Traumweinprobe an der Saar

Bereits 1982 wurde der Weinkreis gegründet, der sich reihum bei seinen Mitgliedern trifft. Gastgeber dieser Probe hier war Roman Niewodniczanski, der hierzu in den großartigen Probenraum seines Gutes Van Volxem in Wiltingen geladen hatte. Ich hatte die einmalige Chance, hier als Gast mit dabei sein zu dürfen.

Begrüßt wurden wir mit einem Glas 1999 Taittinger Comtes de Champagne, noch jugendlich frisch mit intensivem Mousseux und vielleicht nicht ganz der Finesse großer Jahre, wird noch zulegen 90+/100. Letzteres galt vor allem auch für den danach gereichten 2002 Roederer Cristal. Der hatte noch einen deutlichen Spontistinker in der hefigen Nase und wirkte sehr jung, kräftig und mineralisch. Der derzeitige, leicht rustikale Touch geht mit den Jahren sicher weg. Würde ich noch 10 Jahre weglegen. Dann könnten mal 95/100 oder sogar mehr ins Glas kommen. Eigentlich eine Affenschande wenn man bedenkt, dass die wenigsten Cristal die ersten Jahre nach der Auslieferung überleben. Wer jetzt in einem Restaurant oder einen Bar vor die Wahl gestellt ist, sollte lieber zum deutlich frühreiferen 2002 Dom Perignon greifen, der sich derzeit einfach fantastisch trinkt.

Mit drei Weinikonen aus Bordeaux startete dann die eigentliche Probe. Aus 2 halben Flaschen stammte der 1966 Cheval Blanc, der sich altersfrei in bestechender Form zeigte. Einmalig die Nase mit dem klassischen Cheval Blanc Parfüm und hohem Suchtfaktor. Warum hat noch niemand ein Parfüm mit dieser Duftnote entwickelt? Damit ließe sich selbst das unscheinbarste Mauerblümchen an den Mann bringen. Am Gaumen reifer, süßer Schmelz, Cashmere für die Seele 94/100. Auch der 1945 Haut Brion im Glas daneben stammte aus zwei halben Flaschen, von denen eine noch dazu nicht in besonders gutem Zustand war. Und das Ergebnis war ein fantastischer Wein, der als deutlich jünger durchging, entwickelte sich enorm im Glas und baute immer weiter aus. Sehr fein und elegant die Nase mit Tabak, Leder und Cigarbox, am Gaumen immer noch enorme Kraft, sehr ledrig mit feiner Süße 96/100. Es ist einfach Unfug zu behaupten, Weine in halben Flaschen könnten nicht altern. Viel entscheidender ist die Lagerung selbst. Die scheint beim 1947 Margaux Vandermeulen nicht besonders gewesen zu sein. Trotz optisch einwandfreiem Zustand und mit upper shoulder akzeptablem Füllstand zeigte der sich vor allem zu Anfang recht grenzwertig. Tiefe, ins bräunliche gehende Farbe, in der Nase ein alter Putzlappen, am Gaumen leicht gezehrt und säuerlich wirkend. Mit Zeit und Luft wurde die Nase besser, Port ersetzte den Putzlappen, auch am Gaumen baute der Margaux enorm aus und zeigte deutlich, welche Kraft und welches Potential dieser Wein in guten Flaschen noch besitzt. Hier gab es deshalb nichts schön zu reden. Wir hatten einfach keine gute Flasche erwischt.

Achterbahn fuhren wir dann mit 5 weiteren Roten. Großartig der immer noch so junge, zeitlos schöne 1959 Castillo YGAY von Marques de Murrieta. Wunderbare, generöse Nase mit viel Kaffee, am Gaumen tolle Struktur, gutes Säuregerüst, aber auch feine Süße, hat sicher noch Potential für zwei weitere Jahrzehnte 95/100. Sehr schön zu trinken auch der 1964 Barolo Kiola von Bassaiolo. Helle Farbe, zarte Frucht, Kräuternoten, Lakritz, feine Süße, reif und weich am Gaumen 92/100. Leider korkig war der 1959 Pommard Chateau de Pommard von Calvet. Fürchterlich vor allem die Nase, doch mit Kork rausblasen ging es einigermaßen, ein immer noch dichter Wein mit toller Struktur, ohne Kork sicher auf 92/100 Niveau. Untrinkbar war leider ein 1947 Bonnes Mares von Chanson. Der hatte eine sehr dichte Farbe, in der Nase außer einem leichten Korkton viel Kaffee und Schokolade, am fürchterlichen Gaumen leider Unmengen flüchtiger Säure, untrinkbar.
Höhepunkt des Flights aber, der gesamten Probe(die Moselaner am Tisch mögen mir verzeihen, dass ich einen Pinot über ihre edelsten Rieslinge setze) und vielleicht des gesamten, kommenden Probenjahres war ein 1947 Chambertin Vandermeulen in perfekter Form. Wieder diese unfassbare Aromatik, diese Kraft, Dichte und Länge, das kann man nicht beschreiben, das muss man erleben. Klare 100/100, für die ich auch auf den Knien an die Saar gerutscht wäre. Danke lieber Roman, nicht nur für diese Flasche, auch dafür, dass Du Dich getraut hast, diesen Wein tatsächlich 5 Stunden vorher zu dekantieren, und auch dafür, dass Du diesem Riesen mit dem großen Zalto-Burgunderglas die Chance gegeben hast, zu explodieren und alles zu zeigen, was er drauf hat. Mag ja sein, dass manche Weinprofis so abgebrüht sind, dass sie auch die Begegnung mit so einem einzigartigen Tropfen locker wegstecken. Für mich sind das Erlebnisse, die sich tief in die Seele brennen und die mich noch tagelang beschäftigen.

Nicht ohne Charme war ein 1949 Beaune in einer undefinierbaren, belgischen Händlerabfüllung, zumindest mit etwas Zeit und Luft im Glas. Kräftige Farbe, vor allem zu Anfang alter Balsamico und Essigfass, immer noch gute Statur, baute aus und wurde schmelziger, 90/100 für den letzten Schluck. Ähnlich die Entwicklung bei einem 1947 Chambertin von Marcel Deporte, grasig grüne Töne in der Nase, am Gaumen viel Säure, harsches Resttannin. Doch auch der öffnete sich mit Luft im Glas deutlich, wurde weicher und erinnerte mit viel dunklem Malz an ein Guiness 90/100. Eigentlich nicht glaubhaft und auch nicht machbar aus diesem fürchterlichen Unjahr ein 1930 Morey St. Denis aus der Collection Docteur Barolet. Der hatte eine erstaunliche Fülle und Kraft mit viel Kaffee und schöner Süße, was er wohl einem guten Anteil 29er verdankte 88/100. Und wie gut diese 219er waren, das zeigte eindrucksvoll der 1929 Gevrey Chambertin Clos de la Justice von Pierre Bourée. Enorm kräftig und noch so jung wirkend, tolle Struktur und Länge 95/100. Enttäuschend dagegen ein 1934 Vosne Romanée von DRC, der wirkte gezehrt mit leicht trüber Farbe und hoher Säure 84/100. Nur ein Hauch flüchtiger Säure trübte den Gesamteindruck des großartigen 1923 Clos de Corton von Dufouleur Père et Fils, der ansonsten sehr elegant und einfach zeitlos schön war mit generöser Süße und erstaunlicher Länge 94/100.

Absolut bestechend ein 1962 Kronberg Eiswein feinste Auslese vom Weingut Karthäuserhof. Klar war der süß, aber da war auch soviel balancierende Säure, soviel Biß, soviel Strahlkraft und eine tolle Struktur. Solo getrunken kamen da locker 96/100 ins Glas. Zusammen mit einem genialen, würzig-scharfen Fischgang, mit dem uns Romans bessere Hälfte Andrea verwöhnte, war das eine 99/100 Traumkombination. Sehr fein, weich mit schöner Süße und reifer Säure im anderen Glas eine 1964 feinste Auslese vom Karthäuserhof.

Nachdenklich machte ein großartiger 1947 Kröver Engelberg Riesling QbA von der Dreigiebelhaus Kellerei. Der war immer noch taufrisch, schlank mit irrer Säure, enormem Tiefgang und gewaltiger Länge 94/100. Wie kann ein einfacher Riesling nach 65 Jahren noch eine solche Form zeigen? Ob es daran lag, dass es damals keine Reinzuchthefen gab und nicht die Mittelchen der modernen Kellertechnik zu Verschlimmbesserung solcher Weine? Weniger ist anscheinend doch oft mehr.
Furztrocken wirkte inzwischen der 1961 Van Volxem Wiltinger Dorr Auslese Fuder 17. Die hohe Säure hielt ihn frisch, ein komplexer, beeindruckender Terroirwein 93/100. Noch einen Tick drüber die 1961 Van Volxem Wiltinger Braunfels feinste Auslese, sehr würzig, total frisch, komplex, lang, harmonisch trocken wirkend 94/100.

Als großer gereifter Burgunder ging die 1934 Sang feine Auslese vom Karthäuserhof durch, sehr trocken, nussig, schmelzig, feine Bitternote 92/100. Eine Legende die 1921 Burgberg feinste Auslese vom Karthäuserhof, so fein, so elegant, so nachhaltig mit nur ganz dezenter Restsüße, hatte Länge und Fülle, ein Riesling in der Form eines großen, reifen, roten Burgunders 98/100. Schlichtweg sprachlos machte die perfekte 1949 Wehlener Sonnenuhr feinste Auslese von JJ Prüm. Was für ein zeitloser, immer noch so frischer Wein, immer noch mit schöner Frucht in der frischen, blitzsauberen Nase und etwas Bienenwachs, feine, nicht aufdringliche Süße, enorme aromatische Dichte am Gaumen, Kraft, Länge, ewiger Abgang, aber alles in totaler Harmonie und Balance, Eleganz pur 100/100. Dreimal habe ich meine Note beim blind verkosten hoch gesetzt. Das ist kein Hammerteil hier. Das ist ewig junger Nektar, der tröpfenweise genossen und begriffen gehört. Leise Töne und subtile Eleganz, die sich zu einem perfekten, harmonischen Ganzen verbinden.

Erstaunliche Frische zeigte zu Anfang noch der 1959 Serriger Schloss Saarfeilser Riesling QbA von den Vereinigten Hospitien, kräftige Farbe, leicht speckig, baute aber mit der Zeit ab und wurde harzig 85/100. Halbtrocken in der Anmutung wirkte die 1959 Van Volxem Scharzhofberg Spätlese Fuder 36, Bienenwachs in der Nase, enormer Druck und Kraft am Gaumen, noch so jung wirkend 92/100.

Korkig war leider die 1959 Ockfener Geisberg feinste Auslese vom Friedrich Wilhelm Gymnasium. Unter dem Kork verbarg sich ein dicht gewirkter, kräftiger Wein mit schöner Süße, sicher sonst mit Potential für 92/100. Gülden die 1959 Ürziger Würzgarten feinste Auslese von Johann Christoffel jr., wunderbare, aromatische Fülle, Süße, Dichte, Struktur und gewaltige Länge 96/100.

Ungewöhnlich die 1966 Johannisberger Klaus feinste Auslese vom Johanneshof Eser, in der Nase Cassis pur, auch am Gaumen Cassis, immer mehr Kaffee und auch Vanillenoten 90/100. Etwas dick und ungelenk wirkte der 1976 Longuicher Maximiner Herrenberg Riesling Auslese von Schmidt Wagner, Bienenwachs in der Nase, am Gaumen Süße und wenig Säure 88/100.

Gülden war die 1959 Steinberger BA Cabinet der Staatsweingüter, sehr weich, reif, schöne Süße, karamellig, Hustensaft, seidige Textur, Schmelz, Länge, reife Säure 95/100. Dunkel und dicht die Farbe der 1959 Kanzemer Altenberg TBA des Priesterseminars, rauchig die Nase, Mokka, Kraft, Fülle, enorme Würze, etwas flüchtige Säure, sehr dicht und eigenständig, rosinig, erinnert an einen Late Harvest Zinfandel von Mayacamas 96/100. Sehr cremig, süß, aber auch mit Frische und Finesse die
1959 Wiltinger Braune Kupp und Hölle TBA Cabinet der Vereinigten Hospitien, ein gigantisches Konzentrat mit hoher Säure, gemacht für die Ewigkeit 97/100. Sehr schlank und rassig mit heller Farbe und sehr guter Säure die 1959 Karthäuserhofberg TBA, die man heute wohl eher als Auslese GK oder LGK anbieten würde 94/100.

Granaten über Granaten und das, wo in den Kellern vieler deutscher Winzer ein neuer 11er Jahrgang schlummert, der nahtlos an den legendären Jahrgang 1911 und an den Kometenjahrgang 1811 anknüpfen könnte. Zwischendurch durfte ich ein erfrischendes Glas 2011 Rotschiefer von Van Volxem probieren. Heiliges Kanonenrohr dachte ich dabei nur. Wie schmecken dann erst die großen Weine, wenn ein normaler schon so knallt. Und auch das durfte ich später noch erfahren. Eine Legende im Werden bekam ich ins Glas, die immer noch gährende 2011 Van Volxem Scharzhofberg TBA, ein Wahnsinnsteil mit irrer, cremiger Dichte und Aromatik, mit einer Viskosität wie Motoröl, aber auch mit erstaunlicher Frische und Finesse. Wird wohl mal irgendwo bei 97-99/100 landen. Die 100/100 hebe ich mir auf für die größere der beiden, die statt 250 bei 300 liegt.

Schlusspunkt dieser hochkarätigen Probe war ein 1876 Tokayer Ausbruch in einer Abfüllung der Weinhandlung Wilhelm Ruthe aus Wiesbaden. Weine in diesem Alter sind oft nur noch zeitgeschichtliches Dokument, doch gute, hochkarätige Tokayer können ewig altern. Klar war dieser hier oxidativ, alkoholisch und medizinal, aber auch noch so lebendig, eigenständig und gut trinkbar. Blieb ewig am Gaumen 94/100. Und zu diesem Wein gibt es auch noch eine ungewöhnliche Geschichte, deren Erwähnung mir unser so großzügiger Gastgeber verzeihen möge. Der Tokayer hatte sicherlich zur Vorbereitung einige Wochen senkrecht gestanden. Aber jetzt war er leicht trüb und es fehlte auch einiges. Die Flasche hatte sich vorher wohl jemand in der Küche gegriffen und damit die Morchelsoße des Hauptgangs verfeinert. Kein Wunder, dass ich vorher der wohl besten Morchelsoße meines Lebend in Gedanken 100 Punkte gegeben habe. Eine Katastrophe? Im Gegenteil. Wein wird viel zu wichtig genommen. Erst wenn er Genuss und Lebensfreude bereitet, erfüllt er seine Bestimmung. Und das hat dieser Tokayer hier gleich zweimal erreicht. Alte Tokayer habe ich schon mehrmals getrunken, aber eine solch obergeile Morchelsoße mit 136 Jahre altem Tokayer, das hatte ich noch nie. Wer also immer das getan hat, tu es bitte wieder (aber lass 2/3 in der Flasche) und lass mich bitte dabei sein.