50 Jahrgänge Haut Brion

Der Stoff aus dem die Träume sind

Der Stoff aus dem die Träume sind

Zu den mit Abstand zuverlässigsten, besten Weingütern der Welt gehört Chateau Haut Brion, 1er Grand Cru aus Pessac. 50 Jahrgänge dieses großen Weines an einem Wochenende trinken zu dürfen, dazu noch 10 Jahrgänge des ultrararen Haut Brion Blanc, das war ein wunderbares, in dieser Form kaum wiederholbares Erlebnis.
Probenort war die mit weitem Blick über das Schwabenland auf der Schwäbischen Alp gelegene Burg Staufeneck, wo der hochdekorierte Rolf Straubinger groß aufkocht.
Als perfekter Gastgeber hieran hatte seine charmante Gattin Karin nicht unerheblichen Anteil hatte René Gabriel die Teilnehmer der Probe mit ähnlicher Sorgfalt ausgewählt wie die Weine.
So fand die Probe in einer elegant-lockeren, unverkrampften Atmosphäre statt. Der Wein stand natürlich im Mittelpunkt, nicht als Ausdruck eitler Protzerei, sondern als Ausdruck schierer Lebensfreude auf sehr hohem Niveau. Es wurde genossen, diskutiert und auch viel gelacht. Wir waren schnell eine Gruppe von Freunden, die dieses einmalige Ereignis miteinander teilten. René Gabriel, einer der weltbesten Degustatoren, moderierte die Probe mit viel Sachverstand, aber auch mit dem ihm angeborenen Mutterwitz.

Perfekte Gastgeber: Karin und René Gabriel

Perfekte Gastgeber: Karin und René Gabriel

Rarer noch als Haut Brion selbst ist der weiße Haut Brion. Auch von dem sollten wir im Verlauf der Probe 10 Jahrgänge trinken. Faszinierend, welches Standvermögen dieser Weißwein hat und wie gut er altert. Gleich 5 Exemplare davon eröffneten den ersten Teil der Probe. 1964 Haut Brion Blanc war vor allem in der Nase leicht korkig, aber trotzdem gut trinkbar. Erstaunlich helle Farbe, ein kräftiger Wein mit Fülle und schöner Länge. Noch lange nicht am Ende und sicher eine Suche wert 91/100. Da wirkte 1980 Haut Brion Blanc im Vergleich zwar etwas älter, war aber im Gegensatz zu den allermeisten Rotweinen dieses schwierigen Bordeaux-Jahrgangs immer noch ein Genuss. Reifes Goldgelb, blumige, kräuterige Nase, am Gaumen etwas schlank und kompakt mit einer kräftigen Säure 89/100. Eine reife, güldene Farbe hatte der 1953 Haut Brion Blanc, den wir in etwas größeren Schlucken aus der Magnum genießen durften. In der Nase eine faszinierende Mischung aus Madeira und Crême Brulée, am Gaumen kräftige Säure, aber auch eine feine Süße und immer stärker werdende Rosinentöne, dabei insgesamt sehr geschmeidig wirkend mit toller Länge am Gaumen 92/100.
Ganz großer Stoff der 1975 Haut Brion Blanc. Kräftiges Goldgelb, in der Nase leicht animalisch, aber auch mit geröstetem Brot, Mandeln und immer stärker werdender Minze. Am Gaumen traumhaft schmelzige Fülle mit guter Säure 96/100. Hat sicher noch lange Zukunft. Als Quasi-Weltpremiere hatten wir den noch nicht ausgelieferten 2004 Haut Brion Blanc im Glas. Natürlich sehr jung und frisch mit sehr heller Farbe, dominiert von jugendlicher Sauvignon Blanc Aromatik, sehr rassig und kräftig, könnte mal riesengroß werden und hat das Potential für 95+/100. Selbst das leere Glas zeigte noch eine sensationelle Nasen-Aromatik. Wenn alle Welt nur noch über 2005er spricht, werde ich versuchen, da noch dran zu kommen.

Richtige Vorbereitung mit einem großen Glas Milch

Richtige Vorbereitung mit einem großen Glas Milch

Im ersten Rotwein-Flight überraschte gleich 1973 Haut Brion. Der hatte immer noch eine intakte Farbe, die klassische Haut Brion-Nase, dazu eine pflaumige Frucht und feine Süße, spannende Aromatik am Gaumen, baute zwar mit der Zeit im Glas ab, doch für Schnelltrinker sind da noch locker 88/100 drin. Von der hellen Farbe her wirkte 1975 Haut Brion zunächst reifer als der 73er, war aber der deutlich konzentriertere, dichtere Wein. In der Nase altes Sattelleder, am Gaumen sehr delikat mit toller Länge. Nicht so eine Bombe wie der außerweltliche La Mission, aber ein gut gelungener Wein, der sicherlich noch 10 Jahre hält 92/100. Letzteres konnte man zumindest in dieser Flasche von 1978 Haut Brion nicht behaupten. Die Aromatik von nasser Wolldecke ist nicht gerade das, was ich in meinem Weinglas haben möchte. Der Wein wirkte sehr reif, gezehrt, erdig und auf dem Wege abwärts 83/100. Quicklebendig hingegen immer noch 1980 Haut Brion aus diesem längst vergessenen Bordeaux-Jahr. Klar, das war jetzt kein Hammer, sondern ein eher leichter, schlanker, reifer, aber beileibe nicht unattraktiver Wein, bei dem in guten Flaschen keine Eile geboten ist 87/100. Wer noch einen gut trinkbaren 80er Bordeaux sucht, sollte hier nach Großflaschen Ausschau halten. Das gilt natürlich auch für den noch deutlich jünger wirkenden 1981 Haut Brion. Ein sehr feiner, nachhaltiger Haut Brion mit etwas Paprika in der Nase. Am Gaumen schlank, Kakao, gute Länge. In dieser Probe kamen bei mir mehr als 89/100 nicht heraus. Ich habe den 81er aber vor 1 Jahren auch schon auf 94/100-Niveau getrunken. Eine große Enttäuschung mal wieder 1982 Haut Brion. Wer als Weinmacher in einem so großen Jahr, in dem nicht nur der Nachbar La Mission einen satten 100-Punkte-Wein erzeugt hat, nur so einen belanglosen Mist zustande bringt, sollte doch ernsthaft über die Korrektheit seiner Berufswahl nachdenken. Die Fehler bei diesem Wein haben mit Sicherheit schon im Weinberg begonnen, wo wohl deutlich zuviel geerntet wurde. Heraus kam dann ein etwas diffuser Wein mit etwas Süße und viel zuwenig Struktur, um den man in dieser Form getrost einen Bogen machen kann. Natürlich kann man ihn gut trinken und muss ihn mit Sicherheit nicht wegschütten. Nur wenn man an das großartige Jahr und den ebenfalls großartigen Preis denkt, dann überlagert doch Nachdenklichkeit das ohnehin schon schwache Nasen- und Gaumenbild - 88/100.

Ehrfurcht war angesagt beim nächsten Flight. Vor uns standen eine Reihe von Haut Brion-Greisen. Wenn Mottenkugeln wesentlicher Teil des Nasenbildes sind, wie bei 1919 Haut Brion, die Farbe ein schon eher ins rostige gehendes, immer noch dichtes Rotbraun ist, wenn der Wein am Gaumen schon arg gezehrt ist und Morbidität im Vordergrund steht, dann muss man schon einen Großvater oder wenigstens eine alte Eiche aus 1919 haben, um an so etwas Gefallen zu finden 75/100. Und selbst dann würde ich in drei Jahren das Jubiläum der alten Eiche natürlich lieber mit einem der grandiosen 1919er Burgunder feiern. Jahrhundertjahrgang in Burgund, zu vergessen in Bordeaux. Altwein auf recht hohem Niveau und durchaus noch mit Genuss zu trinken war hingegen 1921 Haut Brion. Sehr reife Farbe, reif auch in der eher Richtung Herbstlaub gehenden Nase. Am Gaumen aber ein sehr spannender, aromatischer Wein mit feiner Süße, der sich positiv im Glas entwickelte. Überhaupt nicht müde und mit beachtlicher Länge 86/100. Da kam der 1923 Haut Brion nicht mit. Der wirkte zu Anfang richtig unangenehm, "wie eine Konservendose, die ein Loch gehabt hat"(O-Ton René Gabriel), wurde aber im Glas mit der Zeit deutlich besser und gefälliger 84/100. Nur noch angucken konnte man 1938 Haut Brion. Der hatte eine ganz erstaunliche, intakte Farbe, die immer noch etwas Brillianz zeigte. Nur trinkbar war da leider nichts mehr. Wenig Spaß machte auch 1943 Haut Brion aus diesem sehr schwierigen Kriegsjahr. Der war einfach nur mager, ruppig und hart 78/100. Schwierig auch 1948 Haut Brion. Auf manchen Gütern sind ja erstaunlich gute 48er gelungen, weil man genügend 47er mit reingeschüttet hat. Das war hier wohl nicht der Fall. Sehr schöne Nase mit feiner Süße und faszinierender Aromatik. Die setzt sich am Gaumen nur bedingt fort, da eine hohe, aggressive Säure alles überlagert. Wird mit der Zeit im Glas etwas gefälliger 84/100.

Komplett aus Magnums bestand der nächste Flight. Groß war der sehr reif wirkende 1953 Haut Brion, teerig, leicht kräuterig, sehr lang am Gaumen mit feiner, immer stärker werdender, rosiniger Süße, Schmelz und Fülle ohne Ende, wie sie nur große, reife Weine bieten 96/100. War der 1962 Haut Brion zumindest leicht fehlerhaft? Sehr kompakt, etwas gezehrt wirkend, viel Lakritz, animalische Töne, aber auch laktisch wirkend, einfach nicht stimmig, der müsste zumindest aus der Magnum noch deutlich mehr bringen 78/100. Großartig entwickelt hat sich 1983 Haut Brion. Ein komplexer, dichter Wein mit hohem Extrakt und feiner Süße, tabakige Nase, sehr lang am Gaumen und dem 82er deutlich überlegen 93/100. Kernig, drahtig und schlank wirkte 1994 Haut Brion. Leider macht er zumindest aus der Großflasche derzeit nicht allzu viel Spaß, da sind sicher noch mal 5-10 Jahre Warten angesagt, derzeit 87/100. Da machte 1999 Haut Brion schon deutlich mehr an. Der ist derzeit, wie so viele 99er Bordeaux in einer absolut bestechenden Frühform, Weine, die einfach anmachen. Üppig-cremige, reichhaltige Frucht, am Gaumen aber auch etwas einfach gestrickt, sehr gefällig und gemacht wirkend. Das ist eher Chile als Bordeaux, pralle Frucht, aber Charakter und Terroir fehlen. Den kann man sicher auch Nicht-Bordeaux-Trinkern servieren, ohne dass gleich einer schreit: Igitt, ist der bitter!. Ich hoffe aber doch sehr, dass mit zunehmender Reife etwas mehr Harmonie und Gebietstypizität dazu kommen. Dann ist auch noch etwas mehr drin als die heutige, reine Spaßwertung von 93/100. Und dann war da noch 1993 Haut Brion aus der Imperiale. Sehr jung und aromatisch, eher schlank und delikat wirkend, aber sicher derzeit nicht in der besten Phase 88+/100. In seiner Fruchtphase Ende der 90er habe ich diesen Wein deutlich höher bewertet.

Ganz jung wurde es im letzten Flight des ersten Abends, und doch hatten wir hier einen der ältesten Weine der Probe im Glas. 1997 Haut Brion war leider nur noch ein Schatten seiner selbst, ein harmloser Säuerling auf dem deutlich Abschwung 82/100. Es ist beängstigend, mit welchem Tempo sich die 97er Bordeaux derzeit verabschieden, nur noch schöngeredet von Händlern und Gastronomen, die noch auf zum Teil nicht unbedeutenden Restbeständen sitzen. In einer eher schwierigen Phase ist derzeit auch 1998 Haut Brion, nur ist dort wenigstens Licht am Ende des Tunnels. Ein sehr kräftiger, dichter Wein mit massiven Tanninen, fast etwas korpulent wirkend, der derzeit noch zu sich selbst finden muss. Sehr verschlossen wirkend, aber mit gewaltigem Potential. Heute sind da max. 90/100 im Glas, in 5-10 Jahren ohne weiteres 96+/100. Deutlich mehr hätte ich gerne im Glas gehabt von 2000 Haut Brion. So ein kompletter, großer, geiler Wein, bei dem von vorne bis hinten alles stimmt. Ein Riese aus einem Guß. Und das, obwohl er noch längst nicht alles zeigt 97+/100. Nicht unterschätzen sollte man auch 2001 Haut Brion. Jetzt in einer sehr guten Frühform, ein großer Wein mit toller Tanninstruktur und großer, aromatischer Dichte, hat sicher Potential für 94/100. Ich weiß, dass der Jahrgang 2002 viele Freunde hat. Ich gehöre nicht dazu. So konnte ich mich auch mit 2002 Haut Brion nicht anfreunden. Sperrig, ungenerös, zuviel Tannin, zuwenig Frucht 87/100. Klar weiß ich was ein klassischer Bordeaux-Jahrgang im Stile von 1988 ist, aber wenigstens Ansätze von einer jugendlichen Fruchtpase müsste der Haut Brion zeigen, wenn er wirklich so groß ist, wie in der Literatur beschrieben. Tut er aber nicht. Ich lasse mich gerne in 20 Jahren eines besseren belehren, allein mir fehlt der Glaube. Und auch 2003 Haut Brion, von dem ich selbst im Vertrauen auf das Jahrhundertwein-Geschwätz zuviel zu teuer subskribiert habe, konnte mich nicht überzeugen. Der kommt mir derzeit vor wie ein Top-Modell, das sich nach monatelanger Fresskur in die alten Bikinis zwängt. Überall Speckrollen, keine Struktur. Klar hat der Haut Brion Frucht ohne Ende, viel Glycerin und das Fett mag die darunter liegende Struktur zum Teil überdecken. Aber er wirkt auf hohem Niveau so süß, so diffus und im Grunde genommen so lächerlich, dass es mich graust 90/100.

Eigentlich sollte die Probe an diesem ersten Abend mit einem Süßwein enden. Es gab einen 1971 Chateau de Malle aus der Magnum. Das war ein frischer, kleiner, aromatischer Sauternes, reife gelbe Früchte, aber auch etwas Möbelpolitur, wenig Süße, schon fast halbtrocken, insgesamt etwas eindimensional und hohl 85/100.

Danach hätte dann Schluss sein sollen, doch nicht nur der Gastgeber bewies außergewöhnliche Standfestigkeit. Und so landeten auf dem Tisch dann noch ein paar Weine aus einem Privatkeller. 1979 Latour à Pomerol ist eigentlich ein ziemlich dünner, harmloser Wein, ließ sich aber aus der Magnum gut trinken 85/100. Sehr schön entwickelte sich mit der Zeit ein 1983 La Grave Trignant de Boisset aus der Doppelmagnum. Ein feiner, kleiner, schmelziger Pomerol, der im Glas gut ausbaute und für eine Extraportion Schokolade als Nachdessert sorgte 87/100. Und plötzlich stand da auch noch eine Flasche 2000 Mouton Rothschild. Das war meine bisher schönste Flasche dieses Weines mit dem in 2000 etwas gewöhnungsbedürftigen, nuttigen Outfit. Sehr viel Fett hat dieser Wein und erinnert eher an 2003 als an 2000, reife, üppige Frucht, Röstaromen ohne Ende, aber bei aller positiven Ansprache fehlen mir da Kraft und Struktur. Ich weiß, dass René Gabriel Vergleiche zu 82 und 86 zieht. Für mich ist das allenfalls ein etwas üppigerer 85er 94/100.

Der Meister und sein Werk

Der Meister und sein Werk

Spektakulär ging es am nächsten Tag weiter. Stand da doch mit 1936 Haut Brion Blanc ein 70 Jahre alter Weißwein-Oldie aus einem gar nicht so berühmten Jahr vor uns. Der hatte eine Farbe wie ein alter Cognac und war auch in der Aromatik nicht so weit davon entfernt. In der Nase kam mit der Zeit immer stärker Karamell, am Gaumen täuschte die immer noch knackige Säure Frische vor, Alterstöne Fehlanzeige. Ein absolutes Phänomen dieser Wein, der nur ganz zögerlich am Gaumen abbaute. Wahrscheinlich war das in den ersten 40 Jahren seines Lebens ein völlig untrinkbares Monstrum mit abartig hoher Säure. Wir konnten jetzt davon profitieren 95/100. 1979 Haut Brion Blanc hatte eine schöne Nase, war am Gaumen aber eher etwas schlank mit kräftiger, unharmonischer Säure 86/100. Hat so vor 50 Jahren der 36er geschmeckt? Ich bin inzwischen bei Haut Brion Blanc und Domaine de Chevalier Blanc sehr vorsichtig geworden. Die altern meist sensationell gut, gehen aber ähnlich großen Rotweinen oft nach einer knackigen Fruchtphase wieder für eine ganze Weile zu. Da ist immense Geduld und natürlich auch Risikobereitschaft gefordert. Voll da war 1987 Haut Brion Blanc, ein eher kleinerer, schlankerer Wein, aber mit schöner cremiger Frucht und viel Säure 89/100. Wie eine etwas kleinere Ausgabe des grandiosen 2004ers wirkte 2001 Haut Brion Blanc, jugendlich frisch mit viel primärer Frucht, Limone, etwas Cassis, Minze, am Gaumen vielleicht nicht ganz so konzentriert, aber auch komplex mit viel Länge, steht noch ganz am Anfang 94+/100.

Mit sechs eher etwas kleineren, reiferen Weinen starteten wir in die zweite Rotwein-Session. Sehr filigran und finessig war 1967 Haut Brion. Schöne Nase mit feinen roten Früchten, Himbeere, aber auch Tabak, am Gaumen sehr nachhaltig 92/100. Nicht mehr viel Genuss
bietet 1969 Haut Brion, zu Anfang spanisch wirkende, karamellige Nase, die wohl eher einem letzten Aufbäumen gleich kam, am Gaumen astringierend, baute rasch ab 79/100. Völlig daneben war für mich auch 1970 Haut Brion, leicht animalisch, belanglos, unverbindlich, altes Faß. Positive Worte fielen mir zu diesem Wein nicht ein 81/100. 1987 Haut Brion hat trotz recht schöner Nase mit feiner Süße die besten Zeiten lange hinter sich, wirkt am Gaumen etwas hohl und gezehrt 80/100. Und zu 1992 Haut Brion notierte ich mir nur: für einen Trollinger verdammt viel Tabak, für einen Haut Brion absolut belanglos 81/100. Einer meiner Favoriten war lange Jahre 1971 Haut Brion, doch auch an dem nagt inzwischen der Zahn der Zeit. Aus der Doppelmagnum hatte er immer noch eine dichte Farbe, wirkte weich, gefällig und war recht schön zu trinken, die klassische Cigarbox-Nase wurde aber zunehmend von medizinalen, jodigen Tönen verdrängt 89/100.
Eindeutiger Sieger dieses für Haut Brion doch eher etwas unterirdischen Flights war aus dem Rahmenprogramm 1990 Pape Clement in der Imperiale. Das war grandioser Stoff mit pflaumig-mineralischer Nase, etwas Tabak und Schokolade, sehr lang am Gaumen und bei aller Kraft sehr fein und geradezu delikat 94/100. Habe selten eine Imperiale so schnell zu Ende gehen sehen. Am Vortage hatte es einen 1994 Haut-Bailly aus der Imperiale gegeben. Das war beileibe kein schlechter Wein, aber eben mit Pape Clement nicht vergleichbar. Eher ein rustikalerer, reiferer Wein auf 90/100-Niveau, bei dem es gut doppelt solange dauerte, bis die Flasche leer war.

Was dann kam, war der beste Flight der gesamten Probe. Optisch standen da zunächst zwei völlig unterschiedliche Fraktionen auf dem Tisch. Links dreimal rabenschwarz, rechts dreimal heller, gereifter. Fangen wir mit der rabenschwarzen Fraktion an. 1926 Haut Brion hatte nicht nur eine Superfarbe, sondern auch die dazugehörige, irre konzentrierte Nase, auch am Gaumen ein Wahnsinnskonzentrat mit Schokosüße und guter, stützender Säure 98/100. Sehr unterschiedliche Flaschen gibt es von 1928 Haut Brion, weshalb dieser Wein einen recht zweifelhaften Ruf genießt. Ich habe ihn schon mehrfach sensationell, grottenschlecht und dazwischen erlebt. An diesem Abend hatten wir eines der sehr guten Exemplare erwischt. Irre Farbe, tolle Nase mit Teer, Rauch, Ruß und Trüffeln, am Gaumen sehr dicht und lang, aber auch mit viel Säure und Tannin ohne Ende. Der schien immer noch nicht richtig fertig zu sein und nach weiterer Lagerung zu schreien, unfassbar 97/100. Primus inter pares war 1929 Haut Brion. Auch hier wieder diese Wahnsinnsfarbe. Ein unsterblicher Weinriese, der in der Konzentration an gewisse, deutlich jüngere 100-Punkte-Parker-Lieblinge von der Rhone erinnerte. Gewaltiger Stoff mit Süße, Opulenz und Malaga in Perfektion 100/100.
In der Fraktion mit der reiferen Farbe lag 1934 Haut Brion ganz vorne. Überzeugten die 20er mit ihrer schieren Kraft und Konzentration, so war das hier der große Finessenmeister. Bei diesem reifen, seidig-weichen Wein überwogen die leiseren Töne, aber auf eine extrem überzeugende Art. Minzig, rotbeerig, mit etwas Tabak und Cigarbox, am Gaumen schmeichlerisch, fast mollig mit Wahnsinnslänge. Auch da ist jedes Glas zu klein 99/100. War es die harte Konkurrenz, die diesmal den 1945 Haut Brion nicht so hervorstechen ließ? Sehr schöne Nase mit Tabak, Zedernholztönen, pfeffrig, Minze und auch etwas Eukalyptus. Am Gaumen gewaltige Länge, aber auch filigran und mit viel Säure 97/100. Auf dem Niveau lässt sich natürlich gut meckern, aber ich habe den 45er auch schon mehrfach, zuletzt im Herbst 2005 auf eindeutigem 100 Punkte Niveau im Glas gehabt. 1947 Haut Brion kam in diesem Flight nicht mit. Dabei war auch das ein schöner Wein. Portige Nase, auf gewisse Überreife hindeutend, rosinig, buttrig, auch am Gaumen Süße, die aber vor allem durch die kräftige Säure etwas spröde wirkte 93/100.

Hier sei ein großes Lob zur Arbeit hinter den Kulissen eingeflochten. Einen genialen Gesinnungstäter hat sich René Gabriel für seine großen Raritätenproben mit Patrick Bopp gesichert. Der ist eigentlich Notar und geht als Sommelier mit der gleichen Präzision zu Werke wie in seinem Beruf. Wie oft habe ich schon auf großen Proben überwärmte, totdekantierte Weine trinken müssen, die nur noch ein Schatten ihrer selbst waren. Hier dagegen stimmte einfach alles bis hin zur stets perfekten Einschenktemperatur von 15 Grad. Nachahmenswert auch Patrick Bopps Dekantier-Methodik. Die Weine werden in leere Wasserflaschen dekantiert, der Rest mit dem Depot noch durch VinoPur Filter geschickt. Dann werden die Originalflaschen ausgespült, der Wein kommt darin zurück und wird später aus den Originalflaschen mit Drop Stop präzise eingeschenkt. So wird kein einziger Tropfen verschenkt, und durch das recht zeitnahe Dekantieren in sehr enge Gefäße bleiben Frische und Frucht der Weine erhalten.

Ein Notar als Top-Sommelier - Patrick Bopp

Ein Notar als Top-Sommelier - Patrick Bopp

Auf sehr hohem Niveau ging es weiter. Irritierend zunächst 1949 Haut Brion. Steinpilze, leichter Essigtouch, Altweingout, wurde aber im Glas immer besser und entwickelte sich, in der Nase und am Gaumen kam eine feine, malzige Süße, der Wein wurde deutlich länger und komplexer 94/100. Dann das Duell 59 gegen 61. 1959 Haut Brion war einfach ein geiler Stoff, cremige Frucht, Fülle, Schmelz, Süße. Wer hatte mir von diesem göttlichen Elixier nur diese winzige Pfütze eingeschenkt? Das ist ein Wein zum beidhändig trinken aus großen Behältnissen und eine der großen Weinlegenden unserer Zeit 100/100. Auf gleichem Niveau, aber völlig anders, 1961 Haut Brion. Tiefgründiger, immer noch mit massiven Tanninen, ein fordernder, großer Wein mit unglaublicher Power und sicher noch 20+ Jahren Zukunft. Fleischig, dicht, in der Nase Rauch, Tabak, Trüffel, etwas Minze, lässt am Gaumen seine Muskeln spielen. Wein geht auch anders, aber nicht besser 100/100. Schlichtweg kaputt und hin war 1964 Haut Brion. Das hat mich nicht weiter überrascht. Den habe ich zuletzt 1994 groß getrunken, seitdem ging es nur noch abwärts. Ein Erlebnis dann 1966 Haut Brion. Immer noch so wunderbar fruchtig mit toller Aromatik, frisch gemahlenem Kaffee, am Gaumen sehr fleischig, baut sehr schön im Glas aus. Ein klassisches Lehrbeispiel für einen perfekt gereiften Bordeaux aus gutem Keller, der sich sicher noch einige Jahre auf diesem Niveau hält 95/100. Auch 1979 Haut Brion war wieder klassischer, reifer Haut Brion auf hohem Niveau. Reif ohne Alterstöne mit sehr intakter Farbe, die klassische Cigarbox-Nase, dazu rauchige Töne, Leder und Trüffel, am Gaumen weich, komplex und lang 93/100. Und dann war da natürlich noch im großen Glas 1988 Haut Brion, der sehr großzügig aus der Jeroboam eingeschenkt wurde. Ein sehr fleischiger, dichter Wein, bei aller Kraft sehr elegant, pflaumige Frucht, Tabak. Scheint sich langsam wieder zu öffnen, wobei er aus dieser Jeroboam weiter schien, als aus den letzten, von mir getrunkenen 1teln. In jedem Fall ist da gewaltiges Potential und hohe Lebensdauer. Wo heute 93+/100 sind, kann man in 5-10 Jahren durchaus 96/100 erwarten.

Im letzten Flight war 1985 Haut Brion ein klassischer Vertreter dieses Jahrgangs, offen, reif, gefällig und schmeichlerisch mit wunderbarer Frucht. Den kann man so ohne zu Zögern aus dem Keller holen und auf hohem Niveau genießen 95/100. Auch 1986 Haut Brion ist ein klassischer Vertreter seines Jahrgangs. Die massive Tanninstruktur lässt ihn im Moment noch etwas unnahbar und rustikal erscheinen. Er wirkt fast etwas bockig und arrogant. Klar, man spürt das gewaltige Potential und die enorme Dichte. Doch bis zur richtigen Trinkreife, bis die hier sicher möglichen 96/100 erreicht werden, vergehen sicher noch mal gut 5 Jahre. Ideal ist der 86er Haut Brion geeignet als Begleitwein beim Ausfüllen der 2005er Subskriptions-Bestellung. Solange oder auch länger wie auf diesen Wein wird man nämlich auch auf 2005 Haut Brion warten müssen. Das wird dann ein Wein für die Enkel. Da kaufe ich mir dann lieber noch mal eine Kiste vom 1989 Haut Brion. Der zeigte sich an diesem Abend mal wieder von seiner allerbesten Seite. Das ist dann nicht zu toppende Perfektion. So dicht, mit so einer druckvollen Aromatik, mit einer geilen Nase, am Gaumen trotz aller Kraft und Komplexität so dekadent üppig und mit unglaublicher Länge 100/100. Dabei sollte man sich nicht täuschen. Der 89er ist alles andere als reif. Ich habe erst kürzlich eine Flasche erlebt, in der er noch deutlich zugeknöpfter war. Auf das Risiko, das er sich immer mal wieder für eine Weile etwas verschließt, muß man halt gefasst sein. Dafür dürfte das Trinkfenster dieses Giganten, das sich erst langsam richtig öffnet, sicher bis weit jenseits 2030 reichen. In den letzten Jahren hatte ich oft das Gefühl, dass der 1990 Haut Brion am 89er irgendwann vorbeizieht. Dem ist, wie in dieser Probe wieder eindrücklich demonstriert, nicht so. Der 90er war vordergründiger, heller und reifer in der Farbe, zweifelsohne ein großer Wein, doch mit 89 kam er keinesfalls mit 94/100. 1989 ist gegenüber 1990 nun mal das Jahr mit der größeren Zukunft. Das gilt auch für Haut Brion. Richtig unangenehm wirkte innerhalb dieses Feuerwerks 1995 Haut Brion. Der war einfach nur sauer mit viel flüchtiger Säure. Das kann eigentlich nur ein Flaschenfehler gewesen sein, denn ich kenne diesen Wein deutlich besser. Groß dann wieder 1996 Haut Brion, aber natürlich noch sehr jung. Ein sehr dichter, kräftiger Wein, der derzeit deutlich mehr Muskeln als Finesse zeigt, eine modernere Version des 86ers mit Potential für 96/100.

Zum Abschluss dieses unglaublichen Haut Brion-Feuerwerks gab es dann mit 1976 Chateau de Fargues noch einen Süßwein aus Sauternes. Süß, üppig, mehr Fülle als Finesse 92/100.

Und warum waren Sie nicht dabei?

Und warum waren Sie nicht dabei?