Das Kierdorf Festival 2010

Einen wichtigen Nachtrag gibt es noch aus dem Januar, die Highlights des diesjährigen Kierdorf-Festivals im Schloss Hugenpoet. 38 Winzer, 240 Weine und 450 fachkundige Besucher machten daraus so etwas wie den Neujahrsempfang des Weines.

Da hohe Lied auf diese mustergültig organisierte Veranstaltung habe ich ja bereits im letzten Jahr gesungen. Auch die diesjährige Veranstaltung bewegte sich wieder auf extrem hohem Niveau und hat sich als Pflichtveranstaltung für ernsthafte Weinfans zumindest der Region etabliert. Unmöglich, alle 240 Weine komplett zu probieren. Selbst ein geübter Spucker müsste wohl nach 150 davon passen. Aber das war ja auch nicht der Sinn dieses Events, auch nicht das kollektive Besäufnis. Die Gespräche mit den Winzern, die in der Mehrzahl persönlich anwesend waren, hatten sicher einen ähnlich hohen Stellenwert wie das Herausfinden persönlicher Weinfavoriten. Auch ich bin zusammen mit zwei Weinfreunden mit viel Mut zur Lücke durch die heiligen Hallen des ehrwürdigen Schloss Hugenpoet gewandert. Weitgehend zurückgehalten habe ich mich auch bei der Benotung der Weine. Meine Kommentare sind spontane Momenteindrücke von Weinen, die in vielen Fällen noch zu jung waren.
Erste Station war für mich die Mosel, aus ganz praktischen Gründen. Ähnlich, wie ich einen klassischen Mosel-Riesling jedem Champagner als Aperitif vorziehe, wollte ich zu so früher Stunde erst mit den filigraneren, leichteren Weinen beginnen. Da war ich bei Thomas Haag von Schloss Lieser, der diesmal die Familie Haag sehr würdig vertrat, goldrichtig. Noch sehr jung die 2008 Lieser Niederberg Helden Spätlese, die hatte noch nicht richtig zu sich gefunden, besitzt aber gutes Potential. Erstaunlich kräftig und mit hoher Strahlkraft die 2008 Brauneberger Juffer Spätlese, ein toller Saufwein 89/100. Mit der 2008 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese kam dann diese faszinierende Leichtigkeit des Seins ins Glas, die die Weine von Altmeister Haag so prägte, so finessig, elegant mit toller Mineralität und hohem Extrakt, großes Potential. Noch ein Weinbaby, aber so cremig und geschmeidig mit prächtigen Anlagen die 2008 Brauneberger Juffer Auslese Goldkapsel.
Bei Reinhold Haart tranken(ja, tranken wir waren mit dem Taxi hier und wollten diese großartigen Tropfen genießen, nicht spuckend er- und verarbeiten, um dann anschließend die Weinkolumne des Essener Bistumsblatts zu schreiben) wir zunächst die 2008 Piesporter Goldtröpfchen Spätlese, deutlicher Hefeton, sehr mineralisch, rustikal, erdig 87/100. Auch die schon gereiftere 2003 Piesporter Goldtröpfchen Spätlese hatte einen deutlichen, nicht unangenehmen Hefeböckser, eben kein mit Reinzuchthefen weichgespülter Wein, sondern ein Charakterstoff aus der Spontanvergährung mit gut eingebundener Restsüße, füllig, sehr harmonisch mit guter Säure 89/100.
Schierer Wahnsinn bei Markus Molitor der 2008 Zeltinger Sonnenuhr Kabinett, so dicht, rassig, mineralisch und animierend. Andere Winzer verkaufen so etwas als Auslese. Mit € 10.90 sensationelles Preis-/Leistungsverhältnis. Schwierig zu verkosten die 2008 Wehlener Sonnenuhr Spätlese aus hochreifem Lesegut mit viel Boytritis. Sehr erdig, mineralisch und lang die 2008 Erdener Treppchen Auslese**.
Einen hoch interessanten Wein gab es nebendran bei Bernhard Eifel aus Trittenheim, den Wurzelechten vom Roten Schiefer, einen 2008 Schweicher Annaberg Riesling von 75-100 Jahre alten, ungepfropften Reben. Cremig, dicht mit gelben Früchten und Quitte ohne Ende, gwaltiges Potential. Derartige Weine, die bei entsprechendem Ausbau ein altes, klassisches Geschmackbild vermitteln, gehören eigentlich in jeden ambitionierten Keller. Neue Anlagen mit ungepropften Reben sind nicht erlaubt, die Alten Stöcke produzieren immer weniger. Damit sind diese Weine ein immer rarer werdendes Auslaufmodell.
Bei der begeisternden 2008er Kollektion von Roman Niewodniczanski/Van Volxem, durch die ich mich den letzten Wochen mehrfach getrunken habe, notierte ich nur: alle Weine so groß wie der Roman. Der gut gelungene 2008 Saar Riesling wird wohl auch in diesem Jahr wieder mein Sylter Strand- und Sommerwein werden. Sehr mineralisch und mit großartiger Struktur der 2008 Volz, bei dem man förmlich am Schiefer lutscht. Sehr verhalten derzeit und eher medizinal wirkend der 2008 Kanzemer Altenberg Alte Reben, den nur kaufen sollte, wer bereit ist mindestens 5, eher aber 10 Jahre auf einen tollen Langstreckenläufer zu warten. Zugänglicher, cremiger und unendlich lang am Gaumen der 2008 Wiltinger Gottesfuß Alte Reben.
Insgesamt war ich auf dieser Probe von den deutschen 2008ern mit ihrer präzisen Struktur und der rassigen Säure sehr angetan. Ob der mit soviel Vorschusslorbeeren bedachte Jahrgang 2009 da soviel besser wird? Mir gefallen die geraden, angeblich kleineren Jahrgänge 2002, 2004 und 2006 oft besser als die höher eingestuften und meist mit Superlativen bedachten 2003, 2005 und 2007. Wahrscheinlich werden wir angesichts wärmer werdenden Klimas umdenken müssen. Nachdenklich stimmt mich, wenn zuerst in 2003 und jetzt wieder in 2009 in einigen deutschen Gebieten mit offizieller Genehmigung künstlich Säure zugesetzt wird. Wahrscheinlich bringen in Zukunft die kühleren Jahre die größeren Weine.
Ziemlich fett und füllig wirkte bei Geltz-Zilliken die 2007 Saarburger Rausch Spätlese mit reifer Frucht, Boytritis und deutlicher Honignote 89/100. Besser gefiel mir die schlankere, rassigere 2004 Saarburger Rausch Spätlese, zwar mit erster Reife und feinem Petrolton, aber auch mit präsenter Säure und erstaunlicher Frische 91/100. Göttlicher Nektar die 2005 Saarburger Rausch Auslese Goldkapsel. Perfektes Süße-/Säurespiel, feine Honignote, totale Harmonie, aber auch viel Biss und Finesse, noch blutjung, da vibrierten Glas und Gaumen 94/100.
Sehr rassig mit momentan etwas stahlig wirkender Struktur der großartige 2008 Monzinger Halenberg GG von Emrich-Schönleber, ein Weinbaby mit großem Potential. Reifer und cremiger als der kürzlich im Villino getrunkene 2006er der 2007 Monzinger Halenberg R, der aber ebenfalls eine gute Säure und viel Potential hat.
Außerordentlich das Preis-/Leistungsverhältnis der spontan vergorenen 2008 Niederhäuser Hermannshöhle trocken Magnus von Jakob Schneider, ein dichtes, würziges, mineralisches Konzentrat mit gewaltigem Potential 90+/100. Und noch so ein Preis-/Leistungssieger die 2008 Niederhäuser Hermannshöhle Auslese Junior, sehr hochkarätig mit viel Boytritis, aber auch Biss, rassiger Säure und immensem Spaßfaktor 93/100. Mit 185g Restzucker und 125%0 Säure ist das eigentlich eher eine BA und mit € 9,00 für die halbe Flasche ein außergewöhnliches Schnäppchen. Üppig, konzentriert, mit viel Honigsüße, ein Nektar zum Weglegen, dieser Wein als 2008 BA mit 206g und 11,3%0. Zum jetzt trinken ist die Auslese deutlich schöner.
Bei Schäfer Fröhlich gefiel mir die rauchige, mineralische 2008 Monzinger Halenberg Spätlese sehr gut. Extrem jung noch das 2007 Felseneck GG, sehr konzentriert, mineralisch mit sehr präzisen Konturen und für den Jahrgang erstaunlich kräftiger Säure, gehört sich 3-5 Jahre weggelegt und ist dann wohl leider, wenn er richtig aufdreht, zumindest auf den Restaurantkarten dieser Welt ausgetrunken.
Viel zu jung natürlich auch das 2008 Dellchen GG von Dönnhoff, ein sehr feiner, eleganter, noch etwas verhaltener Wein, der noch nach weiterer Lagerung schreit. Steht leider wie die Hermannshöhle auch schon auf vielen Restaurantkarten und gehört, wenn es denn unbedingt sein muss, rechtzeitig dekantiert und in große Gläser. Ausnehmend gut gefiel mir auch die rassige, finessige, sehr extraktreiche 2008 Hermannshöhle Spätlese. Für Fans klassisch ausgebauter, d.h. restsüßer(was für ein grausames Wort, hört sich an wie Restalkohol) Weine ein absolutes Muss und ein perfekter Essensbegleiter für frech gewürzte Speisen.
Bei Peter Jakob Kühn war ich sehr angetan vom 2008 St. Nikolaus***, der mit seiner schlanken, eleganten Struktur und seiner immensen Nachhaltigkeit in 2008 sehr gut gelungen ist. Noch deutlich schlanker und extrem verhalten zeigte sich der 2008 Oestrich Doosberg***.
Hin und weg war ich von den drei großen Spätburgundern bei Knipser. Sehr fein der 2006 Mergelweg Spätburgunder GG, der 2006 Im Großen Garten Spätburgunder GG der verschlossenste der drei, aber mit unglaublichem Tiefgang und toller Länge, üppiger, ausladender und spontan anmachend der 2006 Kirschgarten Spätburgunder GG. Alle drei Weine sicher in der 92+/100 Liga. Aus denen werde ich sicher demnächst mal einen flotten Dreier basteln und sie in Ruhe nachverkosten. Für Liebhaber deutscher Rotweine ein Muss.
Bei aller Kraft sehr elegant, finessig mit betörender Frucht der 2007 Jaspis Pinot Noir Alte Reben von Hanspeter Ziereisen.
Interessant bei Kollwentz aus dem Burgenland der Vergleich der beiden, völlig unterschiedlichen Chardonnays, die beide gleich ausgebaut werden und deren total unterschiedlicher Charakter nur im Boden begründet liegt. Cremig, üppig, kräftig, sehr lang am Gaumen der auf braunem Glimmerschiefer wachsende 2007 Tatschler Chardonnay. Sehr fein, würzig, mineralisch und elegant der von Muschelkalkboden stammende 2007 Gloria Chardonnay. Der jeweilige Favorit ist da eine reine Frage des Geschmacks.
Natürlich musste ich auch bei Triebaumer den aktuellen ET probieren, den 2007 Blaufränkisch Ried Mariental. Das ist schon gewaltiger Stoff mit funkelndem Rubinrot und faszinierender Beerennase, am Gaumen jung, bissig mit hoher Säure, aber auch präziser Struktur. Gaumenmasochisten trinken einen solchen Wein auch schon jung, für mich muss er mindestens 5 Jahre reifen, damit aus dem Potential von 92+/100 auch realer Trinkspaß wird.
Klar habe ich auch den 2008 Grünen Veltliner Eichenstaude von Kurt Angerer probiert, quasi so eine Art Hauswein der Braui in Hochdorf, kräftig, voluminös, aber nicht ausladend mit reifer Frucht und klaren Konturen, im positiven Sinne barock, ehrlich und geradlinig wie der Winzer selbst. Der bleibt übrigens auch bei den Preisen bodenständig, eine wohltuende Ausnahme im etwas überzogenen Umfeld. Unbedingt mal probieren!
Auch Emmerich Knoll ließ es sich nicht nehmen, seine Weine hier im Hugenpoet persönlich auszuschenken. Mit 2008 ist dem Vater-Sohn-Team wieder eine sehr gute Kollektion gelungen. Der 2008 Grüne Veltliner Loibenberg Smaragd zeigt wieder die etwas filigrane, sprichwörtliche Knoll sche Eleganz, wirkte noch etwas verhalten, hat aber großes Entwicklungspotential. Hohen Suchtfaktor hat der spontan begeisternde 2008 Grüne Veltliner Vinothek, der in Dichte und Dramatik noch deutlich eins draufsetzte, sehr würzig mit reifer, exotischer Frucht und salziger Mineralik, ganz großer Stoff 95+/100. Wenig Loibenberg ist da drin, die besten Teile von Kreutles und natürlich Kellerberg, von dem Knoll zu wenig hat, um ihn separat auszubauen.
Meine letzte Station vor einem doppelten Espresso war Dirk Niepoort, der eine schlichtweg atemberaubende Kollektion vorstellte, auch nach seinem eigenen Bekunden seine bisher beste. Dazu beigetragen hat neben perfektem Lesegut auch seine neue Kellerei, in der er endlich genügend Platz hat. Besonders der 2007 Charme hatte es mir angetan, der die Anlagen zu einem großen Wein hat, ebenso natürlich der etwas rustikalere 2007 Batuta. Ein absoluter Crowd Pleaser und Winner ist der moderne, üppige 2007 Redoma, der bereits alles zeigt, was er drauf hat. Letzterer wird übrigens bei Parker mit 94/100 bewertet, Batuta und Charme jeweils nur mit 90/100. Das ist gut so, denn dann bleibt von Charme und Batuta, die für mich die deutlich größeren Weine sind und mehr Komplexität und Tiefgang besitzen, mehr für Europa übrig.
Und natürlich gab es noch eine ungewöhnliche Entdeckung auf dieser Verkostung, die Obstkelterei van Nahmen. Nein, hier ging es nicht um irgendwelche ominösen Obstweine mit Kopfschmerzgarantie. Sortenreine Obstsäfte aus besten, heimischen Früchten wurden da angeboten. Natürlich war ich neugierig und genehmigte mir erst mal ein Glas der Roten Sternrenette, eines grandiosen Apfelsaftes aus einer alten Kulturapfelsorte. Dem folgten der Schöne von Boskoop, Kaiser Wilhelm und die Rubinette, alles sehr unterschiedliche Apfelsaftsorten, meist von Streuobstwiesen, mit ganz eigenem Charakter. In mein Glas kamen natürlich auch noch die Schwarze Johannisbeere, der Konstantinopler Apfelquittennektar, das Morellenfeuer .Da stand jetzt der Wineterminator mit seinem Denk Art Glas und verkostete verzückt einfach geniale Obstsäfte. Passten übrigens gut zusammen, meine Nase, mein Gaumen, ein hochwertiges Weinglas(warum werden eigentlich in so vielen Restaurants Obstsäfte aus einer Art Zahnputzbecher serviert?) und diese großartigen Säfte. Und wenn mir demnächst bei einer der regelmäßigen Alkoholpausen das Wasser aus den Ohren rauskommt, hole ich mein schönstes Weinglas und öffne einfach eine Flasche der Roten Sternrenette.