Vom Allerfeinsten

Auf eine grandiose Probe eines großen Privatsammlers war ich in die Schweiz eingeladen, genauer gesagt an den Vierwaldstättersee. Meine nicht gerade unbescheidenen Erwartungen an diesen Event wurden von der ersten Sekunde an übertroffen. Alleine schon der Blick von der Terrasse des am Hang gelegenen Hauses über den See und diese herrliche Bergwelt. Da konnte ich mich kaum dran satt sehen, und locker hätte ich es hier auch ohne wein ausgehalten. Aber das musste ich natürlich nicht. Kaum hatte mich unser Gastgeber begrüßt, hatte ich schon das erste Glas in der Hand. Darin ein perfekt gereifter 1985 Krug Vintage Brut, kräftig, reif und druckvoll – WT94. Um kaum war der geleert, kam schon ein sehr feiner, eleganter, schmeichlerischer 1982 Krug Clos du Mesnil ins Glas – WT95. Das hätte ruhig so weitergehen können, Champagner trinken mit dieser fabelhaften Aussicht.

Dann ging es an eine festlich eingedeckte Tafel. Die Runde war vom Gastgeber ähnlich sorgfältig ausgewählt worden wie die Weine selbst. Drei bekannte Winzer aus Bordeaux und Italien gehörten ebenso dazu wie ein Master of Wine und natürlich begeisterte Weinnasen. Angekündigt worden war in der Einladung, dass André Jäger von der Fischerzunft in Schaffhausen eigens für diese Probe ein großes Menü komponieren würde. Nicht damit gerechnet hatte ich damit, dass der nicht nur Komponist, sondern auch Dirigent war und in der Küche des Hauses mit seinem „Orchester“ persönlich für uns werkelte.

Gleich der erste Flight der Probe kam als Paukenschlag in die Gläser. Reif zwar mit ersten Magginoten in der Nase der 1949 La Conseillante in einer französischen Händlerabfüllung von Moreau, der aber am Gaumen mit guter, stützender Säure frischer wirkte und gut zu trinken war – WT91. Gewaltig der 1949 Lafleur in einer Händlerabfüllung mit der typischen, kräuterigen Herbe, sehr mineralisch, kräftig, aber auch mit wunderbarer, generöser Süße. Da stimmte von der Nase bis zum endlosen Abgang einfach alles – WT97. Viel Luft brauchte der 1949 Petrus, auch der aus einer Händlerabfüllung. Der wirkte zu Anfang etwas eckig und herb mit spitzer Säure am Gaumen, baute aber enorm aus und wurde runder, weicher, eleganter und generöser – WT96.

Dreimal Vandermeulen aus 1928 war jetzt angesagt. Ein unsterbliches Monument der 1928 Cheval Blanc. Sehr dichte, deutlich jünger wirkende Farbe, betörende Nase, immer noch mit guter Frucht, am Gaumen enorme Kraft, hohe Mineralität, Kaffee, Mokka und feine Süße, unglaubliche Länge, für mich der beste Wein der Probe – WT100. Leicht laktisch in der Nase wirkte zu Anfang der 1928 Conseillante, dessen größtes Problem aber darin lag, dass er direkt neben diesem außerweltlichen Cheval Blanc stand. Entwickelte sich aber enorm im Glas, ein sehr charmanter, eleganter, schokoladiger Schmeichler mit viel Druck am Gaumen – WT97. Recht weit entwickelt 1928 La Mission, den ich deutlich besser kenne. Sehr zugänglich, offen mit feiner Süße die generöse Nase, am Gaumen fehlen Kraft und Mineralität der besseren Flaschen dieses Weines – WT93.

Die Überraschung des Abends war für mich 1959 Ducru Beaucaillou in einer französischen Barrière-Abfüllung. Nicht zu Unrecht fielen hier am Tisch – wir verkosteten alle Weine blind – große Namen. Diese Ausnahmeflasche schienen wir just in diesem einen Moment zu genießen, wo der Wein über sich hinauswächst. Wunderbare Frucht, generöse Süße, Fülle, Länge, einfach absolut stimmig und ohne die nicht nur bei diesem Wein so oft störende 59er Säure – WT97. Was würde ich darum geben, wenn dieser „Magic Moment“ auf der Flasche vorher angezeigt würde. Auch 1959 Léoville Poyferré zeigte sich sehr fein, elegant und absolut stimmig mit sehr guter Länge – WT94. Sicher hätte 1959 Margaux hier mithalten können, aber der hatte leider Kork.

Auf hohem Niveau sehr schwierig zeigte sich 1947 Cheval Blanc Vandermeulen. Dichte Farbe, sehr schöne Nase, immer noch erstaunlich jung wirkend, erstaunlich viel Zedernholz, aber wo war dieser dekadente Schmelz, wo diese portige Üppigkeit? Das irritierte mich schon. Ich kenne reichlich müde Flaschen dieses Jahrhundertweins, die nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, aber jung wirkende Flaschen, denen genau das abgeht, was diesen Wein so groß macht? – WT95?. All das, was dem Cheval fehlte, hatte dafür dieser weiche, generöse, schmelzige 1947 l´Evangile in einer Händlerabfüllung mit herrlicher, schokoladiger Fülle. Der war nahe der Perfektion – WT99. Auch 1947 Latour-à-Pomerol in einer Händlerabfüllung zeigte sich von seiner besten Seite, immer noch mit erstaunlicher Kraft und mit leicht kräuteriger, lakritziger Note, aber auch sehr generös mit reichlich schokoladigem Schmelz – WT98. Klar stellt sich bei diesen Händlerabfüllungen immer die Frage der Authentizität, aber es gilt auch der berühmte Spruch: The Proof is in the Bottle. Und wenn diesen großen Wein tatsächlich in dieser Form jemand hätte fälschen wollen, dann hätte er schon 1947 Lafleur nehmen müssen.

Sehr unterschiedliche Flaschen gibt es bei 1961 Lafite Rothschild. Mit unserer hatten wir das große Los gezogen. So schön hatte ich diesen Wein noch nie im Glas, sehr elegant, immer noch mit guter Frucht, wunderbare Süße am samtigen Gaumen, wo er mit der schmelzigen Schokolade auch als reifer Pomerol durchging – WT97. Trüb in der Farbe war 1961 La Mission Haut Brion in einer belgischen Nony-Abfüllung, minzig, gezehrt, laktisch, dann ausbauend, länger werdend, mineralisch – WT94. Als ich die Flasche mit der blauen Kapsel sah, wurde mir so einiges klar. Den hatte ich auch schon bei und mit Uwe Bende. Und so war es auch hier alles, nur kein 61 La Mission. Unser spendabler Gastgeber möge mir verzeihen, wenn ich auch die Kuckuckseier als solche beschreibe. Reichlich Traumweine haben wir an diesem Abend getrunken. Da spielen die paar Weine, bei denen man nur davon träumen konnte, dass drin wäre was drauf stand keine Rolle. Der 1961 Petrus in einer belgischen Händlerabfüllung gehörte leider zu dieser Kategorie.

Drei immer noch so jugendliche Helden bekamen wir jetzt ins Glas. Mörderpotential hat 1990 Haut Brion, sehr mineralisch, dicht, sehr nachhaltig, aber auch offen mit der klassischen Pessac Cigarbox Aromatik, baut enorm im Glas. Ein Topwein, der der eigenen Legende 89 dicht auf den Fersen ist – WT97+. Suchen und kaufen. Letzteres gilt auch für 1990 La Mission Haut Brion, der vielleicht nicht ganz den Druck des Haut Brion hat, aber auch das irres Zeugs mit großer Zukunft – WT96+. Ins Charakterfach wechselt langsam 1990 Latour, der in seiner jugendlichen, sehr exotischen Fruchtphase den üppigen Kalifornier aus Bordeaux spielte. Jetzt wird er immer seriöser, klassischer und entwickelt Statur und Konturen einer Latour-Legende – WT98+.

Perfekter roter Abschluss ein 82er Flight. 1982 Cheval Blanc, einst in der Fruchtphase eine 100-Punkte-Legende, anschließend verschlossen und abgestraft, ist wieder auf dem besten wege zu einstiger Größe. Diese Traumnase mit dem einmaligen Cheval Blanc Parfüm, diese Eleganz, dieser gelungene Spagat am seidigen Gaumen aus Kraft und Finesse, dieser enorme, aromatische Druck, da kommt wohl noch mehr – WT97+. Und selbst dieser ewig zugenagelte 1982 Lafite Rothschild öffnet sich zunehmend und steuert trotz immer noch massiver Tannine Richtung Perfektion, für die er aber wohl noch mal 10 Jahre braucht – WT96+. Zu Recht als Nachfolger des legendären 45ers gilt 1982 Mouton Rothschild, von dem Moutons legendärer Kellermeister Raoul Blondin seinerzeit sagte, er rieche aus dem Fass wie seinerzeit der 45er. Klar wird der sich noch entwickeln, aber das ist ein so überwältigendes, perfekt strukturiertes Konzentrat, dicht, kraftvoll, Cassis pur, aber auch viel Minze und ein erster Hauch Eukalyptus, da geht nur eine Wertung – WT100. Wer dem 45er hinterherläuft, sollte daran denken, dass es zum gleichen Preis immer noch 10 Flaschen 82er gibt.

Nein, über die sehr dubiose 1929 d´Yquem Händlerabfüllung, die irgendwann als Absacker ins Glas kam, schreibe ich jetzt nicht. Lieber über die Zugabe, eine großartige 2003 Palmer Magnum, die mir bedeutend besser gefiel als alle bisher von diesem Wein getrunkenen Eintel. Auch der nicht unumstrittene 2003 scheint zumindest im Grand Format zuzulegen und mehr Struktur zu gewinnen – WT92.

Mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit habe ich mich auf den Heimweg gemacht. Solche Proben brennen sich ganz tief in die Seele eines Weinfans ein. – Und wie schläft man eigentlich nach solch einem Feuerwerk großer Weine? Saugut, das würde ich mir gerne als Schlafmittel verschreiben lassen.

Danke, lieber Klaus, das war großartig.