Der Wahnsinn läßt grüßen

Ein schöner Sommerabend. Ich sitze auf unserer Terrasse und entspanne von einem arbeitsreichen, langen Tag. Vor mir ein 2000 Avan Cepas Centenarias. Ein Traum von einem Wein, üppige, süße, verschwenderische Frucht, überhaupt nicht aufgesetzt, sondern wohldefiniert mit einer faszinierenden Frische, feines, reifes Tannin und gute Mineralität. Jetzt in einer tollen, zugänglichen Jungweinphase und sicher auf 94/100 Niveau. Eigentlich bin ich im siebten Rotweinhimmel. Doch neben dem Avan liegen die 2005er Bordeaux-Offerten mit Preisen, die kaum zu glauben sind. Natürlich lesen sich die Beschreibungen gut und erinnern irgendwo an den Wein, der vor mir steht. Nur hat der 37 Euro gekostet und nicht 250. Spinnen die denn total in Bordeaux? Der Abend schreitet fort, die Dämmerung kommt und der Avan leert sich.

Plötzlich sitze ich auf einem Stuhl in einem leicht abgedunkelten Raum. Um mich herum wie bei einem Tribunal die Bordeaux-Weinaristokratie. "Sind Sie eigentlich total verrückt, zu behaupten, die Produktionskosten für einen Lafite lägen bei maximal 15 Euro", faucht mich Baron Eric de Rothschild an, "das kostet ja alleine schon die teure Seide in den 1er Sammler-Holzkisten, in denen wir den Lafite demnächst anbieten". Ich denke voll Sorge an die hoffnungslos überteuerten Edel-Cognacs, die bevorzugt nach Asien verkauft werden und an Bewohner der Länder, in denen der Prophet eigentlich Alkohol verboten hat. Daher weht also der Wind. "Leute wie Sie brauchen wir nicht, Wineterminator. Für jeden von Ihnen stehen 10 Chinesen Schlange, die jeden Preis zahlen." "Und außerdem brauchen wir das Geld auch für die neuen Masch..." Baroness Philippine de Rothschild verschluckt nach einem wenig sanften Tritt ihres Nachbarn das "inen" und spricht stattdessen vom teuren Maschendraht, der jetzt um die Rebberge komme. Schließlich müsse man ja verhindern, dass europäische Weinsammler jetzt nachts heimlich selber ernten und dann ihren eigenen Mouton im heimischen Keller ausbauen.
Beschwichtigend greift Frédéric Engerer von Chateau Latour ein: "Natürlich wollen wir auch unsere europäischen Kunden behalten. Für die haben wir jetzt einen ganz besonderen Wein kreiert, den Pauillac". Er stellt eine Flasche davon vor sich hin. "Sie meinen den Drittwein von Latour", wende ich ein. "Nein, das ist kein Drittwein, das ist etwas ganz besonderes und vor allem für Europäer noch bezahlbar". Bei diesem Stichwort greift auch Philipine de Rothschild in eine Tasche und zaubert einen Mouton Cadet hervor. "Und hier ist der Mouton für Jedermann". "Aber da steht doch 2006 drauf", sage ich. "Das kann schon mal passieren", erwidert die Baronesse, "aber das macht überhaut nichts. Wir sorgen schon dafür, das der Wein in jedem Jahr gleich schmeckt".
Ich schüttele ungläubig den Kopf. Da schaltet sich schon Paul Pontallier von Chateau Margaux ein. "Nun stellen Sie sich mal nicht so an, Wineterminator. Irgendwann kommt auch mal wieder ein schlechtes Weinjahr mit einer verregneten Ernte. Den jagen wir dann ein paar Mal durch den Konzentrator und machen daraus einen feinen europäischen Jahrgang, der dann auch etwas billiger ist". Ich kann es nicht fassen. Früher nannte man einen Jahrgang, der weg muß, klassisch. Jetzt wird das ein europäischer Jahrgang, denn die neuen Weinfreunde aus Übersee würden so was ja mit der Kneifzange nicht anfassen.
"Was meint denn Jean-Philippe Delmas von Haut Brion dazu?" will ich wissen. "Der ist nicht hier und wird auch nie wieder dabei sein", giftet Eric de Rothschild. "Den Wein des Jahrgangs machen und dann billiger anbieten als wir, das lassen wir uns nicht bieten. Diskounter brauchen wir in unserem Kreis nicht". Als ob die 350 Euro für Haut Brion ein Schnäppchen wären. "Das können wir uns gar nicht leisten bei unseren hohen Kosten" erregt sich Eric de Rothschild und verweist auf einen Prospekt eines neuen Langstrecken-Firmenjets, den er dringend braucht, um seine fernöstlichen Kunden zu besuchen. "Ich glaube nicht, dass wir es uns noch lange leisten können, unsere Weine unter 1000 Euro anzubieten".
"Das ist aber nicht weiter schlimm", schaltet sich Christian Moueix von Chateau Petrus ein. "Mit der Deutschen Bank haben wir jetzt die Gründung der ersten Weinsparkasse vereinbart, dann könnt auch Ihr armen Deutschen auf eines unserer besseren Güter ansparen. Natürlich nur aus den europäischen Jahrgängen. Aber als Bonbon verlosen wir unter allen Sparern jedes Jahr eine Flasche Petrus".
Ich sehe schon überall Weinsparkassen aus dem Boden sprießen. Schöne, neue Weinwelt. Da flötet plötzlich eine mir bekannte Stimme mit einem Gesicht, das ich erst vor kurzem mit der Überschrift "Bordeaux muß teuer" sein auf dem Wein Gourmet gesehen habe: " Mein guter Freund. Bordeaux wird doch immer dicker, üppiger und alkoholreicher. Das entspricht doch gar nicht mehr Deinem Geschmacksbild und dem Deiner Landsleute" Spricht s und offeriert mir stattdessen einen Trollinger vom Neippergschen Stammweingut aus Württemberg für € 6.50 in der Literflasche.

Wollen die mich hier eigentlich total verarschen? Als die Wut in mir hochkocht und ich zum verbalen Gegenschlag ausholen will, höre ich entfernt eine sanfte, sehr bekannte Stimme. "Musst Du denn heute nicht ins Geschäft? Und wieso sitzt Du denn immer noch hier?" Ich öffne vorsichtig erst ein Auge, dann das andere. Ich sitze immer noch auf meinem Gartenstuhl. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Vor mir der leere Avan und daneben ein herrlich duftender Pott Kaffee. Gut dass die Bohnen nicht aus Bordeaux kommen, denke ich, sonst würde es nur zu einem dünnen Milchkaffee im Espressotässchen reichen.
Schnell geduscht, angezogen und dann ab in die Firma. Auf dem Fahrrad natürlich. Das Benzingeld spare ich mir für die Weinsparkasse. Im Büro angekommen sofort den PC eingeschaltet. Massig Emails, es wird wohl wieder ein arbeitsreicher Tag. Doch da ist auch ein als hochwichtig gekennzeichnetes Mail eines süddeutschen Weinhändlers. "Streng limitiert bieten wir unseren Stammkunden eine Einzelflasche 2005 Ausone zum Preise von ..... an. Den absurden Preis kann ich kaum glauben. Der Wahnsinn lässt schon wieder grüßen. MW steht für Master of Wine, bei Bordeaux fällt mir derzeit nur LMA ein.