1972

Ein in großen Teilen verregneter, kühler Sommer ließ in Bordeaux die Trauben nicht richtig ausreifen. Das Ergebnis waren dünne, säurelastige Weine mit wenig Frucht und noch weniger Zukunft. Das hinderte Winzer und Handel aber nicht daran, kräftig an der Preisschraube zu drehen. Vielleicht waren Kunden damals schlauer als heute. Das Bordelais bekam nämlich postwendend die Quitttung und sowohl Preise als auch Verkäufe stürzten in den Nachfolgejahren dramatisch ab.

Die sehr helle Farbe des Lafite Rothschild ließ 2011 nicht viel erwarten, doch die Nase war erstaunlich süß und generös mit delikaten, roten Waldfrüchten, der Gaumen mit viel Säure schon deutlich schwieriger, aber immerhin brachte dieser wein noch eine ganze Portion Trinkgenuss 85/100. . Ein 2008 getrunkener Lynch Bages war sehr hell, hatte in der Nase noch Fruchreste, aber auch die weniger anmachende Aromatik eines vollen Staubsaugerbeutels, am Gaumen sehr gezehrt mit Säure ohne Ende 72/100. Mouton Rothschild hatte 1994 eine schöne Nase, verabschiedete sich aber ganz schnell im Glas.
Beychevelle war 1994 auf einer Drawert-Probe ganz akzeptabel und trinkbar 82/100. Überrascht war ich 2006 auf der großen Ducru-Probe von Ducru Beaucaillou, die perfekte Nase eines großen alten Weines mit Kaffee, Mokka und Fruchtsüße, am Gaumen war er etwas kurz 87/100. Die Nase alleine war sicher 95/100 wert. Gruaud Larose war 1993 am Arlberg ein unharmonisches, kurzes Säuremonster.
Auch in Sauternes war 72 ein kleines Jahr. Viele Chateaus deklassierten ihre Weine und füllten sie nicht unter eigenem Namen ab. Ich habe aber 1998 mit großem Vergnügen zweimal den Climens getrunken, sehr fruchtig mit kräftiger Säure und schöner Länge.
Am meisten Spaß hat mir Anfang der 90er ein Chateau de la Rivière aus Fronsac gemacht. Den hatte ein amerikanischer Importeur in Gallonen-Flaschen(3,8 l) abfüllen lassen und dann nicht abgenommen. Zum Spottpreis von umgerechnet € 35 kam ich so zu einem perfekt gereiften, wunderbar trinkbaren Bordeaux.

In Burgund sprach man damals sogar von einem großen Jahr. Ich kann das nicht nachvollziehen.
Bester Burgunder war für mich 1997 auf einer Drawert-Probe ein kompakter, kräftiger Richebourg von Charles Deroy 91/100. Der Richebourg von DRC hingegen zeigte im selben Jahr bei Schorn schon deutliche Brauntöne, deutliche Brauntöne, roch seltsam nach einer großen Wurstplatte, war am Gaumen deutlich gezehrt und schien lange über den Höhepunkt weg 84/100. Grands Echezeaux von DRC war 2011 sehr fein, sehr elegant mit schöner Süße, kein Hammerwein, eher filigran und etwas kurz an Gaumen, aber ohne Alterstöne und erfrischend wie ein schöner Riesling 92/100.

Sehr gute Weine wurden 1972 an der nördlichen Rhone gemacht. Den Hermitage La Chapelle von Jaboulet Ainé habe ich Mitte der Neunziger sowohl in mittelmäßigen Flaschen erlebt, als auch einmal 1995 grandios auf einer Hermitage La Chapelle Probe.

Überraschend schön von der südlichen Rhone 2006 ein Chateau de Beaucastel. Brilliante, junge Farbe, cremige Würze und Fülle, weißer Pfeffer, dabei so fein und delikat. So elegant und lang, burgundisch im besten Sinne. Da müssen die neueren Beaucastels erst mal hinkommen 94/100. Allerdings ist hier eher Eile angesagt. Wenn Sie ihn noch finden, oder sogar noch haben, bitte nicht dekantieren(was wir gemacht haben) und einigermaßen zügig trinken. Bei uns wurde er im Glas mit der Zeit bäuerlicher, rustikaler und baute langsam ab Richtung 91-92/100.

Kleiner Jahrgang im Elsass. Bisher nicht verkostet.

Sehr schön war 1993 der Sassicaia, aber schon 1996 auf Ungers großer Sassicaia-Probe zeigte er deutliches Alter und erste Mahagonitöne. Den würde ich heute nicht mehr anfassen.

Zwiespältig war auf der Vega Sicilia-Probe 2001 der Unico. Aus der Magnum etwas kurz, etwas säuerlich, viel flüchtige Säure. Danach 2 1tel um Klassen besser und ganz wunderbar mit cremigem Schmelz. Zuletzt 2007 kein Riese, aber sehr schön zu trinken mit nicht zuviel Säure und lakritziger Aromatik 92/100.

Für Rotweinfans die sicherste Bank in 72 ist Chateau Musar aus dem Libanon. Der Lieblings-Musar von Serge Hochar präsentierte sich zuletzt im Sommer 2003 in absolut bestechender Form und wurde in einer Blindprobe für einen großen Medoc gehalten.

Bräunlich 2012 die Farbe des Clos du Val Cabernet Sauvignon, sehr reif die malzige Nase, auch am Gaumen sehr reif mit oxidativen Noten und auch etwas Lakritz, schien erst langsam zu zerfallen, hielt sich dann aber doch beachtlich, nicht mehr die allergrößte Freude, aber immer noch gut trinkbar 88/100. Unterschätzt habe ich sicher Heitz Martha s Vineyard aus einem insgesamt schwachen Kalifornien-Jahr. Ich habe davon sehr gute und grausame Flaschen getrunken. 1998 mit René Gabriel in Zürich zeigte ein kräftiges dunkelrotbraun und eine intensive Eukalyptusnase, lebte aber bereits gefährlich. Doch 2011 auf der großen Heitzprobe der Ungers hatte dieser Traumstoff erstaunlich viel Kraft, aber auch Eleganz, feine Süße, Minze pur, langer Abgang, kein Alter 95/100. 2012 bestechender Form, Minze pur, Eukalyptus, alter Ledersattel, ein Hauch von Coca Cola, feine Süße, immer noch enorm kräftig und lang, aber auch sehr elegant. Ich kenne diesen Wein sehr variabel, aber das hier war eines der besten Exemplare, die ich bisher im Glas hatte 96/100.

Bisher dachte ich immer, in Australien könnte man nicht fündig werden.
Schlichtweg unterirdisch war der Penfolds Grange sowohl 1994 als dann auch 1999 auf der Grange-Probe in Lehrbach, säuerlich mit sehr harschen Tanninen. Doch 2013 war daraus plötzlich ein prächtiger, großer Wein geworden. Wirkte an diesem Abend wie der Bordeaux unter den Shiraz, wobei man den Bordeaux nur in der rauchigen, speckigen Nase wiederfand. Ein enorm dichter, junger Wein mit großartiger Struktur, unglaublicher Länge und gewaltigem Potential. Kann durchaus noch zulegen 96+/100.

Bliebe als Alternative noch Tokay. Ein Tokay Aszu 6 Puttonyos Különgeles Minösegle Feherbor war 2006 staubig, trüb mit einer fast ins Graue gehenden Farbe, am Gaumen sehr süß, aber auch mit einer irren Säure, wie eine Kreuzung aus Madeira und Sauternes - 90/100, dürfte recht langlebig sein.