Bordeaux 2005

Endlich wieder ein Jahrhundert-Jahrgang. 2000 war ein solcher, zurecht. Grandiose Weine mit sehr viel Sex-Appeal, aber auch Struktur, Spannung und gutem Alterungspotential. Bis auf wenige Ausnahmen immer noch zu hohen, aber akzeptablen Preisen erhältlich. Ich kaufe da immer noch gezielt zu. 2000 ist riesengroß, das haben die fertigen Weine bereits zur Genüge im Glas bewiesen.
Ganz anders 2003 aus diesem Hitzejahr mit der unglaublich frühen Ernte. Mir graut nicht nur vor den vielen Kisten, die da in den nächsten Wochen kommen. Natürlich habe ich damals nicht auf meine eigenen, mahnenden Worte gehört und zuviel gekauft. So ein Jahrhundert-Hype, wie er auch um 2003 gemacht wurde, steckt eben an und ist sehr gefährlich. Mir graut vor allem vor dem Inhalt dieser überteuert subskribierten Kisten. Mir gefällt 2003 überhaupt nicht, da kann Parker schreiben, was er gerne möchte.
Und jetzt wieder ein Jahrhundert-Jahrgang, oder ist es gar ein Jahrtausend-Jahrgang? Viele Winzer sprachen vom besten Traubenmaterial, das sie jemals geerntet haben. Der Traumherbst des letzten Jahres ermöglichte eine späte Ernte perfekt ausgereifter Trauben, ganz im Gegensatz zu 2003. Beste Voraussetzungen also für ein ganz großes Bordeaux-Jahr.

Die Bewertungen der bezahlten Verkostungsknechte sind inzwischen erschienen. So eine Primeur-Verkostung in Bordeaux ist keine reine Freude. Über 5000 Leute sollen es in diesem Jahr gewesen sein, die sich darum bewarben, Muster unfertiger Weine zu probieren. Konsequentes Arbeiten und Verkosten ist in diesem Gedränge und Geschubse schon lange nicht mehr möglich. In Bordeaux werden deshalb nicht nur die Trauben sortiert, sondern auch die Verkoster. Die Gabriels und Parkers dieser Welt haben die Möglichkeit, die Weine in Ruhe und vor allem mehrfach zu verkosten. Da lässt sich ein deutlich fundierteres Urteil bilden, als im Massenbetrieb. Viele der Bordeauxberichte sind deshalb das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind und sollten mit Vorsicht genossen werden.
Selbst Parker hat in diesem Jahr einen entscheidenden Fehler gemacht. Er war mindestens zwei Wochen zu früh in Bordeaux. Durch den kalten, langen Winter und die späte Ernte steckte ein Großteil der Weine noch in der malolaktischen Gärung. So ist zwar seine Jahrgangsbeschreibung und Analyse hochkompetent und professionell, seine Bewertungen sind aber mit Vorsicht zu genießen. Was in diesem Fall zu unser aller Vorteil sein dürfte. Parker bewertet nämlich durch die Bank zu niedrig. Das dürfte die euphorische Stimmung der amerikanischen und asiatischen Einkäufer etwas dämpfen und die schlimmsten, befürchteten Preisexzesse verhüten.

Die Bewertungen der führenden Weinkritiker findet man inzwischen an jeder Ecke. Viele Weinhändler scheren sich einen Dreck um Urheberrechte und drucken alles ab, was sie finden können. Natürlich immer nur das, was dem jeweiligen Wein schmeichelt und ihn besser verkauft. Ich empfehle deshalb dringend die jeweiligen Originale. Wer z.B. Parker nicht abonniert hat, findet den kompletten Bordeaux-Bericht auf der Website www.erobertparker.com. Die ist zwar kostenpflichtig, aber ihr Geld sicher wert. Deutschsprachig und vor allem dem europäischen Gaumen sehr viel näherkommend sind die Bewertungen und ausführlichen Kommentare von René Gabriel im Weinwisser. Wer den nicht hat, kann ihn jederzeit unter www.weinwisser.com abonnieren. Unbedingt empfehlenswert, gerade bei einer so gewaltigen Investition wie 2005 Bordeaux. Ansonsten kann man natürlich auch "Bordeaux 2005" in Google eintippen und sich durch hunderte von Links wühlen. Ich verzichte deshalb hier auf die Angabe weiterer Quellen, mit einer kleinen Ausnahme. David Bolomey aus Amsterdam hat auf seiner Seite www.bordoverview.com die wichtigsten Bewertungen zusammengestellt und bietet interessante Sortierfunktionen.

Bedenken sollte man aber bei der Lektüre all dieser Berichte auch, dass es sich nur um eine Momentaufnahme unfertiger Weine handelt. Parker z.B. bewertet ein Jahr später neu und gibt sein entgültiges Urteil wiederum ein Jahr später erst dann ab, wenn die Weine auf der Flasche sind. Da ergeben sich häufig noch gravierende Verschiebungen.

Festhalten kann man zu 2005 Bordeaux aber in jedem Fall Folgendes:

- der Jahrgang ist unstrittig groß. Den kann man nur schwer übergehen

- Bordeaux 2005 ist kein Schmusejahrgang. Kleine, konzentrierte Beeren mit dicker Schale versprechen nicht nur eine aufregende Aromatik, sondern vor allem ein massives Tanningerüst. Die großen Weine dürften sich nach kurzer, heftiger Fruchtphase rasch wieder verschließen. Da sind dann bis zu 20 oder 30 Jahre Geduld angesagt, nicht unbedingt bis zur ersten Trinkreife, aber sicher bis zum Höhepunkt dieser Weine. Hier sei nur angemerkt, dass der 28er Latour aus einem Jahr mit nicht unähnlicher Charakteristik über 50 Jahre lang völlig untrinkbar war. Wer deutlich über 40 Jahre alt ist und nicht für seine Nachfahren sammelt, sollte Bordeaux 2005 getrost vergessen

- Bordeaux 2005 ist nicht das, was man unter einem klassischen Bordeaux versteht. Die Weine haben einen deutlich höheren Alkoholgrad als üblich und eine üppige Fruchtigkeit, die eher Vergleiche zu Kalifornien aufdrängen, als zu früheren Bordeaux-Legenden. Wer diesen neuen, anderen Stil nicht mag, an den wir uns im Zeitalter der globalen Erwärmung wohl gewöhnen müssen, der ist sicher deutlich besser mit den sich grandios entwickelnden und preislich viel interessanteren 2004ern bedient

- Bordeaux 2005 wird extrem teuer. Da sind einige der möglichen, späteren Preissteigerungen schon vorweggenommen


Da fällt mir gerade ein: Wissen Sie, warum man auch in Bordeaux immer häufiger nicht mehr vom Kellermeister spricht, sondern vom Weinmacher? Viele Weine schmecken eben heute gemacht. Nomen est Omen, traurig aber wahr.

Haben Sie eigentlich schon einschlägige Erfahrungen an der Börse gesammelt? Bordeaux-Subskription ist eigentlich nichts anderes als eine Art Waren-Termingeschäft. Sie schließen heute einen Kontrakt ab und bezahlen eine Ware, die erst in 2 Jahren verfügbar ist. Dabei hoffen Sie, dass bis dahin der Preis steigt. Das ist bisher bei den großen Bordeaux-Jahrgängen immer gut gegangen, muss aber nicht für die Zukunft gelten. Abgesehen von den hohen Einstandspreisen, in denen bereits große Teile einer möglichen Wertsteigerung vorweggenommen sind, besteht leider auch immer die Möglichkeit von Schreckensszenarien. Hier zwei denkbare, konstruierte Beispiele:

- Im Wine Advocate # 176 vom Mai 2008 schreibt Robert Parker: Leider hat sich der hochgelobte Jahrgang 2005 nicht so entwickelt, wie ursprünglich vermutet. Jetzt auf Flaschen abgefüllt präsentiert sich das Gros der Weine als sehr unnahbar mit heftigen Tanninen. Trinkspaß ist da wohl erst in Jahrzehnten in Sicht. Vor allem aber können die Weine nicht mit dem großartigen, aber deutlich preiswerteren Jahrgang 2006 mithalten. Die riesige Ernte der charmanten 2007er trägt ein Übriges dazu bei, 2005 als einen hoffnungslos überteuerten, nur mit deutlichen Preisabschlägen verkäuflichen Wein und eine der gigantischsten Fehlspekulationen in der Bordeaux-Geschichte erscheinen zu lassen

"Neue Bescheidenheit" titelt die FAZ im Frühsommer 2008 einen Artikel zur Preisentwicklung bei Bordeaux-Weinen. Die durch dramatisch weiter gestiegene Energiepreise hervorgerufene Weltwirtschaftskrise, so der Tenor des Artikels, hat auch in Bordeaux deutliche Spuren hinterlassen. Nur noch mit hohen Preiszugeständnissen lassen sich die Erzeugnisse der Bordelaiser Weingüter an den Mann und an die Frau bringen. Überangebot und dramatisch fallende Preise haben am Platz Bordeaux schon zu zahlreichen Konkursen geführt.

Das sind, wie gesagt, Scheckensszenarien, die aber nicht unmöglich erscheinen. Die Zeiten, in denen man mit Bordeaux-Subskriptionen automatisch Geld verdienen oder zumindest sparen konnte, sind genauso vorbei wie die frühere Beinahe-Garantie, mit IPO s an der Börse reich zu werden. Wer nur für seinen eigenen Keller und nur aus liquiden Mitteln kauft, dem kann das weitgehend egal sein. Allen Anderen empfehle ich doch etwas Vorsicht.

Nun gut, Sie haben sich also etliche Verkostungsnotizen zu 2005 reingezogen, und dabei ist ihnen das Wasser im Munde zusammengelaufen. Meine Schreckensszenarien halten Sie für üble Schwarzmalerei. Sie waren inzwischen bei Ihrem Arzt und haben sich beste Gesundheit und ein langes Leben bescheinigen lassen. Und dann waren Sie auch noch bei Ihrer Bank und haben sich einen größeren Kreditrahmen einräumen lassen oder gleich eine Hypothek auf Ihr Haus eintragen lassen. Dann blieben jetzt noch drei wichtige Fragen zu beantworten:

WAS kaufen
In der Subskription sollte man das kaufen, was später nicht mehr, oder nur zu deutlich höheren Preisen erhältlich sein könnte(aber nicht muß!). Das sind vor allem Sonderformate, also halbe Flaschen, Magnums und noch größere Flaschen. Dann sind es die hochbewerteten Jahrgangsstars aus dem Bereich der Premiers und Deuxième Crus, die besten Güter aus Pomerol und St. Emilion und generell Güter mit sehr kleiner Ernte.

WIEVIEL kaufen
Eine schwierige Gewissensfrage. Subskription ist kräftig geschürter Hype. Da besteht immer die Gefahr zuviel zu kaufen. Deshalb hier eine einfache Faustregel. Nehmen Sie Ihren jährlichen Bedarf an Bordeaux-Weinen der angedachten Kategorie. Angenommen, Sie trinken jährlich etwa 40 Flaschen der großen Bordeaux. Dann sollten Sie angesichts der großen Qualität der 2005er bis maximal das dreifache Ihres Jahresbedarfs kaufen. In unserem Beispiel wären das max. 120 Flaschen oder 10 OHKs. Denken Sie immer daran, die 2005er werden sehr lange in Ihrem Keller liegen und es kommen in den nächsten 20 Jahren noch reichlich andere interessante Weine und Jahrgänge auf den Markt.

WO kaufen
Jetzt sind wir wieder bei unserem Warentermingeschäft. In der Subskription werden die Weine von den Bordelaiser Gütern an Weinbroker verkauft, die sogenannten Negociants. Bei denen kauft dann Ihr Weinhändler. Und letzterer ist Ihr Vertragspartner. Sie haben keinerlei Anspruch gegenüber dem Negociant oder gar dem Chateau. Geht Ihr Händler baden, schauen Sie in die Röhre. 2 Jahre sind in unserer wirtschaftlich unsicheren Zeit verdammt lang. Suchen Sie deshalb Ihren Geschäftspartner, also den Händler, mit mindest der gleichen Sorgfalt aus, wie die Weine. Das günstigste Angebot ist noch längst nicht das beste.



Bliebe vielleicht noch eine letzte Frage: was macht der Wineterminator selbst. Auch darauf eine offene Antwort. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich überhaupt 2005er kaufen soll. Ich bin zarte 55 und werde diese Weine in ihrer Blüte wohl noch allenfalls aus der Schnabeltasse erleben. Trotzdem reizt mich dieser Jahrgang. Also kaufe ich für die Nachfahren, ohne würde ich es lassen. Ich werde handverlesen versuchen, ein paar der Premiers zu bekommen, vor allem Lafite, Latour und Haut Brion, aber maximal in 6er Kisten, vielleicht auch nur Einzelflaschen. Aus dem Medoc interessieren mich die drei Leovilles, Les Forts de Latour, Lynch Bages, Pichon Baron, Pontet Canet, St. Pierre, das neu erstarkte Ferrière und Palmer. In Pessac finde ich Pape Clement und Smith Haut Lafite spannend. In Pomerol reizen mich Certan de May und Trotanoy, in St. Emilion die Weine von Stefan Graf Neipperg, Trottevieille und natürlich Pavie. Ich verwalte meine Einkäufe am PC mit einem kleinen Spreadsheet. Da wird solange hin- und hergeschoben, bis meine Wünsche einigermaßen mit meinen Mengenrestriktionen und meinem Budget in Einklang sind. Nicht mitmachen werde ich Koppelgeschäfte der Sorte "pro drei Flasches Les Forts und 12 Flaschen Pauillac gibt es einen Latour". Da lasse ich dann ebenso die Finger von der Subskription wie bei zu drastisch überzogenen Preisen.