61mal 1961

Ein Ruf wie Donnerhall hat 1961. Kein Wunder, das diese große Probe von René Gabriel mit 61 Weinen aus dem legendären Jahrgang in Sekunden ausgebucht war mit einer Warteliste bis zum Horizont. Da störte es dann auch nur Puristen, dass wir uns zu dieser zweitägigen Probe im Mövenpick Egerkingen einfanden, einer Art großem Autobahn-Motel.

Im Restaurant des Mövenpick fand dann auch der erste Abend statt.
Gleich beim ersten Wein der ersten Serie, einem 1961 Meursault von Bouchard Père et Fils, gab es leider nichts, was man irgendwie schönreden konnte. Pilzig die Nase, Sherrynoten, aggressive Säure, eigentlich nur mit Schmerzen zu trinken. Ich ließ ihn eine Weile stehen. Manchmal geschieht ja noch ein Wunder. Doch hier verwandelte sich nur die Pilznote in Mottenpulver, scheußlich 65/100. Deutlich besser der goldgelbe, kompakte 1961 Meursault von A. Ligeret, auch der mit deutlicher Säure am Gaumen, aber auch mit viel Würze und dezent nussigen Noten, dazu viel Kamille 87/100.
Eindeutiger Star dieses Flights der erste Rotwein, ein 1961 Beaune Teurons von Doudet-Naudin, wunderbare Nase mit viel Leder und Trockenfrüchten, schöne Süße, dicht die Farbe, am Gaumen keinerlei Alter, dafür die Pracht und Fülle, die man sich von einem großen Burgunder wünscht 93/100. Alte Doudets bis weit runter in die 20er Jahre sind eigentlich immer eine Bank. Wie ein (zu) altes Wurstbrot roch der ziemlich kaputte 1961 Corton Tête de Cuvée von Albert Gauffroy, oxidiert, auch am Gaumen nur noch Maggi 77/100. Gut trinkbar der kompakte, aber auch etwas eindimensional und wenig inspirierend wirkende 1961 Gevrey Chambertin von Patriarche Père et Fils, dürfte sich mit intakter Farbe auf diesem Niveau noch länger halten 86/100. An einen älteren, gut gereiften deutschen Spätburgunder erinnerte mich der 1961 Nuits St. Georges Les Boudots von Noellat, beileibe kein schlechter Wein, kräftig, etwas rustikal, unsaubere Noten und Pilze, gut trinkbar, aber das typisch burgundische, die Eleganz und der feine, süße Schmelz gingen ihm ab 88/100. Stinkt wie Affenscheiße, notierte ich beim 1961 Pommard von J.P. Leconte aus einer schon sehr grenzwertigen Flasche mit 6,5 cm Schwund. Der war oxidativ, kaputt, hin. Deutlich mehr hatte ich mir von 1961 Clos St. Martin aus der Magnum versprochen, aber das hier war meine schlechteste Flasche dieses Charmeurs aus St. Emilion. Und genau der Charme fehlte hier bei diesem sonst so seidig-eleganten Wein, dafür viel Säure, Liebstöckel, wenig Schmelz 85/100.
Hätte man sich eigentlich sparen können, diesen ersten Flight. Bei Madonna singt ja im Vorprogramm auch nicht jemand, der bei DSDS in der ersten Runde rausgeflogen ist. Oder hatte der gute René diesen Flight nur als Kontrastmittel eingesetzt?

Zwei der absoluten Highlights der Probe kamen im nächsten Flight. Zunächst 1961 Ausone, mit dem ich mich bisher nie so richtig anfreunden konnte. Aber das hier war eine verdammt gute Flasche. Klar war der trotzdem nicht mit den heutigen Ausones vergleichbar. Früher war Ausone noch einigermaßen bezahlbar und meist mittelmäßig. Heute ist Ausone Weltklasse und völlig unbezahlbar. Dieser hier war ein klassischer, rustikaler, kräftiger Ausone der älteren Sorte, sehr kräuterig, Anis, viel Lakritz, kraftvoll und lang am Gaumen 93/100. Zum Niederknien 1961 Cheval Blanc, den ich noch nie in dieser bestechenden Form im Glas hatte, dieses einmalige Cheval-Parfüm in der Nase, diese ewige Eleganz am Gaumen, diese sehr feine, verschwenderische Süße, einfach perfekt 100/100. Da konnte einem der arme 1961 Clinet, der schon lange über den Höhepunkt ist, fast leid tun. Schuhcreme war da zu Anfang in der Nase, nach einer halben Stunde kam dann tatsächlich noch mal Schokolade, und wenn man da reinbeißen wollte, hatte man nur die leere Verpackung im Mund 84/100. Meiden. Enttäuscht hat mich auch 1961 La Conseillante, noch nicht so alt wie Clinet, mehr Kraft, aber auch hier fehlte die Süße früherer Jahre, wirkt etwas eindimensional 89/100. Den schokoladigen Schmelz hatte trotz einer schlechten Flasche (hs-ms) der 1961 Nenin zumindest in der sehr vielversprechenden Nase, der Gaumen kam nicht ganz mit und war etwas metallisch 91/100. Trotzdem, alte Nenins, die man ja meist für kleines Geld findet, sind jede Suche wert. Wäre schön, wenn dieses Gut mal wieder jemand wach küssen würde. Perfektion bei 1961 Petrus, den ich schon mehrfach, aber erst einmal in dieser schlichtweg sensationellen Form im Glas hatte. Alleine schon diese süchtig machende Nase, ätherisch, großes Kräutermix, Trockenblumen, Schoko, Minze, süße Frucht. Der Gaumen macht da mit irrem, aromatischem Druck weiter. Kraft, Eleganz, Schmelz, Länge - warum muss ich mir dieses geradezu explosive Geschoss mit anderthalb Dutzend Mittrinkern teilen? Warum ist mein Glas nicht randvoll? So nippe ich vorsichtig und lasse jeden Tropfen einzeln auf der Zunge zergehen. Ja, dieser Schluck der ohne Frage 100/100 Ikone Petrus war schon die Reise nach Egerkingen wert. Bei einem solchen Monument kann man nicht einfach in den Keller gehen und noch eine Flasche hochhohlen. Wer hat den überhaupt noch, echt und in dieser Qualität? Aus dem siebten Weinhimmel holte mich dann der 1961 Vieux Chateau Certan zurück. Eigentlich auch das ein großer Wein, aber hier leider keine große Flasche. Penetrante Uhu-Nase, wirkt am Gaumen künstlich aromatisiert und ging nach 30 Minuten in überreife Banane über. Da verbietet sich eine Bewertung.

Kräftig, etwas rustikal und noch recht jung der 1961 Troplong Mondot, der im Abgang mit feiner Süße verwöhnt 92/100. War wahrscheinlich nie richtig groß und wird sich auf diesem Niveau noch länger halten. Sehr erwärmen konnte ich mich für 1961 Pavie, der ab sofort auf meiner Suchliste steht. Einfach betörend die süße, ausladende Nase, am Gaumen würzig, süß und sehr lang 95/100. Ganz nett, gefällig, aber auch etwas simpel 1961 La Serre, der sicher vor Jahren mal besser war 89/100. Einfach sexy der 1961 Clos de l Oratoire, eine flüssige Droge, süß, viel Kaffee, die auch aus Pomerol stammen könnte 95/100. Eine süße, karamellige Nase hatte der 1961 La Carte, auch am Gaumen süß, malzig mit viel Schokolade 92/100. Dieses Chateau gibt es übrigens heute nicht mehr. Es wurde in Beauséjour-Bécot integriert. Daneben ein Glas mit einer kaum trinkbaren, stinkenden, bräunlichen Brühe. Das sollte das ebenfalls aus St. Emilion stammende 1961 Quercy sein. Seltsam 1961 Tertre Daugay, auf der einen Seite wirkte er etwas fruchtlos und gezehrt, auf der anderen Seite waren da immer noch Tannine und eine gute Säure. Ich kenne diesen rustikalen Wein besser 86/100.

Was dann im vierten Flight und letzten Flight ins Glas kam, wirkte schon so, als ob uns da jemand ins Bett treiben wollte. Säure ohne Ende hatte der nur sehr schwer trinkbare 1961 Tournan Hermitage Blanc. Schlichtweg grausam der 1961 Chateauneuf-du-Pape La Bernardine von Chapoutier. Sehr grenzwertig auch der 1961 Chateauneuf-du-Pape von Rémy Gauthier, Möbelpolitur, Nagellackentferner, sicher nicht das, was man unter einem großen Chateauneuf versteht. Staubig mit viel Mottenpulver die Nase des gruftigen 1961 Côte Rotie Brune & Blonde von Chapoutier, verabschiedete sich im Glas in Rekordtempo. Nur der 1961 Chateauneuf-du-Pape von Ogier konnte sich nicht blamieren. Der entzog sich der Beurteilung durch Kork. War 1961 an der Rhone wirklich so schlecht, wie dieser unterirdische Querschnitt? Ganz im Gegenteil. An der nördlichen Rhone war 1961 ein Riesenjahr, allen voraus der göttliche 1961 Hermitage La Chapelle. Aber auch an der südlichen Rhone gab es hervorragende Chateauneufs. Unser Querschnitt hier war da nicht die Regel, sondern die Ausnahme, auf die ich gut und gerne verzichten könnte.
Ein Lichtblick der anscheinend unsterbliche 1961 Gran Coronas Gran Reserva Black Label von Torres. Ein sehr feiner, delikater, reifer Wein mit generöser Süße, bei dem eigentlich nur die helle Farbe auf Alter hindeutet, zeigte sonst noch eine erstaunliche Frische und war recht lang am Gaumen 94/100. Selten und sehr teuer ist 1961 Penfolds Grange Hermitage. Ein durchaus spannender, reifer Wein, der aber nicht die Klasse moderner Granges besitzt und inzwischen deutlich über den Zenit ist 90/100.



Ein Kulturschock im positiven Sinne dann das Restaurant des zweiten Abends. Das Lamparts in Hägendorf hat nicht nur eine hervorragende, hoch bewertete Küche. Es zeichnet sich auch durch ein einmaliges, sehr gelungenes Ambiente aus.
Leicht pilzig die Nase des 1961 de Pez, viel Säure am Gaumen, aber trotzdem ein ausgewogener, gut trinkbarer Wein 88/100. Nicht klar kam ich zu Anfang mit dem ungenerösen, säurelastigen 1961 Meyney, doch als ich ihn gerade abschreiben wollte, gab der sich noch mal einen Ruck, baute aus, wurde süßer und deutlich schöner 87/100. Der schönste der drei St. Estephes war 1961 Calon Ségur, reif, wunderbar balanciert mit feiner Süße 92/100.
Große Klasse der von Parker mit 60(!)/100 hingerichtete 1961 La Lagune, der sich auch in dieser Probe wieder von seiner allerbesten Seite zeigte. Das ist einfach reifer Bordeaux vom Allerfeinsten. Süß, würzig und beerig die wunderbare Nase, seidig die Tannine am ebenfalls süßen, langen Gaumen 95/100. Fehlerhaft war wohl der 1961 Les Carmes Haut Brion, bei dem nur die Farbe stimmte. Schuhcremenase, auch am Gaumen chemisch und daneben 76/100. Leichte Probleme hatte ich zu Anfang mit 1961 Haut Brion, den ich schon zu oft aus grandiosen Flaschen trinken durfte. Aus dieser hier wirkte er zu Anfang etwas verstockt mit sehr verhaltener Nase. Das gab sich mit der Zeit, dann wurde die Nase teeriger und tabakiger, der Gaumen deutlich kraftvoller und der Abgang länger 96/100. Aber dieser Wein geht deutlich besser.
Ziemlich dürftig leider der 1961 Bel-Orme-Tronquoy-Lalande 78/100. Ausgerechnet der kam aus der Magnum. Die hätte ich mir bei Haut Brion oder La Lagune gewünscht.

Margaux war das Thema des zweiten Flights. Klein, süß, reif, ganz ok der 1961 Boyd Cantenac 85/100. Ziemlich hin und mit deutlichem Essigtouch auf dem Weg zur Salatsoße der 1961 Lascombes 76/100. Von einem Fehlton in der Nase getrübt leider 1961 Margaux, der ohnehin nicht die Klasse dieses Chateaus zeigte und insgesamt etwas unsauber wirkte, schade. Einziger Lichtblick dieses Flights und einer der schönsten Weine der Probe 1961 Palmer, Eleganz pur, burgundisch im besten Sinne. Manche Verkoster meinten, einen leichten Kork zu spüren. Ich fand diesen Wein, der mich schon häufiger in Verkostungen enttäuscht hat, perfekt. Ein ganz großer Palmer mit einem gelungenen Spagat aus Kraft und Eleganz 97/100. 1961 Rauzan Gassies und 1961 Rausan Ségla waren solide, gut trinkbare Weine auf 83/100 Niveau, rustikal, etwas eckig, tun nicht weh, aber auch nicht besonders gut. Der 1961 Dillon aus der Magnum roch wie überlagerte Mayonnaise, kein wirklicher Trinkspaß, da half auch das größere Format nicht 72/100.

Weiter ging es mit sieben weinen aus St. Julien. Ein kleiner, aber recht charmanter Säuerling war 1961 Lagrange, so eine Art Riesling QbA aus St. Julien 87/100. Die sehr feine Nase des 1961 St. Pierre zeigte, was man aus diesem Terroir rausholen könnte(und mittlerweile ja auch rausholt), am Gaumen etwas rustikal mit viel Säure 88/100. Eine Traumnase hatte 1961 Talbot, süß, hoch elegant, Zedernholz, Leder, am Gaumen deutliche Säure, aber auch Süße und feiner Schmelz, sehr elegant und lang 94/100. Auf hohem Niveau war 1961 Ducru Beaucaillou nur noch ein Schatten früherer Glorie, dieser einstmals geniale Wein kommt halt in den meisten Flaschen etwas in die Jahre, macht aber immer noch sehr viel Spaß 94/100. Ganz großer Kino dafür 1961 Gruaud Larose, ein immer noch kraftvoller, aber auch sehr eleganter Wein, zum Kauen schön, die Essenz von Cabernet und Bordeaux 97/100. Dagegen verblasste der etwas flache, eindimensional wirkende 1961 Leoville las Cases deutlich 86/100. Ausnehmend gut gefiel mir 1961 Beychevelle aus der Magnum. Die zu Anfang etwas laktische, medizinale Nase legte immer mehr zu, wurde süßer, generöser, am Gaumen weich, elegant, sehr fein mit dezenter Süße, ein großer Beychevelle, was bei diesem Chateau leider nicht oft vorkommt 94/100.

Pauillac war nun angesagt. Da musste es eigentlich richtig krachen. 1961 Haut Batailley hatte eine etwas säuerliche Lakritznase, am Gaumen war er sehr schön mit feiner Süße 90/100. Ein Hundefreund an unserem Tisch brachte es auf den Punkt. Der 1961 Pichon Baron riecht ja nach süßer Hundekacke. Nicht unbedingt meine Mischung. Am Gaumen war zu Anfang noch süße Fülle und Kraft, aber auch dort wurde der Wein immer übler, der war einfach hin. Zu den ganz großen Weinen dieses Chateaus gehört 1961 Mouton Rothschild. Unsere Flasche mit nur knapp upper-shoulder hatte, wie so viele Moutons, wohl schon viel von der Welt gesehen. Trotzdem zeigte der Mouton noch viel Rasse, Kraft und Klasse mit dem typischen Mouton-Bouquet Minze, Leder, Bleistift und leichte Rösttöne, die gute Säure am Gaumen verlieh ihm Frische 96/100. In guten Flaschen sind da noch 2-3 Punkte mehr drin. Und dann kam mein persönlicher Proben-Gau, der dritte, fehlerhafte 1961 Latour innerhalb weniger Monate. Eigentlich ist dieser Latour einer der größten Weine dieser Erde, voll auf Augenhöhe mit Petrus. Wer den einmal gehabt hat, wird süchtig danach. Nur hatte diese Flasche mit ihrem oxidativen Inhalt eben nichts mit 1961 Latour zu tun. Ob ich diesen Latour noch mal so ins Glas bekomme, wie ich ihn vor 10 Jahren dreimal erleben durfte?
Einen ganz üblen Kork hatte leider der 1961 Croizet Bages aus der Magnum. Die große Überraschung dann 1961 Mouton Baron Philippe aus der Magnum. Der war in dieser Probe hier besser als der Grand Vin. Absolut verrückte Nase mit Schokolade, Minze und dem Eukalyptus des 45er Mouton, am Gaumen immer noch Kraft, aber auch süße Fülle, sensationell 97/100. Wie ein ungeschliffener Rohdiamant wirkte 1961 Lynch Bages in einer Barrière-Abfüllung aus der Magnum, der war noch so jung, so dicht, so kräftig mit sehr junger Farbe und gewaltiger Power und Länge am Gaumen, enormes Potential 94+/100.

Zum Abschluss gab es noch sieben edelsüße Weine. Der 1961 Domaine Jourdan war leider korkig und hin. Ziemlich fürchterlich 1961 Clos du Moulin, wie Wrigley Spearmint vom Trottoir. Besser, aber etwas aufdringlich 1961 Violet mit süßer Haribo-Lakritze 85/100.
In einer anderen Liga waren wir da mit dem süßen, dichten, großen 1961 Doisy Vedrines, Orangen-Bittermarmelade satt, passt perfekt aufs Früchstücksbrötchen 92/100. Ähnlich 1961 Rieussec, der aber in Süße, Druck, Dichte und Länge noch eins drauf setzte 94/100. Da kam 1961 d Yquem nicht mit, der zwar enorme Kraft zeigte, aber auch recht bitter wirkte und wenig Freude bereitete 92/100. Eine reife Farbe hatte 1961 de Fargues aus der Magnum, ein süßer, fülliger Wein, der aber auch schon erste Anflüge von Möbelpolitur zeigte. War sicher vor 10 Jahren besser und befindet sich auf dem Abstieg 90/100. (wt 03/2011)