American Beauty

So eine Best Bottle ist eine feine Sache, vorausgesetzt, das Thema, die Teilnehmer und vor allem die Weine stimmen. Und bei dieser Probe hier stimmte wirklich alles. Zwölf verrückte Weinnasen in sehr angenehmer Runde, vierundzwanzig herrliche Weine, ein gelungene, kulinarische Begleitung im schönen Ambiente des Adler in Nebikon. Und last not least natürlich "Lynch Baschi", Baschi Schwander, als Initiator, Seele und Organisator dieses feinen Events, dem an dieser Stelle ganz herzlich gedankt sei. Nicht abgestimmt hatten wir untereinander die Weine, und doch passte alles so, als ob es aus einem großen Keller kommen würde. Keine Ausreißer, keine Looser und vor allem keine Doppelten. Da muss wohl eine tiefe Seelenverwandtschaft zwischen den Teilnehmern geherrscht haben. Schön, wenn sich Weinfreunde blind so gut verstehen.

Zum Eingewöhnen gab es etwas weißes Vorgeplänkel. Nicht unbedingt trinken musste man den 1991 Pinot Noir Blanc Eye of the Swan von Sebastiani. Der hatte die altrosa Farbe eines Damenschlüpfers aus dem Altersheim und war genauso aufregend. Oxidiert, Mottenkugeln und jede Menge Klebstoff. Untrinkbar, aber die Art von Wein, die man einmal im Leben im Glas gehabt haben sollte, aber bitte nicht öfter. Schon ein gutes Stück Richtung ewige Weinjagdgründe war auch der schon verdammt reife 1999 Moraga Blanc. Fruchtiger Restcharme und gute Säure machten ihn immerhin noch trinkbar 85/100. Deutlich besser und frischer 2001 Moraga Blanc. Elegant, feinduftig mit pikanter Frucht, viel Stachelbeere und Holunder, gute Säure 89/100. Gehört aber sicher auch getrunken. Ich bin bekennender Moraga-Fan, doch bezieht sich das eher auf die roten Weine dieses Gutes aus der teuren Vorort-Lage von Los Angeles.

Und dann der erste Rotwein-Flight. Eigentlich ein sehr undankbarer, in dem wohl niemand seine Weine stehen haben möchte. Schwierig zu verkosten der 1999 Dominus. Noch sehr jung mit staubigen Tanninen. In der Nase stört zu Anfang stark ein kork-ähnlicher Ton, Pappkarton à la 85 Heitz, wird mit der Zeit besser, am Gaumen Kraft und Fülle, ähnelt stilistisch etwas den Weinen des Gutes aus den 80ern 90+/100. Da ist also Warten angesagt. Anders bei 1993 Newton Cabernet Sauvignon Unfiltered. Der besaß zwar eine animierende, fruchtig-schmelzige Nase, am Gaumen fehlte aber die Konzentration. Dazu kamen etwas Schuhcreme und ein metallischer Ton. Baute im Glas etwas aus und wurde besser, ist aber um Meilen von den großen Newtons aus 91/92 entfernt und scheint wie viele andere Kalis aus 93 langsam abzubauen 85/100. Mein klarer Favorit in diesem ersten Flight war 1998 Pahlmeyer Red. Das war Hedonismus pur, wie ihn auch die großen Pahlmeyers aus 94 und 97 in ihrer Jugend zeigten. Traumnase mit viel Minze und Eukalyptus, am Gaumen üppige Fülle mit unendlichem Schmelz, toller Abgang, einfach ein unkomplizierter, praller Bilderbuch-Kalifornier aus einem zu Unrecht übersehenen Jahrgang 96/100.
Noch ein Wort zur Bewertung: wir haben alle Weine blind bewertet und erst dann aufgedeckt. Ich gebe hier bei den einzelnen Weinen meine ungeschönte, unkorrigierte Blindbewertung wieder. Im Schnitt lagen wir insgesamt bei dieser hochkarätigen Probe bei 94,0 Punkten. Mein eigener Punkte-Schnitt lag bei 93,2.

Viel Kopfschütteln bei einer Magnum, die als Solitär auf den Tisch kam. Sehr fruchtige Nase mit reifer Brombeere und Schwarzkirsche, rauchig mit Teer, Graphit und Mineralität, am Gaumen irre Fruchtsüße, aber auch dick, mastig und alkoholisch wirkend. Zumindest im jetzigen Stadium eher Syrup, den man mit 5 Teilen Wasser zu einem Getränk anrührt, als Wein. 15,5 % Alkohol steht auf der Flasche, gefühlt war es noch mehr. Der 2005 Robert Foley Claret erinnert mich an die ebenfalls zu dicken 2005 Quinta Sardonia und Flor de Pingus. Weniger wäre hier einfach mehr gewesen. Schade, dass der talentierte Bob Foley derzeit auch auf dem kalifornischen Holzweg des "immer reifer, dicker und alkoholischer" ist. Hat der seinen eigenen, fantastischen 99er nicht mehr in Erinnerung? Aus diesem perfekten Lesegut einen feinen Wein mit 13,5%, das wäre es gewesen. Da konnte ich mich zu mehr als großzügigen 90/100 nicht durchringen. So blieb denn in dieser Magnum auch reichlich drin.

Dass es auch anders geht, zeigte der nächste Flight. Eine undurchdringliche, rabenschwarze Wahnsinnsfarbe hatte der 2001 Philip Togni Cabernet Sauvignon. Ein gewaltiges, blutjunges Konzentrat mit dem für Togni astronomisch hohen Alkoholgehalt von 13,5%. Bitterschokolade, Schwarze Oliven, Cassis und Lakritz in der Nase, am Gaumen noch sehr kompakt mit fordernden Tannine. Sicher ein Wein, der in 10 Jahren erst richtig aufdreht 94+/100. Etwas verschlossen wirkte auch der 1997 Philip Togni Cabernet Sauvignon, der aber eindrucksvoll zeigte, dass in Kalifornien immer noch große Weine mit den 12,5 % Alkohol machbar sind, die in den 90ern und davor mal Standard waren. Sehr gute Frucht, erstaunliche Säurestruktur, perfektes Tanningerüst, immer noch ein Jüngling. Baut enorm im Glas aus und fängt förmlich an zu explodieren. Dabei zeigt er eine faszinierende Frische, wie sie vielen der heutigen Kalifornier fehlt. Locker 93/100, doch wer noch ein paar Jahre wartet, bekommt 95/100 und deutlich mehr ins Glas. Philip Togni, der in Bordeaux bei Emile Peynaud studiert und auf Chateau Lascombes gearbeitet hat, gibt als Ziel Weine im Stil eines klassischen Margaux an. Ich würde seine Weine eher nach Pauillac stecken. In jedem Fall sind es moderne, großartige Klassiker, für die sich auch namhafteste Güter aus Bordeaux nicht schämen müssten. Ähnliches gilt auch für ein anderes Weingut, nicht in Napa, sondern südlich von San Francisco in den Santa Cruz Mountains gelegen, in dem der hoch kompetente Paul Draper unbeirrt seinen Weg geht. Mit 2001 Ridge Monte Bello bekamen wir das 40th(!) Anniversary Vintage ins Glas. Ich würde diesen sehr ausdrucksstarken und mit 14,2% Alkohol für Ridge deutlich aus dem Rahmen fallenden Wein nicht unbedingt als typisch ansehen. Für meinen Freund Gregor war das ein Pferd, das mit Minze beladen durch einen Kräutergarten gejagd wurde. In seiner Würze ist dieser Wein so eine Art La Mouline aus Kalifornien. Dazu kommt eine geile Süße mit der für Monte Bello typischen Kirsche und dazu reifen Blaubeeren. Pure Freude auf 96+/100 Niveau, doch richtig reif ist dieser Wein wohl erst in 10 Jahren. Wie gut diese Weine altern, zeigte vor zwei Jahren ein in Kalifornien getrunkener, völlig runzelfreier 97/100 Monte Bello aus 1968. Zum Schluss der Probe bekamen wir dann noch den eigentlich für diesen Flight vorgesehenen 2000 Ridge Monte Bello vorgesetzt. Auch das ein Klassestoff mit präzisen Konturen, reife Frucht, aber nicht so opulent, immer noch massives Tanningerüst, sehr muskulös, kraftvoll und komplex, gemacht für die Ewigkeit. Gibt Gas in einem Jahr, wo die anderen Kalis passen mussten 96/100. Und dann war da noch ein faszinierender 1998 Shafer Hillside Select, der mit seiner überragenden Qualität wieder alle Jahrgangstabellen Lügen strafte. Ein weicher, sehr fruchtiger, ungemein schmelziger Wein, der auf der Zunge tänzelte. Sehr würzig mit gerösteter Brotkruste, Kaffee und Schokolade, in diesem Jahr die Comtesse aus Kalifornien 96/100.

Und wo wir gerade bei den Jahrgangstabellen sind auch 1986 galt nicht als besonderes Kalifornien Jahr. Gut, dass das bei Phelps niemand gewusst hat. Der 1986 Phelps Insignia war geradezu spektakulär und erreichte in dieser Probe mit einem Punkteschnitt von 97,8 den dritten Platz. Dabei war das kein Hammerwein, sondern einfach ein großer, perfekt gereifter Wein, jetzt auf dem absoluten Höhepunkt. Helle Farbe mit deutlichen Reifetönen, so fein, pikant und elegant, ein burgundischer Bordeaux aus Kalifornien, besaß die Eleganz von Cheval Blanc, das Mineralische von Haut Brion und das alte Sattelleder von Mouton 97/100. Wer noch nicht wusste, dass große Weine altern können und sollen, dass es lohnt, einen guten Weinkeller zu haben und Weine darin bis zur Reife zu lagern, der wurde hier bekehrt. Leider war 1986 Dominus aus der ersten Phase des Gutes, wo man vor lauter Tannin-Extraktion die Frucht völlig vergaß, daneben ein armer Wicht. Schöne Nase mit Würznoten, sehr fein und Bordeaux-typisch, am Gaumen aber trotz intakter, relativ junger Farbe sehr streng und schon etwas gezehrt wirkend, dominiert von massivem, trockenem Tannin. Ich fürchte, dass dieser Wein langsam austrocknet 89/100.

In Memoriam Robert Mondavi tranken wir anschließend drei Weine dieses großartigen Winzers, der Kalifornien wohl geprägt hat, wie sonst niemand. Burgundische Pracht und Fülle zeigte 1978 Mondavi Reserve. Immer noch dichte, junge Farbe, so fein und elegant, so hocharomatisch, Eukalyptus, Minze Leder, etwas Lakritz, feine, geile Süße, immer noch erstaunliche Frische, perfekte Struktur und keinerlei Alter oder Schwäche, baut enorm im Glas aus und hat sicher noch Potential für 10+ Jahre 97/100. Klaus Wagner im Landhaus Bacher in der Wachau soll von diesem Wahnsinnsstoff noch eine Imperiale haben. Wer fährt mit? Korkig war leider 1991 Mondavi Reserve. Da half nur ein alter Trick. Kräftig ins Glas hinein- und den Kork quasi hinausblasen. Dann schnell ohne zu riechen einen großen Schluck nehmen. Klar waren da auch am Gaumen korkige Noten, doch man spürte zumindest deutlich den großen Wein mit hohem Extrakt , toller Fruchtsüße und Potential für 95/100. Breit, langweilig und belanglos wirkte im Vergleich 1994 Mondavi Reserve, ein Wein, der derzeit weder Fisch noch Fleisch ist. Ganz dezenter Schmelz, aber irgendwo fühlte sich dieser Wein in der dringend nötigen Lagerung gestört. So kamen mit Ach und Krach 90/100 ins Glas. Meine eigenen Flaschen packe ich jetzt im Keller nach ganz hinten in die Hoffnungs-Abteilung.

Einfach nur anstrengend im nächsten Flight die beiden Weine von Heitz. Der 1991 Heitz Trailside Vineyard, schon häufig und mit bis zu 95/100 getrunken, wirkte völlig daneben. Kräuterig, kompakt, bissig, etwas Malaga, ein perfektes Kontrastmittel, um andere Weine aufzuwerten 88/100. Sicher nicht die beste Flasche. Etwas, aber nicht deutlich besser 1989 Heitz Trailside Vineyard. Potentiell wohl ein großer Wein, aber er sang aus dieser Flasche nicht wirklich. Eukalyptus, kräuterige Würze, Hustensaft, hoffentlich löst da bald mal jemand die Handbremse 91/100. Noch weniger anfangen konnte ich mal wieder mit 1991 Dominus. Auch der wirkte kräuterig und dabei sehr bitter(dann doch lieber gleich einen richtigen Fernet Branca), dominiert von massiven Tanninen 85/100 mit der Hoffnung auf ein langes, eigenes Leben, damit ich diesen Wein noch mit 95+/100 erleben kann. Richtig Spaß machte in dieser Runde nur ein Wein, 1992 Ridge Monte Bello. Der zeigte sich von seiner allerbesten Seite. Florale Nase, Veilchen, frischer Flieder, aber auch Cassis, Kirschfrucht und eine gehörige Portion Mineralität. Am Gaumen saftig und fleischig, immer noch mit mächtigen, aber reifen und weichen Tanninen, dabei sehr balanciert, harmonisch und einfach stimmig wirkend 96/100. Der passt für die nächsten 20 Jahre nicht nur perfekt als Pirat in jede hochwertige Bordeaux-Probe, sondern vor allem auch solo immer dann ins Glas, wenn einfach höchster Genuss angesagt ist.

Deutliche Bordeaux-Affinität ach in der Nase des 1996 Clos du Val Cabernet Sauvignon Reserve. Ein sehr weicher, feiner, eleganter und aromatischer Wein. Präsentierte sich sehr reif und gehört in dieser Form sicher in den nächsten Jahren getrunken 92/100. Trotz einer Wahnsinnsfarbe zeigte auch der 1994 Beringer Privat Reserve deutliche Zeichen von Reife. Klar ist der sehr dicht, komplex und lang mit viel aromatischem Druck. Aber aus dem einstmals feinen Beerencocktail ist ein eher korinthiger Rumtopf geworden. Das gereicht diesem faszinierenden Wein, den ich noch nie so hoch bewertet habe, sicher nicht zum Nachteil. Aber wenn meine eigenen Flaschen sich als derzeit ähnlich reif entpuppen, werde ich sie in den nächsten Jahren genießen 96/100. Die Hälfte der Teilnehmer bewertete den 1994 Colgin Herb Lamb Vineyard mit 100/100, und mit einem Punkteschnitt von 98,3 kam er in der Gesamtwertung der Probe auf den zweiten Platz. Ich lag zu Anfang deutlich niedriger, weil in der vielschichtigen Aromatik doch ein leich seifiger, an Haarshampoo erinnernder Ton störte. Der verflüchtigte sich aber zunehmend und machte satter Amarenakirsche, kandierten Kräutern und frischer Brotkruste ebenso Platz, wie Eukalyptus und Minze. Am Gaumen verschwenderische Fülle mit toller Süße. Einfach ein hemmungsloser, geiler Spaßwein, der aber nicht überladen wirkt 97/100.

Im letzten Flight dann noch zwei Denkmäler kalifornischer Weinbaukunst. 1997 Harlan hatte eine unglaublich dichte Farbe. Ein gewaltiges, fast übermächtiges Konzentrat, das alle Sinne forderte. Und doch fängt diese Ikone, die ich bisher 6mal mit klaren 100/100 im Glas hatte, an, mir Sorgen zu machen. Auch hier wie schon beim Beringer viel Lakitze und vor allem Rumtopf, der eine Art Überreife anzeigt. Auch leichte Spuren von flüchtiger Säure schleichen sich ein. Natürlich ist das Jammern auf höchstem Niveau, aber für mich hat dieser Harlan den Zenit bereits überschritten. Er zeigt nicht mehr die Präzision, durch die sich die Harlans auszeichnen und ist eigentlich für das Gut ein untypischer Wein 97/100 mit wahrscheinlich langsam weiter fallender Tendenz. Aus meinen Top 100 werde ich ihn wohl entfernen müssen. Drin bleibt in jedem Fall 1994 Harlan, den wir im anderen Glas hatten. Das war ein außerweltlicher Genuss der Sorte "macht sprachlos". Pauillac im besten Sinne, als Quadratur des Kreises wieder dieser eigentlich unmögliche, reife, junge Latour. Unbeschreibliche, dichte und fordernde Aromatik, gewaltige Präzision und ewige Länge am Gaumen. Wird sicher die nächsten 30-40 Jahre weiter Weingeschichte schreiben. Siebenmal gab es am Tisch die Höchstnote von 100/100, auch von mir, und mit einem unglaublichen Schnitt von 99,3 schob sich der Harlan auf die #1 der Bestenliste.

"Lynch Baschi" mit den Hauptdarstellern

"Lynch Baschi" mit den Hauptdarstellern

Zum Abschluss dieser sehr gelungenen Probe kamen aus der großen Karte des Adler noch ein paar Reparaturweine ins Glas. Die Leichtigkeit des Seins in Form einer 1998 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese # 10 von Fritz Haag, eine sehr stoffige, kräftige 1999 Lieser Niederberg Helden Versteigerunsspätlese, mit der der Haagsche Nachwuchs deutlich Führungsansprüche anmeldete und eine insbesondere für den Jahrgang sehr erstaunlich präzise 2003 Oberhäuser Leistenberg Auslese von Dönnhoff mit gewaltiger Mineralität. Aber zu Reparieren gab es eigentlich nicht viel. Durch die älteren Kalifornier und durch die Tognis und Monte Bellos war die Probe, die sich über etliche, vergnügliche Stunden hinzog bestens zu verdauen. Als reine Boliden-Probe mit Weinen vom eher ärgerlichen Stil eines 2005 Foley hätten wir uns zum Schluss der Probe wohl eher unter dem Tisch befunden. Togni und Ridge Monte Bello wären denn auch meine persönlichen Empfehlungen für jüngere Jahrgänge. Und wer noch irgendwo ältere Kalifornier aus den 80ern und davor findet, kann eigentlich nicht viel verkehrt machen.