender, ziemlich dünner Wein, den man sich nicht merken muss und der seine Zukunft bereits hinter sich hat, 1992 hatte ich bei einer Drawert-Probe schon "bald trinken" notiert 85/100.
1985 gefiel mir da schon deutlich besser. Powerfarbe, sehr konzentriert und noch fast jugendlich wirkend mit guter Frucht und feiner Süße 90/100

Blieben aus früheren Verkostungen noch ein paar interessante Jahrgänge nachzutragen, die jeweils in meiner Jahrgangsübersicht ausführlicher beschrieben sind. 1948 ist ein Riese und für das Jahr ein Ausnahmewein. Das gilt auch für den 1950er aus diesem großen Pomerol-Jahr. Sehr gut hat mir mehrfach auch 1964 gefallen, der aber inzwischen von der Reife her verdammt gefährlich leben dürfte.
Von den neueren Jahrgängen vorbehaltlos empfehlen kann ich den mehrfach verkosteten 1998er. Nach über 25 eher enttäuschenden Jahren scheint Vieux Chateau Certan mit diesem Jahr wieder die Kurve gekriegt zu haben.