Hände weg von 2008 Bordeaux?

Eigentlich war mein Artikel zu Bordeaux 2008 fast fertig, verbunden mit einer Kaufempfehlung. Auch meine eigene Einkaufsliste nahm immer stattlichere Umfänge an. Doch dann geschah das Unfassbare.

Nein, ich war auch in diesem Jahr nicht in Bordeaux zur Primeurverkostung. Dafür fehlt mir einfach die Zeit. Aber ich habe einige gute Freunde, die seit langem dorthin fahren. Erfahrene Jungweinverkoster, deren Gaumen und Einschätzung ich kenne und auf deren Urteil ich mich verlassen kann. Sie berichteten mehrheitlich von einem überraschend gelungenen Jahrgang in dem etliche Chateaus sehr schöne Weine produzierten. Sicher kein Jahrhundertjahrgang, kein 2005er oder 2000er, aber ein solider, klassischer Jahrgang. Vor allem natürlich bei den Chateaus, die beim schwierigen Wetter die Nerven behielten und sehr spät ernteten. Mit guter Säure- und Tanninstruktur kam inbesondere bei den Medocs immer wieder die Analogie zu 1988. Verhalten war dazu das Interesse des internationalen Handels. Die Wirtschaftskrise hinterließ deutliche Spuren. Viele Chateaus reagierten vernünftig und boten ihre Weine zu deutlich reduzierten Preisen an. Alles sah nach einer Primeurkampagne aus, die sich wieder an Weintrinker, nicht an Spekulanten richtete. Auch ich hatte nach weitestgehender Abstinenz in den utopisch teuren Jahrgängen 2006 und 2007 beschlossen, wieder größer einzusteigen. Doch dann kam alles anders. Parkers Bewertungen, leider international immer noch das Maß aller Dinge, erschienen.

Vor mir liegt der Weinwisser, Erscheinungstermin 4. Mai, Redaktionsschluss 20. April. Von großen Weinen ist da bei René Gabriel die Rede, preiswert wie lange nicht. Statt Bratwurst zum Filetpreis wie in 2006 und 2007 gäbe es jetzt Filet zum Bratwurstpreis. Träum weiter, lieber René, es hat sich ausgebratwurstet. Abgesehen davon, dass es sich bei 2008 eher um ein gutes Huftsteak als ein Filet handeln dürfte, gilt leider plötzlich wieder der Filetpreis. Denn neben dem Weinwisser liegt der aktuelle Wine Advocate von Robert Parker.

Ich konnte kaum glauben, was ich dort las. Über den Klee lobt Parker den Jahrgang und stellt ihn teilweise auf eine Stufe mit 2000 und 2005. Gravierend weichen viele seiner Einzelbewertungen von der Vielzahl anderer Verkoster ab. Eine gute Übersicht hierzu gibt es auf der Seite www.bordoverview.com . Außerdem empfehle ich sehr die Verkostungsnotizen von Peter Moser auf www.falstaff.at . Haben die alle die gleichen Weine probiert? Waren die überhaupt im gleichen Gebiet? Was hat Parker bei seinen Bewertungen geritten? Warum schafft der selbsternannte Advokat der Weintrinker plötzlich eine Art Rettungsschirm für die Bordeaux-Chateaus und lässt uns alle, seine Leser, für die er angeblich kämpft, damit im Regen stehen? Parker ist nach wie vor für Bordeaux das Maß aller Dinge, wichtiger für die Preisentwicklung und den Erfolg eines Chateaus als alle anderen Verkoster zusammen genommen.

Der Effekt auf die Primeurkampagne war jedenfalls dramatisch und kam praktisch über Nacht. Chateaus, die bisher mit deutlichen Abschlägen auf den Markt gekommen waren, verknappten plötzlich drastisch das Angebot. Diejenigen, die noch keine Preise herausgegeben hatten, nahmen einen kräftigen Schluck aus der Pulle und langten richtig zu. Die Bordeaux-Zocker waren plötzlich wieder da, gierig und hemmungslos wie in den letzten Jahren. Von Parker hoch bewertete Weine verschwanden über Nacht völlig vom Markt. Aus der Kampagne der Vernunft wurde wieder eine Kampagne der Gier. Aus der Gironde, dem Fluss der in Bordeaux das Linke vom Rechten Ufer trennt, wurde wieder die "Gier"onde.

Meine eigene, ebenso spontane Reaktion war klar. Statt wieder deutlich zu kaufen lasse ich die Hände von diesem Jahrgang. Das ist mir zu heiß. Baden wir doch gerade alle die Folgen der großen Wirtschaftskrise aus. Unter der leiden nicht nur wir. Vorbei die Zeiten, als die Golden Boys, die an den Finanzplätzen London, New York und anderswo unser Geld verzockten und dafür unglaubliche Tantiemen einstrichen, mit dem Geld um sich warfen. Vorbei auch die Zeiten in denen die Vermögen der russischen Oligarchen und asiatischer Millionäre in den Himmel schossen. Das Geld sitzt weltweit nicht mehr so locker, und das wird sich so schnell nicht wieder geben. Mit einer länger anhaltenden Rezession rechnen die Ökonomen inzwischen. Sicher nicht die richtige Zeit für verrückte, abgehobene Preise.

Klar, wer bestimmte, ultrarare Ikonen sucht wie Lafleur, Petrus oder Le Pin, der kommt auch in diesem Jahr nicht um eine Subskription herum. Das gilt auch für all die, die ausgefallene Formate suchen. Und wer noch Glück hat und Weine zu den "Vor-Parker-"Ursprungspreisen ergattern kann, macht auch nicht viel falsch. Vorausgesetzt natürlich, er ließt vorher das Kleingedruckte.

Und hier kommen wir zu ein paar Dingen, bei Bordeaux 2008 wichtiger sind als je zuvor, das Kleingedruckte mit den Risiken, die gerne schamhaft verschwiegen werden.

Risiko I: Ihr Gaumen

Parker-Punkte kann man nicht trinken, Gabriel-Punkte auch nicht. Wer sich nur auf die Bewertung Dritter verlässt, ohne die Stilrichtung eines bestimmten Weines genau zu kennen, der fährt ein verdammt hohes Risiko. Die Tatsache, dass ein bestimmter Wein von einem Verkoster hoch bewertet wird, heißt noch lange nicht, dass er Ihnen später auch schmeckt.

Risiko II: Die Weine

Eine Momentaufnahme unfertiger Weine ist das, was da jetzt in Form von Primeurnotizen verbreitet wird. Erst in 2 Jahren bei der Auslieferung und den Arrivageproben wissen Sie, ob der Wein tatsächlich so gut ist wie heute versprochen. Wenn Sie Pech haben, steht da in einem Jahr bei Parker: ...hat sich leider nicht so entwickelt, wie vorhergesehen. Und ein Jahr später dann: ..schade, bei den Anlagen hätte da deutlich mehr bei rauskommen müssen. Das ist voll Ihr Risiko. Die heutigen Bewertungen der Verkoster sind wie die Lottozahlen im Fernsehen, stets ohne Gewähr.

Risiko III: Die Preisentwicklung

Nur wirklich große Jahrgänge bieten eine Preisentwicklung, bei denen die Übernahme der hier angesprochenen Risiken wirklich lohnt. Bei 2008 zu den neuen "Nach-Parker-Preisen" halte ich spätere, größere Preissteigerungen insbesondere auch angesichts der wohl noch länger anhaltenden Rezession für sehr unwahrscheinlich. Dadurch entfällt eigentlich auch der Hauptgrund für eine Subskription.

Risiko IV: Ihr Händler

Und das ist wohl der gefährlichste Punkt der aktuellen Primeurkampagne. Gut kann ich mich noch daran erinnern, als Anfang der 90er ein sehr preiswerter Duisburger Händler Pleite ging und Hunderte Kunden mit ihren bezahlten 89er und 90er Subskriptionen in die Röhre schauten. In diesem Jahr schätze ich dieses Risiko angesichts der Wirtschaftskrise noch deutlich höher ein. Schließlich zahlen Sie als Kunde heute und hoffen dann, in zwei Jahren auch Ihre Ware zu bekommen. Bekommen Sie für Ihre Subskriptionsbestellung eine Bankbürgschaft? Wohl kaum. Selbst große Namen sind ja, wie die aktuelle, wirtschaftliche Entwicklung zeigt, vor Scheitern nicht gefeit. Und einen Rettungsschirm seitens Herrn Steinbrück für Weintrinker wird es mit Sicherheit nicht geben. Würden Sie dem Gebrauchtwagenhändler an der Ecke Bargeld geben für ein Auto, dass er Ihnen in zwei Jahren liefern soll? Bestimmt nicht. Und warum zocken Sie dann im Internet und bestellen gegen Bares von nicht persönlich bekannten, aber scheinbar preisgünstigen Händlern Weine zur Lieferung in zwei Jahren? Das ist mir besonders in diesem Jahr zu heiß.

Für mich persönlich gibt es angesichts der aktuellen Entwicklung ein klares Fazit: Hände weg von 2008 Bordeaux? Mit Sicherheit nicht. Ich werde in zwei Jahren bei den Ankunftsproben Preise und Qualität vergleichen, und wenn beides stimmt, schlage ich zu. Möglicherweise preiswerter als heute. Aber jetzt halte ich mich angesichts der Risiken aus diesen Spielchen raus. Deshalb heißt es für mich persönlich klar und deutlich: Hände weg von der Bordeaux 2008 Subskription!

Die Alternative? Verdursten muss derzeit nun wirklich niemand. Immer noch gibt es ein breites Angebot guter, bezahlbarer Bordeaux aus 98, 99, 2001, 2002 und 2004. Die überteuerten 2006er habe ich hier bewusst ausgeschlossen. Und auch in anderen Regionen gibt es gute Weine. Spanien ist nach wie vor hochinteressant, Portugal stark im Kommen, Italien hat mit 2006 einen Traumjahrgang hingelegt. Einfach offen sein für Neues und viel probieren.