Wobelesch bei Uwe Bende

Das war hoch spannend, was Uwe Bende da auf seiner "Wobelesch"-Probe in Bochum in die Gläser brachte, nicht nur der unglaubliche 1950 Chianti aus der Bastflasche.

Wobelesch? Das war Uwe s originelle Abkürzung für Wo(rst)Be(st)Le(cker)Sch(mecker), eine spannende Weinreise durch 3 Jahrhunderte mit Hochrisikoflaschen, teils gerade mal halbvoll, Granaten und Überraschungen.

Startschuss ein 2001 Scharzhofberger Pergentsknopp, die Paradelage von Van Volxem. Reife, mineralische Petrolnase, gute Säure, Kraft, Fülle, salzige Mineralität, im jetzigen Stadium mehr Kraft als Eleganz, da tanzte Klitschko Ballett, wird sich sicher noch eine Weile weiterentwickeln 93/100. Zumindest schon mal ein guter Anfang.
Leicht grenzwertig dann die Abteilung Prickelnd. Eine rote Farbe hatte der 1959 Cremant de Bourgogne extra dry von Paul Robin, leicht animalisch mit deutlichen Mufftönen, aber noch gut trinkbar 80/100. Im anderen Glas ein Charles Heidsieck Brut aus den 60ern mit viel Säure, bissig, schwierig 78/100. Aber da mussten wir halt durch, ebenso wie durch die nur noch halbvolle Flasche Montrachet aus den 40ern. Das helle Braun erinnerte eher an das Ergebnis eines Darmvirus, der Gaumen war gruftig und sauer, die Nase ging sogar noch. Immerhin trinkbar, wenn auch ohne große Freude, war ein besser gefüllter 1953 Chassagne Montrachet von Bouchard mit viel Säure und wenig Charme 81/100. Alle vier Flaschen stammten wohl aus der Abteilung "Wo". Dass es auch deutlich besser ging, zeigte ausgerechnet ein 1954 Chassagne Montrachet 1er Cru Les Ruchottes von Ramonet Prudhon, für den ich schon alleine wegen des Jahrgangs keinen Pfifferling gegeben hätte. Aber der entpuppte sich als Riesen Überraschung, erstaunlich schön, voll intakt, nussig, gute Fülle, sehr komplex mit präsenter, aber reifer Säure, Trinkspaß pur und für das Jahr ein Traum 91/100.

Risiko kann also durchaus lohnen. Das zeigte auch ein 1917 Chambolle Musigny von Flouche-Fils aus einem weiteren Unjahr. Gut, der hatte eine leicht gezehrte, säuerliche Nase, die mit der Zeit immer korkiger wurde, erstaunlich intakt dagegen die Farbe und am Gaumen war viel pikante Frucht, könnte ohne Kork durchaus eine 90/100 Überraschung abgeben. Nur ein handschriftliches Etikett ohne Erzeuger hatte der 1947 Clos des Mouches. Bei dem störte zu Anfang ein leicht seifiger Ton in der Nase, der aber rasch verschwand, am Gaumen war da eine wunderschöne, süße, burgundische Fülle, baute enorm aus im Glas und zeigte immer mehr malzige Süße und einen gut gesüßten Milchkaffee 92/100. Ziemlich hin dagegen ein 1947 Clos des Mouches der Societé Civile Vinicole de Beaune, also einer Winzergenossenschaft. Der wirkte aus der schlecht gefüllten Flasche sehr reif mit oxidativer Nase und verabschiedete sich dann schnell völlig.

Enttäuschend und ziemlich schwach ein 1928 Beychevelle Vandermeulen aus einer ms" Flasche 84/100. Aus der Chateauabfüllung kenne ich das nur als großen Wein. Der schon ziemlich reife 1947 Talbot mit us" in einer Cordier-Abfüllung hatte die Gemüsenase eines alten Rioja, am Gaumen schlank, feine Aromatik, malzige Süße, auch im Abgang süß 89/100. Der 1952 Palmer in einer Mähler-Besse Abfüllung hatte nicht nur eine sensationelle, dichte Farbe, sondern auch eine sehr druckvolle Aromatik, wäre ohne den leichten Kork sicher ein 94/100 Riese gewesen. (wt 11/2010)

Nur noch als Anschauungsobjekt diente ein völlig untrinkbarer 1926 Volnay Clos des Becasses mit totaler Farbausfällung.

Und dann hatte ich als vielleicht einziger Mensch der Erde(außer natürlich Uwe) das Vergnügen den 1872 Aßmannshäuser zum zweitien Mal zu trinken. Gut, das war jetzt kein Hurra-Rotwein, aber immerhin trotz leicht gezehrter Nase und etwas metallischem Gaumen voll trinkbar und damit noch etwas besser als die erste Flasche. Vom reinen Genussfaktor her kamen da noch erstaunliche 81/100 ins Glas. Alle Japaner und sonstige Touristen, die sich mit strahlenden Gesichtern neben den Altertümern Europas ablichten lassen, bedienen sich für den Erlebnisfaktor der nach oben offenen Skala.

Was macht man mit einer Händlerabfüllung aus der Vorkriegszeit ohne Etikett und ohne Korkbrand? Bei Etikettentrinkern kann man mit solch einem namenlosen Burgunder aus den 20er bis 40er Jahren trotz perfektem Füllstand nicht punkten, wohl aber bei Weingenießern wie mir. Der war süß, generös, mit burgundischer Pracht und Fülle und einfach nur großartig 95/100.

Und dann kam für mich der Hammer der Probe, ein 1950 Chianti in der Bastflasche(!) von I.L. Rufino. Sehr hell die klare Farbe, herrliche Nase, auch am Gaumen so fein, so süß, so verschwenderisch, ging als großer, reifer Burgunder durch 94/100. Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, dass er mit der Zeit etwas nachließ, aber da hatte ich schon mehr als ein Glas dieses Ausnahmeweines aus meinem Geburtjahr intus. Da darf man gar nicht daran denken, dass dieser Wein bei Ebay sicher nicht mal einen klitzekleinen Bruchteil dessen kosten würde, was dort für die meist nicht sehr echten Petrus aufgerufen wird. Gewaltiges Potential zeigte auch mal wieder 1950 Nenin in einer belgischen Händlerabfüllung, Süße, Kraft, Fülle, Frucht und Bitterschokolade satt. Nur waren wir wohl zu früh dran. Mächtig baute der Nenin im Glas aus, das leider bei 93/100 leer war. Uwe hat den Rest der Flasche am nächsten Tag zum Mittagessen getrunken und hatte mindestens drei Punkte mehr im Glas. Soviel zum Alterungspotential der großen Pomerols aus 1950. Und dann war da noch so ein kaum-zu-glauben Wein, ein 1950 Recougne Bordeaux Superieur. Der hatte nicht nur eine dermaßen sensationell dichte und junge Farbe, sondern auch die dazugehörige Statur. Sehr lakritzig in der Aromatik, Teer, Tabak, geht locker als großer Pessac durch 95/100. Vom gleichen Chateau tranken wir dann noch zwei weitere Jahrgänge. Der 1961 Recougne war vielleicht nicht ganz auf diesem Niveau, aber ebenfalls hochklassig, süßer, offener, weicher mit etwas weniger Struktur 94/100. 1966 Recougne fiel im direkten Vergleich deutlich ab, kein schlechter Wein, aber eckiger, monolithischer 88/100.

1950 Chianti aus der Bastflasche!

1950 Chianti aus der Bastflasche!

In einem roten Dreierflight war dann ein Vosne Romanée ohne Jahrgang und Herkunft gut zu trinken(85/100), aber mehr auch nicht. Die Überraschung stammte aber aus den beiden anderen Gläsern. Ein 1984 Pinot Noir Salquenem aus dem Wallis von den Caves Mövenpick verband in überzeugender, harmonischer Form Kraft, schöne Frucht und viel Schmelz 94/100. In dieser Qualität hatte ich noch so einen guten , mit 26 Jahren verhältnismäßig alten, Schweizer Rotwein im Glas. Der Gipfel aber war ein 1961 Amselfelder Spätburgunder König Lasar, dieser fast 50 Jahre alte Supermarktwein hatte zwar eine helle, leicht trübe Farbe, war aber mit einer unglaublich dekadenten, malzigen Süße einfach traumhaft gut zu trinken . 93/100. Da lernt man den Vorteil einer Blindprobe kennen. "Sehend" hätte die Süße dieses Weines gegen die vielen, bittren Vorurteile wohl keine Chance gehabt. Ach ja, dann wird doch immer diskutiert, ob Weine mit Schraubverschluss altern können. Dieser hier hatte einen ..

Uns Uwe ist eigentlich der deutsche Chateauneuf-Liebhaber und Kenner schlechthin. Da hatte ich mich schon gewundert, dass aus dieser Ecke nichts ins Glas kam. Mit einem kurzen, aber extrem heftigen Feuerwerk holte er das nach. 100 Punkte gibt Robert Parker, der Uwes Chateauneufliebe teilt, dem 2007 Chateauneuf-du-Pape Cuvée Vieilles Vignes der Domaine de la Janasse. Mit den 100 Parker-Punkten ist das so eine Sache. Der gute Mann schreibt im Oktober 2009 100 dran, gibt dann aber ein Trinkfenster von 2013-2042, was nichts anderes heißt, dass bis zum echten 100-Punkte-Erlebnis noch mindestens 4 Jahre vergehen. Und genau dieses Gefühl hatte ich hier auch. Das ist schon ein gewaltiges Geschoss, dieser Janasse, überbordende, satte, reife und sehr süße Frucht, von der Pflaume über die Kirsche und die Himbeere bis zur Erdbeere wie frisch im Moment de perfekten Reife gepflückt, sehr würzig, mineralisch, aber eben im Moment auch extrem üppig und ausladend. Solange das Babyspeck ist was ich vermute kann ich damit leben. Dann wird einfach ein paar Jahre mit der nächsten Flasche gewartet. Sollte hier aber dauerhaft Pamela Anderson aus dem Glas quillen, dann ist das nicht mein Wein. Ich setze mal auf Babyspeck, übe mich in Geduld, gebe 96+/100 und freue mich auf Uwes überübernächste Probe. "Nur" 99+/100 gibt Parker dem 2007 Clos des Papes. Für mich war das der deutlich feinere, größere, komplexere und längere Wein, aber auch hier sind noch etliche Jahre Warten angesagt 97+/100.

Drei Jahrhunderte umfasste die Probe, drei Erdteile der letzte Flight. Lag der 1976 Black Opal Southern Vales Shiraz aus Australien mal wie der Amselfelder in einem Supermarktregal? Erstaunlich, wie jung der sich noch präsentierte, mit dieser betörenden, pfeffrig-würzigen Frucht, dabei so harmonisch am im positiven Sinne schlanken Gaumen. Ja, das gab es wirklich mal, Australier mit 12,8%, von denen man auch mal eine Flasche trinken konnte 91/100. Der 1977 Chateau St. Michelle Cabernet Sauvignon aus Washington State hatte wohl einen Fehler, denn eigentlich waren diese Weine recht langlebig und 1977 an der amerikanischen Westküste nicht so schlecht. Aber diese Mischung aus Minze und nassem Hund war schon leicht grenzwertig 81/100. Wenig Freude auch bei einem 1978 Meerlust Cabernet Sauvignon aus Südafrika, viel Kraft noch, aber wenig Freude, Blumenerde, bittre Medizin, wohl schon über die Zeit 83/100.