Juni 2022

Zum Weintrinken ins „Dorf“

Statt mit 9 Euro Ticket in überfüllten Zügen irgendwo hin haben wir unser entspanntes, leeres Düsseldorf genossen. Zu Fuß sind wir ins „Dorf“, das tatsächlich ländlich wirkende Alt Niederkassel, gelaufen. Start war der Biergarten der gemütlichen D-Schänke, die sich Weinfreaks merken sollten. Der neue Inhaber dieser traditionellen Dorfschänke, Thomas Demske, hat seinen kompletten Weinkeller mit eingebracht, was zu einer unvermuteten, gefühlt sicher etwa 700 Positionen starken Weinkarte geführt hat, die insbesondere im Bereich deutscher Rieslinge phänomenal mit großartiger Jahrgangstiefe ist. Da lohnt dann selbst eine 9 Euro Ticketfahrt hierhin von egal woher, auch aus Köln.

Wir begannen unseren Abend im Dorf mit einem fantastischen 2009 Halenberg GG von Schäfer-Fröhlich, jetzt im perfekten GG Alter und immer noch so taufrisch. Sehr präzise und animierend die saftige 2009er Frucht, immer noch rassig die Säure, dazu eine intensive, salzige Mineralität - WT96. Unsterblich dieser 1987 Mouton Rothschild mit diesem prächtigen Etikett, auf dem der Schweizer Künstler Erni den Baron Philippe de Rothschild verewigt hat. Etwas schlanker als der geniale 90 Mouton vom Vorabend, aber ohne Alterstöne, sehr elegant mit der klassischen Mouton Aromatik, ein klassischer Mouton zum Verlieben - WT95. Wiederauferstanden nach schöpferischer Pause ist dieser hedonistische 1990 Gazin mit pflaumiger Frucht, prächtiger, einfach dekadent leckerer, schokoladiger Fülle und gutem Rückgrat für ein längeres, zweites Leben - WT96. Und dann war da noch dieser atemberaubende, tief dunkle, druckvolle 1999 Pingus, der mit seiner perfekten Balance aus Kraft und Eleganz an die legendäre Eisenfaust im Samthandschuh von Margaux erinnerte. Einfach Weltklasse - WT98.

Punkt 22 Uhr muss leider dieser schöne Biergarten aufgrund eines einzelnen, renitenten Nachbarn und Prozesshansels schließen. Willkommen in Deutschland!

Als zogen wir weiter zum Passion du Vin, wo uns Michael Krieg, bei dem unverhofft noch eine Geburtstagsgesellschaft aus der Nachbarschaft tagte, nicht nur mit einer feinen Platte aus seinem großen Sortiment frischer, französischer Käse verwöhnte. Aus der D-Schenke hatten wir noch einen famosen 2011 Percarlo mitgebracht. Der war mir schon am letzten Wochenende auf der Alpina Auslese bei der Verkostung mehrerer, gereifter Percarlo Jahrgänge aufgefallen. Das war Sangiovese (sonst nicht unbedingt meine Lieblings-Rebsorte) vom Feinsten. Sehr elegant mit feiner Frucht, Kirsche und Pflaume, etwas Balsamico, der kräuterigen Note des toskanischen Macchia und kräftigen, aber reifen Tanninen, baute enorm im Glas aus und dürfte noch eine gute Zukunft haben - WT95. Als Nightcap kam von Michael noch ein überraschend schöner 1990 Lanessan. Ein klassischer Old School Bordeaux, der gerade erst anfing, sich zu öffnen und sicher noch ein paar Dekaden vor sich hat, verkannt und absolut großartig - WT93+.

Einfach schön war es da auf dem „Dorf“.