Dezember 2010

Der erste Advent

Naja, erster Advent war dieser Samstag ja noch nicht so ganz. Es fehlten noch ein paar Stunden, aber die Stimmung war schon entsprechend. Die beiden Düsseldorfer Shooting Stars des GaultMillau hatten wir uns für das erste Adventswochenende ausgeguckt. Den Anfang machte das D Vine, leider kein Geheimtipp mehr und stets ausgebucht. Hier fühlte ich mich an alte Caveau-Zeiten erinnert, denn es gab eine wohlfeile Auswahl offener Raritäten, die ich der Reihe nach durchprobierte. Also keine Flaschen, die für eine Probe dekantiert wurden, sondern solche, die in einem dieser Stickstoffautomaten für den längeren Offenausschank haltbar gemacht werden.
Vielversprechend die klassische Merlot-Nase des 1993 Gazin, doch der Gaumen wirkte eher dünn und langweilig, als ob jemand zuviel Wasser in die Trinkschokolade geschüttet hätte 83/100. Viel Knochen und wenig Fleisch bot der 1994 Leoville Barton, ein rustikaler, kräftiger Wein mit dichter Farbe, absolut charmefrei. Wird sicher noch lange trinkbar sein, dabei aber langsam austrocknen 86/100. Gefällig, weich, reif mit viel Schokolade und Kaffee der 1998 de Pez 87/100. Lindt s große Pralinenmischung kam dann mit dem 1999 Péby Faugères ins Glas, sehr konzentriert, aber auch etwas dick, alkoholisch und unausgewogen 88/100. Mineralisch, geradlinig und kräftig der gut gelungene 1999 Chasse Spleen 88/100. Mehr erwartet hätte ich von 1978 Haut Brion, den ich auch besser kenne. Klar war da die klassische Aromatik mit Teer, Tabak und Cigarbi, aber der Haut Brion wirkte aus dieser Flasche sehr weich, reif und erstaunlich leichtgewichtig 90/100. Weniger überzeugend auch, zumindest im jetzigen Stadium, der 2005 Rieussec. Dick und klebrig wirkte er mit deutlich zuwenig Säure. Natürlich war viel davon Babyspeck, also 20 Jahre weglegen 88+/100.
Und dann waren da noch zwei Ausnahmeweine. Den 1979 Buena Vista Zinfandel hatte ich mitgebracht, weil er aus Tonis Geburtsjahrgang war. Auf dem Etikett stand dick "Präsidentenwein", denn er war 1983 zum Weltwirtschaftsgipfel im amerikanischen Williamsburg ausgeschenkt worden. Sehr gut gehalten hat sich dieser Zinfandel, der sich noch voll intakt mit guter Struktur präsentierte. Leicht exotisch die frische Frucht, gute Säure, feine Süße, sehr würzig und pfeffrig in der Anmutung und wie die rote Version eines Grünen Veltliners wirkend 90/100. Mit dem 2004 Kallstädter Saumagen Auslese trocken von Koehler-Rupprecht verwöhnte uns Tonis Partner, der geniale Herdzauberer Christoph. Ein Weinriese, der gerade erst anfängt, sich zu entfalten, superbe, puristische Frucht, Kraft und Struktur ohne Ende, wie ein durchtrainierter Spitzenathlet, sehr mineralisch mit viel Muschelkalk, Fruchtsüße, jede Menge Spannung, so unglaublich tiefgründig und komplex, der Burgunder unter den Rieslingen, schreit förmlich nach Dekantierkaraffe und großen Gläsern und hat noch eine lange Zeit vor sich 94+/100.

Am Tag danach trafen wir uns zu einem ausgedehnten, bis in den Abend hineinreichenden Mittagessen im Restaurant Schorn. Atemberaubend, was da wieder auf die Teller kam, und die 14 Punkte des GaultMillau dreimal wert. Was hat dieser Marcel Kiefer, der aus dem Stand in die großen Schuhe von Franz Josef Schorn sprang und sich seitdem schon dreimal neue, größere kaufen musste, vor? Kein Wunder, dass hier die Hütte brennt und wir unsere Weinproben inzwischen sehr langfristig planen müssen.
Zwei kalifornische Giganten standen sich gleich zu Anfang gegenüber. Die Seelenverwandtschaft meines Freundes Bernd und mir, zumindest in Wein- und Genussdingen, zeigte sich auch hier wieder. Wir beide bestückten dieses Menü mit Weinen aus unseren Keller, hatten uns überhaupt nicht miteinander abgestimmt, und doch passte alles so zusammen, wie sorgfältig ausgewählt. Ich hatte einen 2005 Chardonnay Ritchie Vineyard von Aubert mitgebracht. Der war der offenere von beiden mit dekadent leckerer, süßer, schmelziger Frucht, dabei weich und richtiggehend schmusig am Gaumen 94/100. Der 2007 Kistler Chardonnay Les Noisetiers von Bernd wirkte deutlich jünger, reife, erotische Frucht, aber auch gute Säure und viel Biß, gute Struktur und viel Zukunft 93+/100.
Großes Kino dann gleich im ersten Rotweinflight. Der 1949 Carbonnieux aus einer perfekten Flasche zeigte wieder deutlich, dass die da im Gegensatz zu heute früher richtig große Weine machen konnten. Perfekte Pessac-Nase mit Tabak, Teer, etwas Zedernholz und Leder, dazu erdige Aromen und immer mehr Perigord-Trüffel, am Gaumen sehr fein und elegant, fast tänzerisch, aber auch sehr nachhaltig und lang mit feiner Süße, voll auf dem Punkt 95/100. Im anderen Glas ein 1945 Haut Brion in einer belgischen Händlerabfüllung. Was für ein gewaltiger Stoff! Sehr dichte Farbe mit wenig Reifetönen, klassisch teerig-tabakige Nase, so kraftvoll, so komplex, so zupackend, da sind locker noch mal 20+ Jahre angesagt. Ein typischer, großer 45er eben, bei dem die Natur seinerzeit mit den frühen Frösten für eine natürliche Erntebegrenzung gesorgt hatte. Würde ich gerne mal in 10 oder 20 Jahren in einem Flight mit 61 und 89 Haut Brion trinken. Ob er die überlebt? Ich habe lange überlegt, wie ich diesen Wein bewerte. Eigentlich wäre er die 100/100 wert. Nur meine ich, dass da noch mehr kommt, und dass dieser Wein mit zunehmender Reife auch noch mehr Süße zeigen wird, also gibt es derzeit nur 98+/100.
Und dann kam "Papas Bester", wie man auf der Fattoria Le Fonti aus Panzano in der Toskana den 2004 Fontissiomo IGT nennt. Gut gelungen ist sie, diese Cuvée aus Sangiovese, Cabernet Sauvignon und Merlot. Intensive Kirschfrucht, sehr konzentriert, aber auch geradlinig, dicht, mit guter Säure- und Tanninstruktur 91/100. Ich kann mich noch gut an das malerische Dörfchen Panzano erinnern, einen der schönsten Flecken der Toskana, wo der Fontissimo unterhalb der Dorfkirche wächst. Da würde ich als Wein auch gut.
Ein feinduftiger, eleganter Traum war danach 1990 Palmer, der jetzt in einer perfekten Trinkphase ist. Ein erotischer, burgundischer Wein, derzeit sicher dem 89er vorzuziehen 95/100. Da kam die zum wiederholten Male etwas zugeknöpft wirkende 1989 Pichon Comtesse nicht mit, hier ist wohl wie beim Palmer aus 89 bei perfekt gelagerten Flaschen noch etwas Warten angesagt 93+/100.
Und Warten kann manchmal Wunder vollbringen, so z.B. bei 1970 Mouton Rothschild. Den hatte ich bisher immer nur sehr enttäuschend im Glas. Doch aus dieser Flasche hier war er wie verwandelt. Dichte, junge Farbe, in der Nase Minze, Leder, Bleistift, am Gaumen wunderschöne Fülle mit feinem Schmelz, ein Zwilling des 85ers 94/100. Eigentlich fast zu schön um wahr zu sein. Bevor ich jetzt anfange, diesen Wein zu suchen, öffne ich demnächst noch mal eine Flasche.
Sehr skeptisch machte die dunkle, alte, leicht trübe Farbe des 1952 Nuits St. Georges von Faiveley, reif auch die Nase mit viel Kaffee, Mokka, Schokolade und Malaga, am Gaumen eine wunderschöne, generöse Süße. Natürlich gehörte der dringend getrunken, haben wir ja auch gemacht. Und so bekamen wir ein durchaus faszinierendes Altweinerlebnis ins Glas 92/100.
Blieb noch eine Flasche übrig. Sollte ich die jetzt wieder mitnehmen? War eh schon dunkel draußen, also Korken raus und rein ins Glas. Wir haben es nicht bereut. 1999 Solaia zeigte sich als großartiger, toskanischer Bordeaux, jung und dicht die Farbe, kräftige Tannine, Säure, Kraft, Frucht und feine Fruchtsüße, Struktur, Jugend, Länge, Frische 94/100. Suchen!

Schon verführerisch, diese Adventszeit. Verlockungen überall, es duftet gut, die Stimmung passt, Weihnachtsmärkte an jeder Ecke, Einladungen, Menüs, Weinproben. Wer da kräftig zulangt, sitzt später nackt unterm Weihnachtsbaum, weil er in keins seiner Gewänder mehr reinpasst. Ich habe mir deshalb ein strammes Programm verordnet. An den Wochenenden wird all diesen Reizen nachgegeben. In der Woche dafür harte Arbeit, Mineralwasser, reduzierte Kost. Das fällt mir nicht schwer. Außerdem ist das nächste Adventswochenende nicht weit.

Der zweite Advent

Sylt war angesagt, ein Kurztrip mit einem Hauptziel: Jörg Müllers Weihnachtsmarkt. Westerland hatte im letzten Jahr aus Kostengründen auf einen Weihnachtsmarkt verzichtet und setzte das in diesem Jahr fort. Also ergriff Jörg Müller die Initiative und stampfte mit seinen motivierten Mitarbeitern und unter vollem Einsatz der eigenen Familie einen eigenen Weihnachtsmarkt aus dem Boden. Der war im letzten Jahr ein spontaner, voller Erfolg und führte in diesem Jahr dazu, dass viele Gäste gezielt nur deshalb in der Vorweihnachtszeit auf die Insel kamen, wir auch. Rund ums Restaurant standen 24 Holzhütten mit ausgewähltem Kunsthandwerk und vor allem mit hochwertiger Kulinarik. Kein Billig-Glühwein aus Kanistern, wie auf vielen Weihnachtsmärkten landauf landab, sondern richtig guter Stoff. Jede Menge Schmankerl aus der Müller-Küche, natürlich auch die berühmten Lammbratwüstchen, eine badische Schlachtplatte oder Frikadellen vom Sylter Galloway. Göttlich die süßen Verführungen, kreiert von Günter Schwarz. Kein Wunder, ist Jörg Müllers Küchenchef doch gleichzeitig ein genialer Patissier. Der absolute Hit waren für mich aber in diesem Jahr aber die Flammkuchen. Die gab es auf klassische Art, als Margherita und vor allem als extrem süchtigen Trüffel-Flammkuchen. Letztere für € 12 zwar nicht geschenkt, aber extrem preiswert. Habe ich deutlich mehr als nur einmal gegessen, und beim Schreiben kriege ich wieder soviel Lust darauf, dass ich gleich wieder nach Sylt fliegen könnte.

Einfach göttlich: Trüffel-Flammkuchen

Einfach göttlich: Trüffel-Flammkuchen

Auf der überdachten und geheizten Müllerschen Terrasse luden Strohballen zum gemütlichen Verweilen ein. Hier genossen wir zum Trüffel-Flammkuchen einen wunderbaren, immer noch sehr jungen, konzentrierten, fruchtigen, schokoladigen 1989 Trotanoy 94+/100. Der war eigentlich noch etwas zu jung, passte aber hervorragend zu Atmosphäre und Trüffel. Dazu wärmte er perfekt Körper und Seele. Das tat auch der zweite Wein, mit dem sich der Chef des Hauses an diesem späten Nachmittag zu uns gesellte. Ein Palmer war es, aber was für ein Jahrgang? Das Etikett hatte irgendwann im Keller gelitten und wies ausgerechnet statt des Jahrgangs ein dickes Loch auf. Eleganz, Kraft, Länge, einfach betörend mit druckvoller Aromatik, das konnte doch nur der uns zunächst bewusst vorenthaltene Korken bestätigte die Vermutung, das war 1983 Palmer, der sich jetzt der Höchstform nähert, wo er sicher 1-2 Jahrzehnte bleibt 97/100.
Hier hätte ich jetzt den ganzen Abend bleiben und weitere Unikate genießen können. Doch auch der schönste Markt schließt abends irgendwann, und wir hatten für unsere kleine Gruppe ohnehin einen Tisch im Restaurant des Hauses bestellt. Da fielen wir dann zunächst über eine halbe Flasche 2000 Trimbach Clos St. Hune her. Kräftiges Goldgelb, sehr mineralisch, petrolig-fruchtige Nase, am Gaumen eine gelungene, noch sehr jugendlich wirkende Mischung aus unbändiger Kraft, cremiger Zitrusfrucht und hoher Mineralität, ein Unikat mit großer Länge am Gaumen 94/100. Clos St. Hune ist leider nicht nur ein Wein mit sehr hohem Alterungspotential, sondern auch ein sehr rares, nicht gerade billiges Gewächs. Das gilt auch für Lafleur, den man kaum noch halbwegs bezahlbar auf Weinkarten findet. Deshalb griffen wir ungehemmt zu, als wir den wohlfeilen 1981 Lafleur entdeckten. Kleines Jahr, (fpür Lafleur) kleiner Preis, aber nicht unbedingt ein kleiner wein, kräuterig, lakritzig, dicht, prägnante Säure, gute Länge 91/100. Ob der 1988 Sori San Lorenzo von Angelo Gaja, den wir anschließend tranken, jemals richtig reif wird? Der wirkte noch so jung, so kräftig mit deutlicher Säure und etwas harschen Tanninen, die Aromatik geprägt von Kräutern, Veilchen, Lakritz und Teer. Ein spannender, komplexer Wein, aber nichts für Freunde schmusiger Fruchtbomben. Mutige legen ihn noch mal 10 Jahre weg 93(?)/100. Und wo wir nun gerade bei den Weinen waren, die partout nicht altern wollen, passte gut als Abschluss noch ein 1985 Riesling Cuvée St. Martin von Josmeyer. Auch der noch so jung, so frisch, so stahlig mit viel Zitrusfrucht, sehr intensiv und lang am Gaumen 91/100.

Schnee auf Sylt ist eigentlich selten. Schnee im Dezember noch seltener, da dann die Nordsee eigentlich noch zu warm ist. Doch in diesem Jahr war alles anders. Tief verzuckert präsentierte sich die Insel. Dazu pfiff ein eisiger Wind. Die gefühlte Temperatur erinnerte am Strand eher an Grönland als an Sylt. Nach einem langen, strammen Marsch gegen den Wind freuten wir uns auf ein schönes Mittagessen im Restaurant Willms in Westerland. Und da wir auch Lust auf einen Schluck Wein hatten, wählten wir aus der Karte den (mir) bis dato unbekannten 2005 Pinot Noir vom Hirschhornerhof, von der Wirtin auf der Karte sehr euphorisch beschrieben. Erwartet hatte ich nach der Beschreibung einen dieser überzüchteten Pinot-Hämmer, doch ins Glas bekamen wir den großen Finessenmeister. Ein sehr feiner, sehr eleganter, nobler Wein mit wunderbarer, feiner Beerenfrucht, am Gaumen trotz der eher leisen Töne sehr nachhaltig und lang 92/100. Danach wirkte der eigentlich sehr gut gelungene 2006 Il Pino di Biserno, der Zweitwein von Antinoris neuem Gut Biserno, mit seiner satten Frucht und der jugendlichen Röstaromatik fast etwas aufdringlich 91/100.
Genug gegessen, genug getrunken, das wurde jetzt alles wieder stramm abgewandert. Schließlich gab es ja für den Abend auch noch ein umfassendes Programm.

Anwärmen und Vorglühen war natürlich angesagt auf Jörg Müllers Weihnachtsmarkt. Natürlich musste es wieder ein Trüffelflammkuchen sein und dazu ein perfekter 1983 Trotanoy aus bester Lagerung, deutlich jünger und dichter wirkend als eine kürzlich getrunkene Magnum 94/100. Sehr jung danach der viel versprechende 1996 Grand Puy Lacoste, der mal ein würdiger Nachfolger der großen 82/89 und 90 des Gutes wird 93+/100.
So eingestimmt trafen wir uns mit guten Freunden in Kampen im Wiin Kööv. Die hatten einen wunderbaren, ultrararen 1999 Thelema Cabernet Sauvignon Reserve der Cape Winemakers Guild Auction im Gepäck. Der machte mit süßer Frucht sehr viel Spaß 92/100. Nicht dahinter verstecken musste sich ein 1989 Pape Clement, ebenfalls mit süßer Frucht, aber deutlich mehr Struktur 94/100. Gespannt war ich danach auf den 1992 Dalla Valle Maya, den ich seit 1996 nicht mehr im Glas hatte. Unglaublich, was für ein dichtes, sehr jung wirkendes, konzentriertes Powerteil das immer noch war mit tiefdunkler Farbe, perfekter, dunkler Frucht, Kraft ohne Ende, aber auch mit Frische und Eleganz. Da war nichts Offensichtliches, nichts Marmeladiges, einfach ein großes, wie aus einem Stück gemeißeltes Weindenkmal 100/100. Immerhin 15 Jahre schleiche ich jetzt um diese Flasche herum, die ich 1995 im Spago in Las Vegas dem Sommelier abgeschwatzt hatte. Und 15 weitere Jahre hätte ich sie sicher noch liegen lassen können. Dalla Valle hat mit den Mayas 91 und 92 zwei unsterbliche Giganten erzeugt. Und auf diesem Niveau machten wir weiter. 1982 Margaux stand gegen 1982 Mouton Rothschild. Klarer Punktsieger hier der perfekte Margaux(98/100) gegen einen, aus dieser Flasche noch etwas verhalten und verschlossen wirkenden Mouton(96+/100).

Und wo landeten wir am dritten Abend? Natürlich auf Jörg Müllers Weihnachtsmarkt. Reichlich gute Bekannte trafen wir dort, aus Abend wurde bald Nacht und die endete mit viel Spaß, hervorragendem Essen und herrlichen weinen in Jörg Müllers Bar. Viele Kehlen heißt viel Durst, und so mussten nach dem 2000 Grand Puy Lacoste(95/100, zugänglicher als der 1996 vom Vortag) unbedingt größere Behältnisse her. Da lockte zunächst eine wohlfeile 1990 Beaucastel Magnum, voll da, offen mit süßer, würziger Frucht, aber auch noch mit viel Kraft und guter Struktur 94/100. Deutlich übertroffen wurde die von einer überragenden 1978 Chateauneuf-du-Pape Les Cèdres Magnum von Jaboulet-Ainé. Das war großer, reifer Chateauneuf vom Allerfeinsten, bei dem ich mit den 96/100 nicht alleine stand. Steht ab sofort auf meiner Suchliste, den bei 83 Parker Punkten und einer ziemlich vernichtenden Kritik müsste das ein Schnäppchen sein.

Was macht ein Flugzeug, wenn die Landebahn zu glatt ist? Durchstarten und wieder abhauen. Das machte unser Air Berlin Flieger am nächsten Tag. Wir machten ein langes Gesicht, schnappten uns ein Taxi zum Bahnhof und verbrachten statt der 5o Minuten im Flieger 8 Stunden im Zug. Das war ähnlich prickelnd wie die vielen Flaschen Mineralwasser, die ich dabei zur Einstimmung auf die alkoholfreie Woche zu mir nahm.

Der dritte Advent

Unter dem Motto "Weine, die nur das Christkind bringt" trafen wir uns am 3. Adventssonntag in bewährter Runde im Landhaus Mönchenwerth. Statt selbst gebackener Plätzchen gab es zu einem schönen Menü selbst gesammelte Weine. So z.B. den großartigen 1947 Le Montrachet in einer Vandermeulen Abfüllung. Nur in der Nase hatte dieser Wein mit seiner brillianten, dunkklen, goldgelben Farbe leichte Sherrynoten, die aber auch verflogen. Am Gaumen war da jede Menge Kraft, Pracht und Fülle. Enorm baute der Montrachet aus, wurde zunehmend cremiger, nussiger mit viel Tiefgang und feiner Süße 96/100. Zur Vorsicht hatte ich auch einen 1998 Trilogia von Christos Kokkalis aus der Magnum mitgebracht, für den Fall dass jemand nicht so sehr auf die alten Hunde stand. Doch diese Magnum, für mich der bisher beste wein von Christos und im großen Format in bestechender, jugendlicher Form, leerte sich auch so in Rekordtempo 95/100. In Hochform zeigte sich auch wieder 1928 Paternina Gran Reserva, von dem ich in den letzten Jahren auch einige grenzwertige Flaschen trinken. In der heutigen Form war das ein unsterblicher, deutlich jünger wirkender Rioja-Riese 96/100. Reif, weich mit cremiger Textur und etwas Schokolade danach ein 1945 de Sales aus Pomerol - 91/100.
Immer wieder tauchen auf Auktionen Flaschen aus den Beständen auf, die bei der Eroberung Torbruks durch Rommels Afrika Korps 1942 in deutsche Hände fielen. Eine solche Flasche, direkt nach dem Krieg aus den zurückeroberten Beständen abgefüllt, hatten wir jetzt auf dem Tisch. Spritig, beißend, eher Heizöl als Cognac. Hätte man sich eigentlich denken können, dass die Engländer seinerzeit ihren Truppen keinen Hennessy XO zum Mut antrinken in Fässern zur Verfügung stellten. Der Cognac des Rommel Korps, in nobler, wichtiger Holzkiste mit Begleitbuch war ein Zeitzeuge, aber kein akzeptables Getränk.
Nicht aus Torbruk, aber ebenfalls aus einer englischen Händlerabfüllung war der anschließend getrunkene 1945 Leoville Poyferré in einer englischen Händlerabfüllung von John Harvey aus Bristol. Von dem habe ich im letzten Jahrtausend(1994+5) zwei sehr schöne Flaschen getrunken, doch diese hier war es nicht, trotz gutem Füllstand, mehr Medizin als Wein 78/100. Doch für diese Pleite entschädigte uns ein grandioser 1950 Figeac, ein Geburtstagsgeschenk meiner lieben Gattin, vor 10 Jahren zum halben Jahrhundert. Das war meine bisher beste Flasche dieses Weines überhaupt, ohne den Kork-ähnlichen Ton so vieler Figeacs, dafür mit Superfarbe, immer noch Frucht, Kaffeenoten, Kraft, Fülle, sehr vielschichtig und mit endlosem Abgang 97/100. Danach hatte es ein 1959 Margaux richtig schwer. Der war sehr fein, elegant, mit pikanter, beeriger Frucht, immer noch durch die gute Säure recht jung wirkend, aber eben nicht mit der Statur und Konzentration, die man von einem 1er Cru in diesem Superjahr erwartet hätte 94/100. Absolut outstanding dann ein 1900 Vino Velho do Porto Reserva Particular von Wiese & Krohn, wunderbare, süße, weiche, nicht spritige Nase, die Farbe immer noch intakt mit hellrotem Kern, am Gaumen weich, generös mit herrlicher Süße und Bergen von Marzipan, ein Top-Dessert für sich und ein Port vom Allerfeinsten 98/100. Und natürlich musste auch der letzte, verbliebene Wein noch dran glauben, ein 1937 Beaune Clos des Mouches von Chanson aus einer Flasche mit lausigem Etikett, dafür aber perfektem Füllstand. Das war wie schon vor zwei Jahren aus gleichem Lot ein ungemein komplexer, vielschichtiger, druckvoller Burgunder mit pikanter, an Zwergorangen erinnernder Frucht, mit trotz aller Reife erstaunlicher Frische, mit viel Kaffee, Mokka und schmeichlerischer, karamelliger Süße, reifer Burgunder, wie ihn nur das Christkind bringen kann - 97/100.

Weine die nur das Christkind bringt

Weine die nur das Christkind bringt

Der vierte Advent

Am vierten Adventswochenende starteten wir Richtung Engadin. Erstes, großes Urlaubshighlight ist dabei immer die Übernachtung im Villino in Lindau. Perfektes Wohlfühlambiente bietet dieses sehr persönlich geführte Relais et Chateau, oberhalb von Lindau in Hoyersberg gelegen. Von den einfach traumhaft schönen, großzügigen Zimmern über die großartige Küche bis hin zum sehr herzlichen Service stimmt hier wie bei einem großen Wein einfach alles. Und wer sich abends durch Reiner Fischers göttliche Kreationen durchfuttert, sollte daran denken, dass am nächsten Morgen noch ein nicht minder grandioses Frühstück wartet, dass sich wie weiland in den Schweizer Stuben durch Ferkeleien aus der Küche erweitern lässt.
Restaurantchef und Sommelier in Personalunion ist Rainer Hörmann, Schwager von Inhaber und Küchenchef Reiner Fischer. Was der eine Reiner auf die Teller zaubert, begleitet der andere Rainer perfekt mit den passenden Weinen. Dazu schöpft er aus einem großen, sehr gut bestückten Keller. Wenn Ihnen der sehr sympathische Rainer Hörmann die Weinliste, ein dickes Buch, überreicht, merken Sie sofort, dass Wein seine Leidenschaft ist. Da gibt es keine angelernten Sprüchlein aus der Sommelierschule. Rainer Hörmann kennt jede Flasche persönlich und hat alle Weine des Kellers selbst schon verkostet. Es macht einfach Spaß, sich von diesem, im positiven Sinne Weinverrückten (ich gehöre ja auch zu dieser Sorte) beraten und vinologisch verwöhnen zu lassen.
Unser Start in den Villinoabend erfolgte mit einem 2008 Pittermännchen Kabinett vom Schlossgut Diel. Kraft, Süße, Fülle und knackige Säure hatte dieser Wein reichlich. Dazu war er ganz schön dick und ging eher Richtung Spätlese. Sicher ein Wein, der sich noch entwickeln wird 88+/100. Darf man meckern, wenn man anstelle eines Kabinetts eine heruntergestufte Spätlese bekommt? Ich meine, ja. Schließlich haben diese "Kabinettchen" ja als leichte, beschwingte Einstiegsdroge und perfekter Aperitif eine Funktion. Es ist schlichtweg eine Unsitte, dass immer mehr Winzer das, was früher ein Kabinett war als QbA anbieten, die Spätlese als Kabinett und die Auslese als Spätlese. Leichter, beschwingter, fröhlicher war danach eine 1990 Ayeler Kupp Auslese halbtrocken von Hausen-Mobillon. Ein wunderbarer Hollunder-Cocktail, zeitlos schön ohne Alter mit guter Säure, die Restsüße nicht mehr wahrnehmbar 89/100. Polarisiert hat an unserem Tisch der nächste Wein, ein 2002 Victor von Diel. Meine Mädels liebten diese heftige, charmefreie Holzoper, mich hat davor gegraust, 81/100 von mir, deutlich mehr von der weiblichen Fraktion. Geschmäcker sind eben verschieden und wandeln sich auch mit den Jahren. Insofern versuche ich auch gar nicht erst, einen Wein objektiv zu beurteilen, was ohnehin nicht geht. Das Wort Geschmack an sich beinhaltet ja schon Subjektivität.
Meine Welt war dann eher der 2005 Schlossberg Alte Reben von Leitz. Ich gehöre nicht unbedingt zu den größten Leitz-Fans dieser Welt, aber was hier(auf Rainer Hörmanns Empfehlung hin) abging, das war schon bemerkenswert. Viel Luft brauchte dieser wein, eine Karaffe und ein großes Glas. Dann ging die Post ab. Das zu Anfang beim undekantierten Probeschluck verschlossene Monstrum öffnete sich, wurde weicher, sehr cremig und entwickelte eine sehr druckvolle Aromatik. Dabei war er hoch spannend, sehr komplex und machte auf hohem Niveau einfach hemmungslosen Trinkspaß. Jeder Schluck machte hier Lust auf den nächsten 94/100. Für die andere Fraktion gab es noch einen 1999 Montelena Chardonnay. Auch der war nicht von schlechten Eltern, wirkte aber im direkten Vergleich auf hohem Niveau so, wie wenn von Stereo auf Mono umgeschaltet wird. Reife gelbe Früchte, geröstete Haselnüsse, feiner Schmelz, eher etwas schlank, aber sehr lang am Gaumen 90/100.
Natürlich probierten wir auch noch zwei Rotweine. Zur Abteilung hemmungsloser Genuss gehört der 1999 Lupicaia. Das war Toskana pur, wie eine Cuvée mit dem Besten aus Ornellaia, Sassicaia und Solaia, mit traumhaft süßer, würziger Frucht, opulent, aber nicht überladen, erst ganz am Anfang und mit Reserven für noch gut 15 Jahre 95/100. Ein unbedingter Such-, Kauf- und Trinktipp. Von 1989 Montelena dagegen reichte ein Glas. Dumpfe, dunkle Frucht, schwermütig, spaßfrei, hoffentlich nur eine schlechte Flasche.
In kleinem Kreise trafen wir uns später noch in der Halle am Kamin. Rainer Hörmann hatte noch einen weinbegeisterten Gastronomen dazu geladen. Aus Wineterminators Keller tranken wir zunächst drei mitgebrachte, alte Burgunder. Den Anfang machte ein sehr weicher, reifer, kräuteriger 1950 Echezeaux von Robert Chasseing, der mit feiner Süße immer noch sehr schön zu trinken war 89/100. Große Lagen und Große Jahrgänge sind leider immer noch keine Garantie für große Weine. Das zeigte deutlich ein 1945 Clos Vougeot von Clerget- Buffet. Der war trotz äußerlich guten Zustandes schlichtweg zu alt, bäumte sich zwischendurch zwar noch mal auf, aber das war s dann wohl 78/100. Mehr als entschädigt wurden wir aber vom schlichtweg außerweltlichen 1947 Chambertin Vandermeulen. Rainer Hörmann hatte ihn auf meinen Wunsch hin um 19 Uhr dekantiert. Jetzt, um Mitternacht, also 5 Stunden später, stand dieser Ausnahmewein wie eine Eins im Glas. So eine unfassbare Aromatik, so eine Dichte, Komplexität und Länge, mit das beste, was ich jemals im Glas hatte. Oft genug habe ich diesen Wein, den ich Glücklicher inzwischen gut 50mal im Glas hatte, auf dieser Seite beschrieben, aber Worte können diesem einmaligen Erlebnis kaum gerecht werden, einfach trinken und staunen 100/100. Leider gibt es inzwischen zu viele dieser 47er Chambertins, wo alles drin ist, nur nicht dieser Wein. Vandermeulen hat eine neutrale Kapsel und keinen Korkbrand. Das fälscht selbst ein Anfänger mit einer Tube Uhu in Sekunden. Ich habe meine Flaschen, die jetzt endgültig zur Neige gehen, vor gut 20 Jahren aus absolut authentischen, belgischen Kellern gekauft. Auf etwas anderes würde ich mich heute, wenn überhaupt, bei solchen Weinen sicher nicht mehr einlassen. Leider lässt sich von außen nicht feststellen, ob so ein 47er Chambertin Vandermeulen echt ist. Wenn Sie eine Flasche haben und die in einigermaßen gutem Zustand ist 6cm Schwund sind bei diesem Wein kein Problem dann einfach aufmachen, mindestens 2-3 Stunden vorher dekantieren und genießen. Und natürlich, für den Fall dass Sie eine der vielen Fakes erwischt haben, eine schöne Reserveflasche bereithalten .
Der Abend war noch längst nicht zu Ende, saßen doch ein paar trainierte Kampftrinker am Tisch. Nur ich habe langsam geschwächelt. Ich kann mich noch gut an einen hervorragenden 1955 Gaffelière-Naudes auf Cheval Blanc Niveau erinnern und an einen fantastischen 1988 Sassicaia. Die Runde hat noch weitergemacht, während ich schon längst in meinem kuscheligen Villino Bett träumte.