Januar 2012

Im Spielzeugladen für große Jungs

Eigentlich freue ich mich ja nicht auf die Rückfahrt aus dem Urlaub. Aber das hier ist die große Ausnahme, vom Engadin in der ersten Etappe zum Schwarzen Adler in Oberbergen. Einmal im Jahr gönnen wir uns das. Wie in einem Spielzeugladen für große Jungs komme ich mir hier vor. Einfach ein Traum, diese extrem umfassende Weinkarte mit ihren sehr trinkfreundlichen Preisen. Da weiß man nicht, wozu man zuerst greifen soll. Und wenn man dann zugreifen möchte, geht die Diskutiererei los. Wir wollen aber Champagner, bestell bitte Weißwein, nicht wieder dieses alte Zeugs. Merken Sie was? Da war der Junge dummerweise mit zwei Mädels im Spielzeugladen gelandet. Fürchterlich. Jedesmal schwöre ich mir, dass ich demnächst mal einen reinen Jungsausflug hierhin mache. Da werden wir uns schneller über das Spielzeug einig, müssen nicht unbedingt in die weiße Puppenabteilung.
Nun gut, ich habe versucht, Kompromisse zu machen, letztendlich dann aber doch das bestellt, was ich haben wollte. Klar wurde ich dafür beschimpft, aber was tut man nicht alles, um an sein Lieblingsspielzeug zu kommen.
Mit einem göttlichen 2007 Gantenbein Chardonnay haben wir angefangen. Bei dem gab es nur strahlende Gesichter, keine Diskussionen. Das änderte sich dann beim 1983 Clos de la Roche von Armand Rousseau, war mir aber letztendlich egal. Wo gibt es noch ältere, gereifte Rousseaus zu so freundlichen Preisen? Hier natürlich, in meinem Glas. Also Ohren auf Durchzug gestellt und dafür Gaumen und Nase auf vollen Empfang. Wirkte zu Anfang etwas verhalten in der feinfruchtigen Nase, aber mit schönem Fruchtspiel am Gaumen und immer noch erstaunlicher Kraft, baute enorm im Glas aus und holte locker auf, was die(allerdings auch immer besser werdende) Nase am Anfang versäumte, blieb sehr lang am Gaumen 92/100. Schlichtweg sensationell der 1976 Grands Echezeaux von DRC, natürlich aus perfekter Lagerung, nie gereist. Ein großartiger, sehr würziger, immer noch fruchtiger, am Gaumen fast explosiver Burgunder mit diesem fantastischen Spagat aus Kraft und seidiger Eleganz. Schon diese irre Nase machte süchtig, der Gaumen gab den "Rest". Ein Wein zum Staunen, philosophieren und zum hemmungslos genießen. Ja, sogar die Mädels wollten plötzlich mitspielen. Reif war dieser DRC mit feiner Süße und unendlichem Abgang. Potential hat er sicher noch für zwei Jahrzehnte 97/100. Sehr schwierig müssen die 76er von DRC lange Jahre gewesen sein. Um so schöner sind sie jetzt. Überhaupt sind die besseren Burgunder aus 1976 für mich derzeit eine der spannensten Entdeckungen. Höchst erstaunlich zum vorläufigen Abschluss ein 2001 Scharzhofberger Auslese lange Goldkapsel Fuder 19 Reichsgraf von Kesselstatt, ein nicht zu süßer, sehr balancierter, mineralischer Traum mit langem Abgang 94/100. Mit der Qualität hatte ich noch dazu bei kleinem Preis nicht gerechnet. Es muss also nicht immer Egon Müller sein.
Vorläufig war das Ende, weil an einem der Nachbartische ein paar Schweizer Buben Geburtstag feierten. Das Geburtstagskind stammt aus Werni Toblers Schule und kocht jetzt im Central in Luzern. Da musste dann natürlich noch ein 1988 Pape Clement aus dem Geburtsjahr ins Glas. In der Nase erst warmer Kuhdung, dann immer mehr Teer und Tabak, am Gaumen Kraft, Fülle, Länge, sogar erste, feine Süße 93+/100. Kann und wird wohl noch zulegen und hat locker Potential für 2 weitere Jahrzehnte. Immer noch ein schlauer Kauf, nicht nur im gnädigen Schwarzen Adler. Und weil die Gier nun mal wieder entfacht war, musste es auch noch ein 1975 Haut Brion aus der Halben sein. Der gehörte allerdings ähnlich rasch getrunken wie ich ins Bett musste. Im Gegensatz zum außerweltlichen La Mission war der Haut Brion noch nie ein richtig großer Wein, eher ein sehr feiner, eleganter Vertreter mit viel Leder, Tabak und Cigarbox, aber auch viel Herbstlaub. Wer gereifte, ältere Weine mag gibt immer noch 92/100. Die jungen Buben urteilten deutlich härter.

Im "neuen" Schorn

Es kling wie ein modernes Märchen. Ein talentierter, junger Koch beendet erfolgreich seine Lehre in einem 3-Sterne-Restaurant. Doch nach der Lehre beschließt er, dass das nicht seine Welt ist. Er will etwas anderes machen, vielleicht studieren, und deshalb erstmal sein Fachabitur nachholen. Doch solch ein Schritt will finanziert werden. Wie macht man das, wenn man Koch gelernt hat? Mit Kochen natürlich. Der junge Mann verdingt sich abends als rechte Hand von Franz Josef Schorn, kocht also weiter. Und dieser Franz Josef Schorn hat rein zufällig eine bezaubernde Tochter, die ebenfalls gerade ihre Kochlehre in einem anderen Sternetempel abschließt. Die beiden lernen sich kennen, mögen sich .(der Rest ist Privatsache) .und beschließen, das etwas in die Jahre gekommene Restaurant Schorn in Eigenregie zu übernehmen. So geschehen im September 2009. Mächtig Gas geben die jungen Leute. Schnell spricht sich herum, was da für tolle Sachen aus Marcel Schiefers Küche kommen, wie nett man vom Service unter Leitung von Anne Schorn umsorgt wird, und wie prall gefüllt der Weinkeller mit edlen Kreszenzen ist, vor allem aus deutschen Landen. Stets gut gefüllt ist der Laden, und ohne rechtzeitige Reservierung geht meist nichts mehr. Die Schnellmerker vom GaultMillau werden rasch aufmerksam und geben Ende 2010 14/20 Punkte. Schade nur, dass die wohl einen Zweijahresrythmus haben, sonst hätten sie schon im letzten Jahr gemerkt, dass da inzwischen locker 16/20 auf den Teller kommen.
Doch nicht nur die Küche wird entrümpelt, entschlackt und modernisiert. Im Frühjahr 2011 entsteht eine wunderschöne Terrasse. Und Anfang Januar 2012 wird auch das Restaurant selbst einem deutlichen Facelifting unterzogen. Das in die Jahre gekommene, etwas plüschige Ambiente wich klaren, modernen Strukturen, die deutlich besser zum geradlinigen Stil der Küche passen.

Anne Schorn und Marcel Schiefer im "neuen" Schorn

Anne Schorn und Marcel Schiefer im "neuen" Schorn

In dieses "neue" Schorn habe ich im Januar ein paar befreundete, verwöhnte Feinschmecker eingeladen, die sich hier pudelwohl fühlten. Und das lag nicht nur an den Großflaschen, die wir zur formidablen Küche geköpft haben. Doch auch die hatten es in sich. Den Anfang machte eine Magnum 2005 Ruppertsburger Hoheburg Riesling Faß #57 von Bürklin-Wolf. Aus einer kleinen, biologisch bewirtschafteten(auch mit Pferd statt Traktor!) Parzelle stammt dieser trockene Ausnahme-Riesling, der sich im Keller spontanvergoren fast selbst machen durfte. Spannende, vielschichtige Nase mit reifer Frucht, Kräutern und Minze, am Gaumen sehr mineralisch mit fantastischer struktur, immer noch so jung mit gewaltiger Länge 95/100. Auf gleichem Niveau, etwas fülliger, saftiger, offener und zugänglicher der grandiose 2005 Idig GG von Christmann, ebenfalls aus der Magnum 95/100. Und wenn es eines Indizes bedurft hätte, dass diese Weine wirklich so groß waren, dann der bekennende Rotweinfan in unserer Mitte, der sich überhaupt nichts aus Weißwein macht. Der probierte einen Schluck, dann noch einen und wollte fortan an diesem Abend eigentlich keinen Rotwein mehr. Zurückbekehrt haben wir ihn dann doch, nicht nur, weil irgendwann kein Weißer mehr da war. Aber der 2000 Montepeloso Gabbro war einfach unwiderstehlich. Ein halbes Dutzend mal hatte ich diesen konzentrierten Powerstoff in den letzten 10 Jahren im Glas, immer war er zu jung. Jetzt endlich zeigt er in dieser Magnum, was er drauf hat. Superbe Frucht, Cassis, Kirsche, Brombeere, fantastische Struktur, gute Säure, etwas Lakritz, mineralisch, enorm vielschichtig und spannend. Nur vom Etikett her störten mich die 15% Alkohol, sie waren verdammt gut verpackt, ein Supertoskaner im besten Sinne, hat sicher noch lange Zukunft 95/100. Danach tat sich der 1991 Pesquera Reserva aus der Magnum schon etwas schwerer. Der hatte nicht mehr das unbekümmerte, unbeschwerte aus der Jugend, wirkte gut gereift mit schöner Frucht, Tabak, Leder, Würze, aber den Wein kenne ich aus seiner Jugend deutlich besser, vielleicht geht ja dieser Wein, der nach Aussagen von Alexandro Fernandez Nachfolger des legendären 75ers sein soll, derzeit auch nur durch eine etwas verschlossene Phase 92/100. In keinem Fall, das zeigte die voll intakte Farbe, besteht Eile, diesen Wein auszutrinken. Spanien pur dann aus der Magnum der gut gereifte, würzige, sehr nachhaltige 1985 Vendimia Seleccionada von Martinez Bujanda 93/100. Auch hier besteht keine Eile. Das galt auch für unseren letzten Wein, einen famosen 1928 Gilbert Vintage Port, auf dem deutschen Rückenetikett aus den 50ern so nett als "Südwein" deklariert. Klingt harmloser als Portwein, verringert aber nicht den spürbaren Alkohol dieses mächtigen, sehr aromatischen, marzipansüßen Teils 93/100.

Was für ein schönes Etikett

Es gibt Weine, die lässt man wohl besser zu und genießt den optischen Eindruck der Flasche. Im Marli auf der Kö war ich spontan gelandet, wo Urgestein Franz Josef Schorn für seine Freundin Claudia den Grillmaxen mimt, wenn er nicht gerade auf Einkaufstour für seinen Weinvertrieb ist. Dabei hatte ich einen Sack voller Risikoflaschen. Den Anfang machte ein 1974 Langenloiser Gewürztraminer Kabinett von Jurtschitsch. Der startete verhalten (versprochen hatte ich mir ohnehin nichts davon) mit welken Rosen in der Nase, flach am Gaumen. Doch statt abzunippeln baute er dann plötzlich enorm aus, entwickelte eine schöne, dezent süße Gewürztraminer-Nase, am Gaumen dazu eine erstaunliche Fülle mit dezenter Süße und guter Säure. Da kamen plötzlich gut und gerne 86/100 ins Glas, aber nur für eine halbe Stunde, dann ging es rapide bergab. Dieses Glück hatten wir leider nicht beim 1922 Berncasteler Doctor Crescenz Lauerburg. Schon der schrumpelige Korken roch eher wie eine Moorleiche. Nase und Gaumen dieses Weines waren hin, nicht mehr trinkbar. Nur das Etikett der alten Schlegelflasche, das war einmalig.

Vidange nennt man den Füllstand der Flasche 1876 St. Estephe eines Bordelaiser Händlers namens Dubois, also noch mal unter Low Shoulder. Um so erstaunlicher der erste Schluck dieses Methusalems, der so vital war, wie die Farbe. Schnell ab in die Karaffe und auf ein Wunder gehofft, doch das wollte sich nicht einstellen. Der Wein starb in rasend schnellem Tempo. Na gut, dann probierten wir es mal mit einem 1953 Volnay von R&U, abgefüllt für die Bremer Eiswette. Der hatte aus einer ebenfalls nicht optimalen Flasche(5cm) in der Nase einen deutlichen Alterston. Der kräftige Gaumen dagegen passte mit viel Kaffee, eingelegten Pflaumen und etwas Balsamico deutlich besser zur dichten, voll intakten Farbe. Baute im Glas aus und entwickelte mit mehr Temperatur eine feine Süße 90/100. Die nächste Flasche unserer Mini-Worst Bottle war ein 1953 Angelus in einer Chateauabfüllung aus einer ms-Flasche. Auch hier ein deutlicher Alterston in der Nase, aber eine voll intakte, sogar noch brilliante Farbe, weich, seidig, elegant der schöne Gaumen 90/100.

Alle anderen Weine waren in optisch sehr gutem Zustand. Aber was sollte das heißen bei einem 1976 Idyll Vineyard Geelong, seinerzeit von Hawesko vertrieben? Leicht schweißig die an Merlot erinnernde Nase, sehr dichte, junge Farbe, am Gaumen erstaunlich frisch mit guter Säure. Der mit 60% in dieser Cuvée enthaltene Shiraz brachte die süße Würze, der Cabernet(40%) die reife Paprika. Der Gesamteindruck war der eines immer noch frisch wirkenden, sehr aromatischen, balancierten Weines mit einer für Australien geradezu faszinierenden Leichtigkeit und einem Alkohol von 13%, den ich mir bei den heutigen Granaten wünschen würde 93/100. Weiter ging es mit 1975 Laville Haut Brion, der feinen, schlanken Charme-Offensive aus Pessac. Was für ein eleganter, fast filigraner Gegensatz zum Kraftbündel La Mission 92/100. Eine junge Mörderfarbe hatte der 1987 Kenwood Artist Series Jack London, auch in der sehr minzigen, ledrigen Nase mit Bitterschokolade und erdig-mineralischen Noten und am enorm kräftigen Gaumen war das ein immer noch junger Wein, der sicher noch 2 Jahrzehnte vor sich hat und durchaus noch zulegen kann 92/100. Mit seiner zupackenden Art und den bescheidenen 12,5% Alkohol hat dieser Wein nichts gemein mit dem amaerikanischen Idealbild des "thick, rich and creamy", dem die modernen Kalifornier nacheifern. Deutlich jünger in der Anmutung war auch unser letzter Wein, ein 1966 Grands Echezeaux von Louis Gouroux. Pikante Frucht, generöse Süße, gewaltige Struktur, Länge und gute Säure, wird gut weiter altern 95/100.

Und es funktioniert!

Was tun, wenn ein an sich sehr schöner wein von einem küblen Kork verunstaltet wird? Ärgern? Trotzdem trinken? Wegschütten? Es gibt noch einen anderen Weg, doch dazu später mehr. Mit lieben Sylter Freunden waren wir im D Vine gelandet, und es wurde heftig. Mit drei gereiften Weißweinen von Breuer starteten wir in einen feuchtfröhlichen Abend. Spektakulär gleich zu Anfang der 2001 Nonnenberg von Breuer. Der stand wie eine Eins im Glas, trockener Rheingauer in Perfektion, dezente Petrolnote, Mineralität, reife Zitrusfrüchte mit schöner Fruchtsüße, kräftige, aber reife Säure, gewaltige Statur, bleibt ewig am Gaumen 96/100. Da konnten die beiden nachfolgenden Weine auf hohem Niveau nicht mit. Ähnlich in der Aromatik, aber schlanker, eleganter war der 1997 Nonnenberg 92/100. Weicher, cremiger, sehr mineralisch der 1997 Berg Schlossberg 93/100. Alle drei aber große, trockene deutsche Weine, die jetzt deutlich mehr zeigten als in ihrer Jugend.
Absolut großartig auch der 1950 Grand Barreil Lamarzelle Figeac, der eindrücklich zeigte, wie gut die Weine des Jahrgangs 1950 vom rechten Ufer altern. Voll intakte Farbe, erstaunliche, trüffelige Kraft und Fülle, sehr lang am Gaumen mit feinem, trüffeligem Schmelz 93/100. Und dann kam das Malheur, ein 1947 Chassagne Montrachet Morgeot Rouge von Léon Violland hatte einen heftigen Kork. Ganz selten habe ich bei alten Weinen Kork. Nur bei den rekonditionnierten steigt die Korkquote auf das, was wir bei heutigen Weinen ertragen müssen. Und diese Flasche war vor einigen Jahren auf dem Gut komplett neu ausgestattet worden, eben auch mit diesem neuen Kork, der uns jetzt den Genuss verderben wollte. Rechtzeitig, bevor wir den wein ausgossen, kam mir noch ein altes Mittel in den Sinn. Habt Ihr Frischhaltefolie? Hatten sie im D Vine. Ungläubig stopfte Tony einen guten Meter von dem Zeugs in die Karaffe. Nach einer guten, halben Stunde war der Korkfehler kaum noch spürbar. Nach einer Stunde war er praktisch weg.Und so kamen wir doch noch in den Genuss dieses sehr pikanten, fruchtigen Weines, den eine tolle Säure erstaunlich frisch hielt 91/100. Bitte fragen Sie mich nicht nach dem chemischen Vorgang, der da in der Karaffe ablief. Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es funktioniert hat.

Zwischendurch hatte ich noch eine andere Trouvaille aus der Flasche befreit, eine 1908 Pichon Comtesse in sehr gutem Zustand mit Original-Korken. Unfassbar, wie diese alte Dame brillierte. Schlichtweg sensationelle, sehr dichte Farbe, balsamische Noten, eingelegte Rumtopffrüchte, nicht der feine Schmelz jüngerer Jahrgänge, dafür aber eine immense Kraft. Stand wie eine "1" im Glas und war irrsinnig lang am Gaumen. Ein in dieser Form praktisch unsterblicher wein, der durch das harsche Tannin des Jahrgangs wahrscheinlich etliche Jahrzehnte untrinkbar war. Wir konnten jetzt davon profitieren und hatten vom reinen Genusswert her sicher 94/100 im Glas. Für die Einmaligkeit eines 104 Jahre alten Weines gehört dieser Comtesse aber eigentlich mit 104/100 das Alter als Punktzahl verliehen. Natürlich war der lange vorher dekantierte 1970 Latour größer, dichter, kräftiger und noch komplexer, ein echter Latour-Riese auf irgendwo oberhalb von 97/100. Nur stahl ihm die Comtesse einfach die Schau. Stellen Sie sich vor, eine uralte Dame legt plötzlich einen perfekten Step Dance a la Fred Astaire hin, Wahnsinn!

Der gute Toni zauberte danach aus eigenen Beständen noch einen feinen 1961 Monbousquet auf den Tisch und in die Gläser. Der hatte wenig mit den Boliden zu tun, die heute auf dem 1993 von Pavie-Besitzer Gerad Perse übernommenen Gut unter der Oberaufsicht von Michelle Rolland entstehen. Aber es war ein überraschend eleganter, immer noch sehr gut trinkbarer Wein ohne erkennbare Runzeln 90/100. Als Absacker tranken wir dann noch eine großartige 1979 Ruster Welschriesling TBA von Triebaumer. Ein zwar recht fetter, aber dabei auch sehr finessiger, perfekter Aprikosenlikör mit intensiver, durch gute Säure balancierter Süße, mit Fülle, Kraft und Länge, absolut altersfrei 97/100.

Trüffel satt mit La Mouline

Ja, ich bin bekennender Trüffelfan. Bei den Weißen aus Alba liebe ich diesen unglaublichen Duft. Bei den Schwarzen aus Perigord ist der Duft nicht so intensiv, dafür ist das Gaumenerlebnis spannender. Die Weißen kann man nur drüberhobeln, mit den Schwarzen kann man kochen. Aber was ich nicht liebe, sind der Mensch mit dem weißen Handschuh, dem Trüffelhobel und der Briefwaage. Teuer wird es dann meistens im Restaurant mit aberwitzigen Preisen pro Gramm, sehr teuer. Ein Hauch von Trüffel geht noch, ein Baden in Trüffeln verbietet sich. Und gerade letzteres macht doch soviel Spaß. Vor Jahrzehnten ging das noch, ein ganzer Trüffel in der Sellerie- oder Blätterteigkruste. Heute wird da erst eine Bankauskunft eingeholt. Aber es gibt eine Alternative. Einmal im Jahr legen wir zu dritt zusammen und kaufen uns bei einem spezialisierten, sehr zuverlässigen Importeur Perigord Trüffel satt, die dann tagesfrisch eingeflogen werden. Bernd, dieser begnadete Hobbykoch, zaubert daraus für uns drei ein feines Menü. Und dazu gibt es aus unseren Kellern begleitende Weine. La Mouline von Guigal hieß dieses Jahr unser Weinmotto.
Mit einem Glas 2010 Idig GG von Christmann hieß uns unser Küchenzampano willkommen. Reifer Weinbergpfirsich in der Nase, prägnante Säure am Gaumen, im positiven Sinne schlank, sehr elegant und erstaunlich zugänglich wirkend. Aber das täuscht. 2010 ist ein Langstreckenjahrgang. Wer die Weine 5 Jahre liegen lässt, hat mehr davon 92+/100. Nicht liegengelassen haben wir Bernds perfekte, selbstgemachte Trüffelbutter. Was für ein Traum als Einstieg in das kulinarische Verwöhnprogramm.

Perfekt gereift der 1980 La Mouline von Guigal. In der Nase Trüffel, Unterholz, altes Sattelleder, auch am Gaumen trüffelig mit schöner Süße, ein großer, reifer, sehr generöser, aromatischer La Mouline mit guter Länge 96/100. Süßer, fruchtiger und frischer war 1981 La Mouline mit betörender Frucht und feiner Würze, ebenfalls sehr trüffelig und damit perfekte Kombination mit dem, was wir auf dem Teller hatten, dabei spielerisch, tänzerisch auf der Zunge, burgundische Pracht und Fülle, einfach dekadent lecker 98/100. Vergessen Sie einfach die Parkerpunkte bei den La Moulines. Gerade 86/100 hat der 81er, den Parker einmal für sein 1997 erschienenes Rhonebuch verkostet hat, möglicherweise in einer sehr verschlossenen Phase dieses Weines. La Moulines sind einfach großartig und Hedonismus pur mit aller Würze des Orients in ihrer jugendlichen Fruchtphase, deren Anfang und Ende nicht angekündigt werden. Je nach Jahrgang verschließen sie sich nach einigen Jahren, um nach längerer Zeit als reifere, aber nicht minder betörende Weine wieder aufzuwachen.
In der nächsten Paarung mit 1998 La Mouline und 1999 La Mouline hätte nach der Parkerschen Papierform eigentlich der 99er der größere Wein sein müssen. War er aber nicht. Der 98er präsentierte sich in sensationeller, bestechender Bestform und explodierte förmlich am Gaumen. Meine bisher mit Abstand beste Flasche dieses Weines 99/100. Der 99er hingegen wirkte noch sehr jung, sehr kompakt mit ebenfalls sehr junger Farbe, viel Säure und gewaltiger Zukunft, nur kann man Potential leider nicht trinken 95+/100. Ist langfristig wahrscheinlich der größere der beiden Weine. Der 2004 La Mouline wirkte schlank, muskulös, mit gewaltiger Struktur, sehr kräftig mit puristisch schöner Frucht und mit einer gehörigen Ladung gebratenem Speck 96/100. Der 2005 La Mouline brachte eine enorme Fülle ins Glas, wirkte süß, üppig und täuschte Reife vor. Aber das ist ein Monster auf dem Wege zur Perfektion mit massivem Tannin- und Säuregerüst, hätte ich gerne in 15 Jahren als 100/100 Star zum Trüffeldinner 96+/100.
Zum Schluss habe ich mich natürlich schon gefragt, was die ganze Bewerterei sollte. Wir haben zu dritt in 600 Gramm Perigord Trüffeln gebadet und in 6 Weltklasseweinen, von denen wir jeder nicht eine Probierpfütze bekamen, sondern jeweils eine Drittelflasche. Was für ein Traum. Wie schön, dass es jetzt nur noch 365 Tage bis zum nächsten Trüffeldinner waren.

Einfach nur reinbeißen....

Einfach nur reinbeißen....

Heftig und kräftig

Eigentlich wollte ich nur auf die Schnelle ein paar Nudeln essen an diesem Samstagmittag. Doch Michelangelo Saitta ließ nicht locker. Willst Du nicht wenigstens ein schönes Glas Wein dazu? Na gut ich ließ mich breitschlagen. Wir öffneten einen 2007 Barolo Cigala von Aldo Conterno. Aber da hatten wir wohl eine schlechte, fehlerhafte Flasche erwischt. Was für eine fürchterliche Mischung aus Teer, Heftpflaster und Essigstich, einfach nur bittere Kost, bei der zu Parkers 94/100 locker 15 Punkt fehlten. Den nahm Michelangelo gleich wieder mit. Und ich wurde leichtsinnig. Eine Flasche 2004 Amarone dal Forno Romano gab es, ultrarar, ultrateuer, ultraalkoholisch, gilt als einer der besten, je gemachten. Natürlich zu jung, natürlich nichts für einen kleinen Mittags-Lunch, aber Leichtsinn kennt ja keine Grenzen. Also raus mit dem Korken und rein in die Karaffe. Heftig und kräftig, dieses Zeugs. Schnell mal mit dem Iphone bei Parker nachgeschaut. 98/100 gibt da der Herr Galloni, spricht von einem Monument(kann ich nachvollziehen), aber auch von seidigen Tanninen. Was versteht der denn unter Seide? Mundbeschlagende, massive Tannine waren das. Natürlich konnte man den Dal Forno Romano schon trinken. Schließlich waren in diesem Konzentrat auch Massen an Frucht und ein ganzer, reingeriebener Felsen als Mineralität. Ein faszinierender, fordernder Wein, der sich ständig veränderte und locker 10 Jahre zu jung war. Eine Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt? Schwierig, vielleicht 93+/100 und je einen Punkt mehr pro hypothetischen, weiteren halben Tag Dekantierzeit. Unwillkürlich musste ich an den Lamarein von Josephus Mayr denken, der ja ebenfalls nach ähnlichem Strickmuster mit Traubentrocknung hergestellt wird. Nur kostet der gut ein Fünftel und macht auch jung locker doppelt soviel Spaß. Aber den hat Parkers Galloni ja auch noch nie getrunken, und das sollte er tunlichst bleiben lassen. Trotzdem werde ich mir von dem Dal Forno eine Flasche hinlegen(falls ich ihn finde). Ich möchte wissen, wie so etwas in 10 Jahren schmeckt. Auch am Tisch waren die Meinungen sehr geteilt, meist abweisend. Das lag vielleicht auch daran, dass meine Freunde lieber 2007 Ca Marcanda von Gaja tranken. Der war weich, schmelzig, zugänglich mit viel Schokolade und Röstaromatik, wirkte aber gegen den Amarone Charakterbolzen wie weichgespült 92/100. Der Mittag war ohnehin inzwischen zum Nachmittag geworden, drohte auszuarten. Ich ergriff die Flucht.

Ein Thai-Restaurant als Weintempel?

Gehört hatte ich schon viel von diesem Rüen Thai in München mit seiner legendären Weinkarte. Klar musste ich da unbedingt mal hin. Gab es diese Kombination wirklich? Staunend saß ich vor der Weinkarte mit grob überschlagen gut 6-700 Positionen, darunter sehr viele Bordeaux, auch in Großflaschen, alle gastfreundlich kalkuliert. Selbst Lafites, Latours, Moutons und sogar Petrus gab es in etlichen Jahrgängen. Aber zur kräftig gewürzten Thai-Küche? Erst später erfuhren wir, dass hier auf Wunsch natürlich so gekocht wird, dass beides zusammenpasst. Einfach den Wirt fragen, oder das sehr sympathische, kompetente Servicepersonal. Die regeln das schon. Diese Kombination probiere ich dann beim nächsten Mal aus. Wir haben uns zur hervorragenden Küche dann doch lieber auf Weißweine gestürzt. Den Anfang machte ein jugendlicher, knackiger, frischer, mineralischer, sehr gut zu trinkender 2010 Wehlener Sonnenuhr GG von Kesselstatt 90/100. Das war nicht nur ein guter Begleiter unserer gut gewürzten Vorspeisen, sondern auch ein perfekter, erfrischender Apero. Weiter ging es mit einem 2002 Forster Pechstein GG von Bürklin Wolf, ein dezent (an)gereifter, furztrockener, leicht rustikaler, kräftiger Wein mit faszinierender Erdbeer(!)nase 92/100. Weiter ging es mit einer 2005 Hochheimer Hölle Goldkapsel von Künstler, einem schlichtweg genialen Prachtriesling, der vor Mineralität nur so strotzte, voll stoffiger Fülle, sehr würtig und dabei doch so unerhört elegant und finessig 96/100. Vor über vier Jahren hatte ich diesen Wein mal im Villino in Lindau im Glas und mir gewünscht, dass ich ihn noch mal etwas reifer wieder trinken darf. Und ausgerechnet in einem Thai-Restaurant ist das der Fall. Selten sind die Restaurants, in denen man auch gereiftere Weißweine findet. Hier gibt es einige davon. Dieses Rüen Thai hat nur einen, großen Fehler. Es müsste in Düsseldorf liegen.