Weihnachts-Tasting

Von ihrer besten Seite präsentierte sich die malerische Landschaft der Chiemgauer Berge an diesem Adventswochenende. Tief verschneit zeigte sich etwas verfrüht ein Hauch von Weißer Weihnacht. Für 26 Weinfreaks war an diesem Abend ohnehin schon eine Art Bescherung angesagt. Die Gebrüder Unger hatten zu einem großen Weihnachts-Tasting in ihr neues, imposantes Gebäude nach Frasdorf gebeten.
Stilgerecht wurden wir mit Billecart Salmon Champagner aus der Magnum empfangen. Für mich persönlich einer der schönsten normalen Champagner und sicher einer der seinen-Preis-wertesten. An der langen, festlich gedeckten Tafel in einem der Ungerschen Eventräume erwartete uns danach ein Glas 1990 Veuve Clicquot Rosé aus der Magnum. Gut, dass der einzige, richtige Reinfall des Abends gleich zu Anfang serviert wurde. So wurde dieses Machwerk schneller vergessen. Erste Anmutung war leicht alkoholisierter Himbeersaft mit Sprudel. Damit hätte ich ja noch leben können. Aber dann wurde dieses fürchterliche Gesöff immer fischiger, aus Frucht wurde zu kaltes Fisch-Carpaccio, Räucherlachs. Auch im kurzen Abgang keine Suchtgefahr, denn da blieb nichts, aber auch rein gar nichts 82/100.

Mit drei 90ern starteten wir in die eigentliche Probe. Unumstrittener Star des ersten Flights ein 1990 Beauséjour Duffau Lagarosse. Was für ein gewaltiges Konzentrat. In der Nase rauchige Tone, Teer und schwarze Früchte, am Gaumen Kraft ohne Ende, perfekte Tanninstuktur, hohe Mineralität und irre Länge. Ein Wein gemacht für die Ewigkeit und mit klarem 100/100 Potential. Aber wann? 98+/100 bringt dieser faszinierende Weinriese auch schon heute ins Glas. Da war 1990 Tertre Roteboeuf ein ganz armer Wicht gegen. Der war in dieser Flasche völlig neben der Spur und hoffentlich leicht fehlerhaft. Sonst sähe ich für diesen, derzeit ohnehin recht verschlossenen Wein verdammt schwarz. Säuerlich-mickrige Nase, das Chlorwasser eines Hotel-Hallenbades, wurde fischiger, jodig, was die zarte Sauerkirschfrucht deutlich überdeckte, auch am Gaumen eher etwas säuerlich wirkend. So macht der Tertre Roteboeuf nun wirklich keinen Spaß 85/100. Etwas deplaziert wirkte auch 1990 Troplong Mondot. In seiner tragenden, schwermütigen Art passte dieser Wein eher auf eine hochwertige Beerdigung, als auf ein Weihnachts-Tasting. Da spielte leider nicht Mozart im Glas, sondern Bruckner. Gewöhnungsbedürftig die Nase, Jod, Teer, aber auch etwas Möbelpolitur und das Bittere vom Chicorée. Trotzdem nicht alt wirkend, sehr viel Kraft und immer noch präsente Tannine, eher in Richtung eines Amarone gehend 90/100. Angesichts meiner eigenen Bestände dieses Weines kann ich nur hoffen, dass da irgendwann der Spaß ins Glas zurückkehrt.

Als großer Bordeaux ging mal wieder 1991 Dominus durch. Im Schneckentempo entwickelt sich dieser gewaltige Wein, der heute 93++/100 ins Glas brachte und das Zeug zum besten Wein aus 1991 hat. Nur sicher noch mindestens 10 Jahre Geduld sind angesagt. Deutlich üppiger, zugänglicher und kalifornischer 1991 Heitz Trailside Vineyard. Trotzdem ist das bei aller Gefälligkeit kein kalifornischer Marmeladentopf, sondern eher ein klassischer, großer Heitz mit bester Struktur, sehr minzig und mit einem guten Schuss Eukalyptus. Auch dieser Wein noch mit beachtlichem Alterungspotential 94/100. Große Probleme bereitete mal wieder der dritte Wein, ein 1990 Montrose. Der zeigte sich diesmal von einer geradezu unanständigen Seite. Wie eine prall gefüllte Windel roch er, um das Wort Sch... nicht zu gebrauchen. Klar sind da am Gaumen Kraft und Fülle, aber auch hier dieser ungewöhnliche Touch von Kloaka Maxima. Gutwillige 88/100 für einen unverständlichen Wein, den ich in 2007 von grottenschlecht bis 100/100 schon mehrfach in allen Varianten getrunken habe. Da scheint es keine Flaschenvariation zu geben. Bei 1990 Montrose ist wohl in jeder Flasche etwas anderes.

Riesengroß der nächste Flight. 1982 La Mission Haut Brion wird irgendwann in 10 Jahren in den Kampf um die Krone des besten La Mission des letzten Jahrhunderts eingreifen. Immer noch so jung ist dieser unglaublich konzentrierte La Mission. Klar, da ist diese klassische, von Cigarbox geprägte Nase, massig Teer, aber auch Trüffel, am Gaumen unglaubliche Dichte und Länge. Natürlich ist dieser Wein in 10 Jahren noch besser, aber ich habe ihn selten so gut im Glas gehabt, wie an diesem Abend 98+/100 mit 100/100 klar im Visier. 16 halbe Flaschen hatte ich mal von diesem Wein. Neugier und Lust haben mich über die Jahre dazu gebracht, aus 15 davon den Korken zu ziehen, alle viel zu früh. Noch länger als der La Mission könnte 1982 Leoville las Cases brauchen. Hätte ich diesen superdichten, konzentrierten Riesen mit seiner undurchdringlichen Farbe, dieses tanninbeladene Monstrum nicht in seiner unbeschreiblichen Fruchtphase gekannt, würde ich sicher wie so viele Weinfreunde an diesem Brocken verzweifeln. Also, auch hier 100/100 in Sicht, aber nur für Weinfreunde mit sehr guter Gesundheit. Die 100/100 hinter sich hat leider schon die 1982 Pichon Comtesse de Lalande. War das 20 Jahre lang ein geiler Schmusewein! Diese Phase ist leider vorbei. Doch baut die Comtesse nicht unbedingt ab. Nur ist eben aus diesem besten Pomerol, der in Pauillac je erzeugt wurde, ein echter Pauillac ohne den unwiderstehlichen Schmelz früherer Tage geworden. Dicht, kraftvoll, perfekt strukturiert und immer noch sicher auf 97/100 Niveau. Bleibt die Frage, wie es weitergeht. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Comtesse in 10 Jahren im Stadium voller Reife noch mal einen süßen Rückblick auf vergangene Zeiten gibt.

Und dann kam ein Flight, der alleine schon die Anreise wert war. Die ersten beiden Jahrgänge des Caymus Special Selection hatten wir vor uns, beide aus perfekten Magnums. Schlichtweg sensationell und außerirdisch gut 1975 Caymus Special Selection. Der war so minzig, so frisch, so mineralisch, dicht und lang am Gaumen mit dem klassischen Schuss Eukalyptus. Nicht die Spur von Alter und dieser irre Spagat zwischen Kraft und Eleganz, immer noch mit wunderbarer Frucht und unerhörter Komplexität. Kaum vorstellbar, aber um Längen über den vorher getrunkenen 82er Bordeaux. Da sind Weihnachten, Silvester, Geburtstag und noch ein paar andere Feiertage gleichzeitig im Glas, 100/100 ohne Wenn und Aber. Natürlich konnte der 1976 Caymus Special Selection da nicht mit. 1976 war nun mal auch in Kalifornien der deutlich schwächere Jahrgang. Und trotzdem zeigte auch dieser Wein, der auf sehr hohem Niveau wie eine Art Zweitwein des 75ers wirkte, erstaunlich viel Frische und Komplexität bei identischer Handschrift, nur eben nicht diese dramatische Dichte 94/100. Getrunken habe ich dann vom 76er doch das unglaubliche Depot, das wiederum noch sehr viel frische, konzentrierte Frucht zeigte und dem 75er deutlich näher kam. Gerade das Depot ist oft eine Art Essenz des Weines, konzentrierter, dichter, frischer als alles, was in den Decanter kam. Ich kann nur dringend empfehlen, bei größeren, älteren Weinen auch mal das Depot zu probieren. Das mag zwar manchmal etwas unappetitlich aussehen, ist aber weder schmutzig noch giftig.

Für alle nachfolgenden Weine musste es jetzt natürlich verdammt schwer werden. Doch mit einem geschickt gewählten Dreierflight Chateau Latour erfolgte kein Abstieg, sondern nur ein Wechsel in eine andere Welt. Sofort als klassische Pauillac waren die drei Weine zu erkennen. Alle drei hatten die typische Latour-Nase mit Trüffeln und der leicht bitteren Walnuß-Aromatik. Sie unterschieden sich hauptsächlich in Kraft und Reife. 1962 Latour war trotz Magnum schon sehr weit entwickelt. Ein sehr feiner, reifer, aromatischer Latour mit ganz leicht metallischen Tönen. Immer noch ein Genuss, aber aus dieser Magnum deutlich reifer und weiter, als eine noch im Sommer getrunkene 1tel 92/100. Sehr fein und für einen Latour erstaunlich schmeichlerisch kam 1964 Latour daher, der durch sein massives Tanningerüst aber noch ein langes Leben haben dürfte. Zeigte eine unglaubliche Länge am Gaumen 95/100. Der Star des Flights war natürlich 1970 Latour. Trotz fast 40 Jahren immer noch ein Weinbaby mit junger Superfarbe und massivem Tanningerüst. Kraft ohne Ende und eine recht zögerliche Entfaltung im Glas, doch das extreme Potential dieses Riesen war am Gaumen und im langen Abgang sehr deutlich spürbar. Locker 97/100 waren da im Glas und die 100/100 in Sichtweite. 70 Latour in guten Flaschen wie diesen ist ein ebenbürtiger Gegner für den großen 82er. Ich habe die Entwicklung beider Weine schon einmal einen ganzen Abend lang gegeneinander verfolgt, mit einem hauchdünnen Sieg des 70ers nach drei faszinierenden Stunden auf der Zielgeraden.

Und schon wieder durften wir mit drei Cabernets in die Welt des großen Kalifornien-Jahrgangs 1975 eintauchen, der nur wenig hinter der Legende 1974 zurücksteht. Einfach schön 1975 Mondavi Reserve. Schwarztee ohne Ende, Minze, wunderbare Süße, ein sehr feiner, eleganter Wein, der im Glas immer besser wird und sicher noch Potential für ein gutes Jahrzehnt hat 94/100. Heitz vom Feinsten dann 1975 Heitz Martha s Vineyard. Ein komplexes, kraftvolles und sehr vielschichtiges Riesenteil, das am Gaumen kaum aufhört, mit einer betörenden, von Minze und Eukalyptus und Minze dominierten Nase 98/100. Etwas weniger generös als der Heitz, dafür deutlich giftiger und zupackender der 1975 Mayacamas. Die Nase eine Mischung aus Schwarztee, Minze und Eukalyptus, leicht exotisch wirkend, am Gaumen dicht, komplex, üppig und dabei sehr trocken 97/100.

Mit drei Weinen aus dem großen Bordeaux Jahrgang 1959 schloss der offizielle Teil dieser schöne Probe. Lediglich der 1959 Canon schwächelte in diesem Flight etwas, der hatte wohl schon deutlich bessere Zeiten gesehen. In der Nase sehr medizinal mit viel Jod und auch etwas Minze, am Gaumen erst komplex wirkend, aber dann immer pilziger werdend, Penicillin ließ grüßen 85/100. Da war 1959 Gaffelière-Naudes schon von anderem Kaliber. In dieser Flasche reif und auf dem Punkt, ein Altwein-Erlebnis par excellence. Massig Kaffee, karamellige Süße, druckvolle Aromatik am Gaumen 95/100. Noch eine Ecke mehr Spaß machte der großartige 1959 Canon-la-Gaffelière, exotisch-üppig, würzig, süß und sehr lang am Gaumen 96/100.

In kleinem Kreise war uns zu vorgerückter Stunde noch nach einem flüssigen Dessert. Das fand dann ein edler Spender in den unerschöpflichen Ungerschen Kellern in Form eines 2001 d Yquem. Im letzten Jahr hatte ich diesen größten, jungen Süßwein, der je an meinen Gaumen kam, noch mehrfach mit 100/100 getrunken. Inzwischen hat er sich zwar etwas verschlossen und lässt sein gesamtes, irrsinniges Potential nur noch erahnen, ist aber nach wie vor ein sehr beeindruckender, konzentrierter Stoff. Für die Ungers war dieses Tasting eine gelungene Generalprobe für viele, weitere Events, die hier in ähnlichem Rahmen folgen sollen.

Harlan aus der Impi

Ich hatte im Frühsommer schon einmal das Vergnügen, in diesen heiligen Hallen großem Weingenuß frönen zu dürfen. Geladen war damals zu einer Art inoffizieller Eröffnung, einem Housewarming der besonderen Art. 150 festlich in Abendgarderobe gekleidete Gäste wurden seinerzeit unter anderem mit einem fürstlichen Weinbuffet verwöhnt. Von diesem Event trage ich gerne noch ein paar Verkostungsnotizen nach. Die geladenen Winzer unter den Gästen hatten es sich nicht nehmen lassen, interessante Gewächse beizusteuern. Kultwinzer Bill Harlan z.B hatte außer seiner Familie und dem Top Management seines Gutes auch eine Imperiale 1992 Harlan mitgebracht. Harlan aus der Impi, noch dazu aus der Flasche mit der No. 1, das war ein grandioses Erlebnis, wie es wohl nicht allzu viele Weinfreunde jemals erleben dürften. Der Wein selbst war auch aus dem großen Format sehr weit und reif, auch in der Farbe, und wirkte von der Stilistik her eher wie ein großer, komplexer, gereifter Bordeaux 96/100. Doch das war nicht der einzige Harlan an diesem Abend. Mit dabei war auch 2003 Pluribus, Harlans neuester Wein aus der Bond-Serie. Da spielte Fat s Dominos Blueberry Hill im Glas. So eine unbändige Frucht, soviel Blaubeere mit gleichzeitig perfekter Struktur. Da kamen selbst im nicht so prickelnden Jahrgang 2003 spontan locker 96/100 zusammen. Verkosten durfte ich diesen Wein praktischerweise mit Harlan Winemaker Bob Levy.
Und wer wollte ja, wer wollte da eigentlioh nicht! konnte mit der charmanten Ann Colgin über ihren 2000 Cariad philosophieren. Letzterer zeigte sich offen, fruchtig, üppig und von seiner besten Seite 95/100.
Fasziniert war ich auch von 2004 Pingus, den ich hier zum ersten Mal, und dann auch noch gleich aus vollem Glas trinken konnte. Da war natürlich viel Fantasie gefragt. Pingus im neuen Stil, wie er seit 2003 erzeugt wird, erschließt sich nicht mehr so schnell wie früher und braucht etliche Jahre zur Entwicklung. Unbändige Kraft entfaltete sich da im Glas. Ein schwarpurpurner Riese, der noch einen Tick über 2003 in 5-10 Jahren mal irgendwo knapp unter der 100/100 Marke landen dürfte.
Stefan Graf Neipperg hatte seinen 2003 La Mondotte mitgebracht. Das ist sicher, wie der größte Teil der in meinen Augen völlig überbewerteten 2003er Bordeaux, kein Langstreckenläufer. Aber wer da seine 6er Kiste aufmacht und eine Flasche dieses spontan anmachenden, extravaganten Show-Weines herausholt, trinkt die restlichen Flaschen sowieso in den folgenden Wochen aus. Begeisternder, üppiger, würziger, offener Weinspaß, auf den man weder warten muss noch sollte 93/100.
Das gilt ähnlich auch für 2003 Cos d Estournel, den der ebenfalls anwesende Jean-Guillaume Prats mit hatte. Bordeaux-Stilistik bei Harlan, kalifornische Opulenz bei 2003 Cos, der gegenüber Mondotte aber etwas mehr Struktur und Länge zeigte 95/100.
Das alles nur ein paar der herausragende Weine an einem Abend, der mit anregenden Gesprächen wie im Fluge verging.
Einen Spaß ließ ich mir zu fortgeschrittener Stunde nicht nehmen. Der Harlan Crew servierte ich blind aus den Unger-Kellern zu später Stunde den sensationellen 100/100 2002 Melbury aus ihrem eigenen Weingut. Den erkannten sie zwar nicht, wohl aber die überragende Qualität dieses Stoffes und wunderten sich nur, dass Unger schon Premier Crus aus 2005 da hatte.

Die 1992 Harlan Imperiale No. 1

Die 1992 Harlan Imperiale No. 1